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»Jenseits des Puschkin-Passes, wo die biblische Landschaft Armeniens allmählich dem warmen und feuchten Lebensatem Georgiens weicht und alles so stetig und zielstrebig anders wird, bogen wir von der Landstraße ab und tauchten ins herandrängende Grün.« Die Fahrt durch eine Schlucht, über eine löchrige Brücke, die den Blick auf ein Autogerippe tief unten im gischtenden Wasser freigibt, gleicht einem Augenrausch. Als hätte der Mensch die Welt soeben zum ersten Mal betreten.
Das Ziel der Reise ist die Ankunft in der Gegenwart, »im Echten«, dort, wo man im Fremden ganz bei sich ist. Bitow erhebt die Fernsicht zum poetischen Prinzip. »In Georgien schrieb ich über Rußland, in Rußland über Georgien. Warum mußte ich mich im Dorf Golusino bei Kostroma oder in Golizyn bei Moskau von Tifliser Visionen bedrängen lassen, um dann, als ich endlich in Tiflis war, über den Leningrader Zoo zu schreiben!« Was ihm im Süden wie eine Gnade zuteil wird - die Fülle des Lebens -, das kann er im russischen Norden, in der Stadt, nur im Wachtraum, im Bewußtseinsdämmer heraufbeschwören.
Die Reisebilder und autobiographisch gefärbten Erzählungen im Georgischen Album gehören zu Bitows stärksten Prosastücken: Erinnerungsblätter, die nicht nur den Landschaften des »russischen Italien«, sondern auch den geliebten Orten und Menschen seiner Heimatstadt Petersburg gewidmet sind.
Meine Tochter sagt: »Früher mal gab es viele Georgier.«
Und meine Tochter ist vierzig. Da hat der Mensch schon Erinnerungen .
Es gab also viele Georgier, noch vor einer Generation.
Und meine Tochter hat recht!
Früher gab es bei uns Völkerfreundschaft. Usbeken, Tadschiken und Aserbaidschaner waren in aller Munde, sogar Osseten. Armenier gab es noch speziell, der Witze wegen. Und Juden natürlich. Tschetschenen gab es, wie mir scheint, noch nicht. Es gab Gerüchte über die vertriebenen Tschetscheno-Inguschen (wie über die Krimtataren). Aber nur die Georgier haben wir speziell geliebt, ohne Völkerfreundschaft. Sollten wir sie dafür geliebt haben, daß sie keine Usbeken, keine Tataren, keine Armenier und keine Juden sind? Heute kommt mir der Verdacht, wir hätten sie dafür geliebt, daß sie keine Russen sind. Nicht wir. Aber wie wir. Aber besser als wir . Nein, nicht besser natürlich - schöner!
Schwierig, sich selbst der Unschönheit zu verdächtigen.
Nein, es will mir nicht gelingen, Politkorrektheit zu wahren!
Das Georgische Album wurde gleich nach den Armenischen Lektionen geschrieben, davon zeugt die »Erinnerung an Hararzin«, das erste, das Einreisekapitel.
Der Übergang. Über den Paß.
Die Armenischen Lektionen waren, so erwies sich beim Blick zurück von der Paßhöhe, gebaut wie eine Kirche. Eine ganzheitliche, siebenkuppelige Konstruktion, durchaus dem Objekt der Beschreibung vergleichbar - und ist nicht eingestürzt, hat standgehalten.
Armenien hatte ich erschlossen, nach Georgien kehrte ich zurück. Wie nach Hause. Deshalb ist das Georgische Album keine Kirche mehr, sondern eine Kirchenruine. Darum wechseln georgische und russische Kapitel einander ab. Darum auch »Album«, weil die einzelnen Seiten für sich stehen.
