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Während Emilio mit Tilda ins Vinschgau fuhr, gab es in unmittelbarer Nähe von Bozen einen Mann, der wie er bester Dinge war und den schönen Tag genoss. Ohne zu ahnen, dass genau heute etwas Entscheidendes passieren würde. Etwas, das für ihn den Anfang vom Ende bedeuten konnte. Nicht sofort, vielleicht kam er auch davon, aber es würde ihn ganz sicher in große Gefahr bringen. Da konnte er sich noch so oft in eine Kirche zurückziehen, um Buße zu tun und um Vergebung zu bitten. Das Schicksal würde unbarmherzig seinen Lauf nehmen - und die Vergangenheit ihn einholen.
Ähnlich wie diesem Mann - der nicht vorhersehen konnte, was in den nächsten Stunden geschehen würde - sollte es auch Emilio ergehen. Für ihn hatte der Tag ebenfalls ein unvorhersehbares Ereignis in petto. Ein höchst dramatisches zudem.
Noch war er ahnungslos. Er saß am Steuer seines Landrovers und fühlte sich ausgesprochen wohl, was nicht zuletzt an Tildas Gesellschaft lag, die wie immer unverschämt gut aussah. Emilio verdrängte alle Gedanken an Phina, die nichts von seinem Ausflug wusste. Die aber auch nicht danach gefragt hatte. Sie war es gewohnt, dass Emilio nach dem Frühstück verschwand, ohne ihr zu sagen, was er vorhatte. Steckte er in Ermittlungen, schwieg er sowieso. Auch sonst legte er Wert auf seine Unabhängigkeit.
Tilda legte wie unbeabsichtigt eine Hand auf seinen Oberschenkel. Er warf ihr einen Blick zu. Ein vieldeutiges Lächeln umspielte ihre Lippen. Eigentlich hatten sie mit ihrem Cabrio fahren wollen. Aber weil sie auf der Suche nach den Bunkern womöglich durch unwegsames Gelände fahren mussten, hatten sie sich für seinen Landy entschieden. Mit dem blöden Nebeneffekt, dass er selbst gerade keine Hand frei hatte. Denn die Lenkung war so ausgeschlagen, dass er fortwährend gegensteuern musste. Auch in nüchternem Zustand fuhr er gelegentlich Schlangenlinien.
Naturns lag bereits hinter ihnen. Auch die Burg Juval, wo Reinhold Messner in den Sommermonaten lebte. Und wo das dazugehörige Weingut Unterortl exquisite Rieslinge und Weißburgunder zustande brachte. Wie das Vinschgau überhaupt einen bemerkenswerten Aufschwung als Weindestination erlebte. Emilio mochte viele der Weine, die auf den kargen Böden entstanden. Vorbei war die Zeit, als in dem regenarmen Tal so große Armut herrschte, dass die Kinder im Sommer als «Schwabenkinder» zu Fuß über die Pässe geschickt wurden, um sich in Süddeutschland als billige Arbeitskräfte zu verdingen.
Sie kamen an Kastelbell vorbei, wohin es Emilio sonst nur verschlug, um in einem seiner Lieblingslokale zu speisen. Bei Jörg Trafoier im Kuppelrain.
Es folgten die Orte Schlanders, Laas .
«Warst du mal dort?», fragte Tilda.
«Wo soll ich gewesen sein?», erwiderte er geistesabwesend. In Gedanken war er gerade bei Hirschmedaillons in Portweinsauce.
«In den Steinbrüchen von Laas», antwortete sie. «Der Laaser Marmor ist doch weltberühmt.»
«Weltberühmt? Vielleicht in Südtirol», relativierte er ihre Behauptung, skeptisch wie immer.
«Nein, wirklich. Sogar in New York haben sie für die neue U-Bahn-Station am Ground Zero Laaser Marmor verwendet.»
Er sah sie ungläubig an. «Wirklich?»
«Ich erzähl keinen Quatsch. Der Laaser Marmor ist nicht nur extrem widerstandsfähig, sondern auch besonders schön.»
«Kein Grund, ihn von hier über den Atlantik zu schaffen», meinte Emilio.
«Ich mache im Steinbruch immer wieder mal Modeaufnahmen», überging sie seine kritische Bemerkung. «Der weiße Marmor eignet sich hervorragend als Hintergrund für bunte Fashion . einfach irre. Toll ist auch die schräge Materialbahn aus den dreißiger Jahren, mit der die schweren Marmorblöcke ins Tal transportiert werden .»
Emilio musste schmunzeln. Tilda hatte Temperament und konnte sich leicht für etwas begeistern. Sogar für ihn.
«Zeige ich dir das nächste Mal», fuhr sie fort. «Heute sind die Bunker dran. Viele habe ich schon fotografiert. Doch einige Motive fehlen mir noch.»
Es folgte die Abzweigung zum Stilfser Joch. Es war nicht mehr weit nach Glurns und Mals.
Wenige Zeit später erreichten sie auf Umwegen den Bunker, für den Emilio den Schlüssel besaß. Tatsächlich fehlte er noch in Tildas Sammlung. Wobei es ihr ja nicht darum ging, alle Bunker und Unterstände des Alpenwalls zu fotografieren. Was eine Mammutaufgabe wäre, denn alleine um Mals sollten es vierundzwanzig sein. Dreihundertfünfzig in ganz Südtirol. Vielmehr suchte Tilda nach ausgefallenen Formen und Perspektiven - im Wechselspiel mit der Natur, wie sie sagte. In ihrem Studio würde sie die Bilder bearbeiten und zu großformatigen Kunstwerken umgestalten. Verbunden mit politischen Botschaften. Das konnte sie, darin war sie gut. Oft griff sie dabei zum Pinsel und übermalte die Fotos. Am Schluss tat sich der Betrachter schwer, zu entscheiden, ob es sich um ein Foto oder ein Gemälde handelte.
