Schweitzer Fachinformationen
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Die amerikanische Präsidentengattin Pat Nixon steht im Washington Dulles International Airport und tauft Pan Ams ersten Jumbojet, die Boeing 747, mit rotem, weißen und blauen Wasser. Französischer Champagner musste den Farben des Starspangled Banner weichen. Ich sitze zu Hause im Frognervei zusammen mit Großmutter und Vater und sehe die Abendnachrichten. Wir essen Mandarinen. Die Reste des vergangenen Weihnachtsfestes. Mutter ist im Maria-Orden. Vater und Großmutter sind zusammen fast ebenso friedlich wie Großmutter und Mutter, auch wenn Vater nicht so jungenhaft wird, wie Mutter mädchenhaft, wann immer sie sich zu der alten Stummfilmpianistin setzen.
»Seht euch an, was Menschen zustande bringen!«, ruft Vater begeistert.
»Was denn?«, fragt Großmutter und schüttelt ihren Inhalator.
»Ein zweistöckiges Flugzeug, Snefrid.«
»Was soll man mit Stockwerken, wenn man hoch oben in der Luft ist, Per?«
»Jemand kann schlafen .«
». und andere können in der Bar sitzen«, schalte ich mich ein.
»Haben die da auch eine Bar?«, fragt Großmutter skeptisch. Der Alkohol ist nun wirklich nicht ihr Freund.
»Und hohe Barhocker«, sage ich. »Hinter dem Tresen stehen schöne Stewardessen, die die komplizierten Wünsche der Fluggäste erfüllen. Shaken, not stirred.«
»Ihr zwei begreift wirklich gar nichts«, sagt Vater und schüttelt den Kopf.
Nein, was gibt es da zu begreifen? Dass dieses Flugzeug aus Everett bei Seattle zweieinhalbmal so groß ist wie eine Boeing 707, dass es, trotz seines Gewichts, eins der schnellsten Flugzeuge der Welt ist, 920 Stundenkilometer, obwohl die Kabine Platz für nicht weniger als 524 Fluggäste bietet? Ich wage nicht, meine Begeisterung zu zeigen, denn ich habe Angst vor Großmutters Verachtung. Sie ist der liebste Mensch der Welt. Das ist es ja gerade. Aber ich sitze hier in meinem sicheren Sessel, höre die begeisterten Kommentare des Fernsehsprechers und denke, dass man in einem so großen Flugzeug vielleicht nie wieder an Flugangst leidet. Wenn man herumlaufen kann wie zu Hause im eigenen Wohnzimmer, und an einem Drink nippen, der shaken ist, not stirred, denkt man vielleicht nicht einmal daran, dass man sich in der Luft befindet? Sie hätten ja oben im ersten Stock wohl nicht so hohe Barhocker, wenn sie glaubten, die könnten bei einer Turbulenz umkippen.
»Und bald kommen die Überschallflugzeuge«, sagt Vater. »Die Concorde ist nur der Anfang. In wenigen Jahren stehen auch die Jumbojets im Museum. Wir werden die ganze Welt bereisen können, und kein Ziel wird noch weiter entfernt sein als höchstens fünf Stunden.«
»Phantastisch«, sage ich. Ich bin immer so froh, wenn Vater dieses besondere Leuchten in den Augen hat.
»Gütiger Jesus«, sagt Großmutter und hat dabei den halben Inhalator im Mund. Sie hat vergessen, auf die Düse zu drücken.
Der 24 Jahre alte Student Gunnar Gjengset aus Trondheim wird in Leningrad festgenommen. Er hat Flugblätter des norwegischen SMOG-Komitees verteilt. SMOG hat nichts mit Nebel zu tun. Es ist der Name eines Zusammenschlusses von jungen Autoren, die vor fünf Jahren untertauchen mussten, nachdem sie die Zeitschrift Sphynx veröffentlicht hatten, das sagt zumindest Vater, ein wenig unsicher. Jedenfalls geht es um Menschenrechte. Er und Ulf engagieren sich weiterhin sehr für Menschenrechte. Gjengset hat offenbar einen Text verteilt, der von sowjetischer Seite größere Beachtung der Menschenrechte verlangt, bessere Bedingungen für die Intellektuellen und weniger Macht für den KGB. Einige Monate zuvor haben Elisabeth Lie und Harald Bristol das große Kaufhaus GUM am Roten Platz betreten und sich dort angekettet, aus Protest gegen die Behandlung, die liberalen Intellektuellen in der Sowjetunion widerfährt. Sie wurden sofort ausgewiesen. Gjengset dagegen riskiert fünf Jahre Gefängnis. SMOG engagiert sich für den ukrainischen Offizier Pjotr Grigorenko, der in der sowjetischen Armee gedient hat, ehe er 1961 anfing, Chruschtschows Politik zu kritisieren und in Russlands fernsten Osten verbannt wurde. Als er sich 1963 für die Wiedereinführung leninistischer Politik einsetzte, wurden ihm vonseiten der Behörden alle militärischen Auszeichnungen und Ehrenbezeugungen genommen und er wurde in eine psychiatrische Anstalt gesperrt. Nachdem er 1965 entlassen worden war, kämpfte Grigorenko für die Autonomie der Krimtataren. Drei Jahre darauf protestierte er gegen den sowjetischen Einmarsch in der Tschechoslowakei und wurde zu einem zentralen Akteur in der sowjetischen Menschenrechtsbewegung, zusammen mit Sacharow, Jessenin-Wolpin und Wladimir Bukowski.
