Schweitzer Fachinformationen
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Willkommen auf der Stone & Wool Farm.
Das Schild hängt an einer alten Steinsäule am Haupteingang der Farm. Hohe, ausladende Kiefern säumen eine Seite der lang gezogenen Einfahrt. Auf der anderen Seite malen Straßenlaternen Lichtkegel auf den Kies, einige von ihnen nur noch mit schwachem Schein, andere sind ganz erloschen. Franks Pick-up rumpelt durch die Spurrinnen der langen Straße zum Haupthaus.
»Bei Tag sieht hier alles besser aus«, sagt er.
Frank hat nicht viel gesprochen, seit er mich vor ein paar Stunden an der Gepäckausgabe im Minneapolis-St. Paul International Airport abgeholt hat. Ein grummeliges »Alles klar so weit, Kumpel?«, begleitet von einer festen, knochenbrechenden Umarmung. Ein paar Bemerkungen wie: »Also keine schicke Limo, was?« und »Hast du Hunger? Ich könnte jedenfalls 'nen Burger vertragen.«
Ich fand es schon immer gut, dass mein Onkel Frank ein Mann der wenigen Worte ist. Ein Mann, der weiß, dass man nicht jeden Moment der Stille mit bedeutungslosem Gerede füllen muss. Auf der ganzen Fahrt vom Flughafen hat er mich bisher nicht ein einziges Mal nach dem Album oder meiner seit Kurzem Ex-Freundin Marley gefragt, noch nicht mal nach Chris. Schlau ist er nämlich auch. Er weiß die Stimmung in einem Raum zu lesen. Oder die auf dem Beifahrersitz eines Pick-ups, wenn wir's ganz genau nehmen wollen.
Wir folgen weiter der Schotterstraße, bis Frank auf Grans Einfahrt abbiegt und auf das große weiße Haus mit der Rundumveranda und den Steinsäulen zurollt. Die Außenlichter sind an, so als wüsste jemand, dass wir kommen.
»Ich hab dich doch gebeten, das hier für dich zu behalten«, sage ich, meine Worte hart und kalt. Mein Puls rast und ich kann dieses vertraute Gewicht der Angst spüren, das tief in meinen Bauch sinkt.
»Ich hab's Laurel erzählt«, erwidert er. »Das ist alles. Ich musste schließlich dafür sorgen, dass die Hütte überhaupt bewohnbar ist, Gabe. Sie wird sicher keine Paparazzi anrufen, falls du dir deswegen Sorgen machst.«
Ich schüttle den Kopf. »Die Paparazzi sind mir scheißegal.« Das entspricht zwar nicht ganz der Wahrheit, aber auch das ist mir scheißegal.
»Deinem Dad hab ich nichts verraten, darüber musst du dir also auch keine Sorgen machen.« Er seufzt.
»Laurel wird's ihm aber sagen, falls sie es nicht schon längst getan hat. Ist schließlich ihr Job.«
»Ich hab sie gebeten, es nicht zu tun. Komm schon, Kumpel, ein bisschen was kannst du mir schon zutrauen.«
Er hat recht. Ich weiß, dass ich Frank vertrauen kann. Darum hab ich ihn ja überhaupt angerufen. Ich atme tief durch und versuche, den Ziegel der Angst in meinem Bauch aufzulösen. Irgendwann werde ich mit Chris reden müssen, während ich versuche, aus diesem ganzen Schlamassel wieder rauszukommen. Aber noch bin ich nicht so weit.
»Danke«, murmle ich. »Ich wette, du warst nicht auf dieses ganze Drama vorbereitet, als du in diese Familie eingeheiratet hast.«
Er zuckt mit den Schultern und stellt den Motor ab. »So schlimm ist es gar nicht. Außerdem lohnt sich das bisschen Drama allein schon für die kostenlosen Konzerttickets und Backstage-Pässe, hab ich recht? Also, komm jetzt. Ich bin hundemüde, und die Kühe melken sich morgen früh nicht von allein.«
Wahrscheinlich hätte ich mir einen Wagen mieten sollen, anstatt einen Typen anzurufen, der jeden Morgen vor Sonnenaufgang aufsteht, um Kühe zu melken und was immer zur Hölle er sonst noch so macht. Sich den Arsch aufreißen, um eine Farm und eine Familie über Wasser zu halten. Und hier auf der Farm helfen. Aber ich habe ihn angerufen, und er hat alles stehen und liegen lassen und ist zweieinhalb Stunden zum Flughafen gefahren, weil ich erbärmlicher Blödmann inkognito bleiben und so tun wollte, als wäre ich niemand Besonderes und würde deshalb von einem ganz normalen Kerl mit Bart und einer Baseballmütze der Minnesota Wild in einer rostroten Carhartt-Jacke vom Flughafen abgeholt werden.
Die Wahrheit ist: Ich tue nicht nur so. Wie sich herausgestellt hat, bin ich wirklich niemand Besonderes.
