Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Es ist der 1. August 2024, als der größte Gefangenenaustausch seit dem Ende der Sowjetunion zwischen Russland, den USA und Deutschland im türkischen Ankara stattfindet. Zu den russischen Spionen, die an diesem Tag in Moskau ankommen, gehören Artjom Dulzew und Anna Dulzewa. Putin empfängt Anna Dulzewa mit Blumen am Flughafen in Moskau, umarmt sie, Tränen werden vergossen.
Heimkehr der Illegalen: Putin und die Familie Dulzew 2024 am Flughafen Moskau
Das Ehepaar, das im Dezember 2022 in Slowenien verhaftet wurde, hat jahrelang unerkannt für Russland spioniert. Sie sind sogenannte Illegale. Wegen der aufwendigen Vorbereitung und dem hohen Risiko ihres Einsatzes gelten solche Agenten als die Königsklasse der russischen Spionage. Um sie und ihre Verwendung kümmert sich Putin persönlich. Der russische Präsident ist stolz auf sie, nennt sie «Wunderkinder».
Die Dulzews, beide 1984 geboren, geben sich in Slowenien als Auswanderer aus Argentinien aus. Sie lebten seit etwa 2003 in dem südamerikanischen Staat, mit dem Ziel, die dortige Staatsbürgerschaft zu erhalten, was ihnen 2015 gelingt. Im Jahr 2017 siedeln sie ins slowenische Ljubljana über. Artjom Dulzew nennt sich Ludwig Gisch, ist angeblich in Namibia geboren. In Ljubljana betreibt er eine Softwarefirma, besucht unter anderem auch eine IT-Messe in Baden-Württemberg. Seine Frau «Maria Rosa Mayer Muñoz» ist als Kunsthändlerin tätig. Sie besitzt eine Online-Galerie namens 5'14, arbeitet auch mit Künstlern aus Deutschland zusammen. Ein Überfall auf der Straße habe sie dazu gebracht, Argentinien zu verlassen, erzählen die Dulzews ihren Bekannten in der slowenischen Hauptstadt. Das Ehepaar lebt mit seinen beiden Kindern ein Leben in einem Einfamilienhaus, die Nachbarn beschreiben sie als normal und nett, zur argentinischen Diaspora in Ljubljana haben sie keinen Kontakt. Bei ihrer Rückkehr nach Moskau haben die Eheleute ihre Kinder dabei, einen neun Jahre alten Sohn und eine elf Jahre alte Tochter. Sie haben in ihrem ganzen Leben kein Wort Russisch gesprochen, nur Spanisch und Englisch, gingen in Ljubljana auf die Britische Internationale Schule. Erst auf dem Flug nach Moskau erfahren sie davon, dass ihre Eltern in Wirklichkeit Russen sind. Auch den Mann, der sie am Flughafen so freundlich mit Blumen begrüßt, kennen sie nicht.
Von Slowenien aus sind die Dulzews in verschiedenen europäischen Ländern unterwegs, um Informationen zu sammeln, leiten auch andere Agenten an. Im Dezember 2022 geht ihr ruhiges Leben zu Ende, als die Polizei das Einfamilienhaus stürmt und das Ehepaar verhaftet. Die Ermittler finden nach der Festnahme des Spionage-Paars mehrere hunderttausend Euro, die in einem Kühlschrank versteckt sind und vermutlich dazu dienen sollten, andere Spione oder Quellen zu bezahlen.[1]
Moskau hat die Praxis der Illegalen nie aufgegeben. Es geht dabei um Agenten, die unter einer falschen Identität über viele Jahre, mitunter Jahrzehnte, im Ausland leben, Informationen sammeln, Aufträge erledigen und selbst Quellen führen. In der Regel führen sie ein bürgerliches, unauffälliges Leben, gehen gewöhnlichen Berufen nach und sind nur sehr schwer zu enttarnen. Auf ihren Einsatz werden sie über Jahre in verschiedenen Zentren des Auslandsgeheimdienstes SWR in Russland vorbereitet. Schätzungen gehen von sechs bis zehn Jahren aus. Die Ausbildung sieht Spracherwerb, aber auch technische Unterweisungen vor, sowie den Umgang mit Waffen oder die Rechtskunde der Länder, in denen sie eingesetzt werden sollen. Anders als russische Geheimdienstmitarbeiter, die offiziell an den Botschaften akkreditiert sind oder sich als Diplomaten ausgeben, genießen die Illegalen keinen diplomatischen Schutz. Wenn sie auffliegen, drohen ihnen hohe Haftstrafen.
