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Sonntag
Knef hatte Angst. Das war ungewöhnlich, denn Knef hatte eigentlich nie Angst, schließlich kam sie aus Rumänien. Aber diese beiden Monster, die wie von Geisterhand gesteuert durch die Wohnung kreisten und einen mordsmäßigen Lärm machten, waren ihr unheimlich. Keine Ahnung, was das für Viecher waren, solche Tiere hatte sie noch nie gesehen. Außerdem nervte der völlig unterbelichtete Labrador, dem nichts Besseres einfiel, als die schwarzen Ungetüme anzubellen. Als würde das irgendetwas nützen! Im Gegenteil. Schon als Welpe auf den Straßen von Bukarest hatte sie gelernt: Hunde durfte man sehen, aber nicht hören. Ihr freundliches, aber bestimmtes Auftreten mit aufgewecktem Dackelblick (den sie vermutlich von ihrem Vater geerbt hatte) und Pfötchengeben hatte es ihr sogar ermöglicht, ein deutsches Touristenpärchen davon zu überzeugen, sie in ihrem Wohnwagen nach Hamburg zu schmuggeln. Dass sich die beiden nur zwei Wochen nach ihrer Ankunft im Streit getrennt und Knef an einer Bushaltestelle ausgesetzt hatten, war zwar bedauerlich, aber im Endeffekt nur eine weitere Station auf ihrem Weg zur nächsten Mahlzeit. Das Tierheim, Marius, der Gigolo, und jetzt die Frau mit dem leckeren Fleisch: Das Leben war eine Reise, und Hauptsache, es gab etwas zu essen.
Knef hatte bislang einen sehr guten Eindruck von ihrem neuen Frauchen, denn die von ihr bereitgestellte Nahrung war vom Feinsten: erst das frische Blut und anschließend Filetsteak von einer Qualität, wie Knef sie bislang nicht erlebt hatte - ein edler, leicht nussiger Geschmack mit einem Hauch Verwesung und der perfekten Bitterkeit im Abgang. Dazu eine Konsistenz, die sie irgendwo zwischen Huhn und Lamm einordnete. Weich, aber nicht faserig, mit leichten Fettadern durchzogen und deshalb saftig, ohne wässrig zu sein. Knef präferierte sowieso Haptik gegenüber Aroma; wie das Fressbare in der Schnauze lag, war ihr wichtiger als seine Würze. Und anständig riechen musste es natürlich, allein schon, um es zu finden. Marius hatte sie hauptsächlich mit Trockenfutter von DM gefüttert, und das hatte weder Geschmack noch Geruch und erst recht keine ansprechende Struktur.
Ja, Knef gefiel ihr neues Frauchen, und bis zum Auftauchen der lärmenden Ungeheuer war auch ihr aktuelles Zuhause ein angenehmer Ort gewesen. Monster Nummer eins klang so, als würde es ständig Luft einsaugen, ohne jemals auszuatmen. Es war kreisrund und etwa so groß und beinahe so flach wie die heruntergefallene Bratpfanne, die immer noch in der Blutlache klebte, die Marius hinterlassen hatte. Monster Nummer zwei war ein kleines Stück größer und rechteckig. Vor diesem Vieh grauste es Knef noch mal um einiges mehr, erzeugte es doch einen viel unheimlicheren Klang als Nummer eins. Mit einem gespenstischen Wischgeräusch bewegte sich die Kreatur durch die mittlerweile festgetrocknete Pfütze, so als würde sie mit einer gigantischen Zunge den Boden auflecken.
