Schweitzer Fachinformationen
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Es hatte eine Zeit gegeben - damals, 1970 -, da hatte das Ausfüllen von Persönlichkeitstests zu ihren Lieblingsbeschäftigungen gehört.
Bei der Zeitungslektüre am Wochenende hatte Aidan gelegentlich einen gefunden, etwa »Sind Sie ein rücksichtsvoller Ehemann?« oder auch »Kennen Sie sich im Showgeschäft aus?«. Bei »Passen Sie gut zusammen?« und »Pflegen Sie Ihre Freundschaften?« schnitten sie mit ihren Antworten immer recht gut ab.
Doch das war lange her.
Wenn Nell oder Aidan Dunne heute einen solchen Test sahen, stürzten sie sich nicht mehr mit Feuereifer darauf, voller Neugier auf die erzielte Punktzahl. Es wäre zu schmerzlich, beispielsweise die Frage zu beantworten: »Wie oft schlafen Sie mit Ihrem Partner? a) Mehr als viermal pro Woche b) Durchschnittlich zweimal pro Woche c) Jeden Samstagabend d) Noch seltener«. Wer wollte schon zugeben, daß es wesentlich seltener war, und dann nachschlagen, wie die klugen Köpfe, die sich die Fragen ausgedacht hatten, dieses Geständnis interpretierten?
Heute blätterten sie beide weiter, wenn sie auf einen Test stießen, der der Frage nachging: »Passen Sie gut zu Ihrem Partner?« Dabei hatte es zwischen ihnen niemals einen Streit oder ein Zerwürfnis gegeben. Aidan war Nell noch nie untreu geworden, und er glaubte, daß auch sie nicht fremdgegangen war. War es überheblich, so etwas anzunehmen? Immerhin war sie eine attraktive Frau. Auch heute noch schauten ihr andere Männer auf der Straße bewundernd nach.
Bei vielen Männern, die aus allen Wolken fielen, wenn sie erfuhren, daß ihre Frau sie betrogen hatte, lag das schlicht an ihrer eigenen Selbstgefälligkeit und Unaufmerksamkeit; das war Aidan klar. Doch er gehörte nicht zu dieser Sorte. Er wußte, daß Nell kein Verhältnis hatte. Er kannte sie in- und auswendig und hätte es gemerkt, wenn da etwas gewesen wäre. Überhaupt, wo hätte sie denn jemanden kennenlernen sollen? Und selbst wenn, wo hätte sie sich mit ihm treffen können? Nein, das war ein absurder Gedanke.
Möglicherweise ging es allen anderen Leuten genauso wie ihnen. Vielleicht war das etwas, was zum Älterwerden gehörte, worüber aber nie geredet wurde. Wie etwa, daß man nach langen Spaziergängen Wadenschmerzen bekam oder mit den aktuellen Popsongs beim besten Willen nichts mehr anfangen konnte. Vielleicht lebte man sich einfach auseinander, auch wenn einem der Partner einstmals alles bedeutet hatte.
Es war durchaus vorstellbar, daß jeder Achtundvierzigjährige, der auf die Neunundvierzig zuging, dasselbe empfand. Überall auf der Welt gab es vermutlich Männer, die sich wünschten, daß ihre Frauen ihnen bei allem, was sie taten und sagten, Interesse und lebhafte Anteilnahme entgegenbrachten. Und damit war nicht nur Sex gemeint.
Wie lange war es her, daß Nell ihn nach seiner Arbeit, nach seinen beruflichen Hoffnungen und Träumen gefragt hatte? Früher hatte sie das ganze Lehrerkollegium und viele Schüler namentlich gekannt und sich mit Aidan über die großen Klassen, die verantwortungsvollen Posten, die Schulausflüge, die Theateraufführungen und seine Hilfsprojekte für die Dritte Welt unterhalten.
