Schweitzer Fachinformationen
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Wenn mein Leben eine Folge von »Auf der Spur von« wäre, dann würde die ungefähr so anfangen: »Wir beginnen unsere Reise zwanzig Minuten vor unserem Endziel.« Die Kamera würde dann ein Vierparteienhaus zeigen, das irgendwann in den vierziger Jahren erbaut worden ist, zu der Zeit, in der alle kleinen Orte glaubten, die Zukunft bestehe aus einer stetigen Expansion. Da die Expansion hier nur aus dem Eisenbahnausbau bestand, könnte die Kamera der inzwischen stillgelegten Bahnlinie folgen, um dann abzubiegen, die Stadtverwaltung mit Arbeitsamt und Zahnärztlichem Zentrum passieren und dann den eigentlichen Ortskern erreichen; eine Reihe aus niedrigen Gebäuden, die früher einmal sehr viel mehr Läden beherbergt haben als heute.
Skogahammar ist die Art von Ort, die keine wichtige Industrie mehr aufweisen kann, seit der schwedische Staat sich mit den Waldfinnen wegen der Brandrodung zerstritten hat (wir hätten schon damals Unrat wittern müssen, was Schließungen und Verlegungen und Bürokratie angeht). Wir haben durch unsere geographische Lage überlebt, da wir in Pendlerentfernung von mehreren inzwischen abgewickelten Industrien liegen. Jetzt sind unsere größten Arbeitgeber die Gemeinde und das Arbeitsamt: Wir überleben mit Hilfe künstlicher Beatmung, die wir uns selbst verpassen.
Vielleicht würde in der Sendung über mein Leben etwas über bekannte Personen gesagt werden, die aus Skogahammar stammen, aber das wäre nicht leicht. Wenn man in Wikipedia unter Skogahammar sucht, dann findet man unter »Bekannte Personen aus Skogahammar«: Tompa Stjernström, Eishockeyspieler, Jocke Andersson, Eishockeyspieler. Sara Andersson, ausgeschieden bei »Schweden sucht den Superstar«. Und Anna Maria Mendez, Bürgermeisterin. Letzteres ist ein Scherz, aber bisher hat Wikipedia es nicht getilgt.
Ich vermute, man könnte auch erwähnen, dass Olof Palme einmal hier war. Das ist das Allerhistorischste, was uns je passiert ist. Alle über vierzig erinnern sich an den Besuch, als wäre es gestern gewesen, auch wenn sich die Informationen über die genauen Details unterscheiden. (»Es war ein strahlender Tag, und damals sah die Zukunft überhaupt strahlend aus«; »grau, das Wetter war grau, wie der Kommunismus, den er in Schweden einführen wollte.«) Emma hat ihre Hausarbeit über den angeblichen Besuch geschrieben und konnte keine Quellen finden, die bestätigten, dass Palme wirklich hier gewesen war. Näher als bei einem Besuch im Bofors Hotel und bei einem offiziellen Besuch in Karlskrona im Wahlkampf '82 ist er uns wohl nicht gekommen.
Aber wenn er jemals auf der Straße hier vorbeigefahren ist, dann ist davon jedenfalls nichts für die Nachwelt bewahrt worden. So kurz und sinnlos war dieser Besuch, wenn es ihn also gegeben hat.
Und nun nähern wir uns dem Ziel unserer Reise. Wir sehen den Supermarkt Mat-Extra in Skogahammar. Alles ist dunkel, da wir JEDEN TAG um 9 öffnen (außer Weihnachten, Ostern und Mittsommer), aber unser Chef Klein-Roger findet das Schild statistisch gesehen korrekt. Im Durchschnitt öffnen wir jeden Tag. Im Moment werben wir mit Sonderangeboten für Ketchup, Hähnchenkeulen und Grill-Koteletts. Offenbar hat uns noch niemand erzählt, dass der Sommer vorbei ist.
