Schweitzer Fachinformationen
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Der Wecker in ihrem Handy klingelte Kati aus tiefem Schlaf. Schwerfällig beugte sie sich zu ihrem Smartphone hinüber und drückte darauf herum, ließ den Kopf zurück aufs Kissen sinken. Sie hatte erst einen Moment der Orientierung gebraucht, aber jetzt wusste sie, wo sie war: in einem der Bettenlager in der Kürsingerhütte. Gleich würde es losgehen in Richtung Großvenediger.
Um sie herum herrschte schon rege Betriebsamkeit. Getrappel von sieben Menschen auf dem Holzfußboden, leises Flüstern, Leute, die in ihren Sachen wühlten. Das Bett über Kati quietschte. Dort schlief eine Frau aus einer anderen Gruppe. Wie immer auf Hütten waren die Bergsteiger in den Bettenlagern bunt zusammengewürfelt. Das Quietschgeräusch hatte sie immer wieder aus dem Schlaf gerissen. Entsprechend unruhig war die Nacht gewesen. Sie rieb sich mit den Händen über das Gesicht, versuchte, die Müdigkeit zu vertreiben. Sicher war ihre Gruppe schon wach, es war wirklich Zeit, aufzustehen. Als Bergführerin musste sie parat stehen, konnte es sich nicht erlauben, einfach liegen zu bleiben, auch dann nicht, wenn sie sich total matschig fühlte, weil sie schlecht geschlafen hatte.
Berghütten waren nun mal keine Luxushotels, man schlief in Bettenlagern und wusste nie, wie viele Menschen das Zimmer mit einem teilten. Wenn sie ihre Ohrstöpsel im Tal vergaß, war sie selbst schuld.
»Guten Morgen, Schönheit.« Plötzlich stand lächelnd Paolo neben ihrem Bett, beugte sich zu ihr hinunter und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
»Bist du bereit, den Großvenediger zu erobern?« Er strahlte sie an und war offensichtlich kein bisschen müde. Während Kati morgens immer eine halbe Stunde brauchte, bis sie ansprechbar war, schien Paolo wie eine Sprungfeder aus dem Bett zu hüpfen. Besonders, wenn es darum ging, auf Gletschtertour zu gehen, konnte er sich vor lauter Begeisterung kaum bremsen. Seine Spannung hielt den ganzen Tag an, bis er schließlich ins Bett fiel, wo er in der Regel sofort einschlief, sobald sein Kopf das Kissen berührte.
»Gleich bin ich so weit. In zehn Minuten. Oh, und nach einem Kaffee.« Kati gähnte.
»Gut, gut.« Paolo klopfte ihr auf den Arm. »Ah, Justine und Milan, ihr seid schon aufgestanden. Sehr schön.« Er strahlte die beiden an, die auch zu ihrer Gruppe gehörten und gerade mit Zahnbürste und Handtuch bewaffnet zu den Waschräumen wollten, schaute dann zurück zu Kati, die sich ein weiteres Mal mit den Händen über das Gesicht rieb. »Wir haben ein wenig Nebel, aber der wird sich noch lichten, dann haben wir herrliche Bedingungen.«
Wie immer war er Bergführer durch und durch. Kein Wunder, dass die Leute, die ihn einmal für eine Tour buchten, immer wieder auf ihn zurückkamen.
Kati setzte sich im Bett auf. Eine Großvenediger-Besteigung war immer ein Abenteuer. Der Aufstieg über den langen Gletscherbereich am Seil, mit Steigeisen und Eispickel bewaffnet, auf dem Gipfel dann strahlende Sonne, eine hellauf begeisterte Gruppe - das war der Grund, warum sie Bergführerin geworden war. Auf diesem Weg konnte sie ihre Leidenschaft, die Berge, mit anderen teilen und noch dazu Geld damit verdienen - was wollte man mehr? Sie stand auf, der Schlafraum hatte sich bereits geleert, nur im Doppelstockbett ganz hinten am Fenster schlief noch das Paar, er oben, sie unten, das gestern erst im Dunkeln zur Hütte gekommen war und heute wieder nach unten ins Tal wollte.
In Unterwäsche stand Kati neben ihrem Bett und spürte die kühle Morgenluft auf ihren nackten Beinen, ließ sich von der allgemeinen Betriebsamkeit anstecken. Sie schlüpfte in ihre Hochtouren-Hose, dann ins Funktionsshirt, die Jacke: fertig! Mütze und Handschuhe und die restliche Ausrüstung befanden sich in ihrem Rucksack im Erdgeschoss der Hütte. Die Scheibe des Bettenlagers, in dem sie die Nacht verbracht hatten, war von innen beschlagen und die Landschaft draußen kaum mehr als verzerrte Schemen in der Dunkelheit, die jedoch bald der Sonne weichen würde.
Sie nahm ihr Handy, das noch auf der Matratze lag, und wollte es einstecken. Da sah sie, dass eine Nachricht von ihrer Schwester eingegangen war. Automatisch zauberte ihr der Gedanke an Christina ein Lächeln ins Gesicht. Ihre Beziehung zueinander hatte sich verändert, seit Christina eine Töpferei auf der Fraueninsel betrieb und nicht mehr im elterlichen Lakritzgeschäft in Prien am Chiemsee arbeitete. Christina hatte Kati immer vorgeworfen, ohne Rücksicht auf andere ihren Traum zu leben, während sie selbst sich als Gefangene des elterlichen Betriebs empfand. Seit Christina den Schritt gewagt hatte, die Töpferei zu übernehmen, verstanden sie sich sehr viel besser. Außerdem liebte Kati den kleinen Michael, ihren Neffen. Na ja, so klein war der gar nicht mehr, wenn man es genau betrachtete. Immerhin war er mittlerweile Fünftklässler.
