Schweitzer Fachinformationen
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»No woman, no cry - ka, Weiber, ka G'schrei!«, tönte es dreistimmig in die Herrgottsfrühe-Stille hinein. Es war schon ein äußerst kurioses Gespann, das da pünktlich zur Morgendämmerung auf einem schwer definierbaren, psychedelisch eingefärbten Gefährt mit Wimpeln durch Strunzheim zuckelte. Der Geiger Franz auf seiner Flunzn, einer Schwalbe aus Ostbeständen, und hinten drangenagelt ein ausgedienter Zwillingskinderwagen, der genau die richtige Größe hatte, um zwei eineiige über 80-jährige Schwestern in Hobbitgröße komfortabel zu transportieren. Eine fränkische Rikscha halt. Die Walder-Zwillinge Erna und Traudl saßen jedenfalls hinten drin wie die Queen in doppelter Ausführung, und so manch einem Hahn, der sich gerade aus den Federn quälte, blieb glatt die Spucke weg, bei diesem absonderlichen Anblick. Generell war man im Dorf eh aufs Äußerste verwundert über diese merkwürdige Combo aus alt und halb so alt, die sich da gefunden hatte und fast schon kommunenartig zusammenhing. Sogar seit kurzem im Geigerischen Anwesen zusammenwohnte. Nicht selten wurde Franz hinter vorgehaltener Hand als der Rainer Langhans aus Franken betitelt, der sich ganz klar erbschleichermäßig bei den Walders einschleimte. Warum auch sonst sollte man sich mit diesen zwei allerweil recht zundigen Biestgurken einlassen, wenn nicht zwecks der Kohle. Franz war das ganze Gerede um seine Person wurscht. Spätestens in ein paar Wochen würden sich neue Opfer finden, über die sich die dörfliche Inquisition hermachen würde. Bis dahin hieß es einfach Augen zu und durch. Das hatte ihm schon seine selige Mutter beigebracht, und er war schon immer gut damit gefahren. Und momentan fuhr er eben die Walders, wie jeden Samstagmorgen zu ihrer - nennen wir es mal - medizinischen Anwendung ohne Rezept.
»Etz Dampfer, gib halt Gummi, die Brüh kocht ja, bis mir da sind!«, plärrte es ungeduldig gegen sein Rückgrat. Er grinste. Jeden Tag das gleiche Theater. Und dann noch dieser Spitzname - Dampfer, so ganz hatte er sich noch nicht daran gewöhnt. Seit er aber halt nicht mehr soff, sondern nur noch hin und wieder einen starken Dübel durchzog und zudem noch eine Eins-A-Pflanzenzucht hatte, war er nach der allgemeinen Strunzheimer Meinung eben kein Suff mehr, sondern ein Dampfer. Da waren sie konsequent, seine lieben Mitbürger. Freilich hätte man ihn auch ganz einfach Franz nennen können oder Geiger, aber wer wollte sich darüber schon den Kopf zerbrechen. Wo der doch grad jetzt mal wieder in so einen wunderbar bewusstseinserweiternden Nebel gehüllt war.
»Wennst so weiterschleichst, dann können mir mit unseren Krampfadern bald einen Pullover stricken, weil sich die vermehren wie die Fliegen«, frotzelte Erna aufs Neue auf ihn ein.
»Und du, wenn du weiter so keifst, kannst deine Kekse in Zukunft mit Sauerampfer backen«, konterte Franz schlagfertig und erntete ein meckerndes zweistimmiges Lachen.
Ja, sie hatten sich schon irgendwie gern, die drei. Franz war der Einzige, der so mit den beiden Walders reden durfte. Jeder andere hätte längst eine deftige Watschn kassiert. Lag wahrscheinlich schon auch daran, dass Erna und Traudl noch das schlechte Gewissen plagte, zwecks des unsäglichen Spektakels im letzten Sommer. Da stand er tagelang unter Generalverdacht, die Gelbwurschtpflunzn heimtückisch dermeuchelt zu haben. Vor allem die Walders hatten nichts unversucht gelassen, ihm diese Tat nachzuweisen. Das kam natürlich nicht von ungefähr. Er war in jenen schweren Zeiten ein ziemlich derhauter Kerl gewesen.
Jeden Tag am Promilletropf, und wenn nicht aggressiv verkatert, dann besoffen bis unter den Kragen. Da konnte man schon mal Böses vermuten. Und Erna war von jeher schnell dabei, den moralischen Zeigefinger zu heben. Nicht einmal vor Selbstjustiz scheute sie zurück. Noch heute erinnerte ihn die Narbe an seinem linken Bein schmerzhaft daran, wie ihn die Alte mit ihrer 73er-Opel-Kadett-Schleuder von der Flunzn katapultiert hatte. Mit voller Absicht - eh klar. Aber der Fall wurde ja dann Gott sei Dank rasch aufgeklärt von seinem alten Kumpel, dem Rambichler Bülent, der sich seitdem auch nicht mehr blicken hat lassen, die feige Sau.
