Schweitzer Fachinformationen
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Jimmie klopfte seine Taschen ab, dann erstarrte er und sah mich durchdringend an. »Du!«
»Ich?«
»Du hast meinen Pass geklaut, du kleine Schlampe. Gib ihn mir zurück!«
Offen gestanden konnte ich nicht glauben, dass Jimmie so lange gebraucht hatte, um es zu merken. Wir hatten bereits unser Gepäck abgeholt, zum Glück als unverdächtig eingestuft von dem Zollbeamten, der dem Passagierdampfer entgegengefahren war, um unsere Habseligkeiten noch an Bord zu überprüfen.
Eine Frau im Pelz warf Jimmie im Vorübergehen einen eisigen Blick zu.
»Schatz, die anderen Passagiere schauen schon«, sagte ich mit einem verkrampften Lächeln. »Mach bitte keine Szene.«
»Komm mir nicht mit Schatz! Wo ist das Ding?« Er zerrte mich zur Seite, und ich geriet ins Straucheln, noch wackelig auf den Beinen von der Überfahrt.
»Lass mich gefälligst los.«
Widerstrebend löste er die Hand von meinem Arm. Über seine Schulter hinweg sah ich, dass uns ein Steward von unserem Dampfer beobachtete. Ich fragte mich, wie viele Ehestreitigkeiten er wohl in seinem Berufsleben schon miterlebt hatte.
Nur, dass Jimmie und ich nicht verheiratet waren.
Zum ersten Mal begegnet war ich Jimmie im Winter Gardens in Morecambe. Albert Modley and the Sandow Sisters traten auf. Jimmie lehnte an der Wand wie ein begossener Pudel, aber ich ging trotzdem zu ihm und bat ihn, mir einen auszugeben. Manche Männer mochten es, wenn man ein bisschen frech war. Sie hielten mich deswegen für draufgängerisch, was ich tatsächlich war, und das wiederum machte ihnen Hoffnung, ich würde mit ihnen schlafen, was ich nicht vorhatte.
»Wieso haben Sie denn überhaupt so schlechte Laune?« Ich nippte mit dem Strohhalm an meiner Coca-Cola.
»Das verstehen Sie sowieso nicht«, sagte er, die Hände schmollend in den Hosentaschen vergraben.
»Wer weiß?« Mir war bereits aufgefallen, dass er einen amerikanischen Akzent hatte, und meine Neugier war geweckt. Zähne wie eine Reihe abrissreifer Häuser, was für einen Yankee merkwürdig war, aber egal.
»Ich habe Probleme mit euren Leuten in Liverpool.«
»Unseren Leuten?«
»Zoll.«
»Aha.« Ich musterte ihn genauer. Das breite Revers, den schmalen Schnurrbart, die Pomade im Haar. Für Klischees gab es normalerweise einen guten Grund.
»Sie sind ein Schieber«, übertönte ich die Musik.
Hektisch sah er sich um. »Nicht so laut!«
Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. Dennoch brachte ich es nicht übers Herz, Jimmie darüber aufzuklären, dass ein Blick auf seinen schmierigen Anzug reichte, um ihn als genau das zu identifizieren, was er war.
»Womit handeln Sie denn?«, fragte ich.
»Seidenstrümpfe.« Demonstrativ sah er auf meine nackten Beine. »Schon mal davon gehört?«
Ein Gedanke brachte meine Haut zum Prickeln. »Wo liegt denn das Problem mit unseren Leuten in Liverpool? Schöpfen die Verdacht?«
Jimmie trank einen großen Schluck von seinem Bier und nickte.
Mein Gedanke zog diverse weitere nach sich, die sich rasch zu einem Plan formierten.
»Wissen Sie, was Sie brauchen?«, fragte ich. Er wirkte sichtlich verwirrt. »Einen Kurier.«
»Wie war noch mal Ihr Name?«
»Margaret.«
Er runzelte die Stirn. »Sie sind mir ein Rätsel, Fräulein.«
»Passen Sie auf.« Ich saugte ein letztes Mal geräuschvoll an meinem Strohhalm und bestellte mir dann noch eine Cola. Schließlich zahlte Jimmie. »Was Sie brauchen, ist ein nettes Frauchen als Reisebegleitung. Das wäre wohl auf jeden Fall besser als ein doppelter Boden im Koffer. Zur Tarnung. Als Anstands-Fassade.« Ich hatte bereits seinen Ringfinger inspiziert. »Wie ich sehe, haben Sie zwar schon eine Gattin, aber wir könnten so tun, als wäre ich das.«
Er schluckte heftig. »Sie ist tot.«
»Oh.« Ich lächelte. »Umso besser.«
Er riss die Augen auf. »Wie kann meine tote Frau was Gutes sein?«
Ich sprach schnell weiter. »Damit meinte ich nur, sie kann sich nicht darüber ärgern, dass jemand anderes unter ihrem Namen reist. Wie hieß sie denn?«
»Loretta.«
Das gefiel mir.
»Sehr schön. Der Plan ist doch prima, oder?«
Er musterte mich von Kopf bis Fuß. »Sind alle Frauen in dieser Stadt wie Sie?«
Ich grinste. »Oh, nein. Ich bin einzigartig.«
»Gott sei Dank.« Er rückte seinen Hemdkragen zurecht.
