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Cooper
Jetzt bin ich völlig allein.
Ich schluckte gegen die Beklemmung an, die meine Kehle emporkroch. Mit kleinen Widerhaken hatte sie sich in meiner Brust festgesetzt, und ich rieb über die Stelle, als könnte ich die Empfindung damit vertreiben. Doch natürlich funktionierte das nicht. Im Gegenteil. Mit jedem Schritt, den ich machte, wurde die Enge schlimmer. Schließlich blieb ich stehen.
Mr Daniel Collard
Rechtsanwalt und Notar
Mein Blick blieb einen Moment an dem kleinen Messingschild hängen, das sich mittig an der dunklen Holztür befand. Ich wollte nicht hier sein, wäre gerade an jedem anderen Ort lieber gewesen, doch das war eins der Dinge, vor denen ich nicht die Augen verschließen konnte. Vor denen ich nicht wegrennen und mich im Outback verstecken konnte.
Ich nahm einen tiefen Atemzug, versuchte die unerklärliche Angst in mir zu zügeln, dann klopfte ich an die Tür. Fast umgehend erklang ein gedämpftes »Herein«, und ich trat ein.
Das Büro war spärlich eingerichtet. Ein großer Schreibtisch, ein Computer mit zwei Bildschirmen und eine Sitzecke befanden sich darin. Rechts von mir eine Regalwand voller Bücher, die nach Gesetzestexten aussahen. Davon abgesehen war das Büro leer. Keine Bilder an den Wänden, keine persönlichen Gegenstände auf dem Schreibtisch, der für meinen Geschmack viel zu aufgeräumt aussah. Ich würde mich hier nicht wohlfühlen und wusste nicht, wie jemand jeden Tag bis zu zehn Stunden in dieser sterilen Umgebung verbringen konnte.
»Mr Lee, wie schön, dass Sie es einrichten konnten.« Mr Collard erhob sich von seinem Platz und reichte mir die Hand. Alles an ihm war gestriegelt. Er steckte in einem maßgeschneiderten dunkelblauen Anzug, von seinen dunkelblonden Haaren lag jedes einzelne perfekt an seinem Platz, und auf seiner Nase saß eine rahmenlose Brille, von der ich wetten würde, dass sie nie versehentlich verrutschte. Zudem konnte ich sein Alter überhaupt nicht einschätzen. Sein Gesicht war überwiegend faltenfrei, gleichzeitig haftete ihm etwas an, das mein Grandpa als alte Seele bezeichnet hätte.
Ich schluckte gegen die aufkommende Bitterkeit in meiner Kehle an. Grandpa. Der Grund, warum ich hier war.
»Freut mich«, sagte ich zu Mr Collard, obwohl nichts ferner von der Wahrheit lag, und nahm in dem Ledersessel Platz, bevor dieser mir angeboten werden konnte.
Auf Mr Collards Gesicht war keine Gefühlsregung zu erkennen, als er sich ebenfalls wieder setzte. »Wollen Sie etwas trinken? Wasser? Kaffee? Etwas Stärkeres?«
Meine Augenbrauen hoben sich. Hatte er mir gerade Alkohol angeboten? Gut, bei dem, weswegen wir hier waren, wäre es vielleicht nicht ungewöhnlich, trotzdem wollte ich einen klaren Kopf bewahren. »Kaffee, bitte.«
Er nahm den weißen Telefonhörer zur Hand und drückte eine Taste. »Leslie, bring uns bitte zwei Kaffee.« Dann legte er auf und wandte seine volle Aufmerksamkeit mir zu. »Mein Beileid zu Ihrem Verlust.« Es kam so ausdruckslos herüber, dass ich beinahe gelacht hätte. Für ihn war Grandpa bloß ein Auftrag. Ein Punkt auf seinem Tagesplan, den es abzuarbeiten galt. Er hatte keine Ahnung, was für ein Mensch er gewesen war, und ich bezweifelte, dass es ihn groß interessierte.
»Was haben Sie für mich?« Als der Anruf der Kanzlei gekommen war, hatte ich mich gerade beruflich im abgeschiedenen Norden Australiens befunden. Weil ich keinen Empfang gehabt hatte, hatten sie mir auf die Mailbox gesprochen, und so erfuhr ich, dass mein Großvater gestorben und ich zur Verlesung seines letzten Willens geladen war. Ich war nicht hier, damit wir um den heißen Brei herumreden konnten. Ich wollte wissen, was Grandpa mir hinterlassen hatte, und dann schnellstmöglich zurück in die Wildnis. Zu den Tieren, der endlosen Weite und Ruhe, die ich jetzt schon vermisste, dabei war ich seit kaum zwei Stunden in der Stadt.
Ehe Mr Collard etwas erwidern konnte, wurde die Tür geöffnet, und eine Frau mittleren Alters trat ein, bei der es sich nur um Leslie handeln konnte. Ihre hellbraunen Haare waren zu einem akkuraten Dutt frisiert, und sie hielt ein Kaffeetablett in den Händen, das sie zwischen uns auf dem Tisch abstellte. Ich dankte ihr mit einem Nicken und nahm eine der zwei Tassen, froh, dass ich nun etwas hatte, an dem ich mich festhalten konnte.
