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Börne im Generationenkonflikt
Theuerster Vater!
Ich beginne in sehr ernster Stimmung diesen Brief, und ich werde allen meinen Muth bedürfen, um ihn an das Ziel zu führen, das ich ihm vorgesteckt. Denn wenn ich dadurch nicht erlange, was ich möchte, so wird dieses Schreiben nicht blos seinen Zweck verfehlen, sondern gerade das Entgegengesetzte hervorbringen, statt Dich zu beruhigen, wird es Dir Verdruss machen, statt Deine Zufriedenheit wird es mir Deine Vorwürfe zuziehen. So oft du auch mit mir sprachst, war es immer der kränkendste Tadel, der dem Gespräche die Einleitung gab, oder womit es schloss. Ich hätte jedesmal mich rechtfertigen können, sogar auf Deine Art mich rechtfertigen können, aber ich musste bald bemerken, dass Du es für einen Mangel kindlicher Achtung hieltst, wenn ich Dir widersprach, darum schwieg ich, denn Du hättest die Vertheidigung selber nur für ein Verbrechen mehr gerechnet. Darum, weil meine Abwesenheit Dir eine kältere Prüfung meiner Rede verstattet, will ich es jetzt versuchen, nicht mich mit Dir zu verständigen, sondern zu beweisen, dass keine vollkommene Verständigung zwischen uns Beiden möglich ist, und dass jede Erörterung sich dahin beschränken muss, die verschiedenen Standpunkte aufzuzeigen, auf denen wir stehen, die keine Harmonie zulassen, als die des Herzens und der Liebe, aber die Eintracht der Köpfe gar nicht gestatten. Doch vor allen Dingen muss ich Dich daran erinnern, dass es nie meine Handlungen, sondern immer meine Reden waren, die mir Deinen bleibenden Unwillen zuzogen.
Wenn ich zu viel Geld verschwendet, wenn ich wider Deinen Willen nach Berlin gereist war, so hattest Du es freilich gerügt, aber auch bald wieder vergessen und vergeben. Aber Du vergissest nicht die Gesinnungen, die ich bei solchen Gelegenheiten geäussert, Du konntest nicht vergeben den anscheinenden Mangel gewisser Empfindungen, von denen ich doch ganz durchdrungen bin, und deren Dasein Du nur darum nicht erkanntest, weil ich nie davon sprach. Aber es gibt gewisse Dinge, wie kindliche Liebe, deren Heiligkeit durch Worte nur entweiht wird. Ich liebe Dich, nicht weil ich soll, sondern weil ich muss. Hättest Du denn ja nöthig ein Register der Pflichten nachzuschlagen und zu erfahren, wie viele tausend Thaler Du verbunden seiest an meine Erziehung zu verwenden? Hat Dich Dein Herz nicht immer gezwungen, alles das Gute mir zu erzeigen, was ich von Dir genossen habe? Glaubst Du, dass Deine väterliche Liebe Grenzen habe? Glaubst Du, dass ich sie verwirken könne? Wenn Du dies denkst, so kennst Du Dich selber nicht und nicht das menschliche Herz. Liebe und Hass lassen sich nicht verdienen. Deine Sorgsamkeit für mich könnte nie aufhören, auch wenn ich zum grössten Bösewicht an Dir würde, nicht.
Ich habe oft von Dir hören müssen, ich sei ein schlechter Sohn; es schmerzte mich, nicht der Vorwurf, denn er traf mich nicht, aber es schmerzte mich, dass unsere Naturen von der Art sind, dass wir in den Gesinnungen uns feindlich begegnen müssen. Es ist so und kann nicht anders sein, denn die Natur hasst alle Einförmigkeit in ihren Schöpfungen. Aber wenn der Sohn immer den Geist des Vaters hätte und so fort durch alle Geschlechter, was würde aus der Menschheit, was aus der ganzen Welt werden? Wenn ich dieselbe Ansicht der Dinge hätte, die Du hast, so müsstest Du die Deines Vaters haben, und so bis in die fernste Vergangenheit hinauf, ständen wir alle auf derselben Stufe der Erkenntnisse. Aber das wäre dem Zwecke des Lebens zuwider, das sich immer vervollkommnen soll. Dass ich ein paar Worte lateinisch, oder ein bischen Chemie verstehe, was Du nicht verstehest, das kann mich doch wahrhaftig nicht so viel besser machen. Es ist überhaupt von besser nicht die Rede, ich brauche gar nicht klüger zu denken, aber dass ich nothwendig anders denken muss als Du, davon möchte ich Dich überzeugen können, denn das Glück meines Lebens hängt davon ab. Ich bin dessen gewiss, theuerster Vater, dass ich mir noch einst Deine Achtung erzwingen werde, aber bis dahin könntest Du noch Manches von mir erfahren, was Dir missfällt. Und es ist nicht zu ändern. Mehr noch als Dein Tadel schmerzt es mich, dass Du mich zwingst, mich selber zu loben. Ich kenne ja die höchsten Hoffnungen, die Du von mir hast, aber bei Gott, die geringsten Ansprüche, die ich an mich selber mache, übertreffen weit Deine grössten Erwartungen. Ich weiss es, dass Du vollkommen zufrieden sein wirst, wenn ich einst so geschickt werde, wie ein Dr. U. oder K., mein ehrliches Auskommen habe, bis endlich nach 20jährigem Streben mein Ruhm durch den vielgeschäftigen Mund der Tanten und Cousinen, bis an die äusserste Stadtmauer dringt, wo mich ein Bankier N.N. beglückt, mir, wenn er den Schnupfen kriegt, ein Recept abzufordern. - Glaubst Du, dass sich mein Stolz begnügen würde, in die Wette mit einem gewöhnlichen Doctor um die Gunst der Judengasse zu buhlen? - Dein Sohn ist zu etwas Besserem geboren, als sich herum zu wälzen im Staube der Gemeinheit, und seinem Gott zu danken, wenn der erste beste Krämerjunge ihm nachsagt: »der Baruch ist gar kein übler Mensch, nur schade, dass er ein Jude ist.