Ich arbeite seit zwölf Jahren hier, fast länger als alle anderen, auch länger als der Chef. Die Einzige, die noch länger hier arbeitet, ist Pia, die mich hergeholt hat, als ich damals einen Job brauchte. Sie hat mit vierzehn bei Mat-Extra angefangen, wenn auch mit einer Unterbrechung von zehn Jahren, um zu heiraten und sich Kinder zuzulegen. Dann landete ihr Mann im Knast. Das kommt in Skogahammar an sich nicht so selten vor, aber er fuhr wegen Steuerhinterziehung ein, und das war eine Sensation. Die meisten von uns verdienen nicht genug, um den Jagdeifer des Finanzamts zu erregen. Also kam Pia wieder zurück. Sie findet, dass im Mat-Extra eine Geborgenheit schenkende Von-der-Wiege-bis-zur-Bahre-Stimmung herrscht. Ein bisschen wie in der schwedischen Staatskirche.
Und wenn ich in »Das ist ihr Leben« mitmachte? Dann könnten sie dasselbe Material verwenden und dazu meine Kollegen und Emma einladen, die auftauchen, während ich die Überraschte spiele. Und Mama natürlich, aber die wird immer verwirrter, und in ihren lichten Momenten würde sie sich sicher nicht zur Mitarbeit bereit erklären. Sie findet, das Fernsehen sei unmoralisch geworden, seit wir das Zweite Programm bekommen haben.
Ich bin achtunddreißig Jahre alt, eine alleinstehende Mutter ohne Kind, arbeite bei Mat-Extra und wohne in dem Ort, aus dem Gott weggezogen ist. Da hast du mein Leben.
Das Gespräch im Personalzimmer an diesem Montagmorgen handelt wie so oft von der Wahrscheinlichkeit, dass Klein-Roger eine stellvertretende Teamleiterin finden wird. Er hat diesen Posten vor zwei Monaten eingeführt, um uns zu »Initiative und Eigenverantwortung« anzuregen. Jede Woche erinnert er uns daran, wie wichtig es ist, »sich auf die Hinterbeine zu setzen« und »die Verkaufsbrille aufzusetzen, ihr Blindschleichen!« (Das hat er zuerst auf einem Inspirationsabend bei Rotary gehört und bringt es seitdem konsequent immer wieder.) Bisher ist Nesrin die Einzige, die mit dem Gedanken an eine Bewerbung spielt, aber das nur, weil ihr Vater dann einen Herzanfall erleiden würde. Er betreibt unseren lokalen Kiosk und hat ihr verboten, bei ihm zu jobben. Er hatte immer schon drei Regeln für ihr Leben: Ausbildung, Ausbildung und Ausbildung, und da lag es doch auf der Hand, dass sie nach dem Abitur ein Sabbatjahr einlegen würde, um hier bei uns zu arbeiten.
Wir sind fünf Vollzeitangestellte und arbeiten vor allem werktags. Außer uns gibt es ungefähr ebenso viele Jugendliche, die am Wochenende und an bestimmten Abenden aushelfen. Wir Vollzeitangestellten sind natürlich überzeugt davon, dass die anderen keine Ahnung haben und viel zu faul für richtige Arbeit sind. »Das will ich ja wohl hoffen«, sagt Pia immer, wenn dieses Thema zur Sprache kommt, was ungefähr jeden Montag der Fall ist. »Es ist schön zu wissen, dass die Jugend weiterhin die richtigen Prioritäten setzt.«
Heute sind alle Vollzeitangestellten zur Stelle und hören Klein-Rogers Brandrede mit unterschiedlicher Begeisterung zu. Mit der Zeit haben wir uns selbst in Gruppen eingeteilt, auf diese lockere Weise, wie das eben so passiert. Ich, Pia und Nesrin streben zueinander, in einer Gruppe, die Pia als »die einzig Vernünftigen, und auch das ist relativ« bezeichnet.
