Schweitzer Fachinformationen
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Geradezu magisch lenken die Blicke unserer Mitmenschen unsere Aufmerksamkeit, sowohl wenn sie von uns abgewandt als auch, wenn sie auf uns gerichtet sind. An zwei intensiv untersuchten Phänomenen, dem Blickfolgen und dem Blickkontakteffekt, zeigt das erste Kapitel die neuronalen Grundlagen, Entwicklung und Einflussfaktoren unserer Sensibilität für Blicke auf. Anschließend werden einige Funktionen erläutert, die Blicke im sozialen Miteinander einnehmen.
Blicke sind allgegenwärtig. Oft ohne uns dessen gewahr zu werden, verraten wir mit unseren Blicken, was uns interessiert, was wir wissen (wollen) und wie wir etwas finden. Und ebenso mühelos registrieren wir die Blicke unserer Mitmenschen: Wohin, wie und wie lange schauen sie? Neben unbewusst ablaufenden Prozessen der Blickverarbeitung und des Blickverhaltens können Menschen Blicke bewusst einsetzen, um gemeinsames Handeln zu erleichtern: Ein kurzer Blickkontakt ist Taktgeber beim Musizieren oder beim Anheben eines schweren Möbelstücks. Dem Gegenüber in die Augen zu schauen, vermittelt im Gespräch, dass wir Anteil nehmen; ein rascher Blick auf die sich nähernde Person, über die wir gerade tratschen, bringt unseren Gesprächspartner hingegen effizient zum Schweigen.
Insbesondere die verbindende Kraft des Sich-in-die-Augen-Schauens wurde und wird in Musik, Literatur und Kunst in schillernden Farben und Tönen vorgeführt. In ihrer Performance »The Artist is Present« ermöglichte die Künstlerin Marina Abramovic im Museum of Modern Art den Besuchern und Besucherinnen, ihr gegenüber Platz zu nehmen und mit ihr in Blickkontakt zu treten. Videoaufnahmen und Berichte der Teilnehmenden zeigen eindrücklich, wie intensiv und berührend Blickkontakt sein kann. Und sie machen deutlich, wie unterschiedlich er ausfällt, je nachdem, wer sich wann und wie in diesen Kontakt begibt ( Kap. 1.4 Empfohlener Film).
Trotz (oder gerade wegen) ihrer Schlichtheit sind Blicke vielfältig und ihre Bedeutung und Interpretation kontextabhängig (Hamilton, 2016; Kleinke, 1986). Blicke ziehen uns wie kaum ein anderer sozialer Reiz in das Hier und Jetzt und in den Kontakt miteinander. Das hat mit ihrer erstaunlichen Eigenschaft zu tun, gleichzeitig soziale Information sammeln und vermitteln zu können (Kendon, 1967; Schilbach, 2015). Mit und in einem Augenblick signalisieren wir unserem Gegenüber beispielsweise unser Interesse und erkennen das ihre.
Während Individuen die Blicke anderer wahrnehmen, führen sie selbst Blicke aus, die vom Gegenüber gesehen werden (können). Dadurch erlauben Blicke zeitgleich das Einholen und das Vermitteln von sozialer Information. Dieses Phänomen wird als Dualität des Blicks bezeichnet (engl.: duality of gaze).
Menschen - und nicht nur wir - sind ausgesprochen sensibel für die Blicke anderer. Blicke ziehen unsere Aufmerksamkeit an und prägen, was wir wahrnehmen und wie wir soziale Information verarbeiten. Zwei Phänomene, die die Sensibilität für Blicke aufzeigen, wurden dabei in der psychologischen Forschung besonders gut untersucht: das Blickfolgen (engl.: gaze following) und der Blickkontakteffekt (engl.: direct gaze effect).
Oft können wir gar nicht anders als den Blicken unserer Mitmenschen zu folgen, ob diese Blicke nun aus dem Fenster schweifen oder auf unserer vollgekleckerten Kleidung verweilen (siehe Frischen et al., 2007 und McKay et al., 2021 für einen Überblick).
Gaze following bezeichnet die reflexive, also automatische, Tendenz, den Blicken anderer in eine bestimmte Richtung oder auf ein bestimmtes Objekt zu folgen. Dies kann durch das offene Ausrichten des eigenen Blicks gemäß der Blickrichtung des anderen geschehen (overt gaze following), aber auch durch die innerliche Neuausrichtung der Aufmerksamkeit (covert gaze following).
Entdeckt wurde das unwillkürliche Blickfolgen anhand allgemein-psychologischer Experimente, die aufzeigten, dass Versuchspersonen Objekte auf einem Bildschirm besonders schnell verarbeiten können, wenn diese von einem ebenfalls dargebotenen Gesicht angeschaut werden (siehe Kasten Klassischer Versuch).
