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Montag, 27. Januar 2014
Das ÖIP, das Önologische Institut der Pfalz, lag auf halbem Wege zwischen Gleisweiler und Frankweiler. Zum 1. Januar 2008 gegründet, sollte die Forschungseinrichtung den Weinbau wissenschaftlich analysieren und den Menschen das jahrtausendealte Geheimnis des vergorenen Traubensafts näherbringen.
Doch dafür hatte Professor Michael Häußler keinen Gedanken übrig. Ja, er trank sogar noch nicht einmal gerne Wein, weswegen er sich auch weder für die Herstellung noch für die Lagerung oder die verschiedenen Kompositionsnoten interessierte.
Seine Motivation, sich mit den Weinreben, genauer gesagt mit dem nach dem Keltern übrig gebliebenen Most zu beschäftigen, richtete sich auf die Gewinnung erneuerbarer Energien. Für dieses neue Forschungsgebiet hatte er für seine Abteilung im Önologischen Institut vom Bundeswirtschaftsministerium in Kooperation mit den Bundesministerien für Verkehr und Landwirtschaft eine große Geldsumme zur Verfügung gestellt bekommen, verbunden mit dem Ziel, aus Trauben Biokraftstoff herzustellen.
Ein Vorhaben, um das sich viele seiner Kollegen im In- und Ausland gerissen hatten und das eine hohe Reputation bedeuten würde, wenn es gelänge, das sogenannte Bioethanol wettbewerbsfähig, also kostengünstig zu produzieren. Er wusste, eigentlich hätte er nie diesen Auftrag bekommen, aber die Zusicherung gegenüber dem Komitee, einen fast kompletten Weinberg an der Südlichen Weinstraße zur Verfügung zu haben und diesen für seine Forschung nutzen zu können, hatte letztendlich den Ausschlag gegeben, wenn auch nur unter größtem Vorbehalt, wie ihm der Komiteeleiter auf dem anschließenden Empfang zugeflüstert hatte.
Die werden mir eines Tages noch dankbar sein, wenn sie aufgrund meiner Forschungsergebnisse im Geld schwimmen, dachte Michael Häußler und es schüttelte ihn, wenn er nur an die arroganten Herren des Komitees denken musste.
Doch die Zeit drängte. Das Komitee wollte bald erste Zahlen und Forschungsansätze sehen, um einen weiteren finanziellen Zuschuss in die Pfalz und damit auf das Konto der Abteilung zu überweisen. Und Anfang Juni stand die "Regenerativa", die große internationale Messe für Antriebsstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen, in Brüssel auf dem Programm und spätestens da musste er Erfolge vorweisen können, wollte er seinen guten Ruf in den Fachkreisen nicht einbüßen.
Und er hatte das Geld dringend nötig. Erst gestern war ihm die letzte Forderung des Inkassounternehmens zugestellt worden. Michael Häußler zitterte auf einmal so heftig, dass er sich an seinem Labortisch abstützen musste. Vorsichtig kramte er ein Taschentuch aus der Kitteltasche und tupfte sich damit wieder und wieder die Stirn ab. So langsam wuchs ihm die ganze Sache über den Kopf. An einen guten und gesunden Schlaf, der mehr als zwei Stunden dauerte, war schon seit Monaten nicht mehr zu denken. Und auch seine Lebensweise hatte alles andere als etwas von einem gesunden Rhythmus oder einer klaren Struktur. Er war ein Getriebener. Und wenn bald kein Geld mehr aus Berlin kam, dann wusste er nicht, ob er den möglichen Erfolg seiner Forschung überhaupt noch erleben würde.
Wenigstens konnte er sich auf Paul Straubenhardt verlassen. Der war zu allem bereit, und genau so einen Handlanger brauchte er, wollte er Erfolg haben. Er musste Erfolg haben, koste es, was es wolle. Und wenn erst einmal das Straubenhardt'sche Grundstück auf den Sohn überschrieben war, dann war die größte Hürde genommen. Und dann würde sich das mit dem Geld auch schon regeln lassen.
"Wie sehen Sie denn aus?", fragte Paul Straubenhardt, als er ins Labor gestürmt kam. Immer noch etwas außer Atem schaute er den Professor irritiert an, der mit den Gedanken woanders zu sein schien.
"Alles gut, Paul. Es wurde mir gerade etwas zu warm, als ich so über den Bunsenbrenner gebeugt war", erwiderte Häußler und fächelte sich mit einer Aktenmappe, die er sich vom gegenüberstehenden Schreibtisch genommen hatte, Luft zu. Wie naiv der Junge doch war, dachte er und beglückwünschte sich zu seiner spontanen Notlüge. Doch Paul Straubenhardt schien zu merken, dass der Professor nicht wegen des Bunsenbrenners oder einer diffizilen und anstrengenden Betätigung unter der Abzugshaube des Labors so abgekämpft war. "Oder geht es etwa um den Artikel, der heute Morgen in der Zeitung stand?"
"Ich habe noch gar keine Zeitung gelesen. Ich komme gerade überhaupt nicht dazu", antwortete der Professor und löste sowohl den Knoten seiner Krawatte wie auch den obersten Knopf seines hellblauen Oberhemds, das er unter dem weißen Laborkittel trug.
"Es geht gleich schon wieder. Vielleicht muss ich einfach nur mal eine Kreislauftablette nehmen", sagte er, mehr zu sich selbst als zu seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter, ging zurück an seinen Schreibtisch, öffnete die oberste Schublade, drückte eine Tablette aus der Packung, steckte sie in den Mund und spülte sie mit einem kräftigen Schluck Wasser hinunter.
