Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
1. >Rechts< und >links< sind zwei antithetische Begriffe, die seit mehr als zwei Jahrhunderten allgemein zur Bezeichnung des in hohem Maß konfliktgeladenen Gegensatzes jener Ideologien und Bewegungen angewandt werden, in die das Universum unterteilt ist. Dieser Gegensatz bezieht sich sowohl auf das Denken als auch auf die politischen Aktionen. Als antithetische Begriffe sind sie, im Hinblick auf das Universum, auf das sich beide beziehen, ausschließlich, und gemeinsam sind sie erschöpfend: ausschließlich in dem Sinn, dass keine Doktrin, beziehungsweise keine Bewegung, gleichzeitig rechts und links sein kann; erschöpfend in dem Sinn, dass, zumindest in der klaren Bedeutung dieses Wortpaars, wie wir im Weiteren noch genauer sehen werden, eine Doktrin oder eine Bewegung entweder nur der Rechten oder nur der Linken zugehören kann.
Angesichts dessen, was ich die »großen Dichotomien« nannte, in die jeder Wissensbereich, auch der des antithetischen Wortpaars >rechts< und >links<, aufgeteilt ist, habe ich schon öfters darauf hingewiesen, dass man einen deskriptiven, einen axiologischen und einen historischen Gebrauch davon machen kann: deskriptiv, um eine synthetische Darstellung der beiden in Konflikt befindlichen Parteien zu geben; axiologisch, um ein Urteil mit positiver oder negativer Wertung über die eine oder die andere Partei abzugeben; historisch, um den Übergang von einer Phase des politischen Lebens einer Nation zu einer anderen zu kennzeichnen, wobei der historische Gebrauch seinerseits wiederum deskriptiv oder axiologisch sein kann.
Der Gegensatz von >rechts< und >links< stellt ein typisches Denkmuster in Dyaden dar, die die verschiedensten Deutungen psychologischer, soziologischer, historischer und auch biologischer Art erfuhr. Beispiele dazu kennt man aus allen Bereichen des Wissens. Es gibt keine Disziplin, die nicht von irgendeiner allesumfassenden Dyade bestimmt wird: in der Soziologie Gesellschaft-Gemeinwesen; in der Ökonomie Markt-Plan; im Rechtswesen Privat-Öffentlichkeit; in der Ästhetik Klassik-Romantik; in der Philosophie Transzendenz-Immanenz. Im politischen Bereich ist >rechts< und >links< nicht die einzige, aber auf sie stößt man überall.
Es gibt Dyaden, bei denen die beiden Begriffe antithetisch sind, andere, bei denen sie komplementär sind. Die einen entstehen durch die Interpretation eines aus divergierenden und sich einander feindlich gegenüberstehenden Elementen zusammengesetzten Universums, die anderen aus der Interpretation eines harmonischen, aus konvergierenden Elementen zusammengesetzten Universums, welche dazu neigen, einander zu begegnen und gemeinsam eine höhere Einheit zu bilden. Das Wortpaar >rechts-links< gehört zum ersten Typus. Da sich das Denken in Triaden oftmals aus dem Denken in Dyaden entwickelt und sozusagen dessen Weiterentwicklung darstellt, hängt der Übergang allerdings davon ab, ob man von einer Dyade antithetischer Begriffe oder von einer Dyade komplementärer Begriffe ausgeht. Im ersten Fall findet der Übergang durch dialektische Synthese statt oder durch Negation der Negation; im zweiten durch Zusammenfügung.
Die nachfolgenden Überlegungen entwickeln sich aus der in den letzten Jahren fast schon zum Gemeinplatz verkommenen Feststellung, dass die Unterscheidung zwischen >rechts< und >links<, die über nahezu zwei Jahrhunderte, seit der Französischen Revolution, dazu gedient hat, die politische Welt in zwei einander gegenüberstehende Lager zu spalten, längst überholt sei. Zum Ritual gehört dann das Zitat Sartres, der wohl zu den Ersten zählte, die sagten, dass >rechts< und >links< zwei Worthülsen seien; sie hätten weder irgendeinen heuristischen, noch einen klassifizierenden und schon gar keinen axiologischen Wert. Geradezu mit Verdruss spricht man von der Unterscheidung als einer dieser zahlreichen sprachlichen Fallen, in die die politische Diskussion tappe.
2. Die Gründe für diese Anschauung, die sich immer mehr verbreitet und für die man tagtäglich unzählige Beispiele anführen könnte, sind unterschiedlich. Einige von ihnen wollen wir uns ansehen.