Dann haben wir Klein-Roger und Groß-Roger. Sie haben außer dem Namen und der Tatsache, dass sie Männer sind, eigentlich keine Gemeinsamkeiten, aber das reicht, um sie zusammenzuschweißen. Klein-Roger ist klein und untersetzt, er hat eine nervöse Persönlichkeit, die er durch kleine, passiv-aggressive Sticheleien ausgleicht. Warum er sich einbildet, Chef an einem Arbeitsplatz voller Frauen sein zu müssen, ist ein Mysterium. Er hat keine Chance, unsere Mütter haben uns gegen nervöse Persönlichkeiten und passiv-aggressive Sticheleien abgehärtet, seit wir alt genug waren, um sie zu enttäuschen. Die meisten von uns finden ihn eigentlich in Ordnung, für einen Chef, wohlgemerkt. Pia hat es sich vielleicht zur Lebensaufgabe gemacht, sich mit ihm zu streiten, aber ich bin sicher, es ist freundlich gemeint.
Groß-Roger ist mindestens dreißig Zentimeter größer und vermutlich vierzig Kilo schwerer. Er macht gern Witze, um andere gegen sich aufzubringen, aber da es nichts Böses in ihm gibt, gelingt ihm das nicht besonders oft. Das heißt jedoch nicht, dass er es nicht weiterhin versucht.
Maggan ist eine Klasse für sich. Sie ist fünfundfünfzig, hat im Rahmen eines EU-Projektes hier angefangen und steht voll und ganz auf Klein-Rogers Seite. Ihr Vater war Offizier, was sie im Gespräch überraschend oft erwähnt, deshalb vermute ich, sie ist dazu indoktriniert, sich einzufügen und Befehlen zu gehorchen.
Sie ist zum Beispiel die Einzige, die Klein-Roger gerade zuhört, während er versucht, Pias ewige gemurmelte Kommentare zu übertönen. Ich selbst habe schon mein Handy herausgeholt und klicke mich zu Google durch.
Wenn man »Mit einem Teenager überleben« googelt, bekommt man in null Komma einundzwanzig Sekunden siebenhunderttausend Treffer.
Wenn man »Ohne einen Teenager überleben« googelt, bekommt man rein gar keine praktischen Tipps.
Ich werde meine eigenen Strategien entwickeln müssen, denke ich. Aber was soll man denn eigentlich machen?Aus einem Geistesblitz heraus googele ich »Krise mit 40«, für den Fall, dass mir das irgendeine Inspiration liefern kann, aber auch in diesem Punkt scheint niemand einen guten Rat zu wissen.
Vielleicht gibt es heutzutage keine Krise mit vierzig mehr? Wann soll man sich denn eigentlich jüngere Liebhaber und Cabriolets anschaffen und es mit Solarium und kurzen Röcken übertreiben? Ich versuche es mit »Krise mit 50«, aber Google schlägt »40« vor, und ich stehe wieder auf Los.
»Wie heißt Krise mit vierzig auf Englisch?«, frage ich. Pia sieht mich seltsam an, aber Klein-Roger sagt verdächtig schnell: »Midlife-Crisis.«
Sieh an. Auf Englisch finde ich sehr viel mehr Informationen. Wikipedia hat sogar eine lange Liste über die vielen Ursachen einer solchen Krise. Aber die muntert mich auch nicht weiter auf. Arbeitslosigkeit, Tod der Eltern, verlorene Jugend und herannahendes Alter, die Arbeitsstelle hassen, Kinder, die von zu Hause ausziehen, Wechseljahre und Fremdgehen (bei Letzterem scheinen Symptome und Ursachen in enger Verbindung miteinander zu stehen) sind nur einige der vielen lustigen Dinge, auf die wir in der reiferen Jugend uns einstellen können.
Ich versuche, mir ein freies Leben ohne...
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