Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Alicia
Der Ozean war mein Lebenselixier, das Rauschen der Wellen meine liebste Melodie. Wenn ich die Augen schloss, konnte ich mir noch immer einbilden, es zu hören, obwohl ich es bereits seit drei Monaten nicht erlebt hatte.
Drei verdammte Monate.
So lang hatte meine Tortur aus Operationen und Reha nach dem Haiangriff gedauert. Zwischenzeitlich hatte ich befürchtet, dass die ganze Sache nie ein Ende nehmen würde. Dass die Ärzte nie zufrieden mit dem Zustand meines Beins oder meine Physiotherapeuten mit meiner Beweglichkeit sein könnten. Doch jetzt saß ich tatsächlich - endlich - im Taxi auf dem Weg nach Hause. Ein kurzes Stück, als wir die Küstenstraße entlanggefahren waren, hatte ich das Meer sogar sehen können, doch jetzt, während wir durch die kleine Ortschaft fuhren, war es wieder aus meinem Blickfeld verschwunden.
Es war ohnehin nicht dasselbe, wie wenn die Wellen endlich wieder meine Knöchel umspielen. Wie mich endlich wieder auf ein Surfbrett zu legen, aufs Meer hinauszupaddeln und die höchste Welle zu reiten.
Vorfreude kribbelte durch meinen gesamten Körper, beginnend von meinen Fingerspitzen bis hinab zu meinen Zehen. Denn genau das war mein Plan, sobald wir die letzte Meile zu meinem Zuhause zurückgelegt hatten. Ich würde den Taxifahrer bezahlen, meine Reisetasche mit der dreckigen Wäsche zur Seite stellen, mir mein Surfbrett schnappen und damit zum Meer gehen. Zum Glück wohnte ich direkt in der Nähe eines kleinen Kiesstrandes. Zwar waren die Wellen dort nicht so hoch wie am Worang Point, aber vielleicht war das nach den drei Monaten Auszeit, zu der ich notgedrungen verdonnert worden war, auch ganz gut. Nie zuvor hatte ich so lange auf mein geliebtes Surfen verzichten müssen, und der bloße Gedanke daran, dass ich endlich wieder loslegen konnte, ließ mich vor Freude schier in Tränen ausbrechen.
Das war auch der Grund, warum ich die Angebote meiner Freunde, mich aus der Reha abzuholen, ausgeschlagen hatte und stattdessen im Taxi saß. Auch wenn ich es fast genauso wenig abwarten konnte, sie außerhalb der Krankenhausatmosphäre wiederzusehen, wollte ich diesen Vormittag für mich nutzen. Mein Board und ich hatten ein Date, und ich plante, das Beste herauszuholen.
Unter all der Freude schwelte jedoch auch die Angst um Mum. Wie es ihr ging und in welchem Zustand ich das Haus vorfinden würde. In den letzten Jahren waren diese Fragen zu einer Art ständigem Begleiter geworden, den ich oftmals nur am Rande mitbekommen hatte. Aber nachdem ich drei Monate nicht zu Hause gewesen war, konnte ich sie nicht so gut ausblenden wie gewöhnlich.
»Wir sind da«, riss mich die Stimme des Taxifahrers aus meinen Gedanken. Ich sah auf und erblickte das Haus, in dem ich mein komplettes Leben verbracht hatte. Der einstöckige Bungalow mit der weißen Fassade, dem für Eden typischen blauen Dach und dem Blumenbeet, das immer etwas mehr Wasser vertragen könnte. Dafür waren die Wasserschalen für die Vögel frisch gefüllt worden, daher konnte ich darüber hinwegsehen.
Ich bezahlte den Taxifahrer und stieg aus. Aus dem Kofferraum holte ich meine Reisetasche, dann wandte ich mich unserem Haus zu.
Ich hatte den gepflasterten Weg zur Tür kaum erreicht, da wurde diese von innen aufgestoßen, und meine Mum trat heraus. »Alicia, da bist du ja.«
Wie immer sah ich sie mir zuerst ganz genau an. Ihre blonden Haare waren ordentlich frisiert, sie trug eine Jeans, die ihr etwas zu weit war, und ein hellblaues T-Shirt. Doch das Wichtigste war, dass ihr Blick klar war und ihr Lächeln echt wirkte.
»Hey, Mum.«
Mit ausgestreckten Armen kam sie auf mich zu und zog mich in eine kurze Umarmung. »Wie geht es dir?«
»Gut.« Ich schulterte meine Reisetasche und folgte ihr ins Haus. »Ich bin froh, dass ich endlich nach Hause durfte.«
»Und damit ist deine Behandlung jetzt komplett vorbei?«
Ich stellte meine Reisetasche neben der Tür auf dem Boden ab und ließ meinen Blick durch den Raum wandern. Man befand sich beim Eintreten direkt im Wohnzimmer, das aufgeräumt und sauber wirkte. Ein wenig von dem Druck, der während der Fahrt auf mir gelastet hatte, löste sich, und ich konnte freier durchatmen.
»Nicht ganz.« Ich wandte mich Mum zu. »Ich muss weiterhin zur Physiotherapie, aber nur einmal die Woche, und die kann ich ambulant absolvieren.« Zunächst hatte man mir zwanzig weitere Stunden verschrieben - um meine Muskulatur zu stärken, das Gewebe zu lockern und meine allgemeine Beweglichkeit zu verbessern. Ich hoffte, dass diese Anzahl ausreichend sein würde, aber genauso gut konnte es passieren, dass nach Ablauf eine Verlängerung beantragt wurde.
