Schweitzer Fachinformationen
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«Ich verlasse dich.»
Habe ich das wirklich gerade gesagt? Erschrocken über meine eigene Stimme, die mir da aus der Spülmaschine entgegenhallt, stelle ich mein Glas in den Geschirrkorb und richte mich langsam auf. Reglos starrt Olaf in seine Zeitung. Vielleicht habe ich mir auch nur gewünscht, es gesagt zu haben. Oder ich habe laut gedacht, und die Worte sind mir leise herausgerutscht. Ich bin schon ganz durcheinander. Kein Wunder nach der vierten schlaflosen Nacht in Folge, die ich von Olafs und Günthers Schnarchkonzert wach gehalten wurde. Wie eine Rotte Wildschweine auf der Flucht grunzen die beiden seit Wochen neben mir nachts um die Wette.
Um halb elf bin ich ins Bett gegangen, nachdem ich mir sorgfältig das Gesicht gereinigt, mich über Falten geärgert und viel Anti-Falten-Nachtcreme mit Q10 und Hyaluronsäure aufgetragen habe. Teures Zeug - mäßiger Effekt. Aber trotz der vermeintlich geistigen Reife einer Frau Ende vierzig hoffe ich jeden Abend völlig irrational, am nächsten Morgen faltenfrei und rundum erneuert frisch wie eine Zwanzigjährige vor den Spiegel zu treten. Und jeden Morgen bin ich bitter enttäuscht. Werbung lügt! Weiß ich doch. Aber wenn ich jetzt den Glauben an mich selbst verliere und mich aufgebe, lasse ich dem Altersprozess freien Lauf und habe bald noch schneller noch mehr Falten. Das muss nicht sein.
Nachdem ich also gegen halb elf mit flauschigen Wohlfühl-Socken und einem karierten Baumwollpyjama unter die Bettdecke gekrochen bin, bis nur noch Augen und Nase Kontakt zur Außenwelt hatten, dauerte es nicht lange, bis meine Gedanken unkontrolliert durcheinanderwirbelten und ich langsam wegdämmerte. Doch während ich mich vom Schlaf sanft davontragen ließ, öffnete Olaf die Tür und ein kurzes Oh! entwich ihm.
Es ist jeden Abend das gleiche scheinheilige Oh!, das mich aus meiner wohlig-weichen Übergangsphase ins Reich der Träume wie an einem Bungeeseil in den Wachzustand zurückkatapultiert. Ich glaube ihm ja, dass er es nicht mit Absicht macht, aber es ändert nichts an den Folgen: Habe ich den ersten Zug ins Schlummerland verpasst, bleibe ich ewig wach. Olaf weiß das, und trotzdem rutscht es ihm immer wieder heraus - das blöde, überraschte Oh!.
Seit vier Jahren gehe ich immer zur gleichen Zeit zu Bett - seit meinem 44. Geburtstag. Damals hatte ich beschlossen, massiv gegen das Altern vorzugehen, nachdem ich bei meiner Kosmetikerin einen Artikel über Schönheitsschlaf gelesen hatte und seitdem wusste, wie wichtig der bei Frauen ab vierzig ist. Seither gönne ich mir den Schlaf vor Mitternacht und gebe mir Mühe, mindestens sieben Stunden am Stück zu schlafen. Außerdem habe ich mir angewöhnt, auf dem Rücken zu schlafen, weil dadurch angeblich die Lymphdrainage im Gesicht angeregt wird. Tom Cruise schlafe seit Jahren so, hieß es in dem Artikel, was mich anfangs beeindruckte, dann aber stutzig machte. Schließlich gehört Tom Cruise zu den Scientologen, die dafür bekannt sind, andere Menschen zu manipulieren. Bin ich also schon ein Opfer von Scientology, weil ich wie Tom Cruise auf dem Rücken schlafe? Fakt ist, dass ich in der Rückenposition besser einschlafe als auf der Seite.
Den Seitenschlaf hatte ich mir vor 22 Jahren durch Olaf angewöhnt. Schuld war die Löffelchenstellung. Sogar meine Kosmetikerin sah mir an, dass ich zu viel auf der linken Seite geschlafen hatte - an den ausgeprägten Falten unterm linken Auge. Ich war alarmiert. Kurzerhand wechselte ich die Kosmetikerin und dank ihr und Tom Cruise' Manipulation auch die Schlafposition.
Olaf nahm das widerwillig hin, konnte sich aber nicht wirklich damit abfinden. Für ihn war ohne das Löffelchenritual vor dem Einschlafen ein hohes Maß an Lebensqualität weggebrochen. Er fühlte sich verraten. Vor Tom Cruise' Einmischung in unsere Beziehung war die Welt für Olaf noch in Ordnung. Seitdem boykottiert mein Mann sämtliche Filme mit Tom Cruise und behauptet außerdem, dass ich schnarche, seit ich auf dem Rücken schlafe, was absoluter Blödsinn ist. Das sagt er nur, um sich zu rächen, denn seit der Tom-Cruise-Affäre schlafen wir nicht nur selten miteinander ein, sondern gehen sogar in Etappen zu Bett.
Aus Rache holte sich mein Mann vorletztes Jahr Verstärkung ins Bett: unseren Mops Günther. Nachdem ich mit meinen Schülern ein paar Tage auf Klassenfahrt gewesen war, behauptete Olaf, Günni hätte sich eine Erkältung geholt und brauche alle zwei Stunden seine Medizin. Wer's glaubt.
Seitdem liegt nun also Günni regelmäßig zwischen Olaf und mir im Bett und grunzt. Ich bin absolut gegen jede Art der Tierhaltung im Schlafzimmer. Aber Günni ist hartnäckig und klein, und ich bin schwach. In der Schule muss ich schon genug schimpfen und durchgreifen, da brauche ich zu Hause keinen Autoritätsstress mehr. Und Günther ist ja auch nur ein Mops und keine Dänische Dogge.
