Schweitzer Fachinformationen
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In der Menschenmenge erkannte Eleonora das Gesicht ihrer Mutter, das gefasst und ergriffen zugleich wirkte, die Augen tränennass. Rita, gerade erst angekommen, streifte zwischen den Gästen umher und starrte fassungslos auf den von dichten Ranken überwucherten Burgturm.
Obwohl sie sich seit Monaten nicht gesehen hatten, begrüßte Rita ihre Tochter nicht. Sie sagte lediglich: »Sieh nur, was die Engländer angerichtet haben mit ihrem absurden Fimmel, alles zu restaurieren. Was soll so schön daran sein, etwas zu erneuern, das die Zeit abgenutzt hat? Gar nichts, sag ich dir.«
Um zu verstehen, was ihre Mutter meinte, folgte Eleonora ihrem Blick und betrachtete den Turm, der Ende des neunzehnten Jahrhunderts in gotischem Baustil restauriert worden war. Die vorstehende Galerie mit den Zinnen erinnerte entfernt an den Wachturm an der Burgmauer, ohne allerdings den Stil getreu wiederzugeben.
Eleonora wandte sich ihrer Mutter mit einer Mischung aus Zärtlichkeit und Wut zu, jenen beiden Gefühlen, die ihre Jugend am stärksten geprägt hatten.
»Hallo, Mama. Wo warst du denn? Du bist erst ganz am Schluss in die Kirche gekommen, und dann habe ich dich aus den Augen verloren.«
»Hallo, mein Schatz.« Rita nahm einem der Kellner in Livree ein Champagnerglas aus der Hand und ging nicht weiter auf die Frage ihrer Tochter ein. »Zum Glück haben sie uns mit historischen Kostümen verschont.«
Eleonora küsste ihre Mutter auf die Wangen. »Was trinkst du, Mama?«
»Champagner«, antwortete Rita mit einem angedeuteten Lächeln. Dann erblickte sie Corinne, und ein Strahlen überzog ihr Gesicht.
Die Braut sah in dem schlichten, bodenlangen weißen Kleid aus wie ein Engel. Ein Kranz aus Jasminblüten krönte ihre Stirn und umrahmte die hellen Augen. An diesem Tag verkörperte Corinne jene Verheißung, die ihre Kindheit bereits hatte erahnen lassen und die sich später verflüchtigt hatte.
»Rita!«
Corinne drückte sie fest an sich, während Rita in der Bewegung innehielt und die Arme ausgebreitet ließ.
»Du bist tatsächlich gekommen!«
»Natürlich bin ich gekommen, schließlich heiratet meine geliebte Corinne. Lass dich anschauen.« Sie ließ den Blick über Corinnes zarten Körper gleiten. Die Braut so glücklich zu sehen brachte Rita in Versuchung, sie vor der Vergänglichkeit aller schönen Dinge zu warnen. »Du bist wunderschön.«
Hinter Corinne erschien Alessandro, und alles Strahlen ging von der Braut auf den Bräutigam über, obschon er ein schwarzer Engel war.
»Sie müssen Eleonoras Mutter sein.«
»Ja, richtig. Ich bin Rita Sannino.«
Alessandros Miene blieb reglos, während Ritas Pupillen sich weiteten und sie das Bild des attraktiven Mannes in sich aufnahm.
»Alessandro Vannini. Es ist mir eine große Freude, Rita. Gefällt es Ihnen hier?«
Er breitete die Arme aus, als wäre er der Besitzer des Anwesens, das ihm in Wahrheit aufgezwungen worden war. Alessandro hätte die Hochzeit gern in den prächtigen Gärten der Villa Bruges gefeiert, statt die beeindruckende, aber düstere Burg von Vincigliata zu mieten. Es war ihm vorgekommen, als hätte er die legendäre Spukgestalt von Bianca gesehen, die ihn aus einem der Turmfenster beobachtete, während er Corinne das Jawort gab.
»Die Burg stammt aus dem Jahr eintausend und wurde im Laufe der Jahrhunderte mehrmals zerstört und wieder aufgebaut, bis .«
». bis man sie schließlich zu einer Kopie ihrer selbst gemacht hat«, fuhr Rita fort und leerte mit einem letzten Schluck das Champagnerglas. »Wenn der Mensch die Geschichte nicht beeinflussen kann, fühlt er sich machtlos.«
Alessandro machte ein verdutztes Gesicht. Beunruhigt über die effekthascherischen Bemerkungen, mit denen Rita gern herausplatzte, wandte Corinne sich mit einem angedeuteten Lächeln ab und zog ihren Ehemann mit sich fort.
Eleonora schaute den beiden nach, die Augen auf Alessandros breiten Rücken und Corinnes Schulterblätter geheftet, die wie abgebrochene, an den Rückenwirbeln befestigte Flügel aussahen. Sie stellte sich vor, wie Alessandro seine Frau in der Hochzeitsnacht gewaltsam nehmen würde, ungeachtet aller Wunden, auch seiner eigenen.
»Dann hat sie also ihren Traumprinzen gefunden«, sagte Rita und griff nach einer neuen Champagnerflöte.
»Wo ist eigentlich dein Mann?«
Herrje, mein Mann. Konnte man Emanuele ihren Mann nennen?