Grund und Anlass für die ersten Zweifel über das Verschwinden oder wenigstens über die verminderte Anziehungskraft der Unterscheidung sei die sogenannte Krise der Ideologien und die daraus resultierende Sinnlosigkeit ihrer Gegenüberstellung. Dagegen kann man einwenden, dass die Ideologien keineswegs verschwunden sind, im Gegenteil, dass sie so lebendig sind wie selten zuvor. An die Stelle der alten Ideologien sind lediglich andere getreten, neue oder solche, die sich als neu ausgeben. Grün ist der Ideologien goldner Baum. Zudem gibt es, wie auch schon mehrmals festgestellt worden ist, nichts Ideologischeres als die Behauptung, die Ideologien befänden sich in einer Krise. Dazu kommt, dass die Begriffe >links< und >rechts< ja nicht nur auf Ideologien verweisen. Sie lediglich als Ausdruck politischen Denkens verkürzt aufzufassen, wäre eine unangemessene Vereinfachung: Sie bezeichnen gegensätzliche Programme angesichts vieler Probleme, deren Lösung gemeinhin der politischen Tätigkeit zukommt, Gegensätze nicht nur von Ideen, sondern auch von Interessen und Wertungen über die Richtung, die der Gesellschaft gegeben werden soll, Gegensätze also, die es in jeder Gesellschaft gibt und die nicht einfach verschwinden. Natürlich ließe sich einwenden, dass es zwar Gegensätze gibt, dass sie aber nicht mehr die jener Epoche sind, in der die Unterscheidung aufkam, und dass sie sich während der gesamten Zeit ihres glückhaften Vorhandenseins dermaßen verändert haben, dass die alten Bezeichnungen anachronistisch sind und daher in die falsche Richtung weisen.
Kürzlich ist die Ansicht vertreten worden, dass - eben weil der Begriff >links< seine Fähigkeit, in unterschiedlichen Zusammenhängen eine jeweils neue Bedeutung anzunehmen, in einem Maß verloren hat, dass der Hinweis, man gehöre zur Linken, heute eine der am wenigsten verifizierbaren Aussagen des politischen Sprachgebrauchs ist - das alte Wortpaar sinnvollerweise durch dieses neue ersetzt werden könne: Progressisten-Konservative. Doch es gab auch Stimmen, die in schroffer Form jede beharrlich dichotomische Vision ablehnten, indem sie die Ansicht vertraten, dass auch diese letzte Dichotomie nur ein weiterer Unsinn des Politkauderwelschs sei, von dem man sich freimachen müsse, um von nun an neue Gruppierungen zu finden, die sich nicht mehr nach Positionen formieren, sondern nach Problemen.
3. Zweitens wird behauptet, dass in einer immer komplexeren politischen Ordnung wie die der großen Gesellschaften, insbesondere die der großen demokratischen Gesellschaften - die die Existenz unterschiedlicher und miteinander konkurrierender Meinungs- und Interessensgruppen zulassen oder gar voraussetzen (bisweilen stehen sie im Gegensatz zueinander, bisweilen überlagern sie sich, an manchen Stellen verflechten sie sich miteinander, um sich dann wieder voneinander zu lösen, Gruppen, die bald aufeinander zugehen, bald, wie in einer großen tänzerischen Bewegung, sich den Rücken zukehren) - die allzu klare Trennung zwischen zwei gegensätzlichen Parteien immer unangemessener, die axiale Sicht der Politik immer unzureichender wird. Kurz ausgedrückt: Es wird der Einwand erhoben, dass man sich in einem Pluriversum wie dem der großen demokratischen Gesellschaften, in denen zahlreiche sowohl konvergierende wie divergierende Gruppen eine Rolle spielen und die vielfähigsten Kombinationen untereinander zulassen, die Fragen nicht mehr in antithetischer Form stellen kann, als aut-aut oder rechts und links oder: Ist es nicht rechts, dann ist es eben links und umgekehrt.
Der Einwand trifft ins Schwarze, ist aber dennoch unerheblich. Die Unterscheidung zwischen einer Rechten und einer Linken schließt auch in der allgemein gebräuchlichen Sprache keineswegs die Vorstellung von einer kontinuierlichen Linie aus, an der entlang sich zwischen der anfänglichen Linken und der endgültigen Rechten oder, was das Gleiche ist, der anfänglichen Rechten und der endgültigen Linken Zwischenpositionen einrichten, die den zentralen Raum zwischen den beiden Extremen besetzen. Dieser Raum wird als >Mitte< bezeichnet und ist als solcher allseits bekannt. Wollte man mit der Sprache der Logik kokettieren, könnte man sagen: Während die dyadische oder axiale Vision der Politik als das ausgeschlossene Dritte definiert werden kann, derzufolge der politische Raum als lediglich in zwei Bereiche getrennt angesehen wird, von denen der eine den anderen nicht ausschließt und nichts sich zwischen sie drängt, kann die triadische Vision, die zwischen >rechts< und >links< einen Bereich einschließt, der weder rechts noch links, sondern in der Mitte zwischen beiden steht, als das eingeschlossene Dritte definiert werden. Im ersten Fall nennt man die beiden Begriffe, die sich zueinander wie ein »aut-aut« verhalten, widersprüchlich; im zweiten Fall, bei dem wir es mit einem Zwischenbereich zu tun haben, den man mit der Formel »weder-noch« verdeutlichen kann, nennt man sie gegensätzlich. Das ist nicht weiter schlimm: Zwischen Weiß und Schwarz kann Grau stehen; zwischen dem Tag und der Nacht steht die Dämmerung. Doch das Grau nimmt dem Unterschied zwischen Weiß und Schwarz keinen Schimmer, noch die Dämmerung dem zwischen Tag und Nacht.
4. Dass allerdings in vielen demokratischen Systemen mit deutlich pluralistischer Struktur das eingeschlossene Dritte dazu tendiert, so übermäßig zu werden, dass es den breitesten Raum innerhalb des politischen Systems einnimmt und die Rechte wie die Linke an den Rand drängt, widerspricht der ursprünglichen...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.