Schweitzer Fachinformationen
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Es war kurz vor fünf. Die Schlinge um meinen Hals zog sich erbarmungslos zusammen. Zentimeter um Zentimeter. Ich bekam kaum noch Luft, meine Lungen brannten wie Feuer, jeder Atemzug wurde zur Qual, während mein Brustkorb zu platzen drohte. »Hilfe!«, röchelte ich mit letzter Kraft, doch die dicken grünen Stränge gaben keinen Millimeter nach. So fühlte es sich also an, wenn man starb. Vor meinen Augen zogen trübe Schlieren vorüber, das Herz machte panisch ein paar holprige Sprünge, die Muskeln begannen schmerzhaft zu krampfen, nur mein Verstand wehrte sich bis zum Schluss. Ersticken schien mir definitiv kein schöner Tod zu sein, weder für einen selbst noch für die Hinterbliebenen.
Schließlich war eine Leiche im Gemüsebeet schon aufsehenerregend genug, doch wenn es sich dabei auch noch um eine bekannte Krimiautorin und Giftpflanzenexpertin handelte, die im geblümten Flanellpyjama mit grotesk verzerrten Zügen, weit aufgerissenem Mund und einer Frisur wie Struwwelpeter tot zwischen den Salatköpfen lag, würde das mehr Staub aufwirbeln als Sturmtief Zoltan. Eine furchtbar peinliche Vorstellung. Ich wollte keinesfalls als Titelbild der Skandalpresse enden. Nicht jetzt und nicht in zwanzig Jahren. Wenn schon sterben, dann umweht von einer Aura brennender Leidenschaft, im kleinen Schwarzen, frisch vom Friseur und auf Rosen in meine Hängematte gebettet. Oder zumindest nach einer Überdosis Safran rundum entspannt und heiter ins Gras beißen. In dem Fall schied man unter Lachanfällen und erotischen Wahnvorstellungen aus dem Leben, was bestimmt angenehmer war, als von einer banalen Bohnenranke erwürgt zu werden.
Noch einmal versuchte ich, die mörderische Schlinge um meinen Hals zu lockern, aber gegen die Kraft von Feuerbohnen hatte ich keine Chance. Für den Weltmeister im Gewichtheben war sogar ich mit meinen doch recht barocken Formen ein Leichtgewicht. Immerhin hatten diese Hülsenfrüchte in einem spektakulären Versuch bewiesen, 600 Kilo stemmen zu können, während ich schon schlapp machte, wenn ich einen Zwanziglitersack Blumenerde in die Schubkarre hieven musste.
»Warum?«, konnte ich gerade noch krächzen, dann starb ich.
Zum Glück währte mein Tod nicht allzu lange. Bereits wenige Minuten später verhalf mir mein schwarzer Kater zu einer veritablen Auferstehung. Mit lautem Schnurren und kräftigen Milchtritten in den Unterbauch katapultierte er mich aus diesem botanischen Albtraum in die Wirklichkeit meines Schlafzimmers zurück. Ich lag im Bett, nicht im Gemüsebeet, hatte alles nur geträumt. Um mich herum sah es aus wie immer. Die Wände schimmerten in blassem Burgunderrot, auf der Biedermeierkommode lag eine feine Staubschicht, die Pendeluhr tickte leise vor sich hin, und wenn mich der wieder mal bedenklich hohe Bücherstapel auf dem Nachttisch nicht unter sich begrub, war ich meines Lebens hier absolut sicher.
»Danke«, flüsterte ich und kraulte dem Kater zärtlich den Kopf. »Dafür hast du dir eine doppelte Portion feinste Kabeljauhäppchen in cremiger Soße verdient.« Vorsichtig setzte ich meinen tierischen Retter auf ein Kissen, erhob mich beschwingt, nahezu euphorisch, und rannte Richtung Badezimmer. Meine mit abendlichen anderthalb Litern Kräutertee gefüllte Blase hatte doch ziemlich heftig gegen diesen morgendlichen Liebesbeweis protestiert, aber besser ein kurzer Blasendruck als ein langer Albdruck.
Eine knappe Stunde später betrat ich frisch geduscht und vollständig bekleidet meinen Garten. Die Sonne schien, die Amseln zwitscherten, der Himmel versprach einen strahlend schönen Tag, doch mir saß das Morgengrauen mit Bohne immer noch in den Knochen.
Mit weichen Knien ließ ich mich auf einen Schaukelstuhl fallen und betrachtete mein üppig blühendes Reich. Fast zehn Jahre und das Äquivalent eines durchschnittlichen Botanikstudiums hatte es mich gekostet, hier im Süden Österreichs Hunderten teils sehr seltenen Gewächsen in meinem Lehrgarten ein Zuhause zu geben. Vom Adonisröschen bis zur Zaunrübe kultivierte ich alles, was historisch bedeutsam, dekorativ und tödlich war. Als literarische Giftmischerin wollte ich die Protagonisten meiner Geschichten vollzählig um mich versammelt wissen, um mich von ihnen inspirieren zu lassen. Stattdessen fühlte ich mich nun beinahe ein wenig bedroht.
»Blumen sind die Liebesgedanken der Natur«, hatte Bettina von Arnim einst behauptet, aber nach meinem heutigen Albtraum war ich mir da nicht mehr so sicher. Konnte es tatsächlich sein, dass mich die Schwarzäugige Susanne in Wahrheit feindselig anstarrte? Vernahm ich da nicht ein leises Knurren von den Löwenmäulchen? Fletschte das Bilsenkraut etwa seine Staubbeutel, und was war mit den Sonnenblumen los? Die sahen aus, als hätten sie sich vorsätzlich von mir abgewandt. Bei näherer Betrachtung gewann ich sogar den Eindruck, dass Bobbie James, die herrlich duftende weiße Ramblerrose, über Nacht doppelt so große Stacheln bekommen hatte. Botanisch betrachtet haben Rosen tatsächlich Stacheln, Kakteen hingegen Dornen.