»Aber wenigstens bist du wieder zu Hause. Komm erst mal an, ich habe deinen Lieblingskuchen besorgt.« Mum führte mich zu unserem Esstisch, der bereits gedeckt war. Auf meinem Teller befand sich ein Stück Käsekuchen, auf Mums ein Stück Obsttorte. Dazu hatte sie frischen Kaffee gekocht, und allein deswegen lief mir das Wasser im Mund zusammen. Die Plörre im Krankenhaus und während der Reha war eine wässrige Katastrophe gewesen, und meine Beine setzten sich von selbst in Bewegung, ohne dass ich ihnen den Befehl dazu gegeben hatte. Obwohl ich bis eben nur daran hatte denken können, endlich wieder aufs Surfbrett zu steigen, würde ich zu diesem verlockenden Mittagssnack nicht Nein sagen. Was machte es schon, eine halbe Stunde länger zu warten?
»Das wäre doch nicht nötig gewesen«, sagte ich, als ich mich auf meinen Platz setzte. Trotzdem freute es mich. Und zwar nicht nur für mich, sondern für Mum. Denn es bedeutete, dass es ihr gut ging. Gut genug, um das Haus zu verlassen, einzukaufen und das alles vorzubereiten. Das war keine Selbstverständlichkeit. Seit ich denken konnte, hatte Mum mit Depressionen zu kämpfen gehabt. Es gab Phasen, da konnte sie kaum das Bett verlassen, lag den ganzen Tag nur herum und putzte sich nicht einmal die Zähne. In anderen kam sie nicht ins Bett, konnte nicht schlafen und geisterte die ganze Nacht im Haus herum. Und dann gab es Phasen wie diese, in denen ich mir einbilden konnte, dass wir eine ganz normale Familie waren.
»Es ist das Mindeste, was ich tun konnte, nachdem mein kleines Mädchen endlich wieder zu Hause ist.« Lächelnd nahm sie vor mir Platz und griff nach ihrer Gabel. »Es war ganz schön still hier ohne dich.«
Ich trennte ein Stück Käsekuchen ab und schob es mir in den Mund. Sofort explodierte der Geschmack auf meiner Zunge, und ich schloss für einen Moment genüsslich die Augen. Nichts ging über die kleine Konditorei am Ende der Straße.
»Aber Grandma und Granddad waren doch bestimmt regelmäßig hier, oder?«, fragte ich, nachdem ich geschluckt hatte. Meine Großeltern hatten uns immer zur Seite gestanden, waren in manchen der früheren schlimmen Episoden meiner Mum sogar teilweise hier eingezogen.
»Natürlich, aber es ist einfach nicht dasselbe, wie dich jeden Tag um mich zu haben.« Sie sagte das so locker und freiheraus, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, dass ich mit fast vierundzwanzig noch immer zu Hause wohnte. Und vielleicht war es das für sie auch, weil ich nie Anstalten gemacht hatte, etwas daran zu ändern.
Ich schüttelte den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben. »Wie geht es dir sonst so? Was habe ich in der Nachbarschaft verpasst?«, lenkte ich das Gespräch in eine andere Richtung.
»Mir geht es gut.« Mum nickte bekräftigend. »Ich arbeite wieder Teilzeit, um zwischendurch mal aus dem Haus zu kommen. Und in Eden ist alles wie immer. Manchmal habe ich das Gefühl, als würde die Zeit hier stillstehen. Ach so, Mary-Ann von gegenüber ist wieder schwanger.«
»Was?«, rief ich überrascht aus. »Wurde Pete nicht erst im Sommer geboren?«
»Genau.« Mum nickte. »Sie meinte aber auch, jetzt wäre Schluss. Drei Kinder sind genug, und entweder sie oder Jay ließen sich jetzt sterilisieren.«
»Wow.« Plötzlich kam es mir vor, als wäre ich viel länger als nur drei Monate weg gewesen. »Gibt es sonst noch was, das ich verpasst hab?«
Mum zuckte mit den Schultern. »Nicht wirklich. Der alte Mr Kirby hat eine neue Katze adoptiert, aber das ist wahrlich nichts Außergewöhnliches mehr.«
Jetzt musste ich lachen. Mr Kirby wohnte am Ende der Straße in einem Bungalow, der ähnlich aufgeteilt war wie unserer. Er war nie verheiratet gewesen, hatte keine Kinder, dafür rettete er am laufenden Band streunende Katzen. Ich hatte völlig den Überblick verloren, wie viele er mittlerweile beherbergte. »Er sollte einfach ein Tierheim eröffnen. Die müssen ihm doch mittlerweile die Haare vom Kopf fressen.«
Mum schmunzelte. »Das hab ich ihm auch gesagt, aber er meinte, er würde keine davon abgeben, weil man Menschen nicht vertrauen könnte.«
Ehe ich ihr antworten konnte, piepste mein Handy mit einer eintreffenden Nachricht. Ich zog es hervor und entdeckte, dass Kilian in unsere Whatsapp-Gruppe geschrieben hatte.
@Alicia: Heute Abend, 18 Uhr, Welcome back-Party im Moonlight!
Ein Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus. Gott, was hatte ich meine Freunde vermisst. Fast sosehr wie das Surfen, dabei hatten sie mich regelmäßig in der Reha besucht oder Videocalls mit mir gemacht. Trotzdem war es nicht genug gewesen, wenn man sich sonst fast jeden Tag gesehen hatte. Sofort schrieb ich zurück.
Bin so was von dabei! Freue mich auf euch, will vorher aber eine Runde surfen gehen :)
Sofort sah ich, dass mehrere Leute zu tippen begannen.
Kilian: Genau deshalb treffen wir uns später. Sonst...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.