Wir sind uns ähnlich, aber sie sind schöner. Verliebtheit und Liebe, heißt es, unterscheiden sich genauso wie Werbung und Ehe. Weiß ich nicht, sagt Soschtschenko, glaub ich nicht. Werben, das können die Georgier. Und eben da setzt wenn nicht Neid, so Eifersucht ein. Wie der den letzten Rubel aus der Tasche zieht, wie ein Cowboy die Pistole, was der für Halbschuhe anhat! Wie ihm der Mantel vorne aufspringt! Was für ein Manschettenknopf, dabei fehlt der andre. Wie unrasiert der ist! Als hätte er extra drei Tage ausgeharrt, bevor er aus dem Haus ging. Der Haß auf Menschen von gutem Schlag, der im Oktober-Umsturz triumphierte, wurde unbewußt (und trotz allem über Stalin) SUBLIMIERT in dieser eifersüchtigen Vorliebe für die Georgier. Haben ja praktisch den gleichen Glauben, trinken gern, ihr Akzent bringt uns die Muttersprache zurück. Im übrigen hat Stalin die russische Sprache sehr geliebt, sogar zu sehr, womöglich hätte er sie liebend gerne BEHERRSCHT. O russische Sprache! Ich beherrsche sie nicht, sie beherrscht mich . In allen anderen Fällen hat Stalin . Doch ich komme vom Weg ab. Kehren wir zur Mutter zurück.
Das Georgische Album wurde IM ÜBERMASS geschrieben. Was ist das denn für ein Wort! Was steht hinter diesem Wort? Zuviel. So geht das nicht. Kehren wir zur Mutter zurück.
Ich wollte meine letzte Liebe durch meine Rederei DECKEN.
Während ich an diesem Vorwort schreibe, sind es fünfzig Jahre seit Stalins Tod. Gestern hat Reso angerufen (der Freund, der mir seinerzeit die Schreibmaschine brachte, damit ich endlich anfing, fertig zu werden).
Das Jahr war allerdings 1970. Das Kapitel (das zuerst geschriebene) war allerdings »Der letzte Bär«, in dem ich mit meiner Tochter, noch im heimatlichen Leningrad, wir beide eine Generation jünger, in den Zoo gehe. Geschrieben ist es allerdings in Tiflis.
Schwierig, heute das Maß der damaligen Verzweiflung einzuschätzen. Wie wir nichts als den teuren Leonid Iljitsch vor uns hatten, und das für immer. Wie außer Breschnew alles Mangelware war. Zumindest über sich selbst lachen konnte man.
Jedes Kapitel des Georgischen Albums ist geschrieben, als wäre es das letzte, als Abschiedskapitel. Wovon nahm da wer Abschied?
Drei georgische Kapitel wurden dann legal veröffentlicht, 1976, als Hintergrund zu Porträts meiner Freunde, drei russische Kapitel bereits illegal, 1979, im zensurlosen Metropol, dem berüchtigten Almanach.
Das Buch als Ganzes mußte Glasnost abwarten, um veröffentlicht zu werden.
So daß dieses Buch auch ein Denkmal für die glasnostlose Zeit ist.
Davon handelt das ganze Buch. Ich hatte schon 1970 von der Glasnostlosigkeit Abschied genommen, als ich, zur gleichen Zeit, ans Puschkinhaus ging, und seither habe ich noch einmal dreiunddreißig Jahre gelebt.
Sowjetisches und Russisches war damals noch deutlich geschieden. Besonders leicht gelang das in Georgien. Als ob die Georgier alle anders wären, und du allein dazwischen, na, ein Russe eben. Als ob Georgien sogar mehr Rußland wäre als Rußland selbst, jedenfalls mehr Rußland als die Sowjetunion.
Haben sie mich tatsächlich so geliebt wie ich sie? Schließlich stellte ich niemals mein Recht in Frage, zu ihnen auf Besuch zu kommen, als käme ich nach Hause. Aber war ich ihnen nicht zuallererst vor dem Zentralen Telegraphenamt in Moskau begegnet, wo sie betont geschäftig die Treppenstufen herabstiegen, wie Ausländer? Das ist es ja, daß ich jetzt so schreiben kann, damals konnte ich es nicht. Umsorgt und über Beziehungen in einem luxuriösen Einzelzimmer untergebracht, merkte ich gar nicht, wie alles vonstatten ging, wo mein Freund verschwand und wo er wieder auftauchte, »mein erster Freund, mein teurer Freund«, wem er was unmerklich ins hohle Händchen steckte, und als mir endlich aufging, ihn zu fragen, war er gar nicht mehr da, weil er irgendwie ganz besonders weit irgendwohin gefahren war, um für mich eine Schreibmaschine zu besorgen, eine mit russischem Alphabet, seine war dummerweise mit georgischem - ach, es gibt auch welche mit georgischem? wie viele Buchstaben hat denn das Georgische? - kam nicht mehr dazu, ihn zu fragen, denn da war er schon mit der Schreibmaschine zurück, denn ich hatte den Wunsch geäußert, in diesem Einzelzimmer mit dem Schreiben dessen anzufangen, was nach diesem Vorwort folgt.