Knefs neues Frauchen hatte zuvor Marius in eine durchsichtige Plastikfolie eingerollt und ihn dann ins Badezimmer gezogen. Dabei hatte sie eine rote Schleifspur hinterlassen, die Monster Nummer zwei bereits restlos weggeputzt hatte. Der nervige Labbie hatte ihm dabei geholfen, aber Knef hielt gebührenden Abstand zu den aufdringlichen Biestern. Sie blickte durch die offene Tür auf ihr Ex-Herrchen, mit dem sie eigentlich nie warm geworden war. Sein Gesicht quetschte sich gegen das Plastik, er trug immer noch dieses clownhafte Grinsen, das er wohl als charmant empfunden hatte. Brrr, Knef schüttelte sich bei dem Gedanken, dass dieser schleimige Aufreißer sie gestreichelt hatte, wie und wann er wollte. Ihr wurde immer noch übel. Ihrem natürlichen Instinkt zu folgen und ihm kräftig in die Hand zu beißen war allerdings keine Option gewesen, der Mann hatte sie ja gefüttert. Deshalb weinte sie ihm jetzt keine Träne nach, im Gegenteil, der süße Duft seines Blutes füllte noch immer ihre Nase und erzeugte ein wohliges Gefühl der Aufregung, ließ sie ihre Wolfswurzeln spüren.
Also alles wunderbar, wenn nicht diese Quälgeister durch die Wohnung spuken würden. Dauernd schnitten sie ihr den Weg ab, drängten sie in eine Ecke, aus der sie sich nur durch einen beherzten Sprung über die Monster hinweg retten konnte. Aber es gab kein Entrinnen, die Viecher blieben ihr auf den Fersen.
Knef war eigentlich nicht sonderlich lärmempfindlich, sie hatte sogar ihr erstes Silvester hier in der Stadt gut vertragen. Doch das Sirren und Summen, Saugen und Wischen der beiden Verfolger raubte ihr den letzten Nerv. Und als wäre das Spektakel ihrer Jäger nicht beunruhigend genug, gesellte sich jetzt eine weitere akustische Attacke zu der allgemeinen Kakofonie. Aus den riesigen Boxen im Esszimmer erklang ein krachendes Bassriff, begleitet von einem scheppernden Schlagzeug. Darüber schrie ein wild gewordener Sänger an der Grenze seiner Stimmkapazität: »She'll only come out at night. The lean and hungry type .«
Knef geriet in Panik. In der höchsten ihr möglichen Geschwindigkeit nahm sie Reißaus. Ein aussichtsloses Unterfangen, denn der einzige Weg aus ihrem Martyrium war die Tür zum Treppenhaus, und die war fest verschlossen. So blieb ihr nur eine stetige Platzrunde: Flur, Esszimmer, Küche und wieder Flur. Mit heraushängender Zunge rannte sie um ihr Leben. Aber es war vergebens, sie konnte dem Getöse nicht entkommen. Schließlich verließen sie ihre Kräfte, sie brach vor der Wohnungstür zusammen.
Was war das? Knef schöpfte etwas Hoffnung. Auf der anderen Seite der Tür roch sie einen Menschen, jemand drückte auf die Klingel. Aber der Klang der Glocke ging im allgemeinen Lärminferno unter. Nur Zartbitter hatte das Läuten gehört, der übereifrige Labrador kam in den Flur gelaufen und fing an zu bellen. Jetzt nahm auch die Frau mit dem leckeren Fleisch das zusätzliche Geräusch wahr. Sie kam aus dem Badezimmer und überlegte kurz. Dann ließ sie ihren Kimono zu Boden fallen. Sie öffnete die Tür einen Spalt, der Kopf eines älteren Herrn erschien. Er schrie aus vollem Hals: »Hallo, Kramer von gegenüber. Könnten Sie vielleicht die Musik ein bisschen runterdrehen?«
Die Fleischfrau brüllte zurück: »Geht das schon wieder los, du perverser Spanner? So langsam wird es peinlich. Glaubst du, ich habe nicht gemerkt, wie du mir immer hinterherstierst?«
»Ich . äh . was?«
»Nun tu mal nicht so, kleines Freundchen. Ist es vielleicht das, was du sehen willst?«
Sie riss die Wohnungstür ganz auf und stellte sich breitbeinig in den Rahmen. Der ältere Herr schrak sichtlich zusammen. Er hielt sich die Hände vors Gesicht und kreischte: »Oh Gott, Sie sind ja nackt! Das ist ungeheuerlich, ich weiß gar nicht . bitte bedecken Sie sich, ich . gütiger Himmel!«
Knef witterte ihre Chance. Sie sprang auf und versuchte, zwischen den Füßen ihrer neuen Herrin ins Treppenhaus zu gelangen. Aber die war schneller. Sie drehte sich um und beförderte Knef mit einem Tritt zurück in den Flur. Knef landete jaulend vor der Badezimmertür. Sofort war Zartbitter bei ihr und hielt sie zähnefletschend in Schach. Sie war viel zu erschöpft, um sich zu wehren. Ihr neues Frauchen konzentrierte sich wieder auf den Mann im Treppenhaus.