Kati gab den Code in ihr Handy ein, um es zu entsperren.
Sonnenuntergang in der Heimat, hatte Christina geschrieben. Das Foto, das sie dazu schickte, musste auf dem Chiemsee aufgenommen worden sein. Vermutlich war sie mit ihrem Freund Bene mal wieder mit dem Kanu unterwegs gewesen. Das Abendlicht färbte das Wasser des Sees orange, dazu spiegelten sich noch die kleinen Schäfchenwolken auf der glatten Wasseroberfläche des Chiemsees. Ein zweites Bild musste etwas später aufgenommen worden sein. Das Licht war jetzt lila, und im Vordergrund sah man Christina in ihrem Kanu, gemeinsam mit Michael, der wie so oft seine Angel in der Hand hielt. Kati zoomte das Gesicht des Kindes heran. Der Junge sah total glücklich aus, stellte sie fest. Für ihn war der Umzug auf die Insel ein Segen gewesen. Michael angelte gern und liebte die Freiheit, die ihm das Leben auf der Insel bot, und auch, dass er dort sein konnte, wer er war: Ein manchmal etwas verträumter kleiner Forscher mit viel Liebe zur Natur. Mit einem Mal spürte Kati, dass sie ihre Familie vermisste, ihre Heimat. Sie war diesen Sommer fast ausschließlich in Österreich und Südtirol unterwegs gewesen. Zuletzt hatte sie sich im Rosengarten, einer Gebirgskette im Osten von Brixen, aufgehalten und eine Touristengruppe auf den Kesselkogel geführt. Mit Paolo in den Bergen unterwegs zu sein, machte diesen Sommer zu einem der schönsten ihres Lebens. Er kannte in Südtirol die aufregendsten Pfade, so wie Kati die in ihrer Chiemgauer Heimat. Sie waren nahezu täglich unterwegs. Wenn es keine Touristen zu führen gab, gingen sie auf Kletterabenteuer oder kundschafteten neue Touren aus. Es schien nie Stillstand zu geben und Kati war wie im Rausch.
Mit diesen Fotos gewinnst du jeden Wettbewerb! Da brauchst du gar nicht mehr zu töpfern, schrieb Kati und schob ein Zwinkersmiley hinterher, bevor sie das Telefon in ihrer Jacke verstaute. Kürzlich hatte Christina bei einem Töpferwettbewerb mit einer Büste der netten Nonne, mit der sie sich auf der Insel angefreundet hatte, den zweiten Preis gewonnen, und die gesamte Familie war wahnsinnig stolz auf sie.
Kati schaute sich um, aber alles, was sie dabeigehabt hatte, trug sie bereits am Körper. Die Reisezahnbürste und die winzige Zahnpastatube befanden sich in der Tasche ihrer Funktionsjacke. Eine Katzenwäsche musste um vier Uhr morgens reichen.
»Ich geh noch ins Bad«, sagte Kati.
Justine winkte mit ihrer Zahnbürste. »Ich komm gleich mit.«
»Dann treffen wir uns beim Frühstück«, meinte Milan, der gerade hereinkam. »Ich bin schon fertig mit allem. Ach, ich kann die Tour kaum erwarten.«
Kati lachte. Das waren ihr die liebsten Gäste. »Na dann, iss dich auf jeden Fall ordentlich satt. Du wirst die Energie heute brauchen.«
Sie riet das jedem Gast, auch wenn sie selbst so früh am Morgen kaum eine Scheibe Brot runterbrachte.
Mittlerweile herrschte in der Hütte Aufbruchstimmung. An Ruhe war nicht mehr zu denken. Alle Bergsteiger, die die Nacht hier verbracht hatten, schienen sich synchron zu bewegen. Die Berghütte war wie ein Organismus, der langsam erwachte.
Justine ging schweigend neben Kati her in Richtung Waschraum. Eine Fünfergruppe Bergsteiger, die schon Klettergurte angelegt hatten, kam ihnen von unten entgegen, waren offensichtlich noch etwas eher aufgestanden als Kati und ihre Gruppe und hatten schon gefrühstückt.
»Das Wasser ist ja eisig!« Justines Hand zuckte vor dem kalten Wasserstrahl zurück. Sie kam aus Ingolstadt, würde heute ihre erste Hochtour erleben.
Kati lachte. »Das weckt dich auf. Das ist Absicht.«
»Echt?« Justine schaute Kati aus großen Augen an.
»Nein, das war ein Scherz. Auf einer Berghütte kannst du nicht so viel Luxus erwarten. Das Frühstück gleich wird auch sehr einfach.«
Vorsichtig hielt Justine ihre Hand unter das kalte Wasser. Dieses Mal zuckte sie nicht zurück, sondern spritzte sich das kalte Nass in ihr Gesicht, das am Vortag schon ordentlich Farbe abbekommen hatte. Anschließend band sie sich die langen blonden Haare zu einem Pferdeschwanz.
»Ich hab so einen Hunger, mir reicht Brot und Marmelade«, meinte sie. »Der Aufstieg gestern war ja nicht ohne.«
»Ich weiß, ja. Aber dafür auch ein Abenteuer.« Kati empfand es als ihre Aufgabe, stets das Positive hervorzuheben. Auf den Berg zu gehen war oft strapaziös, wenn es über einfache Wanderungen hinausging, aber die Ausblicke und die Naturerfahrung waren jede Mühe wert, jedenfalls aus Katis Sicht.
Der Aufstieg zur Kürsingerhütte, wo sie übernachtet hatten, erfolgte über einen leichten Klettersteig, seit der übliche Weg wegen massiver Steinschlaggefahr geschlossen worden war. Diese Tour war die fünfte Tour auf den Venediger, die Kati leitete, und die...
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