Schweitzer Fachinformationen
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Noch naturgewaltiger, noch mutiger: Mit Jasmin Böhm die eigenen Ängste überwinden Spiegel-Bestsellerautorin Jasmin Böhm begibt sich auf eine abenteuerliche Fahrradreise mit ihrem vierjährigen Sohn: dieses Mal hoch in den Norden, ans Nordkap. Hier, in der rauen Einsamkeit der wilden Natur, stellt sie sich jeden Tag aufs Neue ihren Ängsten und entfaltet dabei eine außergewöhnliche Stärke.Mit dem beflügelnden Gefühl, dass sie nichts mehr aufhalten kann, trifft sie schließlich Entscheidungen, die ihr Leben vollkommen verändern. Ob beim Wildcampen, Wal-Geburtstag, bei Extremerfahrungen auf den Lofoten oder magischen Polarlichtern - wir erleben hautnah mit, wie Jasmin im Einklang mit der Natur ihre Ängste überwindet und bei sich selbst ankommt.Mit ihrer persönlichen Geschichte möchte sie allen Mut machen, jede Herausforderung als Chance für persönliches Wachstum und Erfüllung zu nutzen. Getreu dem Motto: Das Leben ist ein Abenteuer, das nur darauf wartet, gelebt zu werden.
März 2023, Offenbach
Letzter Tag im Kindergarten!
Der Handywecker klingelt. Heute stelle ich ihn nicht wie üblich achtmal hintereinander auf Snoozing, nein, heute schrecke ich direkt beim ersten Klingeln auf und hechte zur Küche. Keine Spur von Müdigkeit. Ich bin hellwach, als habe mein Körper die drei Stunden während des Schlafens nur auf den Moment gewartet, an dem er endlich aufstehen darf. Die Unordnung auf dem Küchentisch mit den vielen Papierschnipseln vom Basteln letzte Nacht ignoriere ich getrost. Dafür ist jetzt keine Zeit. Und wen interessiert schon, wie die Küche aussieht? Ein Pluspunkt vom Alleinleben mit Kind. Alles kann so lange liegen bleiben, bis Zeit dafür vorhanden ist, und das ganz ohne schlechtes Gewissen. Hastig hole ich das Obst und die Spieße und beginne mit der Arbeit. Das wird die Kinder freuen, denke ich mir und muss selbst ein bisschen schmunzeln, während mich die erste entstehende Raupe mit ihren großen Kulleraugen ansieht. Und auch die Eltern und Erzieherinnen können nichts daran aussetzen, hoffe ich. Es ist gesund. Ich habe nur regionales Obst ausgesucht. Bio natürlich. Die Geschenke sind nützlich und persönlich.
Ich darf heute bloß keinen Fehler machen. Wir haben nie richtig reingepasst. Wir, die gerne draußen leben, bei Wind und Regen im Zelt schlafen - und die Eltern, die Angst bekommen, wenn die Kinder ausnahmsweise mal die Räume verlassen und einen Ausflug in den einen Kilometer entfernten Stadtpark machen. Es sei zu windig, man solle doch mal an das Wohl der Allgemeinheit denken. Auch hier war ich wieder anderer Meinung. Ich denke, dass Kinder gerade dann krank werden, wenn 20 von ihnen in einem viel zu kleinen Raum eingesperrt sind. Ob beim Essen, bei den Regeln oder der mangelnden Bewegung und Frischluft: Überall vertrat ich andere Ansichten. Am schlimmsten aber war für mich das Sichtbarmachen des sozialen Status, was besonders beim Sport- und Musikangebot deutlich wurde. Es kostete zusätzlich und fand während der Betreuungszeiten statt. In meinen Augen unsozial den Kindern gegenüber, deren Eltern sich das nicht leisten konnten und die sich dann ausgeschlossen von der Gruppe anders beschäftigen mussten. So wie Emil. Es verging kein Tag, an dem ich nicht kopfschüttelnd das Kindergartengebäude verließ.
