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Ein katholischer Theologieprofessor wurde in seinem Seminar einmal gefragt, wie sich der einzelne Priester damit zurechtfinden solle, dass die Kirche der Entwicklungslehre als einem gesicherten Ergebnis der neueren Naturforschung widerspricht. Der Student erhielt zur Antwort: »Wenn Rom diese oder jene Lehre verdammt, so bedeutet das nicht, dass sie falsch ist.«
Der Fragesteller und seine Mitstudierenden waren durch die Antwort vollauf zufriedengestellt und von ihren Zweifeln befreit. Nur ein junger Protestant, der zugegen war, fasste sich an den Kopf. Er verstand den Professor nicht, und noch weniger verstand er diejenigen, die sich mit dessen Antwort zufriedengaben. Er empfand sich vor einer ihm völlig fremden Welt.
Eine solche Szene offenbart die Kraft- und Bewusstlosigkeit des konfessionellen Christentums gegenüber dem menschlichen Denken. Die katholische Kirche hat seit Kopernikus und Galilei in dem neueren naturwissenschaftlichen Denken einen reißenden Wolf gesehen, den man mit allen Mitteln im Vorhof zurückhalten muss, damit er nicht in das Innere des Tempels eindringe. Sie war nie der Meinung, dass die Naturwissenschaft keine Wahrheit enthielte. Sie hat, was Galilei lehrte, nicht als unwahr, sondern als gefährlich verdammt. Sie hat sogar aus den Reihen ihrer eigenen Priesterschaft die schärfsten Denker als gelehrte Vertreter der materialistischen Naturwissenschaft herausgestellt. Der immer mächtiger werdende Wolf wurde in den Vorhöfen gepflegt, damit es umso besser gelänge, ihn von den Hallen des Tempels und vom Allerheiligsten fernzuhalten.
Der Protestantismus entstand mit dem neuzeitlichen, naturwissenschaftlichen Denken zugleich. Er durchschaute nicht das wahre Wesen des neben ihm Aufwachsenden. Arglos ließ er den Wolf, der im Schafspelz der Wahrheit einherging, in sein Haus und Heiligtum herein. Gewiss meldete sich auch im Protestantismus immer wieder das Gefühl der Besorgnis, wie es in der katholischen Kirche zur bewussten und planmäßigen Abwehr führte und führt. Überall, wo sich in protestantischen Reihen etwas von der katholischen Haltung gegenüber dem Denken geltend machte, sprach man davon, man müsse um des Glaubens willen Glauben und Wissen trennen. Aber das Gefühl der Besorgnis wirkte mehr nur wie ein undurchschauter Instinkt. Es konnte nicht verhindern, dass auf theologischem Felde, wo das wissenschaftliche Denken fernzuhalten unehrlich gewesen wäre, die Macht des Wolfes Eingang fand. Das intellektualistisch-materialistische Denken richtete sich in seiner undurchschauten Zerstörungskraft auf die Heiligen Schriften, und schließlich wurde so dem Menschen, ohne dass er es sogleich bemerkte, die Bibel geraubt.
In imposanter Größe ragt der Tempel des Katholizismus noch immer empor. Aber er ist in all seiner Macht ein Greis. Mit dem Wolf hat man auch das verjüngende, fortschreitende Element von ihm ferngehalten. Der Tempel verdankt den Fortbestand seines überalterten Daseins dem »Nein«, das der Furcht vor dem Wolf entstammt. Es kann ja auch ein gewalthabender Herrscher aus Furcht handeln. Der Tempel, den der Protestantismus um sein Allerheiligstes, das Wort, hätte bauen können, blieb ungebaut. Obwohl es im protestantischen Lager immer Menschen gab, die ihr warmes, gläubiges Herz innerhalb der Wolfskälte des neueren Denkens behaupteten, wusste der Wolf listig den Bau des Tempels zu verhindern, indem er das Verständnis für die gemeinschaftsbildende Kraft des Sakraments ersterben ließ. Und längst hat sich das Untier über das ungeschützte Allerheiligste hergemacht. Die Menschen glaubten der Wahrheit zu dienen, indem sie forderten, dem kritischen Denken sei vor der Bibel keine Grenze zu setzen; in Arglosigkeit ließen sie das ungöttlich gewordene Denken in den Bereich des göttlichen Wortes herein.
So ruht der Tempel, in welchem die heutige Menschheit, ohne die Gegenwart zu verleugnen, das heutige Sein und Wirken Gottes verehren und anbeten kann, noch auf dem Grunde des Stromes, dessen rasch strömende Wellen unsere Zeit sind.
Es ist klar, dass für jeden, der vor allem anderen nach Wahrheit strebt und sich diese Wahrheit nicht durch irgendwelche Rücksichten trüben lassen will, aufseiten des Protestantismus zunächst mehr Recht liegt als aufseiten des Katholizismus. Es geht ihm wie dem jungen Menschen, der im Seminar dabeisaß und sich vorkam, als sei er in eine fremde Welt versetzt. Gegenüber der bloßen Abwehr des nach Wahrheit fragenden Denkens durch den Katholizismus - ob dieser Katholizismus nun durch päpstliche Verordnungen dem Denken das Tempeltor versperrt oder innerhalb der protestantischen Reihen Glauben und Wissen trennt - müssen wir mutvoll bejahen, was die immer-junge Gegenwart von uns fordert.