Nachdem Leslie wieder gegangen war, zog Mr Collard einen Umschlag aus einer Schublade hervor und legte ihn vor sich auf den Tisch. »All sein Privatvermögen hat Ihr Großvater gemeinnützigen Organisationen gespendet, überwiegend an die Charleston Foundation, die sich um vernachlässigte Kinder und Jugendliche kümmert, und das Sapphire Coast Koala Sanctuary.«
Ich musste schmunzeln, denn mein Großvater hatte kein Vermögen besessen. Was er gehabt hatte, hatte er meistens in Ausbesserungen seines Lebenstraums, des Moonlight, gesteckt. Es würde mich wundern, wenn er mehr als fünftausend australische Dollar auf irgendeinem Sparbuch liegen gehabt hatte. Doch an Geld war ich nie interessiert gewesen, was er gewusst hatte, daher begrüßte ich diese Entscheidung.
»Klingt gut, aber warum bin ich dann hier?«
Mr Collard räusperte sich und rückte seine Krawatte zurecht. »Weil Ihr Großvater Ihnen ebenfalls etwas hinterlassen hat, und zwar das Moonlight inklusive der Wohnung, die darüberliegt.«
»Das kann nicht sein«, rutschte es mir heraus. »Was soll ich mit der Bar?« Grandpa wusste, dass ich seine Bar auf keinen Fall weiterführen wollte. Das war sein Lebenstraum gewesen, nicht meiner. Ich war auch nicht der Typ, der sesshaft wurde. Der einzige Grund, warum ich überhaupt noch nach Eden zurückgekehrt war, war Grandpa gewesen. Der Letzte aus meiner Familie, der mir noch geblieben war. Nachdem er nun auch nicht mehr da war .
»Es gibt einen Zusatz.« Mr Collard zog einen Zettel aus dem Umschlag heraus und begann davon abzulesen.
»>Ich übermache meinem Enkel Cooper Lee die Moonlight Bar unter der Bedingung, dass er sich regelmäßig dort aufhält und sich mit allen Vorgängen vertraut macht. Nur er weiß, wie ich sie weitergeführt haben möchte, und er darf sie frühestens nach einem halben Jahr verkaufen. Auch das nur unter der Bedingung, dass er den Käufer darüber unterrichtet, wie mein Lebenswerk geführt werden soll. Stimmt Cooper Lee dem nicht zu, soll die Bar dem Erdboden gleichgemacht und das Grundstück an eine Familie vergeben werden, die dort ein Haus bauen möchte.<«
Widerstand regte sich in mir, und ich schüttelte den Kopf. Mit Mühe unterdrückte ich einen Fluch, den Mr Collard sicher nicht begrüßt hätte. Ich konnte nicht fassen, dass Grandpa mich aus dem Grab heraus noch um den Finger gewickelt hatte. Er legte die Entscheidung, was mit dem Moonlight passieren sollte, in meine Hände, und ließ mir gleichzeitig keine Wahl. Denn er wusste genau, dass ich es nicht über mich bringen würde, seinen Lebenstraum dem Erdboden gleichzumachen. Niemals würde ich die Entscheidung fällen, die Bar abreißen zu lassen, die Grandpa sich aufgebaut und die ihm nach Grandmas Tod eine Zuflucht geboten hatte. Nicht, nachdem die beiden mich damals aufgenommen hatten, als ich selbst kein Zuhause mehr gehabt hatte.
»Ich mache es. Das Moonlight übernehmen.« Meine Stimme klang kratzig dank all der Empfindungen, die mich mit einem Mal überkamen. Erst jetzt wurde mir so richtig bewusst, dass auch mein Großvater fort war. Dass mir von den einzigen Menschen, die mir jemals etwas bedeutet hatten, nur Erinnerungen blieben.
Und das Moonlight.
Der Anflug einer Gefühlsregung zuckte in Mr Collards Mundwinkeln. Kein richtiges Lächeln, eher etwas wie Zufriedenheit. »Ihr Großvater sagte, Sie würden sich dafür entscheiden.«
Weil er mir keine wirkliche Wahl gelassen hat. Anstatt meine Gedanken auszusprechen, nickte ich bloß, denn das Letzte, was ich wollte, war, mit einem wildfremden Notar meine Familiengeschichte zu erörtern.
Ein weiteres Mal schob Mr Collard seine Hand in den Umschlag und holte einen zweiten, viel kleineren hervor. »Den Brief sollen Sie bekommen, wenn Sie zustimmen, das Moonlight zu übernehmen.« Er schob ihn mir zu, und ich hatte fast Angst, ihn an mich zu nehmen. »Dann müssten Sie nur noch diese Erklärung unterzeichnen, bekommen die Schlüssel ausgehändigt, und wir wären hier bereits fertig.«
Das Herz schlug mir bis zum Hals, und meine Finger zitterten, während ich den Kugelschreiber entgegennahm. Was für Mr Collard nur seine tägliche Arbeit war, fühlte sich für mich lebensverändernd an. War es auch, um genau zu sein, und ich hatte keine Ahnung, was das für meine Zukunft bedeuten würde. Trotzdem unterschrieb ich die Vereinbarung, nahm einen Durchschlag für meine Unterlagen mit und bekam den Generalschlüssel für das Moonlight sowie für die darüberliegende Wohnung ausgehändigt.
Nachdem ich mich von Mr Collard verabschiedet hatte, verließ ich das Gebäude so schnell wie möglich. Draußen atmete ich zuallererst tief ein. Obwohl sich das Gebäude recht zentral in Eden befand, konnte ich das Meer riechen. Diese unvergleichliche Mischung aus Salz, Wasser und unendlicher Weite, die mich normalerweise sofort beruhigte, heute aber nicht gegen das beklemmende Gefühl in meiner Brust ankam. Der Brief...
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