Schweitzer Fachinformationen
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Hamburg
Die Pfütze vor dem Eingang zum Motel Sieben in St. Pauli ist fast so groß wie der Eppendorfer Mühlenteich. Seit gestern Nachmittag bis vor gut einer Stunde hat es ohne Unterlass geregnet. Auf der glatten Wasseroberfläche spiegelt sich die blaue Neonbeleuchtung über dem Eingang zur Lobby.
Katharina Hofmann packt den Griff ihrer Reisetasche fester und sucht nach einem Weg um die nasse Barriere herum. Ein Taxi braust heran und pflügt eine Schneise ins Wasser, das in einer hohen Fontäne zur Seite spritzt. Katharina springt im letzten Moment zurück, doch eine korpulente Dame mit Hund hat weniger Glück. Katharina weiß nicht, wen sie mehr bemitleiden soll: die fluchende triefnasse Dame oder ihr Haustier, das mit herabhängendem Fell aussieht wie der sprichwörtliche begossene Pudel. Aus ihrer Reisetasche zieht Katharina ein kleines Handtuch und reicht es der Frau, die sich dankbar Haare und Gesicht damit trocknet. Für die Nachtschicht wird Katharina sich ein Handtuch aus dem Stationsvorrat nehmen müssen.
In der Lobby des Hotels herrscht nüchterne Leere. Einen Empfang gibt es nicht, dafür zwei Check-in- und einen Getränkeautomaten. Das ist der Grund, warum Roland und sie sich hier treffen. Keine Rezeption, keine Fragen, keine neugierigen Blicke. Und diese billige Unterkunft ist kein Stundenhotel, worauf Katharina im Gegensatz zu Roland Wert legt, weil sie sich sonst wie eine Prostituierte fühlen würde.
Der Anblick der menschenleeren Halle versetzt ihr einen Stich, darum beeilt sie sich, diesen Ort hinter sich zu lassen. Sie besteigt den Fahrstuhl und drückt auf die Zwei, aber der Aufzug rührt sich nicht. Neben dem Bedienfeld befindet sich ein kleiner Schlitz, in den die Zimmerkarte einzuführen ist. Natürlich hat Katharina keine. Roland hat das Zimmer übers Internet reserviert, er hat es mit seiner Kreditkarte bezahlt. »Sugardaddy hat die Karte«, würde Leonie jetzt mit ihrer heiseren Stimme sagen und anzüglich kichern.
Gerade als Katharina ihr Handy aus der Tasche kramt, um ihn anzurufen, betritt ein älterer Herr die Fahrstuhlkabine. Er nickt ihr ebenso freundlich wie unverbindlich zu und drückt auf die Drei. Das Licht erlischt wieder, er drückt noch einmal, erneut erfolglos, es dauert ein paar Sekunden, bis er begreift, warum. Höflich schweigend, schiebt er seine eigene Karte ein, wählt sein Stockwerk und fragt sie nach ihrem. Während der Fahrt starrt sie beschämt auf ihr stumpfes Spiegelbild im Metall der Türverkleidung. Sie spürt die Blicke des Mannes auf ihrem Körper. Vermutlich rechnet er sich aus, ob er sich eine Nacht mit ihr leisten kann, und Katharina kämpft den Impuls nieder, ihn aufzuklären, dass sie so eine nicht ist. Jetzt hat Roland es doch geschafft, dass sie sich käuflich fühlt.
217.
Katharina klopft. Im Türspalt erscheint Rolands Gesicht. Er lächelt sein Bubenlächeln und im selben Augenblick hat sie ihre Scham und ihren Kummer fast vergessen.
»Katharina.«
Er lässt sie ein. Über den einzigen Stuhl im Zimmer hat er seinen weißen Kittel gehängt. Aus der Brusttasche baumelt das Stethoskop. Katharina findet es albern, dass er sich schon zu Hause umzieht und dann in voller Kluft ins Hotel fährt. Ihre Arbeitskleidung liegt ordentlich gebügelt und zusammengefaltet in der Sporttasche, wo sie auf ihren Einsatz wartet.