« Ich hasse das gemeine Volk und es ist mir zuwider. Du glaubst, theuerster Vater, mich durch und durch zu schauen; wollte Gott, es wäre wahr, dann hätte ich nicht nöthig, diesen Brief zu schreiben. Was Du von mir kennst, sind nur einige Fehler, die ich Dir gar nicht abstreiten mag, ich habe auch noch Fehler, von denen Du nichts weisst. Aber kennst Du auch das Gute, was in mir ist? Nein, und woher auch solltest Du Gelegenheit genommen haben, dieses zu erforschen? Der ausgebildete Mann im bürgerlichen Leben, den kann man wohl beurtheilen, seine Handlungen sprechen für ihn und für seinen Werth. Aber nicht so einen jungen Menschen, der noch Lehrling ist. Was sollen denn das für Thaten sein, die meine Würdigkeit oder Unwürdigkeit auszusprechen vermögen? Was habe ich zu thun, was zu lassen? Glaubst Du denn, dass meine schlechte Seele sich vollkommen in einem Glas Wein abgespiegelt, das ich zu viel getrunken? Oder, dass meine bessere Natur sich in einigen Worten von der Wassersucht und den Blattern so schnell aussprechen lässt? Und dass Du die Kraft schätzen lerntest, die mir beiwohnt, hätten wir länger beisammen sein müssen, denn ich bin Keiner von jenem Volke, denen man es in wenigen Stunden anmerkt, was sie sind oder nicht sind. Was waren auch das für Menschen, unter denen Du mich beobachtet hast? Hättest Du mich zu Männern geführt von Geist und Herz, Du hättest sehen sollen, dass Dein Sohn dem Besten nicht nachsteht. Aber unter solchen Menschen! Ich bitte Dich! Das ist mein Stolz, dass solche Sklavenseelen mich nicht begreifen, und darin besteht meine Würde. Erröthen müsste ich ja auch vor mir selber, wenn ich mein Herz auf der Schwachheit ertappte, nach dem Beifall Dieser zu streben, solcher Menschen, die sich vor dem Genius ihrer Geschicklichkeit froh überrascht fühlen, wenn es ihnen einmal gelungen ist, ja und nein richtig auszusprechen oder zu schreiben; solcher, die nichts wissen als fades Zeug französisch zu sagen, solcher deren höchste Wissenschaft darin besteht, 7 Zahlen aus dem Kopfe zu multipliciren, oder wenn's hoch kommt, ein fades Register zu machen von den Drangsalen der Juden? Nur dem Starken zeige ich meine Stärke, mit Kindern ringe ich nicht. Du hast mich zum Dr. Oppenheimer geschickt, damit ich vor ihm meine Kenntnisse bewähre, denn Du wolltest erfahren, was an mir ist. Aber ich will Dir zeigen, dass Du durch ihn nie auf ein bestimmtes Resultat hattest kommen können. Hätte ich ganz schlecht vor ihm bestanden, so müsste er wahrhaftig ganz dumm sein, Dich so zu kränken, und Dir die Grösse meiner Unwissenheit zu verkünden. Was hätte es auch Dir genützt, was mir? Aber hätte ich mich als sehr trefflich in meinen Gesprächen bewährt - und meine Begriffe von Trefflichkeit gehen weiter als die seinigen - dann sei versichert, dass die egoistische Furcht, sich von mir meist übertroffen zu sehen, sein Urtheil so würde geblendet haben, dass sein Bericht von mir doch nur mittelmässig ausgefallen wäre. Du wirst nun diese Reden übel nehmen, Du wirst sagen: der Doctor ist ein braver Mann, der mir Gerechtigkeit würde widerfahren lassen. Ich bitte Dich, lieber Vater, habe doch das Zutrauen zu mir, dass ich auch weiss, was es mit der Bravheit dieser Leute für ein Bewandtniss hat. Wenn er gegen mich auf den Doctor Neuburg loszieht, der doch wenigstens so geschickt ist als er, glaubst Du denn, er würde es mir einst besser machen. Überhaupt war es mir verdriesslich, mich von dem Doctor examiniren zu lassen. Er hätte es verstehen sollen, das Gespräch auf die Medicin zu leiten, aber da wurde sie so mit Gewalt herbeigezerrt, und ich kann es nicht leiden, wenn mir ein Gegenstand der Unterhaltung aufgedrungen wird.
Ich spreche gerne von Allem, was die Gelegenheit mit sich bringt, und es schwindelt mir, wenn ich mich um einen Punkt immerwährend herumdrehen soll. Ich muss Dich bitten, lieber Vater, beim Lesen dieses Briefes nie aus den Augen zu verlieren, was ich gleich anfänglich gesagt habe, dass es mir nämlich nicht darum zu thun ist, gewisse Dinge an mir, die Dir missfallen, zu beschönigen, sondern die Unabänderlichkeit dieser Differenzen zu beweisen. Du könntest mir erwidern, Du seiest zweimal so alt wie ich, über die Jahre der Leidenschaft hinaus, also viel erfahrener, es wäre also der Klugheit gemäss, Dir in Allem zu folgen. Ich sage, Du hast Recht, sobald es auf Handlungen ankommt. Wenn ich den Stock aufhebe, um jemanden zu schlagen, Du kommst dazu, um mich abzuhalten, gut, ich würde es sein lassen aus Liebe...
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