Schweitzer Fachinformationen
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Das Erzählen aus der Geschichte des menschlichen Herzens ist eine Befreiung aus der Umzäunung der Biographie. Die deutsche Sprache baut in mir an einem Gerüst, an einem Lobgesang; an der Erinnerung der Seele. Der Bildteppich bekommt in meinem Inneren ganz eigene Ohren. Europa wird der Kopf, in dem das Gedächtnis sich ankleiden kann wie ein Mensch. In den Bildern wohne ich, als eine mit allem Inneren und Äußeren verwandte Haut.
Die Kindheit führte sich erstmalig als Name in der deutschen Sprache spazieren. Der eigene Name wurde dabei ein mit Buchstabenbackpulver zu erobernder Planet. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Wälder des Slawischen in mir liegen, wird mir erst im Schreibengehen bewußt. Dieses Unterpfand, das immer aus der ersten Sprache herauftönt und mich endlich zu jemand macht, der etwas von sich sagen kann. Aber erst in der deutschen Sprache wird mein eigenes Zuhause für mich selbst hörbar.
Die Buchstaben sind ein Vorzimmer Gottes, in dem sich mir mein eigenes Träumen, die Biographie meiner vormenschlichen Herkunft erzählt. (Habe ich eine Herkunft und gehe ich irgendwo hin?) Das und verbindet nicht nur mich und den Satz, näht nicht nur die Lücken in eins, es ruft die Möglichkeit einer fortwährenden Erzählung herauf. Und ist das Versatzstück des Atems, in dem sich eins in eins fügt, ganz auf die Weise der unsichtbaren Welt, nur daß in den Buchstaben beim Erschreiben der Welt diese Hand plötzlich sichtbar wird, die Lungen der Wörter ermunternd und als Jakobsleiter des Sinns.
Die im Gleichmaß lebendig werdende Erzählung spricht zu mir in der deutschen Sprache, ist wie ein Telefonanruf eines lieben Menschen, bei dem ich ein Aufnahmegerät hinstellen möchte, um das Gespräch für immer unverlierbar zu machen. Etwas erzählen zu wollen, das begann mit dem Wunsch, etwas bewahren zu wollen, behüten auch, von meinem Großvater. Wegen ihm nahm ich zum ersten Mal das Erlebnis und Wagnis der Prosa auf mich. Eine im Grunde kindliche Vorstellung brachte mich auf diesen Gedanken, als ich das Leuchten seiner blauen Augen, den rötlichen apfelgleichen Schimmer seiner Wangen eines Tages wie ein Bild vor mir sah, das vielleicht ein großer Maler erschaffen haben könnte, hätte sich ihm die Aufgabe gestellt, die Innerlichkeit an einem menschlichen Gesicht farblesbar zu gestalten. Mein Großvater hatte dieses Gesicht, von dem die Maler träumen. Mir ist es stets als das Inbild von Form und Menschlichkeit erschienen. Mein erstmalig bewußt erlebter Verwandter war nicht ein Mensch. Es war das Gesicht meines Großvaters.
Dieses Bild der unsterblichen Wangen und der in meiner Herzerinnerung fortlebenden blauen Augen habe ich nie in meiner ersten Sprache erinnert. Im Deutschen meldete es sich gleich einem Mitbewohner meines Hauses an und kehrte so lange beharrlich zu mir zurück, bis ich zu einem Stift griff und es zu beschreiben versuchte. Es ist so lange geblieben, bis alles erzählt zu sein schien, was die Farbe von Wangen und Augen mir gesagt hatten, und bis ich verstand, daß der Tod dafür zuständig ist, uns an das gelebte Leben zu erinnern. Er erinnert auch an das Versäumte, an das uns vom Leben Trennende, die Trägheit auch, die uns von der eigentlichen Fähigkeit zu empfinden abhält. Zu empfinden: in der Sprache selbst zu lieben.
In den Sätzen muß der Atem wohnen. Er will das, er ist ein Zuarbeiter des Satzes. Wenn das Herz vor Aufregung klopft oder Tränen selbsttätig die Wangen herunterrollen, geht der Atem ein bißchen schlafen. Der Atem geht, er geht woandershin, vielleicht wird er gerade in diesem Moment von einem anderen Menschen gebraucht, von einer wachsenden Margerite oder einer Katze, die sich einer schlagenden Menschenhand selbstlos zur Verfügung stellt. Die Menschenhand wüßte nichts von sich, wenn sie nicht auch etwas von sich als Stein wüßte, in dem die Hoffnung wohnt und das Metier der Rose.
Während des Atemschlafs können die Buchstaben nicht zueinanderfinden, die Jakobsleiter ruht sich aus. Das Sprachinnere sortiert sich, bringt sich ins Zählbare. Der Stille bedarf es, um die nun dem Menschenohr zugewandten Buchstaben zu hören, wie sie gehört werden möchten. Der Stille bedarf es, um das Ich und den dazugehörigen Namen auf seine Brauchbarkeit hin zu umpflügen. Und wieder auf eine neue Tonart der Erde zu stoßen. Die rote Erde der Maler lebt im Semikolon, im Punkt, im Komma, im Nichts zwischen Wort und Wort, zwischen Groß- und Kleinbuchstabe.
Dieses Fließen erlebe ich nur in der deutschen Sprache, in der die Wurzeln der Buchstaben ganz mit mir und meinem Nabel verbunden sind. Die Buchstaben sind Bewohner einer inneren Landschaft, in der das Slawische als Rhythmus und als Hintergrundmusik lebt, niemals aber als Chor der Buchstaben, als Singen schon und vielleicht auch als das Innere der Luft.