Gestern Abend tat ich, wie so oft, als hätte ich Olafs überraschtes Oh! nicht bemerkt, und gab mich schlafend, als er und Günther ins Schlafzimmer kamen. Leise legte sich Olaf auf seine Bettseite, aber da war ich bereits wach. Hellwach. Und da dämmerte mir die wahre Bedeutung dieses monströsen Wortes: Hier ging es nicht um Helligkeit, die Licht ins Dunkel einer schlaftrunkenen Seele brachte. Nein! Es war ein bösartiger Anglizismus: hell wie Hölle!
Fast jeden Abend hoffe ich, schon in eine tiefere Schlafphase vorgedrungen zu sein, bevor Olaf ins Schlafzimmer kommt und Oh! sagt. Oft dreht er sich im Bett sogar noch zu mir, um mir ein liebevolles Schlaf gut ins Ohr zu hauchen, als wüsste er ganz genau, dass ich hellwach bin, bevor er selbst innerhalb weniger Sekunden gleichmäßig atmend in einen komatösen Tiefschlaf sinkt, aus dem er erst wieder nach frühestens acht Stunden erwacht. Das ist so ungerecht! Und wieder einmal wird mir klar: Ignoranz und Egoismus haben in einer Zweierbeziehung noch weniger zu suchen als ein im Bett schnarchender Mops namens Günther.
Ich lag letzte Nacht also mal wieder wach und steigerte mich in meine Angst, zu wenig Schlaf zu bekommen. Außerdem schwirrten mir plötzlich tausend Dinge durch den Kopf, die ich erledigen musste. Alles schien alarmierend wichtig. Mir fiel ein, dass ich die letzte Tierarztrechnung noch nicht überwiesen hatte und dass ich dringend die letzten Noten für die Zeugniskonferenz vor den Sommerferien eintragen musste. Ich musste noch ein Geschenk zu Olafs 50. besorgen und den Nachbarn mitteilen, dass wir in zwei Wochen Urlaub machten, damit sie sich um die Pflanzen kümmerten. Außerdem musste ich mein Fahrrad von der Reparatur abholen und die Zeitung abbestellen, Olafs Hemden aus der Reinigung holen, Hundefutter beim Onlinehändler bestellen, mich um ein Abi-Geschenk für Ella kümmern, die Steuer für letztes Jahr machen und einen Tisch zu unserem 20. Hochzeitstag reservieren und und und . Wie böse Geister sprangen Termine und Sorgen in mir herum und verursachten mir Herzrasen. Ich wurde gepackt von einem Adrenalinschub, der mich nicht zur Ruhe kommen ließ.
Gegen vier Uhr begannen dann die Vögel zu zwitschern, was weitere Panikschübe in mir auslöste. Ich kannte das schon - diese beängstigende innere Unruhe - mein persönliches Morgengrauen in der Wolfsstunde, wenn der Körper ständig einen Angriff wittert und bereit ist zur Flucht. Die Vögel wurden immer lauter, der Tag immer heller. Die Nacht war vorbei. Erschöpft vom vielen Sorgenmachen und Angsthaben war ich dann gegen halb fünf doch noch eingeschlafen, nur um eineinhalb Stunden später vom Wecker aus dem Schlaf gerissen zu werden - völlig gerädert und erschlagen. Aber dafür spürte ich keine Panik mehr. Meine Angst, der Stress und die Wut auf Olaf waren wie weggeblasen. Der Morgen verlief nach Plan.
Während Olaf mit Günni Gassi ging, machte ich Kaffee und Frühstück. Ella stand erst später auf, denn seit sie Abi gemacht hat, schlägt sie sich die Nächte um die Ohren. Beim Frühstück folgte dann die übliche Routine: Kaffee, Brötchen, Zeitung, wenig Worte.
«Gut geschlafen, Schatz?», fragte Olaf, ohne von der Zeitung aufzuschauen.
«Nein», sagte ich und schenkte mir Saft nach.
«Prima», antwortete Olaf ohne jede Anteilnahme. Seit wir auf den Hund gekommen sind, kommentiert Olaf vieles mit Prima!, ganz gleich, ob er mit dem Mops, dem Paketboten, unserer Tochter oder mit mir redet. So hat er's in der Hundeschule gelernt, und Günther wedelt dann auch tatsächlich jedes Mal mit dem Schwanz. Ich nicht.
«Später bin ich noch mit Matti verabredet.»
«Hmm .», brummte Olaf und blätterte die Seite um, ohne den Blick zu heben, während er mit der anderen Hand seine Kaffeetasse zum Mund führte. Eine Meisterleistung der Koordination. Wieder einmal wurde mir klar, dass unsere Ehe nur noch aus Alltagsroutine bestand. Ich trank meinen Orangensaft aus, stand auf und verschwand in der Spülmaschine, um das Glas einzuordnen.
Überrascht von meinen eigenen Worten, lehne ich nun schon geraume Zeit an der Küchenzeile und mustere meinen Mann. Eigentlich ist Olaf nämlich gar nicht so übel. Im Gegensatz zu anderen Männern mit fast fünfzig hat er nur einen kleinen Bierbauch. Die Glatze ist gewollt, weil er die sich abzeichnende Tonsur auf seinem Hinterkopf als Demütigung empfand. Genauso wie die Blicke seiner achtzehnjährigen Tochter, die ihm einredete, dass ein rasierter Kopf cooler sei als ein Opa-Haarkranz. Ich mag Olafs Lachfalten...
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