All die Käuflichkeit in Georgien war von vertrauter, familiärer Art. Bestechen konnte man nur, wem man vertraute, oder vielmehr - wer einem vertraute.
»Was für ein netter Russe!« Ein Ausspruch, der mir auf einem Treppenabsatz im Ohr hängengeblieben war; ausgesprochen hatte ihn das betagte Muttchen oder Tantchen des Freundes meines Freundes, und aufgenommen hatte ich ihn erstaunlich positiv, als ein Kompliment, meiner würdig. Dreiunddreißig Jahre später brennt mich die Scham. Bin ich wirklich so nett? Sind sie wirklich so schön?
Mit meiner Mutter hatte ich Georgien vor mehr als einem halben Jahrhundert zum ersten Mal erblickt. Mama zeigte mir also Georgien. Zu Anfang hieß das Kaukasus. Ich erblickte die Berge am Horizont von Mineralnyje Wody. Das können Sie bei Lew Tolstoi in den Kosaken und bei Lermontow im Held unserer Zeit nachlesen. Mir ist im Gedächtnis geblieben, wie der Hausknecht morgens das schäbige, noch nicht erwachte Städtchen fegte. Er kämmte den Staub mit gleichmäßigen Besenschwüngen, als ob er Gras mähte, und hinter ihm setzte sich der Staub wieder in ebenmäßigen Reihen, wie der Sand am Saum der Brandung. Mama mußte sehr lachen, als ich ihr sagte, daß er den Staub kämmte, das gefiel ihr.
Was für ein Jahr das war: Stalin wurde 70, Puschkin also 150.
Ein Berg ist etwas zum Raufklettern. Als ich den Elbrus erblickt und bis zum Gletscher erstiegen hatte, begriff ich, daß ich als Bergsteiger zur Welt gekommen war. Jetzt kraxle ich am Steilhang des Vorworts zum Gipfel des eigenen Buchs hoch - und rutsche ab.
Damals war Stalin noch am Leben. Ich wurde mit Mama vor dem Häuschen photographiert, in dem er zur Welt gekommen war. Mama sitzt in der ersten Reihe auf dem Boden, die letzte Reihe steht; ich bin in der mittleren, habe so einen weißen Militärrock à la Mao an; aber wenn ich nicht sitze und nicht stehe, wie komme ich dann auf dem Photo in die mittlere Reihe? Somit knie ich.
Wie ließe sich, was ich damals empfand und verstand, von dem trennen, was ich empfand und verstand, als ich das Georgische Album schrieb, und von dem, was ich heute empfinde oder nicht empfinde, verstehe oder nicht verstehe? Nein, ich kann nicht mein eigener Leser sein, dazu bin ich ja Autor. Und ich werde dieses Buch vor der deutschen Ausgabe nicht erneut lesen. Bestimmt steht alles, was ich jetzt, dreißig Jahre später, schreiben könnte, darin schon geschrieben.
Wir beneideten uns gegenseitig, Georgier und Russen, von gleich zu gleich - das Fundament einer großen Freundschaft. Nach Georgien und Armenien haben sich viele geflüchtet. Haben sich hinter der Völkerfreundschaft versteckt, unsere großen Dichter, hinter der Übersetzung dortiger Dichter ins Russische. Schon für Puschkin war das einzige große Geburtstagsfest zu Lebzeiten in Tiflis arrangiert worden. In sowjetischer Zeit versteckten sich alle...
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