Blätter rascheln unter meinen Füßen, als wir die Einfahrt und dann den Pfad hinauf zur Veranda trotten, an der die angegraute Farbe überall abblättert. Ich umklammere meine Gitarre noch fester, schwinge meine Reisetasche wieder auf meine Schulter und greife nach dem Holzgeländer, das unter meiner Berührung wackelt. Meine Erinnerungen an diesen Ort sind ziemlich spärlich und, wenn ich ehrlich bin, sehr verschwommen. Nach Grans Tod - vor inzwischen fünf, sechs Jahren? - hatten wir keinen wirklichen Grund mehr, hierherzukommen. Chris verbringt zwar immer noch jeden Sommer ein paar Wochen hier und auch zwischendurch mal ein paar Tage, aber ansonsten steht das Farmhaus leer. Leer und noch genauso, wie Gran es nach ihrem Tod hinterlassen hat. Laurel leitet die Farm. Sie fragt Chris hin und wieder, ob er möchte, dass sie die Schränke ausräumt oder Grans Habseligkeiten zusammenpackt, und er antwortet jedes Mal so was wie: »Das ist mein Problem, nicht deins. Ich kümmere mich schon drum, sobald es nötig ist.« Einmal, kurz nachdem Gran gestorben war, hab ich ihn gefragt, ob er vorhat, das Haus irgendwann zu verkaufen, weil er sowieso nicht oft dort ist. Er hat nur mit den Schultern gezuckt und gesagt: »Mal sehen.«
Frank hält mir die Schlüssel hin. »Pass gut auf den alten Schuppen auf.« Als ich einen Moment länger als nötig brauche, um etwas zu erwidern, fügt er hinzu: »Und du bist dir wirklich sicher? Du weißt, dass du bei uns zu Hause immer willkommen bist.«
»Nee, schon gut.« Ich schüttle den Kopf und nehme ihm den Schlüsselbund ab.
»Also, einer ist für die Rundscheune. Einer für die große Scheune. Dann für die Garage - aber komm bloß nicht auf Ideen, was den Mustang angeht. Laurel und Chris sind die Einzigen, die einen Schlüssel für den Wagen haben.« Er sagt es einfach so dahin, als wäre es keine große Sache. Aber ich hätte nichts dagegen, mich mal hinters Steuer von Chris' Oldtimer zu setzen. »Und der Rest ist für noch ein paar andere Schuppen. Aber das findest du dann schon selbst raus.«
Ich zucke mit den Schultern. Kein Grund, irgendwas rauszufinden. Ich werde schließlich nur ein paar Tage lang hier sein. »Welcher ist fürs Haus?«
Er nimmt mir die Schlüssel wieder ab, geht sie durch und hält bei einem in der Mitte an: ein goldener Schlüssel mit breitem, eckigem Kopf. »Siehst du?«, fragt er und fährt mit seinem schwieligen Daumen über die Oberfläche. »Der hier ist alt.«
Ich nehme ihm den Schlüssel wieder ab und schaue ihn mir genauer an. Eine Gravur, fast komplett abgewetzt: Stone & Wool Farm 20.7.1964.
»Der Hochzeitstag deiner Großeltern. Dein Urgroßvater hat ihnen die Farm als Hochzeitsgeschenk übertragen und ist schon am nächsten Tag in die Hütte am Halcyon Lake gezogen. Das Grundstück ist seit 1907 in Familienbesitz, aber es ist noch viel älter.«
Ich habe meinen Urgroßvater oder meinen Großvater, der gestorben ist, als ich noch ein Baby war, nie kennengelernt. »Danke für die Lektion in Familiengeschichte.« Ich kann den sarkastischen Unterton nicht verhindern. Ich bin müde und muss mich endlich wieder hinsetzen, sonst breche ich noch zusammen. Und überhaupt: Was macht das alles schon für einen Unterschied? Die Vergangenheit der Farm hat mit meiner Gegenwart nicht das Geringste zu tun.
Er ignoriert mich. »Letzte Chance«, sagt er.
»Wofür?« Ich weiß genau, wofür.
»Komm schon, Gabe. Du bist siebzehn Jahre alt. Du bist noch ein Kind. Du solltest jetzt nicht allein sein. Komm mit zu uns und häng ein bisschen mit Ted ab. Janie hätte dich wirklich gerne bei uns. Sie wird dich nach Strich und Faden verwöhnen und dir alle deine Lieblingsgerichte kochen.«
Meine Lieblingsgerichte? Nicht mal ich selbst weiß noch, welches meine Lieblingsgerichte sind, obwohl ich mich von unseren kurzen Besuchen und Sommerwochenenden in der Hütte noch gut daran erinnern kann, dass meine Tante Janie eine unglaubliche Köchin ist.
Ich schüttle erneut den Kopf. »Danke, aber ich brauch ein bisschen Zeit für mich allein. Um mir über ein paar Sachen klar zu werden, weißt du?«
Er nickt. »Das verstehe ich. Wie lange willst du bleiben?«
»Ein paar Tage. Höchstens eine Woche.«
»Ich ruf dich morgen an, Kumpel«, sagt Frank. »Komm doch zum Abendessen bei uns vorbei. Ted kann dich abholen.«
»Klingt gut.«
Mehrere lange Sekunden schaut er mich nur nickend an. »Und du bist sicher, dass es dir gut geht? Janie findet .«
Ich schneide ihm das Wort ab: »Mir geht's gut. Ich schwöre.«
Offensichtlich hat er die Fotos gesehen. Vielleicht kursiert sogar ein Video. Scheiße. Ich atme mit einem schweren Seufzen aus.
»Okay. Ruf an, wenn du was brauchst.«
Frank lässt mich auf der Veranda stehen, das grelle Licht der LEDs in den Wandleuchten steht in starkem Kontrast zu der abgeblätterten Farbe und dem losen Geländer. Gefühlt endlose Minuten lang stehe ich einfach nur da und versuche, mich dazu zu bringen, reinzugehen. Aber was bleibt mir anderes übrig? Frank ist weg, seine Rücklichter längst in der Dunkelheit des Farmgeländes verblasst. Es ist kalt hier in Nord-Minnesota, obwohl erst Mitte September ist. Es waren um die fünfundzwanzig Grad, als ich heute Nachmittag in L. A. abgeflogen bin. Ich bin froh, dass ich daran gedacht habe, eine Jacke einzupacken, obwohl ich sie ganz zuunterst in meine Reisetasche gestopft habe und mir ziemlich sicher bin, dass sie für diese kalten Temperaturen sowieso nicht warm genug ist.
Geh...
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