Schweitzer Fachinformationen
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Ich kann nicht mehr. Das ist natürlich Quatsch, ich bin gerade erst losgelaufen, aber schon an der Ampel glaube ich, ich kann nicht mehr, nach nicht mal hundert Metern. Meine Beine sind wie Sandsäcke, bin ich wirklich jemals länger gelaufen? Lange her. Vielleicht fällt mir ein Grund ein, warum ich doch nicht laufen kann, warum ich jetzt sofort umkehren muss, obwohl heute der beste Tag ist, um wieder mit dem Laufen anzufangen, Laufen ist mit Sicherheit gut, außer dass ich nicht mehr kann, vielleicht ist heute auch gar nicht der beste, sondern der schlechteste Tag. Regnet es? Es war schon schwer genug, die Laufsachen überhaupt anzuziehen, unfassbar, wie viel Überwindung einen das kosten kann, auch wenn man fest beschlossen hat, endlich wieder zu laufen, und zwar jetzt, an diesem Tag, wie viel Kraft es kosten kann, die Sportsachen rauszusuchen, zu entscheiden, was bei der Temperatur das Richtige ist, welche Hose, die dicke, die dünne, ist es warm genug, ob ein langärmliges Shirt unter dem kurzen reicht oder ob noch die Jacke darübermuss, was für eine Anstrengung, und dann, wenn man fertig angezogen ist, wirklich loszulaufen, wieso war das so schwer, ich schaffe es doch auch, zur Arbeit zu gehen, das ist längst nicht mehr so hart wie am Anfang, sondern hält mich aufrecht, und immerhin, ich habe es geschafft loszulaufen, die Ampel wird grün, ich kehre nicht um, ich laufe weiter, es regnet gar nicht, aber mein Fuß knackt bei jedem Schritt, und nein, auch das ist kein Grund umzukehren, ich reiße mich jetzt zusammen und laufe weiter. Rike hat recht, sie hat gesagt, ich soll wieder laufen, Rike hat immer recht, natürlich kann ich noch, das ist ja albern. Früher hat es auch meist eine Viertelstunde oder zwanzig Minuten gedauert, bis ich nicht mehr darüber nachgedacht habe, ob ich noch kann oder nicht oder wie weit und wie lange ich heute kann, bis meine Beine nicht mehr aus Beton waren und ich es nicht mehr bereut habe, ausgerechnet heute zu laufen, überhaupt zu laufen, sondern das Gefühl hatte, ich kann noch eine ganze Weile weiterlaufen und bin zufrieden dabei. Ob das immer noch so ist, keine Ahnung, wie lange bin ich jetzt nicht mehr gelaufen? Sechs oder acht Jahre vielleicht, ewig jedenfalls, ich weiß nicht mehr, warum ich damals mit dem Laufen aufgehört habe, ich war doch ganz fit und habe es auch ganz gerne gemacht, aber das ist lange her, und jetzt tut mir nur noch der Schultergürtel weh. Irgendwann werde ich wieder dahin kommen, dass es von allein läuft, dass sich der Rhythmus so oft wiederholt hat, bis mein Körper zur Maschine wird, na klar, Maschine, mein Körper ist alles Mögliche, aber keine Maschine, er läuft nicht rund, und ob ich es überhaupt so lange schaffe, bis es besser würde, muss ich auch erst mal sehen. Eine halbe Stunde müsste ich doch hinbekommen für den Anfang, wenigstens eine halbe Stunde, früher bin ich eine ganze Stunde gelaufen, fast zehn Kilometer, aber da war ich noch keine vierzig, das werde ich jetzt nicht mehr schaffen, jedenfalls nicht auf Anhieb, aber eine halbe Stunde muss doch zu machen sein, so unfit kann ich nicht sein, oder wenigstens zwanzig Minuten, das ist ja praktisch gar nichts. Wenn ich nur den Beton von den Füßen bekäme, und wenn ich nur besser Luft bekäme, vielleicht habe ich ja eine Allergie entwickelt, meine Lunge pfeift, ich hatte zwar nie Heuschnupfen, aber vielleicht ist ja etwas in der Luft heute, vielleicht muss ich doch umkehren, ich kann nicht mehr.
Gut, ein bisschen geht noch, nur ein Stück, wenigstens bis zur Laterne, dann den Grünstreifen parallel zur Straße entlang bis zum Hammer Park und einmal durch den Park und durch den Grünstreifen wieder zurück nach Hause. Nach Hause. Notfalls zwischendurch ein Stück gehen, zum Beispiel jetzt, Blödsinn, ich bin gerade erst losgelaufen, ich muss langsamer laufen, aber laufen.