Beunruhigt nippte ich an meinem Kaffee.
»Alles in Ordnung?« Mein Mann war mit der Zeitung an den Tisch getreten. Da ich normalerweise erst schlafen ging, wenn er bereits aufstand, hatten wir getrennte Schlafzimmer.
»Klar.« Ich heuchelte maximale Gleichgültigkeit. »Warum fragst du?«
»Du hast Kaffee verschüttet, weil deine Hand zittert. Du fixierst diese Zwergtulpen, als würden sie dich gleich beißen. Und du bist geschminkt und angezogen wie für einen Fernsehauftritt. Hose, Bluse, Schal, Schuhe, Lippenstift. Um sechs in der Früh.«
Rasch schob ich den kleinen Blumentopf auf dem Gartentisch weiter von mir weg.
»Das sind Ranunkeln«, murmelte ich. »Und du hast recht, nichts ist in Ordnung. Ich hatte einen furchtbaren Traum. Die ganzen Pflanzen in meinem Garten haben sich gegen mich verschworen, mich als anmaßende, rücksichtslose und engstirnige Diktatorin beschimpft, mit ihren Blättern nach mir geschlagen und sich über die unerträgliche Alleinherrschaft beklagt, die ich ihnen zufolge ausüben würde. Damit nicht genug, haben sie sich entschieden dagegen verwehrt, nur als Vorgartenzierde, Grünraumaufhübschung oder Kochtopffüllung gesehen zu werden, denn sie hätten noch tausend andere Talente. Dann hat die Feuerbohne auch noch auf Muskelprotz gemacht und mich beinahe mit ihren kräftigen Ranken erwürgt, um mir ihre Stärke zu beweisen. Es war der reinste Horror. Hätte Kater Boris mich nicht geweckt, hätte ich bestimmt einen Herzinfarkt bekommen.«
Ich wollte gar nicht mehr daran denken, was für üble Unterstellungen sie mir im Laufe meines Albtraums an den Kopf geworfen hatten.
»Du Arme, das klingt wirklich nach einer bewegten Nacht«, meinte mein Mann und schenkte mir fürsorglich Kaffee nach.
Eine Tasse lang schlürften wir einträchtig vor uns hin, dann musste ich es einfach wissen.
»Findest du eigentlich auch, dass ich dominant und herrschsüchtig bin?«
»Nein, natürlich nicht. Auf gar keinen Fall.« Nach neun gemeinsamen Jahren hatte Franz ein gutes Gespür für explosive Fragestellungen entwickelt. »Aber .«
»Aber was?«
»Aber im Grunde entscheidest schon du, wo was zu wachsen hat.«
Natürlich tat ich das. Jeder Gärtner tat das, sonst gäbe es gar keine Gärten, sondern nur flächendeckend wildwüchsiges Beikraut. Die sogenannten Kulturpflanzen, egal, ob Rosen, Tulpen, Nelken, Engelstrompeten, Dill oder Tomaten, mussten ja bedürfnisgerecht gepflanzt werden.
Und ich bemühte mich immer, allen ihren Anforderungen nach Licht oder Schatten, Dünger, Wasser, Kompost, Bodenbeschaffenheit und Streicheleinheiten nachzukommen, steuerte darüber hinaus noch gesunde Mikroorganismen bei, sammelte bösartige Fressfeinde wie Reiswanzen oder Kartoffelkäfer ab - und das war der Dank.
Wobei ich das Protestgeschrei andererseits schon verstand. Jedes Gewächs im Garten, sah man vom anarchistisch wuchernden Unkraut mal ab, unterlag einer Zwangsvergesellschaftung. Als würde man Menschen unterschiedlicher Herkunft, mit verschiedenen Ansichten, Sprachen, Bedürfnissen und Persönlichkeiten in ein riesiges Mehrparteienhaus zwängen, obwohl sie sich untereinander weder ver- noch ausstehen konnten. In sehr jungen Jahren, während meiner Studienzeit, hatte ich selbst mal in einem ziemlich großen Wohnblock gelebt, mit einer fußballfanatischen Großfamilie zur Linken, einem Bikertreff direkt gegenüber und einem Posaunisten zur Rechten. Freunde waren wir auch keine geworden, aber mein Interesse an Giftmorden stammte vermutlich aus jener Zeit.
Im Schlaf, als meine grünen Mitbewohner auf einmal sprechen konnten, hatten sich zum Beispiel fast alle sehr abfällig über die Edelrosen in ihrem Umfeld geäußert. »Ich würde doch zu gerne wissen, worauf die auch noch stolz sind«, hatte sich der Rittersporn mokiert. »Die können doch rein gar nichts, diese Angeber, außer sich selbst in Szene zu setzen und ein paar Tage im Jahr aufdringlich vor sich hin zu duften. Trotzdem führen sie sich auf, als wären sie die Königinnen hier.«
Und die anderen Zierpflanzen ringsum hatten zustimmend mit ihren Blüten genickt. »Genau. Schrecklich arrogant sind sie, eine nichtsnutzige, geizige Familie, die sich einbildet, was Besseres zu sein«, hatte der Lavendel gezischt, der früher mal ein direkter Nachbar der Edelhölzer gewesen war. Aber da Zuchtrosen ihre Nährstoffe ungern teilten und es nicht mochten, wenn ihnen andere Gewächse auf die Wurzeln stiegen, hatte ich den Lavendel letztlich umsetzen müssen.
Selbst die bescheidenen Gänseblümchen, die keinerlei Territorialverhalten zeigten, ließen kein gutes Blatt am...
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