Doch jetzt war sie kaum noch auf dem laufenden. Als die neue Erziehungsministerin ernannt worden war, hatte Nell nur mit den Achseln gezuckt. »Schlechter als die letzte wird sie wohl auch nicht sein«, lautete ihr einziger Kommentar dazu. Vom Übergangsjahr wußte sie gerade so viel, daß sie es als blödsinnigen Luxus abtat. Da schenkte man den Jugendlichen ein ganzes Jahr, bloß damit sie über alles mögliche nachdenken, diskutieren und . sich selbst finden konnten, anstatt sich auf die Abschlußprüfungen vorzubereiten.
Aber Aidan machte ihr keinen Vorwurf daraus.
Wenn er heute jemandem etwas zu erklären versuchte, hörte es sich immer ziemlich langweilig an. Seine Stimme dröhnte ihm in den Ohren, und es klang irgendwie heruntergeleiert. Dann verdrehten seine Töchter die Augen und fragten sich, warum sie sich mit ihren einundzwanzig und neunzehn Jahren so etwas noch anhören mußten.
Dabei versuchte Aidan ja, ihnen nicht auf die Nerven zu gehen, denn er wußte um diese typische Eigenart der Lehrer: Weil sie es gewohnt waren, daß ihnen im Klassenzimmer alle aufmerksam zuhörten, gerieten sie leicht ins Schwafeln und beleuchteten jedes Thema von mehreren Seiten, bis sie sicher waren, daß alle sie verstanden hatten.
Und er gab sich große Mühe, am Leben seiner Frau und seiner Kinder Anteil zu nehmen.
Doch wenn Nell von dem Restaurant, wo sie als Kassiererin arbeitete, nach Hause kam, hatte sie nie etwas zu erzählen oder ein Problem zu besprechen. »Ach, Aidan, meine Güte, es ist, wie es in der Arbeit eben so ist. Ich sitze da, nehme Kredit- oder Scheckkarten oder Bargeld entgegen und gebe den Kunden das Wechselgeld und die Quittung. Danach fahre ich heim, und am Ende der Woche kriege ich meinen Lohn. So läuft das bei neunzig Prozent aller Berufstätigen ab. Bei uns gibt es keine Auseinandersetzungen, keine Dramen oder Machtkämpfe; wir sind einfach nur ganz normale Menschen.«
Mit diesen Worten hatte sie ihn nicht verletzen oder demütigen wollen, aber trotzdem waren sie für ihn wie ein Schlag ins Gesicht. Denn das hieß ja wohl, daß er endlos über die Debatten und Konflikte im Lehrerzimmer schwadroniert haben mußte. Und die Zeiten, als Nell gespannt lauschte, was er Neues zu berichten hatte, ihn stets anspornte, ihm den Rücken stärkte und versicherte, daß seine Feinde auch die ihren seien - diese Zeiten waren offenbar schon lange vorbei. Sehnsüchtig dachte Aidan an die Kameradschaft, die Solidarität und den Gemeinschaftsgeist jener Jahre zurück.
Vielleicht kehrten sie wieder, wenn er zum Direktor der Schule befördert wurde.
Oder machte er sich damit nur falsche Hoffnungen? Möglicherweise interessierte seine Frau und seine beiden Töchter auch das nicht sonderlich. Zu Hause lief alles wie automatisch. Neulich hatte er dieses merkwürdige Gefühl gehabt, als wäre er schon vor einer ganzen Weile gestorben, und sie kämen alle wunderbar ohne ihn zurecht. Nell ging tagtäglich zur Arbeit ins Restaurant. Einmal pro Woche besuchte sie ihre Mutter; nein, Aidan brauche nicht mitzukommen, hatte Nell gesagt, es sei nur ein kleiner Familienplausch. Ihre Mutter wolle eben in regelmäßigen Abständen ihre Angehörigen um sich scharen, um zu erfahren, ob es ihnen gutgehe.
»Und geht es dir gut?« hatte Aidan besorgt gefragt.