Schiss hat er vor der Erna, da war sich Franz sicher. Weil er ihr ihr Auto samt Fahrerlaubnis für immer entzogen hatte, der Depp. Dabei hatte sie eh schon lang gar keinen Führerschein mehr gehabt und ist immer schwarzgefahren. Er hätte halt einfach bloß seine Augen vor der Realität verschließen müssen. Hat er aber nicht, und so war er jetzt Staatsfeind Nr. 1 und zum walderschen Abschuss freigegeben. Aber was sollt schon passieren. Erna hatte zwar gedroht den Rambichler, den aufgestellten Mausdreck, ungespitzt in den Boden neizuhauen, sollte er ihr noch einmal unter die Augen treten, aber er und vor allem sein besonderes Kraut waren ja auch noch da. Nach einer starken Friedenspfeife sah die Welt schon ganz anders aus. So war es auch zwischen ihm und den Zwillingen gelaufen. Fett in Dampf gehüllt, den Bob Marley im Ohr, hatten sie sich nach der Aufklärung der ganzen Mordsgeschichte ewige Freundschaft geschworen. Man war sich ja im Grunde auch recht ähnlich im Herzen. Stets auf Revolution aus und grundsätzlich gegen alles, was die örtliche und sogar die staatsmächtige Ordnung so vorsah. Die drei schwebten jedenfalls auf einer gemeinsamen Wolke dahin, und wenns nach der Traudl ging, würde wahrscheinlich sogar noch ein bisschen mehr für Franz drin sein.
Ständig faselte die liebestolle Alte etwas von der Klum, dass die sich ja auch gar nichts scheißen würde und völlig hemmungslos mit so einem Teenagerbub herumhantierte.
»Des darf man heut alles nicht mehr so eng sehen«, resümierte sie liebestaumelig ein ums andere Mal, während sie, sooft sich die Gelegenheit bot, imaginäre Fussel von seinem Hintern kratzte.
»Ach ja«, seufzte Franz zufrieden. Das Leben war schon irgendwie recht schön, vor allem, wenn man es zu leben wusste. Rasant bog er jetzt in einen kleinen Feldweg ab, der zu den Dorfweihern führte. Die Zwillinge wurden dabei schon arg durchgeschüttelt und kreischten vor Vergnügen. Auch beim Abbremsen ließ der Geiger keine Gnade walten, und den Alten verzog es glatt ein wenig die blasslila Dauerwelle. »Meine Damen, willkommen im Wellnessparadies Strunzheim«, säuselte er und hielt den beiden galant die Hand hin, um beim Aussteigen behilflich zu sein.
»Du bist mir schon so ein Lumpersler.« Erna lächelte ihn liebevoll an und kniff ihn in die Wange. »Aber etz tust gefälligst dei Griffel weg, weil sonst batschts. Ich brauch doch noch keinen Zivi, der ständig an mir rumkoordiniert.« Zum Beweis ihrer allgegenwärtigen Fitness krabbelte sie rücklings aus dem Wagen, wobei sich der Stoff ihres türkisfarbenen Frotteejoggers schon arg strecken musste, um bei ihren äußerst ausladenden hinteren Regionen noch alles beinanderzuhalten.
»Geh Erna, der wollte doch nur ein Gentleman sei, gell, Dampfer?« Traudl hielt Franz geziert die Hand hin und bedachte ihn mit einem Augenaufschlag der Sündiges vermuten ließ.
»Traudl, etz spinn di aus und kumm endlich. Langsam wird's Zeit, dass mir unsere Füß ins Wasser bringen, bevor noch so ein Petri-Bruder daherkommt und bled daherred«, fuhr Erna ihre Schwester an, die daraufhin schmollend gen Weiher hinterherstapfte.
»Ich wart dann hier auf euch«, rief Franz ihnen hinterher und drehte sich genüsslich sein zweites Frühstück. »Passt aber fei auf, dass ihr mir ned dersauft.«
Erna hob drohend ihren Zeigefinger. »Du, gell, ned frech werden Bürschler. Wir sind ja nicht zum Tauchen da, sondern zum Kneippen.« Und so einfach wie effizient war das dann auch tatsächlich. In Ermangelung einer Strunzheimer Kneippanlage hatten die Zwillinge nämlich kurzerhand für sich entschieden, dass es auch anders ging. Und seitdem badeten sie ihre krampfaderdurchzogenen Glieder zwar selten in Unschuld, aber dafür in den Fischkästen, in denen sich zahlreiche Karpfen und Forellen tummelten. Weil es sich halt zwecks der Temperatur so gut ausging und so schön kitzelte. Der durchaus berechtigte Protest der Fischer, ging ihnen dabei gänzlich am Allerwertesten vorbei.
»Denen haben's doch ins Hirn g'schissen, diesen Wurmschubsern«, lautete Ernas einziger Kommentar dazu, wenn man sie mal wieder freundlich dazu aufforderte, doch bitte ihre gichtigen Haxn wo anders neizuhalten. Sonst würden am End noch die Fisch schwerst traumatisiert daherkommen. Und so ein Viech mit Hirnschaden frisst doch keiner mehr. Hatte man doch damals schon am Rinderwahnsinn gesehen. Ein durchaus schlüssiges Argument, aber für die Walders kein Grund, sich in ihrem körperkultigen Treiben aufhalten zu lassen.
»Du, Erna, schau mal, was hängt denn da aus unserem Kasten raus? Ist des, ja, was ist denn des?« Traudl blieb abrupt stehen und umklammerte, nichts Gutes ahnend, den Arm ihrer Schwester. Erna zwickte die Augen zusammen, um besser sehen zu können, und bei dem, was sie sah, schwoll ihr dann auch augenblicklich der Kamm.
»Ja so ein Saubär«, zürnte sie. »Dem werd ich jetzt aber was verzählen, Traudl lass mich los.«
Doch die Jüngere der beiden dachte gar nicht daran, den Schraubstock zu lockern. »Du, am End ist des so ein Perverser, der es auf uns abgesehen hat. Gibt ja so viele wilde Leut heutzutage, erst gestern hab ich wieder in der Zeitung .«
Ihr Zwilling schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab. »Ist mir egal, was du gelesen hast. Ich geh da etz hin, und dann schlägt's dreizehn, des garantier ich dir. So geht's nämlich auch nicht.« Im Endeffekt schlug es dann freilich gar nichts mehr. Weil, was will man einem Toten...
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