»So, jetzt mach mal die Fliege. Du hast Glück, dass ich dich nicht wegen sexueller Belästigung anzeige. Die Musik bleibt laut.«
Sie knallte ihm die Tür vor der Nase zu und ging zurück ins Badezimmer. Zartbitter ließ Knef in Ruhe und verschwand in der Küche. Knef war immer noch völlig fertig. Hechelnd steckte sie den Kopf durch die Badezimmertür. In der Mitte des Raumes stand ihre neue Herrin und beugte sich über Marius, den sie mittlerweile aus seiner Plastikplane gewickelt hatte. In der linken Hand hielt sie ein seltsames Gerät, an dem sie mit der rechten zerrte. Immer wieder zog sie an einem gelben Griff, der an einem Seil mit dem Apparat verbunden war. Beim sechsten oder siebten Mal sprang die Maschine an, aber der Krach aus dem Esszimmer war so laut, dass man sie nicht hören konnte.
»Oh, here she comes. Watch out, boy, she'll chew you up .«
Der wilde Schreihals war mittlerweile nicht mehr allein, ein weiterer Irrer hatte sich ihm angeschlossen.
»Oh, here she comes. She's a maneater .«
Plötzlich begann die obere Hälfte des Geräts zu schwingen, eine Kette lief um eine Art Sägeblatt, tauchte auf der einen Seite des Apparats auf und verschwand auf der anderen Seite wieder. Langsam und sehr kontrolliert brachte das neue Frauchen diese, nun ja, Kettensäge (Knef fiel kein besserer Begriff ein) auf das alte Herrchen nieder, das mit dem Kopf zum Flur auf der Seite lag. Sie hielt die Säge über seinen Hals. Knef durchzuckte die Erkenntnis, was als Nächstes kommen würde, wie ein Blitz. Entgegen ihren tiefsten Überlebensinstinkten begann sie zu bellen. Aber in dem ohrenbetäubenden Lärm vernahm sie ihre eigene Stimme nicht. Mit einer schnellen Bewegung schnitt die Frau mit dem leckeren Fleisch Marius den Kopf ab. Er fiel ihm von den Schultern, rollte Knef vor die Pfoten.
Das war des Horrors zu viel, selbst für einen rumänischen Straßenhund. Laut jaulend rannte sie auf den Balkon und sprang mit einem gewaltigen Satz über das Geländer. Sie hatte vergessen, in welcher Höhe sie sich befand, aber das war ihr in diesem Moment auch völlig egal. Ihr einziger Gedanke war: Weg, weg, weg!
Zum Glück wohnte ihr neues Frauchen nur im ersten Stock, und Knef landete sanft in einer Hecke. Ohne Verletzungen befreite sie sich aus dem Gestrüpp und lief auf die Straße, wo sie beinahe von einem Auto überfahren wurde. Der Fahrer konnte ihr gerade noch ausweichen, hupte wütend. Aber Knef war schon mindestens zwanzig Meter weiter, hetzte...
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