Schweitzer Fachinformationen
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Die Rechtspsychologie ist ein faszinierendes Feld: Sowohl in der forensischen Psychologie als auch in der Kriminalpsychologie geht es darum, psychologische Theorien, Methoden und Erkenntnisse auf die umfangreichen Fragestellungen des Rechtswesens anzuwenden. Die Rechtspsychologie stellt somit ihr psychologisches Fachwissen der Gesellschaft zur Verfügung. Das Fach umfasst empirische Grundlagenforschung ebenso wie Diagnostik und Behandlung (etwa im forensischen Kontext). Es gibt zahlreiche interdisziplinäre Schnittstellen u.a. zur Sozialpsychologie, Medizin und natürlich zum Rechtswesen.
Das umfassende Lehrbuch zur Rechtspsychologie behandelt folgende Themenbereiche:
Entwicklung und Gegenstandsbestimmung der Rechtspsychologie
Ätiologische Modelle der Devianz und Delinquenz
Polizeipsychologie/Viktimologie
Psychologie der Gerichtsverhandlung und außergerichtlichen Konfliktregelung
Forensisch-psychologische Begutachtung
Kriminalprävention
Straftäterbehandlung und Resozialisierung
Für die zweite Auflage wurden alle Texte überarbeitet. Neu hinzugekommen sind die Kapitel:
Entwicklungskriminologische Ansätze
Radikalisierung und Extremismus
Interkulturelle Aspekte der Rechtspsychologie
Einführung in die Gerichtsbarkeit
Glaubhaftigkeitsbegutachtung im Asylrecht
Vollzugslockerungen und Lockerungsprognosen
Übergangsmanagement und postmurales Risikomanagement
Thomas Bliesener und Friedrich Lösel
Die Rechtspsychologie (im englischen Sprachraum "psychology and law" oder "legal psychology") umfasst "alle Anwendungen psychologischer Theorien, Methoden und Ergebnisse auf Probleme des Rechts" (Lösel & Bender, 1993, S. 590). Insbesondere seit der Monografie von Toch (1961) wird sie als eigenständiger Bereich der Angewandten Psychologie verstanden. Unter dem Oberbegriff der Rechtspsychologie werden Fragestellungen und Arbeiten oft in die beiden Kernbereiche der Forensischen Psychologie und der Kriminalpsychologie eingeteilt (vgl. z.?B. Marbe, 1913, S. 22). Dabei befasst sich die Kriminalpsychologie im Wesentlichen mit der Beschreibung, Erklärung, Prognose, Prävention und Rehabilitation kriminellen oder - allgemeiner formuliert - dissozialen Verhaltens (vgl. Suhling & Greve, 2010). Die zentralen Themen der Forensischen Psychologie sind dagegen im Wesentlichen psychologische Fragestellungen, die sich in den verschiedenen Rechtsgebieten im Rahmen von Gerichtsverhandlungen oder verwaltungsrechtlichen Entscheidungen ergeben (Wegener, 1981).
Die Abgrenzung dieser beiden Teilbereiche und ihr Verhältnis zueinander wurden lange Zeit unterschiedlich aufgefasst. Noch Grossmann ordnete die Forensische Psychologie zusammen mit der Strafvollzugs- und der Polizeipsychologie der Kriminalpsychologie unter (Grossmann, 1971, S. 114), während Liebel und von Uslar (1975, S. 30) in der Forensischen und der Kriminalpsychologie eigenständige und gleichrangige Teilgebiete der Angewandten Psychologie sahen. Aus heutiger Sicht erscheint eine klare Trennung beider Bereiche angesichts der stetig zunehmenden Diversifizierung der Rechtspsychologie in weitere Themenfelder (z.?B. Familienrecht, Asylrecht, Gerechtigkeitserleben, Opferschutz oder Polizeipsychologie) kaum noch angemessen. Eine eindeutige Aufteilung wird auch dadurch erschwert, dass sich einige rechtspsychologische Fragestellungen nicht hinreichend eindeutig nur einem der beiden traditionellen Bereiche zuordnen lassen (z.?B. Gutachten zur Kriminalprognose). Auch aus diesen Gründen findet seit etwa Mitte der 1970er-Jahre im deutschen Sprachraum vermehrt der Begriff "Rechtspsychologie" Verwendung, um die Anwendungsgebiete der Psychologie zu beschreiben, die im Wesentlichen von der Forensischen und der Kriminalpsychologie geprägt werden (Haisch & Sporer, 1983; Lösel, 1989).
Die Beschäftigung der wissenschaftlichen Psychologie mit Fragestellungen der Rechtspsychologie war oft anlassbezogen. Die einschlägige empirische Forschung wurde überwiegend von Psychologen betrieben, die sich eher zeitweilig - z.?B. aus Anlass eines Begutachtungsauftrags - mit rechtspsychologischen Fragen befassten. Die kontinuierliche Forschung an rechtspsychologischen Fragestellungen ist demgegenüber ein relativ neues Phänomen (Crombag, 1989).
