Schweitzer Fachinformationen
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Long Harbor, Rhode Island
16. Juni 2000
Ich wollte es dir eigentlich schon früher erzählen«, sagte Becca zu ihrer Enkelin Sarah, die neben ihr saß und sich die Hände an einem Becher heißen Tee wärmte, »aber es ist mir schwergefallen, den richtigen Zeitpunkt zu finden.« Unruhig schob sie die Kissen in ihrem Rücken zurecht und strich ihren Rock glatt. Die beiden saßen auf Beccas Lieblingsplatz, einem daunengepolsterten Zweiersofa vor dem offenen Kamin. Normalerweise hätte Becca ein Feuer angemacht, um die Feuchtigkeit zu vertreiben, aber dieses Jahr hatte sie den Holzstoß nicht aufgefüllt. Sarah wartete gespannt, dass ihre Großmutter weitersprach, und wickelte dabei den Teebeutel um ihren Löffel, um das letzte bisschen Geschmack aus ihm herauszuquetschen.
Aber Becca sah an Sarah vorbei durch das große Sprossenfenster aufs Meer hinaus. Auf der Scheibe waren Spuren von Salz und Sand, zwischen Fliegengitter und Doppelfenster klebten Spinnweben. Draußen regnete es, ein leichter, reinigender Frühlingsschauer, und Becca nahm sich einen Moment Zeit, um dankbar an all das Gute in ihrem Leben zu denken. Erstens war sie gesund. Zweitens würde sie den Sommer hier in Eden, dem geliebten Stammsitz ihrer Familie, verbringen. Drittens saß Sarah neben ihr, strahlte und war schwanger mit Beccas erstem Urenkel.
»Und?«, fragte Sarah ungeduldig und spähte über den dunklen Rand ihrer Brille.
»Na ja, es ist ziemlich kompliziert.« Wieder stockte Becca, schaute zu den hübschen Zierleisten empor und fingerte an ihrem Ehering herum. Dann endlich zwang sie sich zu sagen: »Ich habe nach dem Tod deines Großvaters etwas ziemlich Besorgniserregendes entdeckt.«
Sarah kniff die Augen zusammen, legte den Kopf schief und zwirbelte ihre langen roten Haare über der Schulter zu einem Strang zusammen. Da die Regenwolken das Tageslicht dämpften, knipste Becca eine kleine Leselampe an.
»Als ich mir mit dem Anwalt unsere Vermögensverhältnisse angeschaut habe, na ja - anscheinend hat er nicht aufgepasst.«
»Er hat nicht aufgepasst?« Mit der einen Hand packte Sarah das abgenutzte Polster und legte die andere auf ihren Bauch, eine etwas melodramatische Geste, als müsse sie ihr ungeborenes Kind schützen.
»Mit dem Geld.«
»Und?« Sarahs Schultern entspannten sich etwas.
»Nicht dass alles seine Schuld gewesen wäre. Edens altmodische Rohrleitungen und das Schindeldach einigermaßen in Schuss zu halten war sehr kostspielig. Außerdem mussten wir in New Haven auch einen gewissen Lebensstil pflegen - du weißt schon, wegen der Stellung deines Großvaters in der Klinik.« Becca merkte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. Über Dans Fehler zu sprechen war schwer für sie, nachdem sie sonst immer diejenige gewesen war, die ihn verteidigt hatte. Und jetzt, da sie hier auf dem Sofa saß, in diesem Raum, der einmal das holzvertäfelte Arbeitszimmer ihres Vaters gewesen war, hatte sie plötzlich seine dröhnende Stimme im Ohr. »Ärzte können bekanntermaßen schlecht mit Geld umgehen«, hatte er immer gesagt. »Also wirst du darauf ein Auge haben müssen.«
Sarah stieß ein hörbares »Uff« aus, und Becca blickte auf, überrascht, sie lächeln zu sehen. »Geld ist nicht so schlimm, Gran«, sagte sie. »Poppy hat ja kein Verbrechen begangen oder heimlich eine Geliebte gehabt, oder?«
»Natürlich hatte dein Großvater keine Geliebte!«
»Dann ist es also nur das Geld? Weiter nichts?«, fragte Sarah.
»Ja. Du tust ja so, als wäre das ein Klacks.«
»Na ja, ich hatte Angst, du erzählst mir gleich etwas von irgendeinem grässlichen Skandal, irgendetwas echt Schockierendes.«
»Sarah!«
»Ich meine, es kommt doch häufig vor, dass Leute schlechte Investitionen tätigen.« Inzwischen regnete es stärker, und der Himmel war fast schwarz geworden. Becca fingerte an ihrer Perlenkette herum und horchte auf das ferne Grollen des Donners.
Sarah stand auf. »Gran, ich mach mir noch einen Tee. Kann ich dir was mitbringen?«
»Bitte setz dich erst mal wieder. Ich bin noch nicht fertig.«
Sarah biss sich auf die Lippe und nahm wieder Platz, halb im Schneidersitz. Becca atmete tief ein und versuchte, die Irritation abzuschütteln, die sich in ihr breitmachte. Vor ihr saß ihre neunundzwanzigjährige Enkelin, unverheiratet, Studentin, nach der neuesten Mode bekleidet mit einem lächerlichen Baumwollpulli, der ihr jederzeit von den Schultern rutschen konnte. Sie war schwanger, hatte kein Einkommen und keinen Plan, wie sie ihre Rechnungen bezahlen wollte. Wie konnte sie eine dermaßen flapsige Bemerkung machen, wo es doch um das Vermögen ging, das bisher für ihren Lebensunterhalt zuständig gewesen war?
