Schweitzer Fachinformationen
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von Katrien Lismont
Schmerz ist einer der häufigsten Antreiber von kompliziertem und belastendem Hundeverhalten. Das konnte ich in meiner fast zwanzigjährigen Erfahrung im Verhaltenstraining beobachten. Ich musste im Laufe der Zeit einen Weg finden, diesen so wichtigen und beherrschenden Aspekt zu bearbeiten, denn ohne Behandlung oder Linderung gab es in vielen Fällen nur wenig oder gar keinen Fortschritt. Leider ist Schmerz auch der Faktor, der am meisten verkannt und missverstanden ist. Es ist keine einfache Angelegenheit, mit Hundehaltern über die Schmerzen ihres Hundes zu sprechen. Vor allem nicht, wenn man nicht die erste Anlaufstelle für die Verhaltensprobleme des Hundes ist und vorher noch niemand darauf hingewiesen hat, dass das Verhalten dieses Hundes schwer trainierbar ist, weil die Ursache nicht beseitigt wurde. Auch und gerade dann, wenn der Hund womöglich bereits vollständig und / oder von mehreren und unterschiedlichen Therapeuten untersucht wurde und alle Diagnosen ohne Befund waren, hat man als Verhaltenstrainer einen schweren Stand, wenn man es als dringend erachtet, diesen Hund noch einmal medizinisch begutachten zu lassen. Oftmals fehlt in der Allgemeinpraxis die Zeit für eine eingehende Untersuchung inklusive Gangbild, Palpation und Anamnese, und leider ist es noch oft so, dass, wenn der Hund nicht hinkt oder jammert, nicht auf Schmerzen geschlossen wird.
Persönlich denke ich, dass niemand absichtlich seinem Hund und dem Patienten medizinische Sorgen vorenthält, aber sicher ist, dass durch die fast unendliche Individualität der Konstellation von Mensch und Hund eine Vielzahl an Gründen dafür bestehen, dies nicht als Priorität zu betrachten und das Heil im Training zu suchen.
Warum ist das Thema so heikel?
Es kann die eigene Angst vor der medizinischen Welt sein, fehlende Erfahrung mit Schmerzen, eine langwierige und emotional belastende und kostspielige Historie mit einem vorhergehenden älteren Haustier oder gar einem sehr kranken Menschen im familialen Umfeld. Es kann die Angst vor den Kosten sein, die Angst vor einer schweren Diagnose, die fehlende Zeit, sich darum zu kümmern oder schlicht und ergreifend der fehlende Glaube daran, dass Hunde ihre Schmerzen so dermaßen anders zeigen, als wir das von uns und unseren Mitmenschen kennen. Hunde sind in der Lage, massive Schmerzen zu ertragen, ohne die Funktion einzustellen, sie fangen jedoch an, sich anders zu verhalten. Deshalb ist es so unverständlich, dass das Wesen, mit dem wir unter einem Dach leben, schmerzgeplagt sein kann. Es ist ganz oft auch ein Gefühl von Versagen, als bester Freund nicht wahrgenommen zu haben, dass das Tier im Stillen leidet. Aber Hunde sind nun mal Meister im Verbergen von Schmerzen.
Darum und aus noch vielen anderen Gründen mehr ist es nicht direkt ein einfaches Thema, über das wir dieses Buch erschaffen. Selbstverständlich ist das Ziel des Buchs, dass mehr Hundeprofis für dieses Thema sensibilisiert werden. Hier werden Sie erfahren, wie viele unterschiedliche Verhaltensweisen auf Schmerzen hinweisen können - Verhaltensweisen, die typisch für die sogenannten reaktiven, hyperaktiven, gestressten oder auch komplett entspannt erscheinenden Hunde sein können. Viele dieser Hunde bringen sich selbst durch ihr Verhalten in die Probleme, und das ergibt wiederum Konsequenzen: neue und leider manchmal härtere Trainingsmethoden, gar kein Training mehr oder gar sehr viel Training. Besonders dann, wenn der Hund sehr aktiv ist, werden Möglichkeiten gesucht, ihn mehr auszupowern, meistens körperlich. Dadurch wird gerade der Körper wieder übermäßig belastet, wodurch der Hund noch mehr ventilierendes Verhalten zeigt. Die Spirale ist manchmal endlos und kann viel Kummer hervorbringen, bei Mensch und Hund. Konsequenzen folgen auf Konsequenzen.
Es ist meine persönliche Erfahrung, dass es keine gute Idee ist, sich nur auf Training am störenden Verhalten zu konzentrieren. Denn das Training gestaltet sich so zäh und schwer, dass die schmerzbetroffenen Hunde irgendwann entweder abhaken oder dagegenhalten. Das bedeutet: das Verhalten wird womöglich belastender, obwohl man sehr viel Zeit und Aufwand in das Training davon gesteckt hat. Es kann fatal werden: entweder für einen anderen Hund, für eine Person oder für den aggressiven Hund selbst. Auf dem Weg dahin sind viele emotionale Momente und Gedanken der Verzweiflung und Ermüdung gewesen, häufige Trainerwechsel, häufige Therapeutenwechsel, eine wachsende Bereitschaft zu übergriffigen oder rangordnungsbetonten Lösungen, kurzum ein großer emotionaler, zeitlicher und finanzieller Aufwand mit wenig positivem Resultat und viel Überforderung. Auf der anderen Seite wird nicht selten durch das schonende und stressreduzierende Vorgehen der Alltag (ich nenne es auch das Universum) des Hundes und sein menschliches Umfeld so klein und eingeschränkt, dass sowohl Mensch wie Hund zu kurz kommen, körperlich, emotional und mental. In seltenen Fällen wird auch über eine endgültige Lösung nachgedacht, sei es, dass man sich vom Hund trennt oder ihn erlösen lässt.