Die erste Sprache kommt nie aus dem Rund des Nabels. Aber mein Nabel ist auch nicht immer nur rund. Mein Nabel ist wie bei allen Menschen eine runde Narbe in der Bauchwand. Die Ansatzstelle der Nabelschnur. Die Berührungsstelle von vorher und nachher. Bevor der Nabel ein Nabel war, gab es das althochdeutsche Wort Nabe, ein walzenförmiges Mittelteil des Rades bezeichnete es im neunten Jahrhundert. Mein Nabel ist verwandt mit dem Kreis des Rades. Ob dem Nabel manchmal eng ist in mir?
Nur im Deutschen läßt es sich denken, daß Engel auch etwas mit Enge zu tun haben müssen, einer Enge, die sich in den Buchstaben der Liebe ausdehnt, in die Lebensflure der Imagination, und daß diese Enge zum Menschsein dazugehört, ergänzt und beschirmt vom Buchstaben L, dem sich das Licht von oben her zuspricht, sich aus der Senkrechten in die Waagrechte legend, um der Erde etwas ihr Zugehöriges zu bringen. Lieder aus dem Lichtinneren, Lieder, die in einer direkten Linie zu dem fruchtbaren Land eilen, auf dem die Menschen ihre Häuser, Träume und Schmerzen bauen.
In meiner ersten Muttersprache heißt das Wort für Liebe ljubav, auch hier bringt der Buchstabe L es ins Sichtbare, bringt es, so zeigt sich mir dieses Buchstabenbild, hinüber in das Land des Buchstabens J, der zu großen Teilen in der Erde lebt, dort, wo die Wurzeln der Pflanzen und Bäume verwandt sind mit den Küssen, wo sie sich und die Zukunft ihrer Farben besprechen. Dieser Buchstabe begibt sich ins Erdige wie eine Suppenkelle, um später wieder etwas Neues zu werden. Liebe und das Neue sind mir dadurch immer als ein und dasselbe erschienen, weshalb sie auch manchmal weh tun können, in jener ersten, in jener zweiten, mir mich erzählenden und in jeder anderen lebendigen Sprache. (Und sei es auch, daß diese Sprache die reine Stille wäre.)
In den Namen haben sich hin und wieder beweisbare Regungen der ersten Sprache erhalten. Filomena1, beispielsweise, ist ein Wort, das sich bei mir wie ein Reisekoffer vor die Türen der deutschen Sprache gestellt hat. Das Wort wollte hier wohnen, auf der anderen Seite meiner selbst eine feste Sprachadresse haben, ansprechbar sein, gleich einem ferngereisten Verwandten, der nach der Kenntnis anderer Kontinente nun das Eigentliche erleben muß, sich selbst, als Mittler zwischen der Vergangenheit und der eigenhändig gebauten Brücke zur Gegenwart.
Als ich meiner Schwester erzählte, diesen Namen für eine literarische Figur gefunden zu haben, lange hatte ich gesucht, Sanja und Paula waren Filomena vorausgegangen, sich aber nicht bewährt, da sagte meine Schwester, Filomena sei in jeder Hinsicht das richtige Wort. Und: »Das war einmal ich, ich selbst bin das einmal gewesen.«
Wo auch immer sich dieses einmal für sie befunden haben mochte, ob in einem anderen Leben oder im archivierten Atem aller Namen, die je auf der Erde vergeben wurden, sie hatte einen Echoraum mit ihrer eigenen Stimme betreten, in dem sie für mich endgültig ein erwachsener Mensch geworden war und dem gegenüber ich mich, die ältere Schwester, nun wie jemand fühlen durfte, dem auch das Händereichen und das Schwachsein erlaubt waren. Als Ältere, hatte ich immer gedacht, müßte ich immer ohne Unterbrechung stark sein. Von der Schwester-Stimme kam aber jetzt die Erlaubnis für das Schwachsein. Und auch ihr hiesiger Name forderte dazu auf, der die Gesunde bedeutet.
Zdravka heißt sie, und die deutschen Zungen holen sich schon vor dem Aussprechen dieses Namens, bereits in Gedanken einen leichten Muskelkater, dort, wo alle Gedanken beginnen, an jenem Ort, an dem die Menschen sich gleichermaßen vor sich selbst wie vor dem Unbekannten fürchten.
Dabei bedeutet zdrav einfach nur gesund und das ka hallt nach als ein kleiner Freund dieses gesunden Menschen, als ein richtiger Jemand, der auch in den Bergen beheimatet sein könnte, als Träger der menschlichen Wörter, die sich in Gebirgsgegenden von Bergspitze zu Bergspitze als Widerhall tragen und den Menschen an seine Aufgabe erinnern, die Wörter gut zu kennen, sie richtig zu sagen und nicht zu vergessen, daß es einen großen kosmischen Hut gibt, in dem das je Gesagte selbstlos wohnt.
In diesem Hut ist der Platz nicht räumlich zu denken, die Zeit gleicht überall im Universum einer mittelgroßen Kerze, die so lange brennt, wie die Stofflichkeit es ihr erlaubt. Nur auf der Erde sieht es so aus, als sei die Zeit wirklich etwas überprüfbar Beständiges.
Meine Schwester liebt Rätsel und sieht in der Luft Zahlen. Die Dächer bestehen für sie aus aneinandergereihten Zahlen. Ich denke seit Jahren in Zahlen, sagte sie einmal zu mir, und ich sagte zu ihr, das können nur sehr intelligente Menschen. Heute stelle ich mir vor, daß in meiner gesunden Schwester...
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