Schweitzer Fachinformationen
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Das Hämmern an der Tür hörte einfach nicht auf. Cady hatte das GESCHLOSSEN-Schild an die Scheibe der Ladentür gehängt, zusammen mit einer Notiz über Maxines Tod. Aber einige von Maxines Stammkunden konnten so hartnäckig und lästig wie ein abgebrochener Zahn sein.
»Gehen Sie weg!«, brüllte sie aus dem Hinterzimmer.
Das Hämmern hielt an. Sie stellte den Fernseher lauter.
»Cady?« Die Stimme einer Frau. Olivia.
Cady sah Maxine oft als die einzige Person auf der Welt, von der sie geliebt wurde, aber es gab auch noch Olivia Gray.
Sie hatten sich vor Jahren, unmittelbar nach Cadys Scheidung, bei einem Fotokurs kennengelernt - richtige, altmodische Fotografie und Filmentwicklung, unterrichtet von einem kauzigen alten Mann, der nichts von dem hielt, was er »diesen modernen digitalen Schwachsinn« nannte.
Olivia war alles, was Cady nicht war, aber schon immer sein wollte: hübsch, zierlich, immer schnell bereit, zu lächeln und über sich selbst zu lachen. Damals begriff Cady zum ersten Mal, was es hieß, für ein anderes Mädchen zu schwärmen; sie war ganz vernarrt in Olivia, warf Olivia unter ihrem Pony hervor verstohlene Blicke zu und folgte ihr in den Pausen zu den Süßigkeitenautomaten.
Eines Abends schluckte der Automat Olivias zerknitterten Dollarschein. Sie hämmerte erfolglos dagegen und brüllte: »Verflixt und zugenäht!«
Cady hatte noch nie jemanden so etwas sagen hören, außer im Fernsehen.
»Frühkindliche Erziehung«, erklärte Olivia Cady mit einem verlegenen Lächeln und einem leicht verärgerten Schulterzucken. »Meine Mom nimmt es sehr genau, was höfliche Sprache betrifft. Wenn sie richtig, richtig sauer wird, sagt sie vielleicht: >Verdammt!< Aber gleich darauf ergänzt sie jedes Mal: >Entschuldige meine Ausdrucksweise!<«
Cady lächelte und schlug gegen den Automaten, während sie von hinten hineingriff, wie sie es als böses Kind ohne Taschengeld gelernt hatte. Der Mechanismus begann zu rasseln, und ein Schokoriegel fiel scheppernd in die Metallschale.
»Bitte sehr.«
»Danke! Netter Trick. Wie heißt du eigentlich?«
Olivia wusste nicht einmal ihren Namen? Das passte. Eingebildete Zicke.
Aber an den Rändern ihrer Wut nagte Scham. Sosehr sie sich auch bemühte, Cady nahm soziale Signale einfach nicht so wahr wie andere Leute. Sie fragte sich oft, ob es angeboren war - irgendein geheimnisvoller genetischer Code, den sie von ihren unbekannten Eltern geerbt hatte - oder ob es aus ihrer gefühlsarmen, rastlosen Kindheit herrührte. Letztendlich spielte es keine Rolle. Sie hatte schon immer gewusst, dass sie nicht . liebenswert war.
Sie machte auf dem Absatz kehrt und marschierte zurück zum Kursraum.
Nach dem Unterricht, während Cady ihre Sachen zusammenpackte, kam Olivia zu ihr. »Also, ich bin eine Idiotin. Und Namen kann ich mir sowieso nie merken.«
Cady zuckte die Schultern und zog den Reißverschluss des ramponierten Lederrucksacks zu, den sie für fünf Dollar auf dem Flohmarkt ergattert hatte.
»Aber ich bin auch eine kleine Spürnase. Und stur.« Olivia streckte die Hand aus. »Freut mich, dich offiziell kennenzulernen, Cady Drake. Ich bin Olivia Gray. Wie geht es dir?«
Cady starrte einen Moment auf ihre Hand.
»Wie ich bereits sagte, ich weiß, dass ich keine Peilung habe«, fuhr Olivia fort. »Aber da wir in diesem Kurs die Einzigen unter vierzig sind, habe ich mich gefragt, ob wir vielleicht noch was trinken gehen wollen.«
Maxines Stimme flüsterte in ihrem Kopf: »Spring über deinen Schatten, Mädchen. Geh nicht immer davon aus, dass jeder dir Böses will.«
Daher nickte Cady, und sie gingen zu George O's. Es war eine schmuddelige Spelunke, typisch für diese Gegend von Oakland, aber als sie hineingingen, leuchteten Olivias Augen auf wie die eines Kindes am Weihnachtsmorgen.
»Das ist ja toll«, meinte sie, während sie die Dartscheibe, die veralteten Halloween-Dekorationen und ein halbes Dutzend Männer, die an der Bar hingen, in Augenschein nahm. Sie bestellte einen Bourbon on the rocks und Cady dasselbe.
»Also«, begann Olivia, während sie ihre Drinks zu einem Tisch trugen, »>Cady< ist ein hübscher Name. Auf der Teilnehmerliste habe ich gesehen, dass du ihn nicht auf die traditionelle Weise K-A-T-Y schreibst.«
»Ja«, antwortete Cady. »Ich meine, den hatte ich schon immer.«
Olivia lächelte. »Ich habe meinen Namen immer gehasst.«
»Warum?«
»Die Kinder in der Schule haben mich damit aufgezogen, haben mich Olivenöl oder Eulia genannt«, sagte sie leise, als würde sie Cady ein peinliches Geheimnis anvertrauen.