Laufen ist super, so schön stumpf, man muss gar nicht denken, ich kann sowieso nur über das Laufen nachdenken und über meinen Körper und gar nicht über den ganzen anderen Mist, weil das alles viel zu anstrengend ist, ich laufe mir die Grübelei weg, andere Leute laufen angeblich, weil sie dabei gut nachdenken können, ich kann an gar nichts anderes denken als an meinen Körper, ob er funktioniert, wie er funktioniert, wie das Laufen sich anfühlt, ob ich noch kann, und wenn ja, wie weit, und ob mir gerade etwas wehtut, oder was am meisten wehtut, als wüsste ich nicht, was am meisten wehtut, aber beim Laufen tut endlich der Körper weh, das ist jedenfalls besser, als vor dem Rechner zu sitzen und stundenlang bunte Kügelchen abzuschießen oder Karten zu sortieren und dabei immer an -
Dem Körper wehtun, das tut gut, ich kann nicht mehr, ich renne weiter. Sie haben sämtliche Hecken und Sträucher zurückgeschnitten, grauenhaft sieht das aus, brutal, alles auf Kniehöhe abgesägt, auf zig Metern Länge, den kompletten Grünstreifen entlang, alles tot, kleine Zweige, größere Sträucher, bis hin zu dickeren Baumstämmen, was alles durcheinanderwächst zwischen Fußweg und Straße, man kann überhaupt nicht mehr sehen, was da mal war, nur Stämme und Stümpfe mit frischen Schnitten, dahinter die Fahrbahn. Was ist noch mal eine Benjeshecke, das hatten wir in der Schule, du hättest es gewusst, das ist doch so was, wo alles Mögliche durcheinanderwächst, indem man abgeschnittene Äste und Zweige in den Boden steckt oder etwas in der Art, da wachsen ein paar Sachen an, andere nicht, und es ist super für die Vögel zum Nisten, muss ich zu Hause mal googeln. Aber ein städtischer Grünstreifen ist bestimmt etwas anderes, nicht so anarchisch, sondern geplant angelegt, und jetzt haben sie es abgeschnitten, auf der Wiese liegt das, was übrig ist, und das ist tot, ich könnte mir vielleicht ein paar Zweige mitnehmen und sie zu Hause in eine Vase stellen, vielleicht würden sie noch aufblühen, vielleicht auch nicht, wer weiß das schon, wie tot es wirklich ist, man staunt ja manchmal, was doch wieder austreibt, und beim Laufen kann ich sowieso nichts mitnehmen. Das, was noch im Boden festgewachsen ist, kommt bestimmt wieder neu, aber die beschnittenen Stümpfe sehen schrecklich verstümmelt aus, man möchte beinahe einen Verband drumwickeln und sie ein bisschen streicheln, es sieht aus, als könnte es nie wieder leben, aber das wird es wohl, und das ist doch alles eine beschissene Metapher. Ich kann nicht mehr, ich muss langsamer laufen oder ein paar Schritte gehen, aber ich will nicht gehen, ich will rennen, mir egal, ob ich noch kann, ich kann nicht mehr.
Alles, was ich über das Laufen weiß, ist, dass man gleichmäßig atmen soll, doppelt so viele Schritte ausatmen wie ein, ich atme zwei Schritte ein und vier aus, ein ein aus aus aus aus, ich sollte meine Schritte zählen, statt über Metaphern nachzudenken, atmen, einfach atmen, sagt Rike, immer weiteratmen, als wäre das so einfach, sag mal einem Ertrinkenden, er soll atmen, aber sie hat natürlich recht, wieso muss sie denn immer recht haben, das macht es doch auch nicht besser. Einatmen, ausatmen, ich kann nicht mehr, laufe trotzdem weiter, langsamer, ich muss langsamer laufen, natürlich kann ich noch, mein einer Fuß knackt immer noch bei jedem Schritt, bekomme ich Seitenstechen, ein ein aus aus aus aus, mein rechtes Knie tut weh, vielleicht brauche ich neue Schuhe, die alten sind ganz schön alt, ein paar Jahre habe ich sie nicht benutzt, aber die Verkäuferin hat damals gesagt, das Material ermüdet auch beim Rumstehen, es federt nicht mehr so gut, deswegen soll man trotzdem regelmäßig neue Schuhe kaufen, auch wenn man sie gar nicht benutzt hat, sonst macht man sich die Fußgelenke kaputt und als Nächstes die Knie und dann die Hüften, es pflanzt sich von unten nach oben fort. Sehe ich alles ein, aber ich muss erst mal wieder anfangen mit Laufen und gucken, ob ich diesmal dabeibleibe oder doch wieder aufgebe, ich fühle mich gar nicht, als könnte ich je wieder etwas durchhalten, fange dauernd Dinge an und bringe sie nicht zu Ende, kaufe ein und koche doch nicht, stelle die Waschmaschine an und lasse das nasse Zeug drin, bis es anfängt zu müffeln, und neben dem Bett liegt ein ganzer Stapel Bücher, von denen ich die ersten zehn Seiten gelesen habe, am liebsten will ich mir immer noch die Kapuze über den Kopf ziehen, aber damit ist jetzt Schluss, ich werde jetzt laufen. Ein ein aus aus aus aus, mein Kopf wummert, dabei ist es ganz schön frisch, es sah so sonnig aus, aber es ist nicht besonders warm, ich hätte die dickere Hose nehmen sollen, bloß gut, dass ich die Jacke drübergezogen habe. Ich habe Seitenstechen, atmen, ein ein aus aus aus aus, es wird schon gehen, beim Laufen wird einem warm genug, nur wenn man schwitzt und die Sachen nass sind und es kalt ist, friert man wieder, obwohl man schwitzt, wie bei Fieber. Mir ist heiß, mir ist kalt, mir tut alles weh, egal, ich laufe jetzt.
Vorhin war ich so sauer, dass ich deine Telefonnummer aus meinem Handy gelöscht habe, jetzt habe ich nicht mal mehr die, wozu auch, kein Anschluss mehr unter dieser Nummer, Rike würde sagen, das ist gut, das ist ein Schritt, und das weiß ich auch selbst, wahrscheinlich ist es gut, dass ich sie nie auswendig konnte, sie ist jetzt wirklich weg, wie alles andere, du bist überhaupt nicht mehr in meinem Telefon, Kontakt gelöscht, Visitenkarte gelöscht, deine Mailadresse habe ich noch im Kopf, vielleicht geht sie da irgendwann von allein weg, und vielleicht muss sie das auch gar nicht, soll sie doch drinbleiben, es geht sowieso so viel weg, und das will ich nicht, du sollst nicht weg sein, und dann will ich wieder, dass alles weggeht, alles, du sollst komplett raus aus meinem Kopf, aus meinem Herzen, sollst...
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