Schweitzer Fachinformationen
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September, neun Monate zuvor
In diesem Jahr zog sich der Sommer mit seiner ausdauernden Hitze bis in den Herbst hinein, und Mitte September unterschieden sich die Tage in keiner Weise von jenen Anfang August. Nur die Schatten, die sich über die Hügel des Basso Monferrato legten, kündigten das Ende der Tage des Lichts an. Die klare Luft ließ die Konturen der Landschaft deutlicher hervortreten und sie noch schöner erstrahlen. Die Wiesen schimmerten in gedeckten Grüntönen, das Licht des klaren Himmels flutete die Weinberge und brachte die ordentlich aufgereihten Pappelhaine zum Leuchten, als Alma und Monica nach einer langen Reise in Varengo ankamen. Mit erhitzten Gesichtern stiegen die Freundinnen aus dem Bus; streckenweise waren sie nur langsam vorwärtsgekommen, weil vor ihnen ein Traktor die schmalen Straßen entlanggetuckert war. Ganz zum Schluss, als sie schon in Monferrato waren, hatten sich ihre Augen bereits an die große Horizontale der Felder gewöhnt, die nur ab und zu durch die riesigen, gelben Strohrollen unterbrochen wurde.
Gleich hinter dem Dorf stiegen sie aus, wo eine Schotterstraße abzweigte, die mit Büschen und Sträuchern halb zugewachsen war. Mühsam zogen sie ihre Trolleys durch den Kies, doch hinter der nächsten Kurve lag schon der Hof. «Er heißt Pom Granin», hatte der Fahrer gesagt und erklärt, das sei Piemontesisch und heiße Granatapfelbaum. Gefunden hatten sie ihn im Internet, und als sie jetzt davorstanden, sah er tatsächlich so aus wie auf den Fotos. Gleich hinter dem imposanten Gebäude kam der Stall und danach der umzäunte Reitplatz.
Alma betrachtete das gelbe Gemäuer und den Bogen mit den großen weißen Segeltüchern, die ein leichter Wind aufblähte. Es hat sich doch gelohnt, dass ich den ganzen Sommer über gearbeitet habe und jetzt hier sein kann, dachte sie.
Eine freundliche Frau empfing sie an der Tür und meinte, leicht außer Atem, sie seien ein kleiner Familienbetrieb, sie dürften nicht zu viel erwarten, aber sie seien ja zu viert und würden alles tun, damit sich die Gäste wohl fühlten. Sie führte sie zu ihrem Zimmer: weiße Wände, viel Holz, und vor ihrem Balkon ein Himmel, so weit, meine Güte, so weit .
«Siehst du, zum Glück habe ich nicht lockergelassen.» Monica sah ihre Freundin an, sie wusste, was sie gerade dachte. «Es war höchste Zeit, diese ewigen Strandurlaube mal zu boykottieren.»
«Stimmt, ich bin froh, dass ich auf dich gehört habe. Ich hoffe nur, dass ich nicht in hohem Bogen vom Pferd fliege, sobald ich im Sattel sitze.» Alma hatte schon seit Jahren nicht mehr auf einem Pferd gesessen, und bei dem Gedanken wurde ihr etwas mulmig. Der typisch jugendliche Leichtsinn von damals war längst passé, stattdessen hatte sie jetzt mit der Angst zu fallen zu kämpfen. Aber etwas Leichtsinn und Draufgängertum braucht man, sonst fällt man ganz bestimmt. Oder man traut sich erst gar nicht, was noch schlimmer ist.
In den Stallungen roch es nach Leder und Seife und dem warmen Atem der Tiere. Ungefähr zwanzig Pferde standen dort. Im Halbschatten des Nachmittagslichts ging Alma langsam an ihnen vorbei und hielt unwillkürlich die Luft an - die Reihe an schweißnassen, glänzenden Fellen schien nicht enden zu wollen. Monica war auf dem Zimmer geblieben, um sich von der Reise auszuruhen, aber Alma war zu neugierig und wollte sich ein wenig umsehen.
Eigentlich hätte John Denver im Hintergrund ertönen müssen mit seinen Geschichten über Cowboys und weite Prärien, stattdessen war es die Stimme von Lucio Battisti, die aus der alten Stereoanlage im Stall zu hören war.
Alma bewegte sich vorsichtig, als fürchtete sie, eine abrupte Bewegung könnte die Pferde aufschrecken. Ein stämmiger Haflinger erregte ihre besondere Aufmerksamkeit, er war isabellfarben und sah drollig aus. Vorsichtig streckte sie ihre Hand nach dem Maul des Tieres aus, das augenblicklich zurückwich, mehr irritiert als ängstlich. Alma wiederum zog ihre Hand zurück, als hätte sie einen elektrischen Schlag bekommen.
«Von unten nach oben.»
Die Stimme hinter ihr ließ sie aufschrecken. Im Gegenlicht kam eine Gestalt auf sie zu, die eine kräftige Hand unter die Nüstern des Pferdes hielt. Dieses streckte daraufhin seinen Kopf ganz aus der Box, um sich streicheln zu lassen.
«Eine Hand von oben wirkt einschüchternd, eine von unten einladend.» Der Mann wischte sich die Hand an seiner Arbeitsjeans ab und streckte sie Alma entgegen. «Ich bin Bruno, und das ist Pongo», sagte er und wies dabei auf das Tier. «Herzlich willkommen.»
Alma musterte ihn: kariertes Hemd, bis zum Ellbogen zurückgekrempelte Ärmel, zerzaustes Haar, Augen so schwarz wie der Nachthimmel, die Haut von Jahreszeiten und Wetter gezeichnet, die Nase etwas schief, die Mundwinkel leicht nach oben gezogen.