Sie parkten wenige Meter entfernt auf einer Wiese. Tilda fand, dass Emilios ramponierter Landrover durchaus als Vordergrund taugte. Er sähe kaum jünger aus als der Bunker, stellte sie fest. Emilios Hinweis, dass selbst der älteste Landrover erst nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut und außerdem das Vinschgau seines Wissens nicht von den Engländern befreit worden war, tat sie mit einem Lachen ab. Ob er noch nie etwas von künstlerischer Freiheit gehört habe?
Während sie mit der Kamera umherschweifte, sich mal auf den Boden legte, um kurz darauf auf das Dach des Landrovers zu klettern und von dort zu fotografieren, öffnete Emilio das Schloss am Eisentor. Er tat dies bedächtig und mit gemischten Gefühlen. Sicher, er wusste, dass all die Bunker des Alpenwalls nie zum Einsatz gekommen waren. Kein Schuss war jemals von hier abgefeuert worden. Blut war nicht geflossen - jedenfalls nicht im Kampf. Bedrohlich wirkten sie trotzdem auf ihn. Aber von außen auch schön. Eine seltsame Melange.
Emilio hatte eine große Taschenlampe dabei. Von Bastian wusste er, dass es drinnen keinen Strom und deshalb auch kein Licht gab. Zögernd betrat er den Bunker. Der Aufbau sei bei allen gleich, hatte ihm Tilda zuvor erklärt. Eine Etage sei unterirdisch, eine oberirdisch angelegt, mit bis zu sechs Meter dicken Mauern aus Beton. Mit Schießscharten für Kanonen. Sogar eine nach oben für die Flugabwehr. Mit Mannschaftsräumen, Sanitäreinrichtungen, Küche . und einem ausgeklügelten System zur Belüftung.
Nach wenigen Schritten blieb er überrascht stehen. Er hatte verrottete Mauern wie in alten Burgen erwartet. Aber im Inneren wirkte alles so gut erhalten wie gerade eben gebaut. Dabei sei der Bunker im Originalzustand, hatte Bastian gesagt. Nur wenige Wände seien herausgebrochen, um mehr Platz zu haben. Das habe der Apfelbauer Mayr gemacht, von dem er den Bunker gepachtet hatte. Ursprünglich sollte auch der Eingang vergrößert werden, um landwirtschaftliche Fahrzeuge unterstellen zu können. Aber das Projekt habe er nicht umgesetzt. Was nichts machte, denn für Bastians Amphoren war der Eingang groß genug.
Emilio entdeckte einige Fledermäuse, die an der Decke hingen. Der Strahl seiner Taschenlampe schien sie nicht zu irritieren.
Er betrat den großen Raum, von dem ihm Bastian Fotos gezeigt hatte. Vor ihm standen die Amphoren aus Ton. Emilio fühlte sich an die Terrakotta-Armee des chinesischen Kaisers Qin Shi Huang Di erinnert. Nur roch es hier nach Wein. Hatte er gerade noch das Bunkerinnere als beklemmend empfunden, verspürte er plötzlich eine völlig andere, mystische und positive Ausstrahlung.
«Nicht erschrecken, du bekommst Besuch», hörte er von hinten Tildas Stimme.
Er sah den Kegel ihrer Taschenlampe näher kommen.
«Wow, sieht das schön aus», raunte sie. «Das hätten sich die armen Schweine, die diesen Bunker gebaut haben, nicht träumen lassen, dass er mal dazu dient, zerbrechlichen Amphoren Schutz zu bieten.»
Emilio klopfte gegen eine. «Und zwar Amphoren randvoll mit Wein», ergänzte er.
«Das muss ich fotografieren. Fragt sich nur, wie ich das mit dem Licht hinbekomme .»
«Im Auto habe ich Streichhölzer.»
«Witzbold.»
Emilio deutete auf einen Gang, der weiter nach hinten führte.
«Zuerst will ich mich noch ein bisschen umsehen. Kommst du mit?»
«Na klar, glaubst du, ich bleib hier alleine mit deinen Amphoren und den Fledermäusen?»
«Sind nicht meine Amphoren.»
Er ging voraus, Tilda folgte dicht hinter ihm.
Mit ihren Taschenlampen leuchteten sie in die kleinen Räume, die am Gang lagen. Sie hatten keine Türen und waren völlig kahl. Als ob sie darauf warteten, dass jemand den Innenausbau endlich zu Ende brachte. Tilda, die den Aufbau der Bunker kannte, wusste, dass eine Kammer für die Offiziere bestimmt gewesen war, eine andere als Munitionsdepot gedient hatte.
Einige Schritte später führte eine Treppe in die untere Ebene. Aber sie ignorierten sie und gingen geradeaus weiter.
«Bleib mal stehen!», sagte Tilda.
Sie leuchtete auf einen Mauerabschnitt, der sich in der Struktur vom Rest des Bunkers unterschied.
«Sieht komisch aus, findest du nicht?»
Emilio runzelte die Stirn. «Nein, nur anders. Da hat wohl jemand versucht, den Beton zu verputzen.»
Tilda strich mit den Fingern über den Putz. Sie trat zurück und machte ein Foto.
«Warum sollte jemand ein Stück der Mauer verputzen?», entgegnete sie. «Graffiti haben wir ja schon einige gesehen .»
Nachdenklich schauten beide auf den seltsamen Mauerabschnitt.
«Früher haben hier junge...
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