Historisch haben die beiden Kernbereiche der Rechtspsychologie unterschiedliche Ursprünge. Während die Forensische Psychologie aus der Anwendung experimenteller psychologischer Erkenntnisse auf die Rechtsprechung hervorgegangen ist, hat die Kriminalpsychologie als der Teilbereich der Psychologie, der sich mit der Persönlichkeit, den psychischen Prozessen und situativen Umständen von Straftätern vor, während und nach der Tat beschäftigt, ihren Ursprung in der "Erfahrungsseelenlehre" des "Verbrechers" (vgl. Greve, 2004). Der 1768 in Husum geborene Philosoph und Lehrer am Pädagogikum in Halle Johann Christian Gottlieb Schaumann veröffentlichte 1792 seine "Ideen zu einer Criminalpsychologie" und führte damit den Begriff in den wissenschaftlichen Diskurs ein (Schaumann, 1792). Wenngleich die Psychologie als eigenständige Wissenschaft zu der damaligen Zeit noch nicht existierte, entwickelte Schaumann in fünf veröffentlichten Briefen eine Konzeption zum Begriff, Zweck, Nutzen, zur Methode und Systematik der "Criminalpsychologie". Obwohl auch Heinroth (1833) einige Jahre später den Begriff der "Criminal-Psychologie" im Titel seiner Schrift führte und in den folgenden Jahren weitere Arbeiten zur "Criminalpsychologie" erschienen (Greve, 2004), setzte sich die Bezeichnung für das Forschungsfeld nicht durch. Stattdessen wurden kriminalpsychologische Untersuchungen und Fragestellungen der Kriminologie zugeordnet.
Als Begründer der Kriminologie gelten der Mailänder Jurist Beccaria (1738-1794) und der Turiner Arzt Lombroso (1835-1909; vgl. Schwind, 2002). Während Beccaria als ein erster Vertreter einer modernen und wissenschaftlich orientierten Kriminalpolitik betrachtet werden kann (Bliesener & Thomas, 2012), vertrat Lombroso 1887 die These, dass Verbrecher an äußeren Merkmalen ("stigmata") erkennbar sind, und prüfte diese Annahme durch umfangreiche empirisch-biometrische Studien.1 Der Begriff "Kriminologie" i.?S. eines abgegrenzten Wissenschaftsgebiets geht allerdings auf den Italiener Garofalo zurück, der im Jahr 1885 seine Monografie Criminologia veröffentlichte (vgl. Schwind, 2002).
Am zeitweilig mehr oder weniger großen Verlust eines abgegrenzten eigenständigen Bereichs der Kriminalpsychologie zugunsten der Kriminologie änderte auch nichts, dass 1872 Krafft-Ebing seine Grundzüge der Criminalpsychologie veröffentlichte, in denen er auf der Grundlage des Strafgesetzbuchs des Deutschen Reiches auf die Entwicklung und Bedingungen der Zurechnungsfähigkeit von Angeklagten und Zeugen einging (Krafft-Ebing, 1872). Wenige Jahre später gab Gross (1898) ein Übersichtswerk zur "Criminalpsychologie" heraus, das sich zum einen mit der "psychischen Thätigkeit des Richters" und zum anderen mit der "psychischen Thätigkeit des Vernommenen" beschäftigte. Mit dieser thematischen Ausrichtung können beide Arbeiten eher als Frühwerke der Forensischen Psychologie betrachtet werden. Für die uneinheitliche Entwicklung der Kriminalpsychologie mag mitverantwortlich sein, dass sie bereits damals als ein interdisziplinärer Wissenschaftsbereich betrachtet wurde, in dem sich Juristen, Philosophen, Psychologen und Psychiater aus ihrer jeweiligen Perspektive mit den Erklärungen und Umständen der Kriminalität beschäftigten.
Als sich die Psychologie als eigenständige Disziplin etablierte, war die Kriminalpsychologie in 1904 auf dem ersten Kongress der Gesellschaft für experimentelle Psychologie (später Deutsche Gesellschaft für Psychologie) eines von elf Themen. Wenngleich sich die Kriminalpsychologie heute besonders mit den psychologischen Fragen und Problemen der Erklä|27|rung, Prognose, Prävention und Intervention von dissozialem (sozial inakzeptablem) Verhalten befasst (Lösel & Bender, 1993), hat sie ihren interdisziplinären Charakter mit engen Verknüpfungen zur Rechtswissenschaft, Kriminologie, Kriminalistik, Psychiatrie, Soziologie und anderen Disziplinen erhalten (Bliesener & Köhnken, 2005).
William Stern war der erste Psychologe, der von einem Gericht als Gutachter hinzugezogen wurde (Mülberger, 1996). Ein Novum war aber auch, dass es in diesem Fall zur Anhörung eines jugendlichen Zeugen in einem Missbrauchsprozess kam, denn die Zeugnisfähigkeit von Kindern, Jugendlichen und auch Frauen galt zur damaligen Zeit als höchst fragwürdig. Diese Haltung fand bspw. in der Arbeit von Möbius (1900) "Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes" ihre scheinbare wissenschaftliche Begründung. Im Jahr 1903 gründete Stern die Zeitschrift Beiträge zur Psychologie der Aussage, in der schwerpunktmäßig die Problematik der Zeugenaussagen von Kindern und Jugendlichen in Missbrauchsfällen behandelt wurde (Kühne, 1988). Dort wurde bereits eine Simulationsstudie aus dem kriminalistischen Seminar der Universität Berlin berichtet, in der die Seminarteilnehmer Zeugen einer gestellten Attacke geworden und anschließend zu diesem Vorfall befragt worden waren (Jaffa, 1903). Erstmals wurde hier auch der Einfluss nachträglicher irreführender Informationen durch einen vermeintlichen Zeitungsbericht über den Vorfall auf die Aussage untersucht, ohne dass jedoch die Bedeutsamkeit dieser Fehlerquelle hinreichend deutlich gemacht wurde.
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