Es kostete noch etwas Überredungskunst, aber nach einer Weile sah Jimmie ein, dass meine Idee gut war: ihm bei seinem Schmuggelauftrag zu assistieren, indem ich mich als die in seinen Reisepass mit eingetragene Ehefrau ausgab. Falls er gefilzt wurde: Warum sollte seine bessere Hälfte nicht einen ganzen Packen Seidenstrümpfe haben wollen?
Das war der Plan gewesen, den ich Jimmie zu Beginn aufgetischt hatte. Der Plan, der für uns beide perfekt gewesen war. Mein Plan. Aber ich musste sehen, wo ich blieb. Meine Träume waren zu wichtig, um sie aufs Spiel zu setzen, und daher war jener Reisepass in diesem Moment in meinem Schlüpfer versteckt.
»Jeder hätte den Pass stehlen können!« Ich musste mich beherrschen, nicht herumzuzappeln, weil sich das sperrige Heftchen unangenehm in meinen Allerwertesten bohrte.
»Nein, weil er die ganze Zeit in unserer Kabine lag.« Jimmies Hand zuckte, als wollte er mich ohrfeigen - ich kannte die Anzeichen -, deswegen war ich froh über den neugierigen Steward, der uns im Auge behielt. Wenn man jemanden erpresst, dann am besten in der Öffentlichkeit.
Ich stieß ein Seufzen aus, als hätte ich dieses Spielchen satt, obwohl ich es eigentlich extrem genoss. »Also, zufälligerweise habe ich wirklich deinen Pass und .«
»Du!«
»Jetzt hör doch mal auf damit, Jimmie, das wird langsam langweilig.«
»Nach allem, was ich für dich .«
»Für mich getan hast?«, beendete ich den Satz. »Mal ehrlich, was erwartest du, eine Belohnung? Dafür, dass du eingewilligt hast, mit einer jungen Frau ein Ding zu drehen, für das sie im Gefängnis landen könnte?«
Seine Kinnlade klappte herunter. »Ist das dein Ernst?«
Ich gestattete mir ein Lachen. »Worauf du dich verlassen kannst, Freundchen.«
Er verzog das Gesicht. »Soll das ein amerikanischer Akzent sein?«
»Nicht gut?«, fragte ich mit meiner normalen britischen Aussprache.
»Grauenhaft.«
»Siehst du, Jimmie? Selbst in so einer Situation kannst du noch Scherze machen.« Ich tätschelte ihm den Arm. »Du bist wirklich eine Marke.«
Er schüttelte langsam den Kopf. »Du beklaust mich! Machst du denn vor gar nichts halt?«
»Aber nicht doch. Ich beklaue dich nicht. Ich passe nur für dich auf deinen Pass auf.« Ehe er etwas erwidern konnte, fuhr ich rasch fort. »Also, wir machen Folgendes: Du nimmst mich nach Kalifornien mit.« So lautete die Adresse in seinem Pass; es war ein irrsinniger Glückstreffer gewesen.
»Aber da muss ich gar nicht hin! Die Seidenstrümpfe sind doch hier.« Verstohlen sah er sich um und senkte die Stimme, als er den Beamten der Küstenwache am Tor bemerkte. »Wir treiben uns nur ein paar Tage hier rum und steigen dann auf den nächsten Passagierdampfer zurück nach Liverpool. So war es ausgemacht.«
»Ja, aber ich habe es mir anders überlegt«, erklärte ich geduldig. »Ich will nach Hollywood, und du bringst mich hin. Sobald du mich wohlbehalten abgesetzt hast, kriegst du deinen Pass zurück.«
»Warum müssen sich Frauen andauernd alles anders überlegen?« Er schüttelte trübselig den Kopf. »So verpasse ich den Mittelsmann für die Strümpfe.«
»Die Strümpfe sind mir piepegal, Jimmie, und ich komme nicht mit dir zurück. Kapiert? Noch mal zum Mitschreiben: Du bringst mich nach Hollywood. Dann bekommst du deinen Pass wieder.«
»Warum kann ich dir nicht einfach das Geld geben, um allein hinzufahren?«
»Weil ich keine Ahnung habe, wie das funktioniert, und jemanden brauche, der mir hilft.« Ich war nicht vollkommen blauäugig. Eine zwanzigjährige Engländerin ganz allein in Amerika mit wenig Geld und keinen Freunden? Das konnte nur schiefgehen. Außerdem benötigte ich Zeit, um mitgehen zu lassen, was er sonst noch bei sich hatte. »Bring mich einfach hin, anschließend musst du mich nie mehr wiedersehen.«
»Du bist der furchtbarste Mensch, dem ich je begegnet bin. Weißt du das?«
»Danke!«, sagte ich fröhlich. »Also, wollen wir dann mal?« Die anderen Passagiere hatten sich mittlerweile zerstreut, durch die Passkontrolle hinaus in die Straßen New Yorks. »Ich muss vorher nur kurz aufs Klo.« Ich sah mich um und entdeckte eine...
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