Roland und sie halten sich nicht lange mit Vorgeplänkel auf. Ganz Gentleman, hilft er ihr aus dem Mantel und hängt ihn an die Garderobe. Kaum hat sie die Tasche abgestellt, spürt sie schon die Wärme seines Körpers hinter ihrem. Zärtlich streicht er mit seinen Fingern über ihre Unterarme. Katharina schließt die Augen und öffnet den Mund, während seine Fingerkuppen über ihre Schultern fahren und seine Lippen die Härchen auf ihrem Nacken streicheln.
Ihr iPhone klingelt. Dieser spezielle Klingelton ist für die Mitglieder ihrer ziemlich überschaubaren Familie reserviert. Katharina schlängelt sich aus Rolands Umarmung und holt das Handy aus der Manteltasche. Sie wirft einen Blick auf das Bild ihrer Schwester. Seit dem Streit an Weihnachten hat Sara den Kontakt zu ihr deutlich heruntergefahren und ausgerechnet in der unpassendsten aller Situationen beschließt sie, ihn wieder aufzunehmen. Katharina ist unschlüssig - das Lachen in Saras rundlichem Gesicht ist eingefroren. Nein Schwesterlein, macht sie schließlich mit sich aus, du wirst warten müssen, bis ich meinen Spaß hatte. Sie leitet den Anruf direkt auf die Mailbox um und wirft das Handy aufs Bett. Schon ist Roland wieder hinter ihr und umfasst ihre Hüften. Seine Hände sind plötzlich überall und die sich in ihrem Unterleib ausbreitende Wärme macht ihr schmerzlich bewusst, dass sie schon wieder viel zu lange keinen Sex mehr hatte.
Wenn wir fertig sind, rufe ich zurück - aber keine Sekunde früher, denkt Katharina, während Rolands Fingerkuppen sanft um ihre Brustwarzen kreisen und alles um sie herum sich in Licht und Erregung auflöst.
*
Max Klee lächelt den beiden Hünen, die die Eingangstür zum großen Sitzungssaal bewachen, aufmunternd zu. Mit dem einen war er bei der Bereitschaft, aber der Kerl erinnert sich nicht an ihn: Er sieht auf ihn herab, wie Goliath auf David. Kleine Menschen werden gerne unterschätzt, denkt Max.
Vor einem Tipi, in dem wichtige Häuptlinge noch wichtigere Entscheidungen treffen, auf einen dieser Häuptlinge zu warten - oder in Klees Fall sogar auf zwei -, lässt einen Indianer noch ein bisschen bedeutungsloser wirken, als er es tatsächlich ist. Nicht nur in Bad Segeberg, denkt Max, sondern auch beim LKA in Rampe am Schweriner See, selbst wenn man sich hier schon längst seine Hörner abgestoßen hat.
Schließlich schiebt sich die schwere Bronzetür einen Spalt weit auf und zwei Männer gesetzten Alters, denen ihr Beamtentum aus jeder Pore strömt, zwängen sich flüsternd heraus. Beide tragen ähnlich graue Einreiher und die Beamtenblässe, die von einem Mangel an natürlichem Sonnenlicht zeugt. Nur die Farbe ihrer Krawatten unterscheidet sich: Während der eine ein kräftiges Grün bevorzugt, das seiner sterbenslangweiligen Erscheinung ein bisschen Leben einhaucht, trägt sein Kollege Grau in Grau, was ihn aussehen lässt wie einen Bestatter. Nur dass dieser Mann im Laufe seiner Karriere vermutlich mehr Menschen unter die Erde gebracht hat als alle Beerdigungsunternehmer aus dem mecklenburgischen Rampe zusammen.