Gerade, wenn man von Training spricht: allein der Gedanke, das schwierige Hundeverhalten resultiert aus Schmerzen, lässt einen zusammenzucken, wenn man sieht, wie oft auf schmerzzufügende und einschüchternde Trainingsmethoden zurückgegriffen wird, weil es der Hund sonst nicht versteht. Und genau so ist es: der Hund verhält sich "daneben", weil er im Moment keine andere Möglichkeit hat.
Schorsch und Carolin sind nach längerem Training, das keinen sichtbaren Erfolg brachte, dem Schmerz auf dem Grund gegangen. Das war der Wendepunkt.
Viele tolle Träume vom Leben mit Hund lassen sich verhaltensbedingt nicht erfüllen und das bedeutet viele Enttäuschungen, Frustrierungen und Unzufriedenheit. mit dem Hund. Der Hund wird zur Last, zum Problempaket. Er muss doch nur funktionieren. Und es wird weitergesucht: eben neue und andere Trainingsmethoden, Blutbilder müssen her (was ja nicht falsch ist), Hormone werden hoch und runter beeinflusst und oft genug wird zu Psychopharmaka gegriffen. Das Resultat: es hilft alles ein bisschen. Aber wirklich nur teilweise. Der Hund wird zu einem wandernden Experiment, jede neue Maßnahme schafft ein bisschen Hoffnung, aber auf Dauer war es doch kein Durchbruch. Der kürzeste, der wohltuendste Weg, nämlich den Hund auf Schmerzen prüfen zu lassen und ihn davon zu befreien, wird nicht oder selten genommen. Manchmal wird dieser schon gewählt und strandet leider bei einer ungenauen Diagnose oder einer ineffizienten Behandlung. Das konnte es also auch nicht gewesen sein.
Man gewöhnt sich als Trainerin daran, diesen Werdegang zu erfahren und nicht emotional zu werden, und ich denke, mein Co-Autor wird als Tiermediziner die gleichen Erfahrungen machen.
Aber derjenige, um den es hier in diesem Buch geht, dürfen wir nicht vergessen. Wie geht es dem Hund? Was kann er dafür? Wir können wir ihm schnell und effektiv und vor allem nachhaltig helfen?
Dieses Buch soll Ihnen dabei helfen, sowohl als Mediziner, Therapeut, Hundetrainer oder sonstiger Hundeprofi und natürlich auch als Hundehalter ein Auge zu entwickeln für die Schmerzsignale und die -zustände Ihres Tieres. Diese sind nämlich vielfältig und setzen sich zusammen aus einer Mosaik von Haltungen und Schonhaltungen im Liegen, Sitzen und Schlafen und von Gangbildern, die zeigen, dass bestimmte Körperteile nicht belastet oder überbelastet werden, von äußerlichen Merkmalen, Fellmustern und von Verhaltensweisen. Wenn der Hund lahmt oder aufschreit, ist der Schmerz bereits untragbar, bis dahin toleriert er ihn im Stillen. Ebenfalls deutet subtiles bis deutliches Meideverhalten und auch großes heftiges und störendes Verhalten selbstverständlich auch auf die Existenz von Schmerzen oder Angst vor Schmerzen hin. Was Sie sehen können und was Sie nicht sehen, aber dennoch beobachten können, das möchten wir Ihnen zeigen.
Das Buch soll ebenfalls mehrere Möglichkeiten aufzeigen, wie Sie vorgehen und was Sie veranlassen und auch selbst zu Hause machen können. Schmerz ist nicht gleich Schmerz. Deswegen ist es ein Segen, dass Dr. Patrick Blättler-Monnier sich bereit erklärt hat, dieses Buch mitzuschreiben.
Wichtig ist: die Schmerzdiagnose ist ein wichtiger und unabdingbarer Schritt, aber sie ist nur der Beginn der Reise. Je eher sie beginnt, desto besser für die Entwicklung des Verhaltens. Je länger der Hund sein ventilierendes Verhalten nutzen musste, desto tiefer prägt es sich und desto häufiger und genereller wird er darauf zurückgreifen.
Es geschieht so viel Schönes, wenn der Hundehalter nachvollziehen kann, dass das Verhalten seines Hundes aufgrund einer Schmerzthematik entwickelt wurde. Die Frustration, der Zorn, der Unmut und die Ungeduld schwinden wie Schnee vor der Sonne, wenn der schmerzbefreite Hund wie ein Zauberlehrling auf das positive und selbstwirksame Training reagiert, denn jetzt kann sein Hirn für anderes als für eine der vier F's eingesetzt werden. (Fight, Flight, Freeze, Fiddle, übersetzt: Aggression, Flucht / Angst, Einfrieren / keine Bewegung oder Herumkaspern). Jetzt kann der Hund er selbst sein, ohne Angst und Einschränkungen.
Eine weitere gute Nachricht: Manche, ja viele Schmerzzustände sind mit Schmerzmanagement recht...
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