Es war ein ständiges Abwägen, ob ich meine eigenen Ansichten hintanstellen sollte, um meinem Kind nicht zu schaden - oder ob ihm genau das schaden könnte. Ich fragte mich lange, ob es sich überhaupt noch lohnte, ihn in einer anderen Einrichtung anzumelden, oder ob wir nicht einfach dauerhaft reisen gehen sollten, bis die Schule ruft. Alle rieten mir davon ab. Der Kindergarten sei essenziell für die kindliche Entwicklung. Ich sah das anders. Kindergarten kann wertvoll sein, aber als essenziell wichtig sah ich ihn nicht an. Waren wir auf Reisen, beobachtete ich, wie Emil aufblühte, viel lernte und ausgeglichener wirkte. Aber sobald wir zu Hause waren, kamen wieder von allen Seiten die Meinungen auf mich eingeprasselt. Als Mama wollte ich alles richtig machen. Ich konnte meinem Gefühl in dieser Frage nicht vollständig vertrauen. Ich hatte Angst. Angst, doch einen Fehler zu machen. Angst, die falsche Entscheidung zu treffen. Angst, dass mein Kind ohne Kindergarten in seiner Entwicklung etwas fehlen würde. War am Ende vielleicht doch ich diejenige, die hier die falsche Meinung vertrat? Doch irgendwann wurde mir klar: Es waren gar nicht meine eigenen Ängste, sondern die Stimmen der anderen.
Die Entscheidung, Emil doch abzumelden, traf ich eines Tages spontan aus dem Bauch heraus. Wir kamen gerade von unserer Istanbul-Fahrradreise zurück. Einer Reise, so intensiv und abenteuerlich, aber vor allem voll von tiefer Gastfreundschaft. Wir waren noch richtig beflügelt, als wir zurück auf deutschem Boden standen, freuten uns über das gemütliche Bett, die saubere Toilette, den eigenen Kühlschrank und den Fakt, dass die kompletten 55 Quadratmeter nur uns gehörten. Nach Monaten im Zelt fühlten wir uns wie im Königspalast. Es war wunderbar! Die Stimmung war bestens und Emil war hoch motiviert, sofort wieder in den Kindergarten zu seinen Freunden zu gehen.
Nach seinem ersten Tag dort war er richtig aufgedreht, aber anstatt dass er runterfahren konnte, ging es am Mittag direkt zum Laternenbasteln und im Anschluss zu meinem Geburtstagsessen mit der Familie. Viel zu viel für ein vierjähriges Kind, das gerade in eine völlig neue Welt wiedereingetaucht war. Ich wollte ihm jedoch nicht das Basteln mit der Gruppe wegnehmen, aber auch nicht meinen Geburtstag allein ohne meine Familie verbringen. Ich hatte mich nach der Reise sehr auf meine Familie gefreut und bei einer Alleinerziehenden kommt allein zu Hause sowieso keine Geburtstagsstimmung auf. Also zogen wir das Programm durch. Es war ein kurzes Essen, aber für ihn war alles zu viel. Auch wenn er es nicht offen zeigte, konnte ich ihm das als Mama schnell ansehen.
Todmüde schleppte er sich am nächsten Tag erneut in den Kindergarten. Es habe alles super funktioniert, sagten sie mir später beim Abholen. Glück gehabt, dachte ich und war schon auf die Ladung Emotionen vorbereitet, die ich wahrscheinlich auf dem Nachhauseweg abbekommen würde. Wenn Kinder funktionieren müssen, halten sie meist all ihre Emotionen zurück und lassen sie erst raus, wenn sie sich wieder sicher fühlen können. Häufig bei den Eltern. An diesem Tag schien er sich jedoch erst einmal auf mich zu freuen. Überglücklich rannte er in meine Arme. Es war auch für mich noch ungewohnt, wieder so viele Stunden von ihm getrennt zu sein, und ich war froh, ihn wieder bei mir zu haben.