»Sarah, ich werde nicht nur das Haus in New Haven verkaufen müssen, um die Schulden zu bezahlen, sondern auch meinen Anteil an Eden.«
Sarah sank zurück in die Kissen. »Aber ich bin so gern hier«, murmelte sie.
Unwillkürlich redete Becca lauter, sie konnte sich nicht länger zurückhalten. »Ich werde dir nicht mehr mit der Miete helfen können. Du und deine Mutter, ihr könnt nicht mehr auf meine finanzielle Unterstützung zählen. Und wegen Lilly fühle ich mich besonders schrecklich, weil sie schon seit der Geburt deiner Mutter bei uns ist. Jetzt muss ich eine Familie finden, die eine grauhaarige Haushälterin einstellt, die zudem stark weitsichtig ist.« Um Letzteres deutlich zu machen, fuhr Becca mit dem Zeigefinger über das staubige Fensterbrett.
Jetzt wirkte Sarah doch etwas geknickt. »Weiß Mom es schon?«, fragte sie.
»Nein, noch nicht. Ich wollte es ihr an dem Nachmittag sagen, als du angekommen bist - in dem Moment, als wir uns hingesetzt haben, um zu reden, standest du vor der Tür.«
»Oh.«
»Und seit du deine Schwangerschaft bekannt gegeben hast, ist sie oben in ihrem Zimmer und regt sich auf. Momentan kann ich ihr das nicht zumuten.«
»Gran .«
»Und Lilly weiß es auch noch nicht. Sie hat keine Familie mehr, und ich möchte sie nicht beunruhigen. Egal wo ich später wohnen werde, ein Dienstbotenzimmer wird es da bestimmt nicht geben!«
»Gran, das tut mir sehr leid.«
»Was ich dir gerade erzählt habe, bleibt aber unter uns, ja? Sag den beiden bitte nichts davon. Das muss ich selbst tun.«
»Natürlich verrate ich ihnen nichts davon, das weißt du doch.« Sarah legte ihrer Großmutter die Hand auf die Schulter. »Aber es wird sich alles finden, da bin ich sicher.«
»Sarah, du verstehst anscheinend nicht, wie es hier läuft - wie das alles finanziert wird.« Becca machte eine ausladende Geste, die ganz Eden einbezog. »Und es war noch nie bedeutsamer als jetzt - wo du bald noch ein hungriges Mäulchen zu stopfen haben wirst.«
»Doch, ich weiß schon, wie das mit Eden funktioniert. Ich dachte nur .«
»Tja, dann schlage ich vor, dass du in Zukunft noch viel genauer nachdenkst. Ein Baby bringt eine Menge Verantwortung mit sich. Und teuer ist es auch. Vielleicht solltest du deinen Freund anrufen und sehen, ob ihr euch nicht doch wieder zusammenraufen könnt.« Ihre Schultern waren verkrampft, ihre Hände lagen zu Fäusten geballt in ihrem Schoß.
»Gran, darüber haben wir doch schon gesprochen. Heutzutage schaffen es ledige Mütter auch allein«, sagte Sarah.
»Du glaubst also nicht, dass er dich unterstützen würde?«
»Nein, er ist total wütend.«
Schon nach Sarahs Erzählungen hatte Becca eine Abneigung zu ihm gefasst - er war ihr Professor, Herrgott noch mal! Und wie sollte eine Promotion über Renaissancemalerei überhaupt je zu einer auch nur einigermaßen gut bezahlten Stelle führen? »Ich weiß, du gehörst zu einer anderen Generation, Sarah, aber .« Becca wählte ihre Worte mit Bedacht. »Ich glaube, du musst dich entscheiden.«
»Gran«, unterbrach Sarah sie, in defensivem, fast herablassendem Ton. »Ich hab meine Doktorarbeit fast fertig geschrieben, anschließend werde ich mich auf alle infrage kommenden Dozentenstellen bewerben. Und wenn Alistair keinen Anteil am Leben seines Babys möchte, werde ich ihn ganz sicher nicht anflehen, seine Meinung zu ändern. In der heutigen Zeit können Frauen Karriere machen und Kinder haben, mit oder ohne Mann. Das kannst du nicht verstehen.«
Verärgert strich Becca sich eine lose graue Haarsträhne hinters Ohr, straffte die Schultern und räusperte sich. »Sarah, ich liebe dich, aber die letzten sechs Monate waren wirklich hart für mich. Hast du überhaupt eine Vorstellung davon, wie es ist, wenn man einen Mann verliert, mit dem man fünfzig Jahre zusammen war, und dann feststellen muss, dass nicht das kleinste bisschen Geld mehr da ist?« Noch lauter fügte sie hinzu: »Und dann sitzt du hier und sagst mir, ich verstehe irgendetwas nicht? Ich habe ein erfülltes Leben hinter mir, Sarah, und ich verstehe mehr als genug.«
Auf einmal spürte sie, wie ihr die Tränen kamen. Entschlossen zog sie ihr Taschentuch aus dem Ärmel, wischte sich die Augenwinkel trocken und holte ein paarmal tief Luft. Dann fischte sie ihren Lippenstift aus der Tasche, trug ihr charakteristisches Apricot auf und verrieb die Farbe gleichmäßig. »Ich dachte, ich setze dich über diesen finanziellen Engpass in Kenntnis, damit du vor diesem Hintergrund Entscheidungen treffen kannst. Sowohl, was deinen Freund angeht, als auch, ob du wieder an die Uni gehen oder dir lieber einen Job suchen willst. Betrachte es doch einfach als nette Geste.«
Jetzt liefen Sarah die Tränen übers Gesicht. »Gran, so kenne ich dich überhaupt nicht«,...
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