Schweitzer Fachinformationen
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Eine Datscha, nicht weit, aber weit genug von der Stadt entfernt, ideal zum Arbeiten - das ist der Plan. Sergej, ein junger Schriftsteller und Vater, richtet sich dort mit seiner Frau und dem kleinen Sohn für die Sommerfrische ein. Von der Landpartie erhofft er sich die Muße, endlich in Ruhe schreiben zu können. Aber aus der Abwesenheit urbaner Zumutungen entsteht keine Konzentration, sondern eine andere Art der Unruhe, die ständig um das (Nicht-)Schreiben und seine äußeren Bedingungen kreist, um Nähe und Abgrenzung, Autonomie und Selbstorganisation.
Den herrlich atmosphärischen, oft selbstironischen Alltagsbeobachtungen und -reflexionen des »Lebens bei windigem Wetter« werden die »Aufzeichnungen aus der Ecke« an die Seite gestellt - ein intimer Werkstattbericht, die Innenschau des Schreibenden, seine Notate zu Lüge und Wahrheit in der Literatur, zu Tod und Ungerechtigkeit, Traum und Wirklichkeit.
Und so ergibt sich das hinreißende Doppelbild eines jungen Mannes in den windigen Wettern zwischen Familienalltag und Werk - ein Text von großer Gegenwärtigkeit und überraschender, zeitloser Aktualität.
Ich hatte einen Traum. So etwas wie eine Versammlung. Der Ort, wie stets im Traum, unbestimmt, ob Saal, ob Keller, vielleicht oft von mir besucht, vielleicht bin ich erstmals dort - eine Art Schriftstellerversammlung. Obwohl ich quasi niemanden kenne. Jedenfalls, eine hybride Verbindung aus Traum und Erinnerung: etwas gut Bekanntes und etwas mir gänzlich Unbekanntes.
Solcherart Publikum und Saal. Die Versammlung allem Anschein nach ideologisch ausgerichtet. Irgendwelche Leidenschaften kochen hoch, irgendwer verbreitet Gemeinheiten, irgendwer schleimt sich ein; weiß nicht mehr, wer und was, jedenfalls - widerlich. Im Saal (als hätte er keine Fenster, oder sie sind verhangen, versperrt und fest verkittet) herrscht Halbdunkel, das Licht schwach, schmutzig gelb, und die Menschen sitzen wie in einem Dorfklub auf langen, schlichten Bänken, dicht aneinander, ununterscheidbar.
Und da wenden sich quasi alle mir zu, und ich, der ich irgendwo fern vom Präsidium stehe, still an der Wand, bin im Zentrum. Als ob der Vorsitzende von der Bühne auf mich deutete, als flüsterte mir irgendwer hitzig ins Ohr, stachelte mich auf (kann mich einfach nicht zu ihm umdrehen, alles hinterrücks .), irgendein Bekannter, womöglich gar ein Kamerad, trotzdem unbestimmt, wer. Und mir dämmert, dass von mir verlangt wird, mich zu »erklären«: Sie da, Sie schweigen immer, schweigen sich aus, dabei, wie denken Sie? nicht so? dann haben Sie den Mut . Ich bin noch immer nicht imstande, mich von der Wand zu lösen, ich spüre schon - wenn sie mich nötigen, kann ich mich nicht in die Büsche schlagen, mich raushalten, weder ja noch nein, weder Wahrheit noch Lüge, das unbestimmte Gelee aus Angst und dem Wunsch, »ehrlich« zu bleiben, wird diesmal nicht gelingen. Und ich werde alles sagen, was zu sagen ich imstande bin, je nach Fähigkeit und Notwendigkeit, Zustand und Bildung, Angst und Vorwurf.
Ich stehe noch an der Wand, von hinten wird mir ins Ohr geflüstert, werde ich angetrieben; etwas in mir wird kalt und sinkt vor Angst und Entschlossenheit; in irrem Tempo blitzen mir, im Wechsel mit Furchtkrämpfen, Fetzen erster Sätze und Varianten von Anfängen durchs Gehirn . und plötzlich stehe ich auf dem Podium, dieser Amateurbühne: Vor mir und etwas unter mir der Saal, verborgen im Dunkel, er schweigt und atmet, ich sehe ihn nicht und rede. Erstaunlich, wie ich rede, in einer Trance der Aufrichtigkeit und Blindheit, wie entschlossen zum Sprung, doch die Seele ächzt und erstarrt im Flug . Rede womöglich nicht klug, zumindest reicht es, um mich und den Saal zu erregen. Was ich sage, habe ich mir nicht gemerkt, wie sehr ich mich hinterher auch anstrenge, bloß zwei Sätze:
»Wenn man Semjon Babajewski jetzt nach China versetzte, würde er dort die Rolle von Wassili Axjonow spielen, und wenn man Wassili Axjonow in die Vereinigten Staaten versetzte, wessen Rolle würde er dort spielen? Wo ist da noch Literatur? Nicht darum geht es .«
Und der andere: »Wenn Millionen - ein paar oder alle, die es gibt - von Juden oder Künstlern oder einfach lebendigen Menschen versammelt und im Konvoi irgendwohin zu einem Abgrund geführt würden, zum Erschießen, zur Vernichtung, und einer davon erwiese sich plötzlich (bei solchen Dimensionen sind Fehler kaum auszuschließen!) nicht als Jude, sondern als Udmurte, nicht als Künstler, sondern als Schlosser, nicht als lebendig, sondern als Leiche, so schreit er: >Welche Ungerechtigkeit!< Nicht in seinem Namen rede ich .«
Und da bin ich am Ende, ich gehe den schmalen Durchgang zwischen den Bänken entlang, und ringsum ein solches Schweigen, solch eine Spannung und ein Atmen, als wäre dort, wohin ich gehe, nicht der Ausgang, sondern ein Grab, der Abgrund, das Nichts. Ich gehe und wache auf mit jedem Schritt.
