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»Kreuzfahrt ist sexy geworden«, freute sich 2015, ein Jahr bevor die Erstausgabe dieser »Gebrauchsanweisung« erschien, der damalige CEO von Hapag-Lloyd Cruises Karl J. Pojer. Das Passagieraufkommen hatte sich fast verzehnfacht seit dem Jahr 1993, in dem gerade einmal 183 000 Deutsche eine mehrtägige Seereise mit Rundumversorgung gebucht hatten. Vier Jahre später, also 2019, waren es dann bereits rund 2,5 Millionen. Weltweit gingen fast 30 Millionen auf Kreuzfahrt, die Branche beschäftigte mehr als eine Million Menschen, machte einen Umsatz von 47 Milliarden US-Dollar, und der Boom schien kein Ende zu nehmen. Zugleich aber wurde - und wird - über weniges derart leidenschaftlich gestritten. Für die einen sind Kreuzfahrten die komfortabelste Weise, die Welt zu entdecken. Andere sehen sie nicht als authentische Reiseerfahrung, sondern als oberflächliches Vergnügen mit Fast-Food-Landgängen, als Abhaken vieler Reiseziele in kurzer Zeit. Und so mancher Kreuzfahrt-Basher scheut nicht einmal davor zurück, diesen »kontrollierten Massentourismus« als »eine Erscheinungsform des Faschismus« zu bezeichnen.
Gemeinsam haben Kreuzfahrtfans und -gegner allein ihre minimale Ambiguitätstoleranz, und es gibt wohl kaum jemanden, der nicht beschimpft oder sogar »entfreundet« worden ist, weil er sich in den Sozialmedien als Cruiser geoutet hat. Dabei wäre eine konstruktive Diskussion über branchenrelevante Themen wie ressourcenschonende Technologien, Übertourismus und humanere Arbeitskonditionen, die nicht gleich die Reiseform per se verteufelt, weiß Gott wünschenswert.
Nachdem im Februar 2020 der größte Covid-19-Ausbruch außerhalb des chinesischen Festlands ausgerechnet auf dem Kreuzfahrtschiff Diamond Princess stattgefunden hatte - der WHO wurden über siebenhundert Infizierte an Bord gemeldet, von denen mehr als zehn starben -, schlossen weltweit Länder ihre Grenzen. Tausende wurden auf Schiffen unter Quarantäne gestellt, während man verzweifelt einen Hafen zum Anlegen suchte. Die große Freiheit auf See mutierte zum klaustrophobischen Albtraum. Rund 800 deutsche Gäste der Artania wurden aus Australien ausgeflogen, damit sie die auferlegte Quarantäne zu Hause verbringen konnten. Der von der brasilianischen Gesundheitsbehörde für virusfrei erklärten Amera verweigerte man die Ausschiffung in Manaus, alle 568 Passagiere mussten per Schiff nach Deutschland zurück: 18 Tage ohne Landgang, ohne Warenaufnahme und Müllabgabe.
In der Bundesrepublik sank das Passagiervolumen gegenüber 2019 um 79,5 Prozent. Nahezu alle Kreuzfahrtschiffe dümpelten zeitweise auf Reede oder in einem Hafen vor sich hin und verursachten Kosten, ohne Einnahmen zu generieren. Die Anbieter schrieben tiefrote Zahlen. Während Stammfahrende unter Entzugserscheinungen litten, stimmten Umweltaktivistinnen und -aktivisten bei jedem Schiff, das verschrottet wurde, Freudengesänge an und hätten am liebsten gesehen, dass die lahmgelegte Kreuzfahrt für immer eingestellt werde, doch war diese, kaum schien die Pandemie vorüber, wieder das am schnellsten wachsende Segment der Reisebranche. Die Monate Januar und Februar 2023 wurden für die deutschen Marktführer TUI Cruises und AIDA Cruises die bis dato buchungsstärksten in der Unternehmensgeschichte. Kreuzfahrt ist für viele nach wie vor sexy.
Und wer hat's erfunden? Nein, für einmal nicht die Schweizer. Nicht die Reederei Noah & Söhne, die vor viereinhalbtausend Jahren eine unkomfortable 375-tägige Jungfernfahrt ohne Landausflüge veranstaltete. Nicht der König von Ithaka, dessen Odyssee durchs Mittelmeer denkbar unentspannt war. Und nicht Papst Urban II., der 1095 die ersten Kreuzfahrer der Geschichte zum Eroberungstrip animierte. Es war der 1857 in Hamburg geborene Sohn eines aus Dänemark eingewanderten Juden: Albert Ballin, Vorstandsmitglied der 1847 gegründeten Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft, kurz Hapag.