Illegale Agenten werden schon kurz nach Gründung der Sowjetunion im Jahr 1922 eingesetzt. Der Sowjetstaat wird damals von kaum einem Land anerkannt, viele Regierungen stehen dem kommunistischen Regime in Moskau feindlich gegenüber. Es gibt nur wenige offizielle diplomatische Vertretungen, an denen Spione unter dem Deckmantel von Diplomaten hätten unterkommen können. Die Vorläufer des KGB entsenden deshalb Agenten mit gefälschten Biografien, um die geplante sozialistische Revolution in den kapitalistischen Staaten voranzutreiben, aber auch, um Oppositionelle und Dissidenten aus dem eigenen Land auszuspähen oder zu töten. Der KGB verfeinert diese Praxis im Kalten Krieg immer mehr, betreibt dabei hohen finanziellen und personellen Aufwand für sein Illegalen-Programm. In Ländern in Südamerika oder auch in Afrika, die einen europäischen Bevölkerungsanteil aufweisen, sucht der Geheimdienst auf Friedhöfen nach Gräbern verstorbener Kinder oder Jugendlicher. Meist ist es einfach, die Daten der verstorbenen Person zu nutzen, um sich Geburtsurkunden und anschließend wiederum echte Ausweispapiere zu beschaffen. Diese Legenden werden dann benutzt, um mit ihnen Agenten in ein bestimmtes Zielland zu schicken. Nach der Auflösung der Sowjetunion setzt der russische Auslandsgeheimdienst SWR diese Praxis fort, wie zu KGB-Zeiten führt sein Direktorat S die Agenten direkt. Auch der russische Militärgeheimdienst GRU setzt nach 50 Jahren Pause seit einigen Jahren wieder Illegale ein. Unter den russischen Personen, die im August 2024 ausgetauscht werden, sind auch zwei mutmaßliche GRU-Agenten.
Die grundsätzliche Ausrichtung der russischen Politik wird von Wladimir Putin persönlich bestimmt und in der Präsidialverwaltung geplant und koordiniert. Eine herausragende Stellung im System Putin nehmen die Geheimdienste ein, die als Nachfolger des sowjetischen Dienstes KGB in Russland und im Ausland tätig sind. Aufgrund ihrer Bedeutung in Putins Herrschaftssystem sind ihre Angehörigen auch als Russlands «neuer Adel» bezeichnet worden, ein Begriff, der auf Nikolaj Patruschew, Putins Nachfolger als Chef des Geheimdienstes FSB, zurückgeht. Heute bestimmen Leute aus den Geheimdiensten alle Institutionen Russlands; schon in den ersten Amtszeiten Putins war die Mehrheit der wichtigsten Politiker und hohen Staatsbeamten mit den Geheimdiensten eng verbunden. Welche Dienste sind das? Das ist zunächst der mächtige Inlandsgeheimdienst FSB, den Putin einst selbst als Direktor leitete. Er wuchs von etwa 80.000 zu Beginn von Putins Amtszeit auf heute rund 350.000 hauptamtliche Mitarbeiter und beschränkt sich in seinen vielfältigen Aktivitäten nicht auf Russland, sondern ist auch im Ausland aktiv. Dazu kommt der politische Auslandsdienst SWR, der für die Spionagetätigkeit in anderen Ländern zuständig ist und nach Angaben westlicher Nachrichtendienste zwischen 12.000 und 15.000 Mitarbeiter haben soll. Das sind Agenten an den Auslandsvertretungen Russlands, die zum großen Teil unter dem Deckmantel von Diplomaten arbeiten; auch die sogenannten «Illegalen», die mit falscher Identität oft jahrzehntelang im Verborgenen tätig sind, werden vom SWR angeleitet. Der dritte Dienst ist der militärische Auslandsdienst GU, besser bekannt unter seinem früheren Namen GRU. Er geht aggressiver und gewalttätiger als der SWR vor und beschränkt sich keineswegs auf das Militärische. Mit dem Einsatz der «grünen Männchen» auf der Krim bei der völkerrechtswidrigen Annexion der ukrainischen Halbinsel 2014 hat er unter Beweis gestellt, welch wichtige Rolle er für die neue Art der Kriegführung spielen kann. Sein Spionagenetz, das er in der Ukraine aufgebaut hatte, konnte er allerdings bei der Invasion in die Ukraine 2022 nicht erfolgreich aktivieren. Für ihn sollen etwa 45.000 Personen tätig sein.
Die Fäden der drei Geheimdienste laufen in der Präsidialadministration und bei Putin persönlich zusammen. Alle drei Dienste berichten über ihre Erkenntnisse und Operationen an den Präsidenten. Putin liest...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.