In der katholisch-dogmatischen Verneinung desjenigen Denkens, das nicht im Vorhof bleiben will, sondern nach dem Heiligen fragt, steht eine längst vergangene Zeit vor uns. Sie zeigt sich uns in einem bedeutungsvollen mythischen Bild: Im alten Ägypten naht sich der Mysterienstätte zu Saïs der suchende Jüngling. Die Priester nehmen ihn unter ihre Schüler auf, führen ihn durch alle Räume ihres Tempels, lassen ihn alle heiligen Zeichen anschauen und lehren ihn die hohe Weisheit, die ihnen selbst zuteil geworden ist. Nur beim Allerheiligsten schreiten sie wortlos mit ihm an einem verschleierten Bild vorüber. Das Fragen in ihm verstummt nicht, er verlangt zu wissen, was unter dem Schleier verborgen ist. Mit tiefernsten Worten warnen die Priester den Jüngling. Vor dem Bild soll alle Frage verstummen. Aber nun hat er kein Ohr mehr für die Weisheitslehren der Priester, seine Seele kennt nur noch die Frage nach dem verschleierten Bild. Des Nachts flieht ihn der Schlaf, und immer wieder treibt ihn die Unruhe des Fragens zu dem Bild hin. Schließlich wird in ihm die Sehnsucht nach der Wahrheit übermächtig; im Fieber greift er nach dem Schleier und zieht ihn fort. Die Sage erzählt, dass die Priester ihn am nächsten Tag tot zu Füßen des entschleierten Bildes gefunden haben. Seine Seele war zu schwach gewesen, die Übermacht des Götterbildes zu ertragen.
Die katholische Kirche handelt heute noch an dem Denken, das nach dem Göttlichen fragt, wie die Priester vor Jahrtausenden an dem Jüngling zu Saïs handeln mussten. Als ob des Menschen Seele unterdessen nichts gewonnen hätte; als ob jenes hohe göttliche Wesen nicht auf die Erde gekommen wäre, um der menschlichen Seele Kraft und Freiheit zu verleihen. Heute ist es längst eine Tatsache, dass alle zur Gegenwart erwachten Menschen fragen wie der Jüngling zu Saïs. Das fragende Denken ist überall erwacht, in ihm ringt sich des Menschen Seele zur Freiheit empor. Als die neue Zeit heraufdämmerte und die Seele den Mut zur Frage erringen sollte, da wurde den Menschen anstelle des alten ägyptischen Bildes vom Jüngling zu Saïs das neue keltisch-germanische Bild von Parsifal vor die Seele gestellt.
Als ein träumender Tor durchirrt Parsifal die Welt. Staunen zieht zwar oft und immer stärker durch sein Gemüt, aber zum wachen, freien Fragen gelangt er noch nicht. Sein schenkendes Schicksal führt ihn in die Gralsburg. Er sieht, wie der Gral die Herzen und Leiber der Ritter speist. Und er sieht Amfortas an der Wunde leiden, die selbst der Gral nicht schließen kann. Aber auch jetzt kommt er noch nicht aus dem Traum des Staunens zum Wachen des Fragens. Was der Jüngling zu Saïs noch nicht durfte, das soll Parsifal, aber er kann es noch nicht. Als der Tag die Nacht ablöst, findet er sich wieder in der Wildnis; die Gralsburg ist ihm versunken. Er muss zurück in den Wald der langen Irrnis, weil er nicht zur Frage erwacht ist. Er darf erst wieder in das heilige Gebiet des Gralstempels eintreten, wenn in ihm die mutige Kraft der Frage lebt. Mit ihr überschreitet er die Schwelle und wird erwürdigt, Gralskönig zu werden.
Die Menschheit ist aufgewacht. Sie ist aus der Zeit des Jünglings zu Saïs vorwärtsgeschritten zu derjenigen, in welcher Parsifal sich im Tempelbereich das hohe Königtum erfragen muss. Warum aber ruht der Tempel noch auf dem Grunde des Stromes?
Es könnte scheinen, als ob die protestantische Bejahung des Denkens schon ein Sich-Bekennen zur Parsifal-Frage wäre, die in den Tempel der Zukunft hineinführt. Sie ist jedoch alles andere als eine wache Tat. Sie war von Anfang an nichts als ein Sich-mitreißen-Lassen und Mitgehen mit der kurz zuvor geborenen naturwissenschaftlichen Denkungsweise. Diese war zustande gekommen durch einen Ruck, der - einem Naturvorgang vergleichbar - in der allgemeinen Bewusstseinsentwicklung eingetreten war. Das damit verbundene Aufwachen gleicht dem des Menschen, der am Morgen ausgeschlafen hat. Es beruht keineswegs auf einem mutvollen freien Sich-Erwecken.
So ist es zu verstehen, dass das neue Denken, das der Protestantismus mitmachte, weil es nicht aus einem erwachten Herzen kam, ein bloßes Kopfdenken blieb und nicht den ganzen, totalen Menschen ergriff. Einem Zug der Zeit folgend, fing der Mensch an, sich über die sichtbare Welt zusammenhängende Gedanken zu...
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