Weil die Hapag-Transatlantikdampfer in den stürmischen Herbst- und Wintermonaten schlecht ausgelastet und damit unrentabel waren, kam er 1890 auf die Idee, eine Reise anzubieten, die nicht der Beförderung, sondern der Erholung und der Bildung dienen sollte: eine »Exkursion nach Italien und dem Orient« mit gut organisierten Landausflügen in verschiedenen Häfen - der Begriff »Kreuzfahrt«, hergeleitet vom Kreuzen, dem Hin- und Herfahren zwischen den Häfen, kam in Deutschland erst 1928 auf und wurde ab den 1950er-Jahren populär. Wilhelm II. höchstpersönlich verabschiedete am 22. Januar 1891 in Cuxhaven das Hapag-Flaggschiff Augusta Victoria. Dass die Kaisergattin eigentlich Auguste Victoria hieß, war keinem der Verantwortlichen aufgefallen; 1897 wurde der Irrtum stillschweigend berichtigt. An Bord des 1888 in Dienst gestellten, 144,80 Meter langen und 16,62 Meter breiten Doppelschrauben-Schnelldampfers befanden sich 241 »kühne Passagiere«, wie Albert Ballin sie nannte, aus dem In- und Ausland, darunter 67 Damen vornehmlich aus England - in Deutschland galten längere Touren damals als körperlich und geistig zu anspruchsvoll für Frauen. Bezahlt hatten die elitären Gäste für die Reise zwischen 1600 und 2400 Goldmark, das doppelte bis dreifache Jahreseinkommen eines Arbeiterhaushalts. Umsorgt wurden sie von 245 Crewmitgliedern, auf den ersten Blick ein luxuriöses Passagier-Crew-Verhältnis, doch über die Hälfte der Besatzungsmitglieder arbeitete als Maschinisten, Heizer oder Kohlenzieher. Überhaupt hielt sich, gemessen am heutigen Standard, der Komfort in Grenzen. Sechs Quadratmeter maßen die in der Regel mit zwei Passagieren belegten Kabinen der ersten Klasse. Bäder und Toiletten waren Gemeinschaftseinrichtungen.
Über Southampton, Gibraltar und Genua fuhr die Augusta Victoria nach Alexandria, wo den Gästen fünf Tage blieben, Kairo und die Pyramiden zu besichtigen. Von Jaffa aus besuchte man Jerusalem, von Beirut aus erkundete man Damaskus. In Konstantinopel machte der türkische Sultan seine Aufwartung, in Piräus wurde das Schiff auf Anordnung des griechischen Königs mit 15 Schuss Salut begrüßt. Über Malta, Palermo, Neapel, Lissabon und Southampton kehrte man nach exakt 57 Tagen, 11 Stunden und 3 Minuten zurück nach Cuxhaven.
Nach zwei ähnlichen Reisen lief die Augusta Victoria 1894 zur ersten Nordlandreise aus, 1896 ging ihr Schwesterschiff Columbia auf »Westindien«-Fahrt. »Der Comfort und die Eleganz, die auf den Schiffen zur Geltung gebracht sind, stellen Alles in den Schatten, was bisher auf Oceanschiffen geleistet wurde. Die großen und prächtigen Salons, Damen-, Musik- und Rauchzimmer u. s. w. sind im reichsten Style ausgestattet worden; die besten Künstler wurden herangezogen, sie durch Gemälde, Schnitzereien und Decorationen zu schmücken«, warb man vollmundig und reklamierte stolz »die Abwesenheit schlechter Dünste und lästigen Geräusches«. Die Vergnügungsreisen wurden neben dem Linienverkehr zum unverzichtbaren Bestandteil des Hapag-Angebots, und 1900 lief mit der 192 Passagiere fassenden Prinzessin Victoria Luise, benannt nach der einzigen Tochter des Kaisers, das erste eigens für Kreuzfahrten gebaute Luxusschiff vom Stapel, mit großzügigen Gesellschaftsräumen, einer »Halle für schwedische Heilgymnastik« und sogar einer »Dunkelkammer für Amateur-Photographen«. Die Betten standen in den sechs bis zwölf Quadratmeter großen Kabinen nicht mehr wie üblich übereinander, sondern einander gegenüber; über ein eigenes Bad und WC verfügten allerdings nur die beiden Suiten. 1906 setzte Kapitän Brunswig die »Lustyacht« an der jamaikanischen Küste auf eine Sandbank, suchte seine Kabine auf und erschoss sich, die Passagiere konnten samt Gepäck an Land gebracht werden.
Der Begeisterung für die Kreuzfahrt tat dies keinen Abbruch, und Hapag, seit 1970 mit dem Norddeutschen Lloyd fusioniert, veranstaltet nach wie vor Luxusreisen - genauer gesagt: Hapag-Lloyd Cruises, seit 2020 eine Marke von TUI Cruises, eines Joint Ventures der TUI und der Royal Caribbean Group. Andere Veranstalter bedienen, wie es im Jargon der Branche heißt, den Volumenmarkt. Längst ist die Kreuzfahrt keine Extravaganz mehr für eine betuchte und betagte Klientel, die elitäre Urlaubsform hat sich zum Massenphänomen entwickelt. Schon in den 1960er-Jahren, als der interkontinentale Flugverkehr die transatlantischen Schiffspassagen ablöste, boten Reedereien Fahrten in sonnige Gefilde an, die sich...
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