Reflexives Blickfolgen bei Menschen wurde beinahe zeitgleich von zwei wissenschaftlichen Teams berichtet, von Chris Kelland Friesen und Alan Kingstone aus Kanada (Friesen & Kingstone, 1998) und von Jon Driver, Greg Davis, Paola Ricciardelli und Simon Baron-Cohen aus England (Driver, Davis, Ricciardelli & Baron-Cohen, 1999). In den beschriebenen Experimenten sollten die Versuchspersonen so schnell wie möglich mit einem Tastendruck auf Buchstaben reagieren, die links oder rechts auf einem Bildschirm erschienen (z. B. die obere Taste drücken, wenn ein T auf dem Bildschirm zu sehen war und die untere Taste drücken, wenn ein L erschien). Erfasst wurde dabei die Reaktionszeit, also die Zeit zwischen Darbietung der Buchstaben und Tastendruck der Versuchsperson.
Die Besonderheit des Versuchsaufbaus: Kurz bevor der jeweilige Buchstabe in einem Durchgang erschien, wurde in der Mitte des Bildschirms ein Gesicht dargeboten, welches entweder nach links oder nach rechts schaute. Entsprechend mussten die Versuchspersonen also einen Buchstaben klassifizieren, der dort auftauchte, wo das Gesicht hinschaute (Blick-kongruente Bedingung) oder aber auf der blickabgewandten Seite (Blick-inkongruente Bedingung). Über viele Durchgänge hinweg fanden die beiden wissenschaftlichen Teams, dass die Versuchspersonen schneller auf Buchstaben reagierten, die von dem Gesicht angeschaut wurden als auf Buchstaben, die nicht angeschaut wurden ( Abb. 1.1). Der Vergleich mit einer neutralen Blick-Bedingung (einem Gesicht, das geradeaus schaute) zeigte außerdem, dass dieser Gaze-cueing-Effekt vor allem durch einen Verarbeitungsvorteil für die angeschauten Buchstaben und weniger durch einen Nachteil für die Buchstaben auf der blick-abgewandten Seite zustande kam (Friesen & Kingstone, 1998).
Abb. 1.1: Schematische Darstellung der drei Bedingungen (links) und Reaktionszeiten (rechts) in einem Gaze-cueing-Experiment. Die Balken zeigen die durchschnittlichen Reaktionszeiten in Millisekunden (ms) mit Standardfehlern für die drei Bedingungen. Die Versuchspersonen reagieren schneller auf den Apfel, wenn er von dem Gesicht angeschaut wird (kongruente Bedingung).
Gaze following tritt auch dann auf, wenn das Gesicht nur sehr kurz vor dem Buchstaben gezeigt wird (z. B. 100 ms), wenn die Versuchspersonen angewiesen werden, das Gesicht zu ignorieren und sogar, wenn die Buchstaben häufiger dort erscheinen, wo das Gesicht nicht hinschaut. Die Schlussfolgerung der Forschenden: Gaze following ist stabil und unwillkürlich.
Bereits in den 1970er Jahren untersuchten Wissenschaftler die Reaktion von Nervenzellen, beispielsweise im Gehirn von Affen, auf den Anblick von Gesichtern. Ein Durchbruch für das Verständnis der Blickverarbeitung waren Untersuchungen von David Perrett, die zeigten, dass Neurone im superioren temporalen Sulkus (STS) von Rhesusaffen (Macaca mulatta) spezifisch auf die Ausrichtung von Gesichtern, aber auch von Körpern und Blicken reagierten: Beispielsweise sind manche Zellen besonders aktiv (und »feuern«) beim Anblick von Augen, Gesichtern und Körpern, die nach rechts ausgerichtet sind, wieder andere reagieren spezifisch auf eine Orientierung nach links, oben oder unten (Perrett, Hietanen, Oram & Benson, 1992). Dabei wird die Richtungsinformation der Augen stärker gewichtet als die des Gesichts und diese wiederum stärker als die Körperausrichtung. Perrett schrieb dieser Sensibilität eine soziale Funktion zu: Wenn wir schnell und zuverlässig ermitteln, wohin ein Gegenüber die Aufmerksamkeit richtet, können wir angemessen reagieren.
Auch beim Menschen werden, z. B. mit funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT), die Hirnreale untersucht, die während der Wahrnehmung von Blickreizen besonders aktiviert sind (siehe Exkurs Funktionelle Magnetresonanztomografie).
Dieses nicht-invasive Verfahren wird häufig genutzt, um die Verarbeitung von Reizen (z. B. Blicken, Gesichtern) bei Menschen zu untersuchen. Um die Ergebnisse von fMRT-Studien einordnen zu können, ist es wichtig, das Prinzip der Methode zu verstehen. Die Versuchspersonen liegen bei den entsprechenden Untersuchungen auf dem Rücken im Magnetresonanztomographen und sehen auf einem Bildschirm Reize, auf die sie ggf. reagieren sollen (z. B. mit Knopfdrücken). Während der Präsentation der Reize und/oder...
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