Wir wollten gerade zur Bank laufen, um Jacke und Schuhe anzuziehen, da hielt uns seine Erzieherin zurück und sagte ihm, er müsse das Lego noch aufräumen. Es wäre eine neue Regel, jedes Kind müsse eine Sache beim Gehen aufräumen, auch wenn es nicht damit gespielt hatte. Emil hatte noch nichts von der Regel gehört. Er verneinte, weil er nicht mit Lego gespielt habe und weil er nicht noch einmal reinwollte. Er schien sehr erleichtert, endlich mit mir heimgehen zu dürfen. Doch nun fing die Diskussion an. Zunächst gegen ihn, dann richtete sich die Erzieherin gegen mich. Ich könne hier die Auswirkungen unserer Reisen bestens miterleben. Dort würde es schließlich keine Regeln geben und nun sei er wieder zurück und müsse sich wie alle anderen an die Regeln halten. Er könne keine Sonderstellung haben. Innerlich tobte ich, denn bei uns auf Reisen gab es sehr wohl Regeln und nicht gerade wenige, aber sie werden von mir gut erklärt und von Emil bestens umgesetzt. Ohne Regeln würde unsere Art von Reisen gar nicht funktionieren. Auch fragte ich mich, ob alleinerziehenden Müttern die Strenge nicht häufig auch per se abgesprochen wird, weil dafür in vielen Köpfen nur die Väter verantwortlich sind. Ich sagte nichts. Sie war die Autoritätsperson für mich, und ich traute mich nicht, meinen Mund aufzumachen, auch wenn ich es mir wünschte. Ein Problem, das mich mein Leben lang begleitet.
Mein Kind wurde also zur Lego-Kiste gezogen und ich blieb perplex, aber stumm am Türrahmen zurück. Sah sie denn nicht, wie erschöpft der Junge nach seinem zweiten Tag war? War das nicht eigentlich eine Eingewöhnung? Er schrie und weinte so laut, wie ich es noch nie miterlebt hatte, während er sich energisch versuchte, aus ihrem Griff zu lösen. Seine Schreie drangen geradewegs in mein Herz, aber ich stand immer noch da und sagte nichts. In meinem Kopf rasten die Gedanken. Überreagierte ich? War ich zu empfindlich? Zu sensibel? Übertrieb ich? War das normal? Wäre ich eine der Helikoptermütter, wenn ich jetzt etwas sage? Mein Gefühl schrie in voller Lautstärke in mir, dass ich einschreiten und mein Kind beschützen solle: »Jasmin, du übertreibst nicht, das ist nicht richtig. Emil war noch nie so aufgelöst, du kannst das sehr gut einschätzen. Tu etwas, setz eine Grenze! Mach's für dein Kind!«
Aber ich konnte nicht, ich stand da und sagte nichts. In der Zwischenzeit diskutierte sie weiter, und er rief weiter nach mir. »Emil, alles ist gut, mach das einfach schnell und wir gehen direkt nach Hause. Die anderen müssen das auch alle machen«, versuchte ich ihn zu beruhigen und die Situation zu entschärfen. Für einen kurzen Moment traf mein Blick den der Erzieherin und ich konnte die tiefen Augenringe unter ihrer Schminke erkennen. Ich fragte mich, ob sie das wirklich für richtig hielt oder einfach überlastet war.
Ob ich zu sensibel war oder nicht, ich empfand es als eine pädagogisch nicht überdachte Art, ein Kind dazu zu bewegen, eine Regel umzusetzen. Ich wusste aus meiner ehemaligen Arbeit in der Grundschule, dass man nur mit Ruhe und Empathie weiterkam, sobald man anfing zu schreien, wurden die Kinder eher lauter als leiser. Natürlich musste man sich souverän zeigen und konsequent sein, aber das ging auch in völliger Ruhe, und vor allem hätte ich nie ein Kind am Arm gezogen. Warum sollte die Pädagogik im Kindergarten eine andere sein?
Ich wollte zu Emil, aber sie sagte, ich solle vor der Tür warten. Ich rührte mich nicht von der Stelle. »Emil, ich bin bei dir, ich gehe nicht raus, mach das einfach schnell, alles ist gut. Ich sehe, dass du keine Lust hast und traurig bist, weil du zu mir magst, aber ich bin da«, versicherte ich ihm. Zu ihr konnte ich immer noch nichts sagen. Zu sehr brodelte es in mir. Ich wusste, dass sie überfordert mit der Gruppe war, ständig waren sie unterbesetzt, die Kinder extrem laut. Ich könnte diesen Beruf niemals ausüben, aber ich habe mich auch nicht dafür...
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