Ganz aufgewacht, sehe ich die Sonne hinter der Gardine vorkommen und gegenüber das Bettchen meiner Annuschka; sie ist schon wach, hingebungsvoll und geschäftig rupft sie an ihrer Windel und blubbert vor Vergnügen. Aber dann spürt sie, dass ich sie anschaue, sie lässt ab von der Windel und schaut zu mir, erkennt mich - in sichtbarer Bewegung läuft das Erkennen über ihr Gesicht -, sie freut sich, strahlt, und zum ersten Mal sagt sie zu mir: »Pa-pa«.
Wenn wir von »Ungerechtigkeit« reden, verstehen wir darunter stets einen gesellschaftlichen Prozess. Ob du ins Gefängnis kamst, ob du erschossen wurdest, ob dir zu erwartende oder verdiente Rechte oder Vorteile genommen wurden oder ob du in deiner Tätigkeit gestört wurdest - stets ist darunter eine gewisse Zeitspanne vor diesem beklagenswerten Resultat zu verstehen, eine gewisse Anzahl beteiligter Personen, gewisse Kräfte, fernstehende, äußere, die sich eingeschaltet haben. Alles ändert seine Färbung, stellt man sich das uns schreckende Resultat als etwas vor, das überraschend und schlagartig eintrat und in einem solchen Sekundenbruchteil zuschlug, dass du gar nichts spüren konntest, unbelastet bist von vorausgegangenen Strapazen, verlogener Logik, die einem nicht in den Kopf will, vom gesellschaftlichen Umfeld, von wütenden Papieren mit Unterschriften - und von die-ser Zeit-span-ne. Darauf zeigt sich, dass wir eben den Prozess, der zu dem Resultat führt, als »Ungerechtigkeit« bezeichnen, nicht das Resultat selbst, das ist eher Verhängnis, Schicksal, das Ende, und wäre nicht dieses zermürbende Rotieren in gesellschaftlichen Sphären, wenn wir uns des nahenden schrecklichen Resultats bewusst werden, wenn wir die Kräfte des Bösen in dieser, eben gesellschaftlichen, Sphäre erkennen, ihre unerbittliche Logik, die nur aus der Abwesenheit von Logik besteht, aus dem unabänderlichen, kräftigen Behaupten des Vorgeschriebenen (wenn solches Behaupten mit unseren Interessen zusammenfällt, ist gewöhnlich nicht von Ungerechtigkeit die Rede, dabei ist die Mechanik dieser Kräfte die gleiche, ob sie mit unseren Interessen nun zusammenfällt oder nicht), und gäbe es dieses nur als äußere Mechanik unerbittlicher Kräfte bewusst gewordene, das heißt im Bewusstsein nicht unterzubringende Rotieren nicht, so verwandelte sich alles in reinen Zufall.
Stellen Sie sich vor, Ihnen nähert sich ein Mensch, Sie haben ihn nie gesehen, Sie erkennen ihn nicht, es verbindet Sie nichts mit ihm (wie übrigens mit jedem Vollstrecker), und hat er Sie eingeholt, erschießt er Sie . Vielleicht tritt der Tod augenblicklich ein, darauf werden Ihre Nächsten sagen: Wie absurd, was für ein absurder Zufall, noch gestern hat er gescherzt . Wenn der Tod nicht gleich kommt, werden auch Sie, leidend, sich sagen: Wie ärgerlich, so plötzlich zu sterben, aufgrund eines dummen Zufalls - und dennoch verlassen Sie die Welt, weit entfernt vom eigentlichen Grund lange vor Ihrem Tod.
Ja, und in der Vorstellung lasse ich jetzt oft den Prozess aus, den wir als Ungerechtigkeit empfinden, kürze ihn wie einen erweiterten Bruch und stelle mir unmittelbar das Resultat vor: absurd, schlimm, unfassbar, dumm, zufällig - meinetwegen! doch wo steckt da Ungerechtigkeit?
Darin etwa, dass es kein Urteil gab, oder darin, dass es dir nicht verlesen wurde? Darin, dass du damit nicht einverstanden bist, oder darin, dass du das Recht eben dieses Gerichts nicht anerkennst, über dich zu urteilen? Darin, dass du dich vor dem Sterben fürchtest, oder darin, dass du nicht dazu bereit bist? Darin, dass es keinen Grund gibt, oder darin, dass du ihn nicht verstanden hast?
Aber selbst wenn man sich die Möglichkeit versagt, das Wesen der Dinge zu erfassen, wenn man auf eine niedrigere Ebene hinabsteigt und sich auf äußerliche und soziale Kategorien beschränkt, erweist sich Ungerechtigkeit umso mehr als ein zu subtiler und vernünftiger Begriff für eine Welt, errichtet und begriffen auf diesem Niveau (oder, wie wir in solch einem Fall sagen, für die heutige Welt), und das Wesentliche liegt, wie sich zeigt, plötzlich darin (wenn man alle ...
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