"So, jetzt geht's wieder." Er lächelte Paul Straubenhardt milde an. "Aber was steht denn in der Zeitung, das ich unbedingt lesen sollte?" Er wollte gerade die Pfälzer Nachrichten aufschlagen, als Paul ihm die bereits auf die erste Lokalseite hin umgeschlagene Zeitung reichte. "Hier, das müssen Sie sich schon selbst anschauen."
"Jetzt machst du mir aber Angst. Da sollte ich mich wohl besser setzen." Michael Häußler nahm in seinem ergonomisch geformten Schreibtischstuhl Platz, setzte sich seine Lesebrille auf und begann zu lesen. Paul Straubenhardt beobachtete ihn interessiert.
"Paul, das kann nicht wahr sein, was ich da lese, oder? Sag mir, dass das nicht wahr ist!" Als Michael Häußler ausgelesen hatte, nahm er die Brille ab und rieb sich für einen Moment die Augen, ehe er Paul Straubenhardt eindringlich anschaute. Seine Augen, die sonst blaugrau waren, schienen jetzt einen dunklen, fast schwarzen Farbton angenommen zu haben und lagen tief in den Augenhöhlen, während seine Lippen fast vollständig ihre Farbe verloren hatten.
"Doch, es stimmt." Paul Straubenhardt wisperte fast. "Ich wollte noch ..."
"Was wolltest du noch?", Michael Häußler schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
"Paul, wach auf! Es geht um unsere, um deine Existenz, um die Zukunft der Wissenschaft, um viel Geld. Ist dir das eigentlich bewusst?"
"Ja ..."
"Ja? Was ja?" Der Professor stand auf, ging um den Schreibtisch herum, packte Paul an dessen Schultern und schüttelte ihn leicht. "Du solltest dich um deinen Vater kümmern und ihm von unserem Plan und der wissenschaftlichen Arbeit mit den Trauben erzählen. Ihn dafür gewinnen."
"Ich habs doch versucht, aber er lässt nicht mit sich reden, schon gar nicht, wenn es um dieses Projekt geht, aus Trauben, aus seinen Trauben Treibstoff zu gewinnen."
"Es ist nicht bloß Treibstoff. Es ist die Antriebskraft der Zukunft, Paul. Und wir können die Vorreiter sein. Nein, wir sind es bereits. Und das sollte deinem Vater klar sein. Wir können damit Geschichte schreiben und viel Geld verdienen."
"Ich weiß", sagte Paul Straubenhardt kleinlaut.
"Ich werde mich selbst um deinen Vater kümmern und ihm klarmachen, dass man so nicht mit mir umgehen kann. Zusage ist Zusage und daran muss sich auch dein alter Herr halten. Koste es, was es wolle."
"Er wird nicht davon abweichen, ich habe auch schon alles versucht."
"Falsch. Vielleicht hast du eben noch nicht alles versucht. Vertraue mir, ich habe gute Argumente, ihn zu überzeugen. Lass mich das mal machen. Er wird keine andere Wahl haben, glaube mir."
Paul Straubenhardt löste unter dem Mikroskop vorsichtig die dünne Haut einer roten Traube. Es ging darum, so hatte es ihm der Professor erklärt, die inneren Bestandteile der Traube so zu verändern, dass ihr Zuckergehalt, der die Grundlage zur Herstellung von Ethanol bildete, die zehnfache Konzentration einer herkömmlichen Traube besaß. Ob das nicht einer Genveränderung und damit einer nicht genehmigten Handhabung innerhalb des ausgeschriebenen Forschungsauftrages gleichkäme, hatte Straubenhardt den Professor vor wenigen Tagen gefragt. Doch der Professor hatte etwas empört reagiert, auch wegen des fehlenden Vertrauens seines Schützlings ihm gegenüber. Dann hatte er abgewunken und gemeint, um etwas ausschließen zu können, müsse man auch neue Wege gehen, sonst würde sich die Wissenschaft ja nicht weiterentwickeln können. "Trial and Error" würde man so etwas nennen, die Grundform jedes wissenschaftlichen Ansatzes.
Überzeugt hatten Straubenhardt diese Erklärungen nicht. Sie waren ihm eher als Ausflüchte vorgekommen und er hatte sich schon damals gefragt, warum der Professor alles dafür tat oder tun musste, um berühmt zu werden und vor allem, um das viele Geld, das für den Forschungsauftrag und bei erfolgreichem Abschluss als Gratifikation bereitgestellt wurde, zu erhalten.
Er konnte sich einfach nicht konzentrieren. Schon die fünfte Traube hatte er unter seinen Fingern zerquetscht, und die Arbeitsfläche sah aus, als hätte jemand ein Gemetzel veranstaltet. Er war einfach heute nicht bei der Sache.
Es waren noch keine 30 Minuten vergangen, als Paul sich entschied, sich auf den Weg zu seinem Vater zu machen. Auch wenn der Professor mehr als enttäuscht von ihm sein würde, so musste er noch einmal selbst mit seinem Vater über das Projekt sprechen. Wollten Eltern nicht immer, dass ihre Kinder glücklich waren mit dem, was sie machten, worauf sie Lust und woran sie Freude hatten? Und vielleicht war es jetzt an der Zeit, dafür einzustehen und seinen Vater zu überzeugen, dass er vielleicht nie Winzer werden...
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