»O Gott«, gab Cady prompt zurück, »das muss ja schwer traumatisch für dich gewesen sein.«
Olivia blickte verblüfft, dann begann sie zu lachen. »Du hast eben einen Witz gemacht! Und ich dachte schon, du wärst immer ganz ernst.« Sie erhob ihr Glas. »Lass uns anstoßen. Um es mit Humphrey Bogart zu sagen: >Ich glaube, das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.<«
Und seltsamerweise war es das tatsächlich. Nach dem Ende des Fotografiekurses schrieben sie sich für Französisch ein, dann für thailändisches Kochen, dann für Botanik. Olivia und ihr Freund, Sebastian, luden Cady und Maxine zum Essen zu sich ein, und als sie heirateten, war Cady im Rathaus ihre Trauzeugin. Olivia liebte es, mit Cady über Antiquitäten-Flohmärkte zu bummeln, während sie Fragen stellte und ihr baufälliges viktorianisches Haus in West Oakland mit einem Teil nach dem anderen einrichtete. Schließlich zog sie einen Job beim Sunset-Magazin an Land und schob Cady hin und wieder einen freiberuflichen Fotografie-Auftrag zu.
Über die Jahre hinweg witzelten sie immer wieder darüber, wer bei ihrer »Trauma-Olympiade« die Nase vorn hatte, und jedes Mal wenn sie ihre Kindheit anführte, ging Cady klar als Siegerin hervor. Aber Olivia hatte ihre eigenen Kämpfe auszutragen.
»Cady!«, rief Olivia wieder durch die Tür von »Maxines Schätzen«. »Mach auf. Ich habe Kaffee mitgebracht, eigenhändig gekocht.«
Widerstrebend tauchte Cady aus dem Hinterzimmer auf und durchquerte den vollgestopften Verkaufsraum.
»Ich will keinen«, sagte Cady durch die Glasscheibe der Ladentür.
»So ein Pech aber auch. Mach auf.«
Cady schob den Riegel zurück und bückte sich, um den Gummistopper zu entfernen, den sie immer unter die Tür schob. Er gab ihr ein Gefühl von Sicherheit.
»Hier«, sagte Olivia, sobald die Tür offen war, hielt ihr einen Thermobecher hin und drängte an Cady vorbei in den Laden. »Das ist französische Röstung, dein Lieblingskaffee. Gern geschehen.«
»Ich habe geschlafen.«
»Nein, das hast du nicht«, sagte Olivia. Sie zog eine Augenbraue hoch, während sie den Blick über das verstreute Inventar schweifen ließ. »Und du hast offensichtlich nicht viel Zeit mit Aufräumen verbracht.«
»Nicht meine Stärke.«
»Also, hast du gearbeitet?«
»Ein bisschen.«
Olivia ging voran ins Hinterzimmer, wo sie sich an den kleinen Tisch neben der Kochnische setzten. Zu spät erkannte Cady, dass überall Beweise für ihr Lotterleben in jüngster Zeit herumlagen: zerknüllte Cheetostüten und Kekspackungen, alte Schachteln vom Chinesen, eine leere Wodkaflasche.
»Lügnerin«, erklärte Olivia, während sie den Anblick in sich aufnahm. »Was hast du wirklich gemacht?«
»Geweint.« Cady ließ sich aufs Sofa fallen.
»Aber das ist doch etwas Gutes, oder?« Mitgefühl glänzte in Olivias großen schokoladenbraunen Augen. »Früher hast du nie geweint. Das betrachte ich als persönliches Wachstum.«
Cady lachte humorlos auf. »Nur du könntest Weinen als etwas Positives sehen.«
»Also, ich habe nachgedacht«, sagte Olivia, während sie mit ihrem Kaffeebecher spielte, auf dem das leuchtend orange-schwarze Logo des Baseballteams von San Francisco prangte. »In Paris gibt es viele Karussells. Jede Menge. Ich weiß es noch von damals, als Sebastian und ich auf Hochzeitsreise dort waren. Da schien es auf jedem öffentlichen Platz ein Karussell zu geben.«
»Und?«
»Du liebst es, Karussells zu fotografieren. Hast du schon mal daran gedacht, ein Buch mit Fotografien herauszubringen?«
»Von Pariser Karussells?«
»Ja! Wozu haben wir denn all die Jahre Französisch gelernt, wenn du deine Sprachkenntnisse gar nicht nutzt? Und du weißt nie, was du finden könntest. Das Essen, der Wein, die Kopfsteingassen .« Sie seufzte. »C'est magique!«
Cady brachte ein leises Lächeln zustande. »Du findest doch alles magisch.«
»Und du nichts. Aber du täuschst dich.« Olivia nahm noch einen Schluck und stieß einen tiefen, zufriedenen Seufzer aus. Sie hatte eine Art, ihren Kaffee zu genießen, als wäre er das Elixier des Lebens, das Heilmittel aller Krankheiten, die Quelle jeglicher Zufriedenheit. Und vielleicht war er das ja tatsächlich: Olivia war der sonnigste Mensch, dem Cady je begegnet war. Bevor sie Olivia traf, hatte Cady geglaubt, anhaltendes Glück sei der Stoff, aus dem Romane waren, etwas, was es nur im Märchen gab.
»Seit wann bist du eigentlich ein San-Francisco-Giants-Fan?«, fragte Cady in einem plumpen...
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