Eleonora hatte auf diese Auszeichnung verzichtet und Emanueles Vorschlag abgelehnt, auf seinem Hof mit ihm zusammenzuleben. Seither hatte ihre Beziehung Höhen und Tiefen erlebt. Es gab Zeiten, da dachte sie, es keinen einzigen Tag ohne Emanuele aushalten zu können. Dann wieder kam es ihr schäbig vor, dass sie sich mit der zweiten Wahl begnügt hatte, genau wie Denise und wer weiß wie viele andere Frauen vor ihr. Emanuele dagegen besuchte Eleonora zwar regelmäßig in ihrer kleinen Wohnung in Florenz und vögelte sie wie ein junger Gott, sah aber keine Notwendigkeit, mal ein romantisches Rendezvous zu organisieren oder etwas mit ihr zu unternehmen, wie Paare es üblicherweise tun. Möglicherweise ließ er ihr einfach Zeit herauszufinden, was sie wollte, oder es passte ihm ganz gut in den Kram. Selbst im weiteren Umkreis um die Villa Bruges herrschte Verwirrung.
Eleonora schaute sich um, bis sie Emanuele entdeckte. Er war allen Ernstes in abgenutzten Jeans und einem blauen Hemd auf der Hochzeit seines Bruders erschienen, ohne Rücksicht auf die Gäste. Als Corinne ihn deshalb vorwurfsvoll angefunkelt hatte, erwiderte er ihren Blick mit einem lässigen Augenzwinkern. Eleonora hätte ihn ohrfeigen können. Nun stand er da, einen Drink in der Hand, während wieder einmal eine Frau um ihn herumscharwenzelte. Sie sah ihm allerdings ziemlich ähnlich, vielleicht war es ja eine seiner Cousinen.
»Es gibt keinen Mann«, antwortete Eleonora gedankenverloren und beschloss, sich ebenfalls etwas zu trinken zu holen.
In dem von einem alten Gemäuer umschlossenen Burghof befand sich der Auslöser für ihre Verwirrung, und zwar in Gestalt des Brüderpaars Emanuele und Alessandro. Emanuele war ein unwiderstehlicher und energischer, aber von Schuldgefühlen gebeutelter Mann und unfähig, einer Frau Sicherheit zu bieten. Alessandro dagegen war sehr labil, traumatisiert von den Misshandlungen, die er als kleiner Junge erlitten hatte, und unfähig zu lieben. Die beiden Männer waren in ihr Leben getreten und hatten es völlig durcheinandergebracht.
»Wie kann das sein?«
Was sollte die Frage? Es war, als würde Rita die Drehbücher der Leben von Eleonora und Corinne sorgsam in einer Schublade aufbewahren, sie laufend miteinander vergleichen und dabei absurde Abweichungen feststellen.
»Entschuldige mich bitte, Mama«, sagte Eleonora. Während sie sich entfernte, dachte sie bei sich: Dich vertrage ich nur in homöopathischen Dosen.
Während sie auf Emanuele zuging, fühlte sie sich plötzlich unwohl in ihrem leuchtend roten Kleid und den goldfarbenen High-Heels-Sandaletten. Sie kam sich overdressed vor und fragte sich, warum sie ausgerechnet diese Farben und die hohen Absätze ausgewählt hatte, wo sie sich doch nichts weiter wünschte als trittsicheres Gelände, dank dem sie nicht weiter auffallen würde.
Emanuele blickte von seinem Glas auf. Zwei Grübchen bildeten sich in seinen Wangen, baten um einen Kuss, der jedoch ausblieb. Er stellte Eleonora die junge Frau vor, die tatsächlich seine Cousine war.
Im Gehen sagte sie: »Du bist also Eleonora.«
»Was erzählst du den anderen von mir?«, fragte Eleonora, als sie sich an dem langen Büfett etwas zu trinken holten.
Emanuele musterte ihre Sandaletten. »Schöne Schuhe. Damit spielen wir nachher ein bisschen.«
»Willst du sie anprobieren?«
Er stellte das leere Glas auf den Tisch. »Wo sind die Angehörigen von Corinne?«
»Die Angehörigen? Welche Angehörigen? Ihre Mutter ist vor ein paar Jahren an einer Überdosis Beruhigungsmitteln gestorben. Der Vater war bereits vorher verschwunden, wahrscheinlich hat er ebenfalls ein trauriges Ende genommen. Aber meine Mutter ist da, dort drüben. Die Frau mit dem Glas in der Hand, neben Raffaele.«
»Aha, wie ich sehe, hat unser Freund bereits eine Eroberung gemacht.«
In der Tat schien Rita sich bestens zu amüsieren, als Raffaele ihr etwas ins Ohr flüsterte. Innerhalb von zehn Sekunden hatte sie also bereits einen Kavalier gefunden.
»Komm, lass uns einen Spaziergang machen«, schlug Emanuele vor. »Hast du den Park schon gesehen? Dort gibt es einen künstlich angelegten See, der aus einem Wildbach gespeist wird. An den Ufern sind Felsenhöhlen. Es ist ein zauberhafter Ort.«
Gemeinsam verließen sie den Burghof und betraten das riesige, einem angelegten Schlosspark gleichende Gelände. Schon von weitem leuchteten ihnen die schlafenden Nymphen am See weiß entgegen, und die silberne Sichel des Monds teilte die Wasseroberfläche. Es war leicht, sich in solche Orte zu verlieben, und schwer, sich von ihnen zu trennen.
Als sie am Ufer standen, legte Emanuele eine Hand auf Eleonoras Nacken und zog sie an sich.
»Wollen wir gehen?«, fragte er ganz nah an ihrem Mund und leckte ihr keck über die Lippen.
Eleonora reagierte augenblicklich. Schon die kleinste Berührung von Emanuele versetzte sie in Erregung, löste ein wohliges Kribbeln in ihr aus. Aber .
»Ich kann nicht, Emanuele. Du weißt doch, wie es ist .«
»Nein, wie ist es denn?«
»Meine beste Freundin feiert gerade ihre Hochzeit.«
»Ach, tatsächlich?« Er ließ...
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