»Sie haben hoffentlich einen guten Grund, uns aus einer Sitzung der Innenminister zu holen«, sagt der Grüne.
»Wir sind gleich dran«, drängt der Graue.
Ein Lächeln umspielt die Lippen des blonden Hünen neben der Tür.
»Ich hätte Sie nicht gestört, wenn mein Anliegen nicht wichtig wäre«, sagt Max.
Der Grüne übernimmt ohne Federlesens die Führung, lotst die Gruppe in ein Besprechungszimmer und schließt die Tür hinter ihnen.
Als alle in den schweren Lederfauteuils Platz genommen haben, zupft Klee nervös an seinen Ärmeln und ergreift das Wort.
»Grantzow. Es gibt Neuigkeiten.«
»Welcher Art?«, will der Grüne wissen.
»Es gibt Grund zur Annahme, dass sich eine Querverbindung zwischen dem Dorf und Ablegern der Reichsbürgerbewegung etabliert hat.«
Die Beamten sehen sich irritiert an.
»Sie meinen diese Irren, die sich selbst Fantasieausweise einer fiktiven Regierung ausstellen und gegen jedes Bußgeld den Rechtsweg einlegen, weil die BRD nicht legitimiert ist, sie zur Kasse zu bitten?«
»Ich glaube, Sie unterschätzen diese Leute. Die leugnen auch den Holocaust und lehnen die Demokratie ab. Von der anderen Sorte Neonazis unterscheidet die nur, dass sie eine andere Art der Unverfrorenheit zur Schau stellen. Ein Oberbürgermeisterkandidat der AfD hat letztes Jahr behauptet, seit dem Mauerfall gäbe es gar keinen souveränen deutschen Staat mehr, der ihm etwas zu sagen habe.«
Der Graue seufzt nachsichtig. »Dann haben wir jetzt also einen Haufen Ökospinner mit fragwürdiger Gesinnung auf der einen Seite und einen Haufen Durchgeknallter mit überkandidelten Webseiten und selbst gebastelten Sheriffsternen auf der anderen, die sich zum Tee treffen. Was gibt das? Einen Zwergenaufstand?«
Die beiden Herren röcheln ein Lachen, das so auch an einem Stammtisch gehört werden könnte.
Max Klee beugt sich weit nach vorne. »Die Grantzower haben etwas vor. Sie horten Lebensmittel, sie vernetzen sich deutschlandweit mit gefährlichen Gruppierungen und ich habe Informationen, dass ein Waffenlager angelegt worden ist.«
»Informationen von wem?«, will der Grüne wissen. »Etwa von Ihrer Verbindungsperson?«
Klee nickt.
»Ist das dieselbe V-Person, die uns mit ihrem Bericht von nackt ums Feuer hüpfenden Bauersfrauen erheitert hat?«
»Sie waren nicht nackt. Und es wurde Musik von verbotenen Gruppen gespielt.«
»Jaja«, spottet der Grüne, »ziemlich schockierend, diese außer Rand und Band geratenen unrasierten Weiber.«
Klee will widersprechen, aber der Grüne wehrt ab: »Hören Sie, Klee, Sie sind ein guter Polizist. Engagiert, clever, hartnäckig. Aber da haben Sie sich in etwas verrannt. Wir haben ein Verbotsverfahren gegen die NPD laufen, da sitzen die echten bösen Buben, und dass wir sie diesmal vielleicht drankriegen, liegt unter anderem auch daran, dass wir keine V-Leute mehr im Einsatz haben. Das ganze Konzept ist hinfällig. Dass Ihr Informant ein Fehlgriff ist, bestätigt das nur. Ich verstehe den Jungen ja: Jetzt, wo er weiß, dass er nicht in den Zeugenschutz kommt, kriegt er es mit der Angst zu tun. Also denkt er sich eine Weltverschwörung aus. Worauf steuert das in Grantzow denn Ihrer Meinung nach zu? Auf einen Krieg?«
Wohin das...
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