Als er am 7. Mai 1969 abermals festgenommen wurde, wurde er ins Gefängniskrankenhaus von Tschernachowsk geschickt und dort für paranoid-schizophren erklärt. Nun setzten die Flugblattaktionen ein.
»Das hat doch keinen Sinn«, sagt Vater, über die Zeitungen gebeugt.
»Chruschtschow hätte so etwas nie getan«, sage ich.
»Ketil .«, Vater schüttelt den Kopf.
»Na gut, dann.«
»Und jetzt wollen Lie und Bristol noch einmal nach Moskau fahren und dieselbe Strafe verlangen wie Gjengset.«
»Das ist tapfer«, sage ich.
»Das sollten wir alle tun«, sagt Vater.
Ich übe mehr Prokofjew. Denke an die wahnwitzige Zensur, der er, Schostakowitsch und viele andere Komponisten ausgesetzt waren. Oft fürchteten sie um ihr Leben. Die intellektuelle europäische Musik war geächtet. Sie gehörte der dekadenten Elite und den Salons an und hatte mit echtem Kommunismus nichts zu tun. Die Musik sollte einen breiten, volkstümlichen Appell haben. Beide Komponisten versuchten, sich dem Regime anzupassen. Aber als Grigorenko im Gefängnis gefragt wurde, ob er seine Überzeugung geändert habe, erwiderte er: »Überzeugungen sind keine Handschuhe. Man kann sie nicht so leicht wechseln.« In VG steht, dass Gjengset mit zwölf Monaten Isolation in einem russischen Gefangenenlager rechnen muss, »von denen sich einige an Grauen mit denen der Stalinzeit messen können«. Mutter hat mehrere Bücher von Alexander Solschenizyn mit nach Hause gebracht. Vaters Lieblingsbuch ist Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch, das jetzt mit Tom Courtenay in der Hauptrolle verfilmt werden soll. Courtenay hat auch in Doktor Schiwago mitgespielt. Er ist jung. Er ist Engländer. Er hat alles, was keiner der geschniegelten amerikanischen Schauspieler hat. Für ein kleines Land wie Norwegen ist es fast eine haarsträubend große Angelegenheit, dass Tom Courtenay mitmacht. Obwohl der Däne Casper Wrede Regie führt und der Schwede Sven Nykvist, Ingmar Bergmans rechte Hand, hinter der Kamera steht, ist es eine norwegische Produktion. Ein kleines Land kämpft um alle Anerkennung, die es bekommen kann. Aber noch wichtiger ist, dass dieser große britische Star, der vielleicht eines Tages an einem James-Bond-Film mitwirken wird, jetzt mit echten norwegischen Theaterlegenden zusammen dreht, wie Alf Malland, Sverre Hansen, Espen Skjønberg und Odd Jan Sandsdalen. Ganz zu schweigen von Lars Nordrum. Ich hatte Nordrum als den poetischen Beobachter Jacques de Bois in Shakespeares Wie es euch gefällt im Frognerpark gesehen unter der Regie des jungen Kjetil Bang-Hansen. Das war der Bruder von Pål, dem Filmregisseur, der mich gequält hatte, weil ich in seinem ersten großen Film über das Kunstzentrum auf Høvikodden immer wieder Finn Mortensens komplizierte Fuge spielen musste. Nordrum wandelte zwischen den Bäumen einher und war düster, jung und verletzt. Als er »Die ganze Welt ist eine Bühne .« vortrug, weinten wir alle. Dazu kommt die Musik von Finn Ludt: Ducdame, Ducdame, Ducdame. Entweder purer Unsinn, oder eine Variation des walisischen dewch da mi: Kommt zu mir. Jedenfalls wurden damit alle Narren gerufen. Und das war in der Glanzzeit des Specks, deshalb saß ich da, auf den unbequemen Zuschauerbänken, und spürte das Gewicht meiner eigenen Schwere, der Sehnsucht und der Narretei, während ich mich in die Geheimnisse des Ardennenforstes hineinträumte und die schöne Darstellerin der Rosalind durch Aimée ersetzte. Und nun war also Lars Nordrum wieder da, der charismatische Schauspieler, der seinen Stammtisch in Jaquets Bagatelle ganz unten in der Bygdøy allé hatte, wo er regelmäßig Hühnerfrikassee oder Kalbsfilet Oscar mit Rotkohl verzehrte. Rotkohl aßen alle da unten bei Jaquet. Nordrum wäre ein besserer James Bond gewesen als Tom Courtenay, vielleicht sogar ein besserer als Sean Connery, aber ich wagte nicht, das irgendwem zu sagen, da in diesem Winter die Zeitungen über Courtenay schrieben, als der Film über Iwan Denissowitsch gedreht wurde. Der Handwerker, der zu zehn Jahren Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt wurde. Alles, was ihm etwas bedeutete, wurde ihm genommen. Vater liest aus Solschenizyns ergreifendem Buch...
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