»Du unterrichtest hier nicht Amateurphilosophie in der Mittelstufe«, hatte Nell entgegnet. »Mir geht es nicht schlechter als den meisten anderen Leuten, würde ich sagen. Können wir es nicht dabei belassen?«
Aber das konnte Aidan natürlich nicht. Er korrigierte sie, es heiße nicht »Amateurphilosophie«, sondern »Einführung in die Philosophie«, und werde auch nicht in der Mittelstufe, sondern im Übergangsjahr gelehrt. Den Blick, den ihm Nell daraufhin zugeworfen hatte, würde er sein Lebtag nicht vergessen. Sie hatte zu einer Erwiderung angesetzt, dann aber doch geschwiegen, und auf ihrem Gesicht lag so etwas wie distanziertes Bedauern. Sie schaute ihn an wie einen armseligen Landstreicher, der auf der Straße saß, der Mantel notdürftig mit einem Strick zusammengehalten, und den letzten Schluck Wein aus seiner Flasche austrank.
Mit seinen Töchtern erging es ihm nicht besser.
Grania arbeitete in einer Bank, erzählte aber nicht viel davon - zumindest nicht ihrem Vater. Manchmal bekam er zufällig mit, wie sie mit ihren Freunden darüber sprach, und dann klang sie viel lebhafter. Und mit Brigid war es dasselbe. Das Reisebüro ist ganz in Ordnung, Dad, zieh doch nicht dauernd darüber her. Wirklich, es ist ein prima Laden, ich bekomme zwei kostenlose Urlaubsreisen im Jahr, und wir haben lange Mittagspausen, weil wir nach einem Turnusplan arbeiten.
Grania hatte auch keine Lust auf eine Diskussion über das Bankensystem an sich oder ob es nicht unfair sei, den Kunden Kredite aufzuschwatzen, die sie nur mit Mühe zurückzahlen konnten. Sie habe die Regeln nicht gemacht, erklärte sie ihm, auf ihrem Schreibtisch stehe ein Ablagekorb mit den Eingängen, und die habe sie täglich zu bearbeiten. Weiter nichts, ganz einfach. Brigid wiederum hatte keine Meinung zu der Frage, ob die Touristikbranche nicht Wunschträume verkaufe, die sie gar nicht erfüllen könne. »Dad, niemand wird gezwungen, in Urlaub zu fahren. Wer es nicht will, kann es ja seinlassen.«
Aidan wünschte sich, er hätte besser aufgepaßt. Wann hatte es begonnen . dieses Sichauseinanderleben? Er konnte sich noch daran erinnern, wie die Mädchen sauber und frisch gebadet in ihren rosa Nachthemdchen dagesessen hatten, während er ihnen Geschichten erzählte und Nell mit glücklichem Lächeln zusah. Das war Jahre her. Aber auch danach hatte es noch schöne Zeiten gegeben. Zum Beispiel, als die Kinder für die Abschlußprüfungen gelernt und Aidan ihnen Arbeitsblätter erstellt hatte, damit sie sich möglichst effektiv vorbereiten konnten. Wie dankbar waren sie ihm damals dafür gewesen! Er wußte noch, wie sie gefeiert hatten, als Grania ihr Abschlußzeugnis und später die Stelle bei der Bank bekommen hatte. Jedesmal waren sie in ein nobles Hotel essen gegangen und hatten sich vom Kellner fotografieren lassen. Genauso hatten sie es auch bei Brigid gehalten, ein großes Essen und Erinnerungsfotos. Auf diesen Bildern sahen sie aus wie eine richtig glückliche Familie. War das alles nur Fassade gewesen?
In gewisser Weise wohl schon. Denn wie wäre es sonst möglich, daß er jetzt, nur wenige, schnell vergangene Jahre später, sich nicht mit seiner Frau und seinen beiden Kindern - den Menschen, die er mehr als alles andere auf der...
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