«Ich bin Alma», sagte sie und erwiderte den kräftigen Händedruck. Instinktiv spannte sie ihre Schultern an und fuhr sich durchs Haar.
Was der Verstand erst später begreift, weiß der Körper auf Anhieb. Der Verstand hat sein eigenes Tempo, wegen all der lästigen «aber», «vielleicht», «trotz», mit denen er zu kämpfen hat.
«Ich werde diese Woche euer Reitlehrer sein. Wenn ihr einverstanden seid, gehen wir morgen erst mal auf den Platz, und wenn es keine Probleme gibt, können wir danach ausreiten.»
Alma hörte Bruno zu, überlegte aber gleichzeitig, welche Klamotten sie anhatte und ob sie sich morgens geschminkt hatte, sie dachte, nach der anstrengenden Reise sehe ich bestimmt total fertig aus. Sie war es nicht gewohnt, sich Gedanken über ihr Äußeres zu machen, denn insgeheim wusste sie, dass sie das auch nicht unbedingt nötig hatte. Ihre Freundinnen hatten sie immer um ihr schönes, volles Haar und ihre hellblauen Augen beneidet. Und ihr letzter Freund - fiel ihr jetzt ein - mochte es, wenn sie ihre Haare offen trug und sie über ihre Schulter fielen. Es ist ja nicht gesagt, dass ihm das auch gefällt, und während sie das dachte, wunderte sie sich darüber, dass sie es dachte, doch zwischenzeitlich hatte ihre Hand die Haare schon längst über eine Schulter gelegt.
«Frühstück gibt es ab sieben, ich nehme an, ihr geht früh ins Bett, abends ist hier sowieso nichts los», fuhr Bruno mit leicht ironischem Unterton fort. «Ich erwarte euch um neun auf dem Reitplatz.»
Alma bereute augenblicklich, dass sie nicht wenigstens ihr blaues Shirt mitgenommen hatte, das ihre Augen so gut zur Geltung brachte, sondern nur diese lächerliche Kluft. Pack dir bequeme Klamotten ein, hatte Monica mit ihrem üblichen Sinn fürs Pragmatische gesagt, und sie hatte auf sie gehört, wie bescheuert .
«Ich muss jetzt wieder aufs Feld, das Heu wartet schon. Falls irgendwas ist, fragt einfach meine Mutter oder meine Schwester, sie wohnen im Haus gegenüber. Schönen Abend noch .» Er lächelte, und seine Mundwinkel zogen sich noch weiter nach oben.
Alma erwiderte kaum den Gruß. Sie ahnte, in ihren Worten, die nicht kamen, würde eine Art Kapitulation mitschwingen. Zum zweiten Mal an diesem Tag dachte sie, es hat sich doch gelohnt, dass sie den ganzen Sommer über gearbeitet hat und jetzt hier sein kann.
Am nächsten Morgen erschienen die beiden Freundinnen früh auf dem Hof. Bruno war schon draußen und - ohne eine Spur von Müdigkeit - schwer beschäftigt: Pferde tränken, Boxen ausmisten, Hof kehren. Er war so in seine Arbeit vertieft, dass er die beiden gar nicht bemerkte. Alma sah ihm zu, wie er Eimer füllte, in die Futterkrippen schüttete und jedes einzelne Tier wie einen alten Freund begrüßte.
Es gibt Menschen, die sind selbst zu ihresgleichen nicht so freundlich, dachte sie.
Endlich bemerkte Bruno die beiden, schüttelte ihnen fröhlich die Hand und musterte sie mit lebhaften Augen. Er wollte wissen, wie viel Reiterfahrung sie hatten. Nach ein paar weiteren Fragen ging er zum praktischen Teil über.
«Ich zeig euch, wie man ein Pferd fertig macht, danach probiert ihr es. Wenn ihr das Tier sattelt und aufzäumt, merkt ihr gleich, wie ihr mit ihm umgehen müsst und was ihr von ihm erwarten könnt.»
Er holte einen Hufauskratzer, Satteldecken, Sättel und Zaumzeug. Dabei war er voll und ganz in seinem Element, arbeitete leichtfüßig und präzise mit der Sicherheit eines Gebieters auf seinem Territorium. Alma betrachtete seine Hände und stellte sich dabei einen Zauberkünstler vor, der keine billigen Tricks, sondern wahrhaftige Magie zum Besten gab. Mähne kämmen, Sattelgurt festziehen, Trense anlegen. Was sie sah, war die Schönheit, wenn aus der Wiederholung der immergleichen Tätigkeit etwas Poetisches entsteht.
Als Alma dann im Sattel saß, verkrampfte sie etwas. «Tief durchatmen», sagte Bruno, als er zu ihr kam. «Jeder fällt mal vom Pferd, aber wir werden zusehen, dass es nicht ausgerechnet heute passiert», schickte er lächelnd hinterher.
Sie spürte, wie sich die Flanken des Pferdes unter ihr bewegten, wie sein Hals auf die Zügel in ihren Händen reagierte, wie ihr Herz überdrehte.
Nach ein paar Runden auf dem Platz waren sie bereit für den Ausritt. Im Nu saß Bruno im Sattel: Die Zügel in einer Hand, den Fuß im Steigbügel, und schon war er oben. Die langen Beine berührten das graue Fell des Tieres, die geraden Schultern bildeten eine Linie mit dem Horizont.
Monica ließ sich entspannt schaukeln, ganz anders Alma, die ihre Arme steif wie ein Motorradfahrer hielt, den Rücken übertrieben gerade, die Füße wie eingegipst. Bruno drehte sich immer mal wieder...
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