Schweitzer Fachinformationen
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Isabel
Wir sind da.«
Sophie stupste mich mit dem Ellbogen an und riss mich aus dem Dämmerschlaf, in den ich gefallen war. Ich erhob mich aus dem unbequemen Sitz, drückte meinen verspannten Rücken durch und griff nach meinem Trekkingrucksack, ehe ich meiner besten Freundin aus dem Bus folgte.
Eine sanfte Brise, in der ein Versprechen von Meeresluft lag, wehte mir ins Gesicht, und ich atmete tief ein. Dann sah ich mich neugierig um. Der Busbahnhof von Eden, unserem Aufenthaltsort für den kommenden Monat, wirkte unspektakulär. Viel grauer Beton und ein flaches, einstöckiges Gebäude, in dem sich der Ticketschalter sowie eine Art Kiosk befanden, der außer Getränken und Zeitschriften auch frische Backwaren im Angebot hatte. Außer uns waren nur zwei weitere Personen zu sehen, die auf den Bus warteten. Ein Teenager mit großen Kopfhörern über den Ohren, der gelangweilt auf seinem Handy tippte, und eine ältere Dame, die mehr Taschen dabeihatte als Sophie und ich zusammen.
Links vom Busbahnhof führte die Küstenstraße nach Melbourne, von wo wir gekommen waren, rechts musste es nach Eden gehen. Ein wenig entfernt waren die ersten blauen Dächer der Ortschaft zu erkennen, die in sämtlichen Reiseführern in den höchsten Tönen gelobt wurde. Hinter uns fielen die Klippen zum Meer steil ab. Das Rauschen der Wellen, die sich an den Felsen brachen, war bis zu uns zu hören, gemischt mit dem aufgeregten Kreischen der Möwen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ragten einige beeindruckende Eukalyptusbäume in die Höhe, die die Ausläufer der vielen Wälder markierten, für die die Küstenregion von New South Wales bekannt war. Es war ein krasser Gegensatz zu den Wolkenkratzern und überfüllten Straßen Melbournes, und allein deswegen war mein erster Eindruck sofort positiv.
Ich wandte mich meiner Freundin zu. Sie hatte die rotblonden Strähnen ihres kinnlangen Bobs hinter die Ohren geklemmt, und mit ihren wachen hellbraunen Augen sah sie sich interessiert um.
»Gefällt mir gleich viel besser als Melbourne«, rutschte es mir heraus. Obwohl ich im Vorfeld all meine Hoffnungen in Melbourne gesetzt hatte, hatte sich dieser Stopp als Enttäuschung erwiesen.
Sophie zog die Augenbrauen hoch und lachte. »Wir sind doch gerade erst angekommen.«
»Trotzdem glaube ich, dass ich mich hier wohlfühlen könnte.« Ich sah zurück zum Meer, das sich hinter uns erstreckte. In der Ferne schipperten kleine Boote dahin, und ich meinte, in einem Reiseführer etwas von einem charmanten Hafen gelesen zu haben.
»Das denke ich auch.« Sophie zog ihr Handy hervor und tippte darauf herum. »Das Hostel ist gut fünfzehn Minuten von hier entfernt. Wir können uns ein Zimmer besorgen und danach die Umgebung erkunden.«
»Und uns einen Job suchen.« In Melbourne hatten wir ganz klassisch in einem Café gearbeitet, aber auch das war eine bittere Enttäuschung gewesen. Oft hatten Sophie und ich zu unterschiedlichen Zeiten arbeiten müssen, dazu kamen gestresste Kunden und Touristen, die mehr als unverschämt gewesen waren. Diesmal wollte ich etwas tun, das mich den Menschen Australiens näherbrachte, auch wenn ich noch keine Ahnung hatte, wie so ein Job aussehen sollte.
Sophie presste den Mund zu einer schmalen Linie zusammen. »Solange es nicht wieder ein Café ist«, sprach sie meinen Gedanken laut aus.
»Auf gar keinen Fall.« Wenn ich in meinem Leben noch einen einzigen Kaffee verkaufen müsste, der eher nach einem üppigen Nachtisch als einem Heißgetränk klang, würde ich mich schreiend ins Meer stürzen.
»Hier wird alles besser.« Sophie drückte kurz meine Hand, dann schulterte sie ihren Backpack und lief los in Richtung Ortsmitte.
Nach wenigen Sekunden folgte ich ihr. »Hast du schon geschaut, was wir in Eden machen können?«
Sophie war von uns beiden die Planerin. Während wir uns im Vorfeld natürlich gemeinsam überlegt hatten, welche Orte wir in unserem Jahr in Australien besuchen und wo wir wie lange bleiben wollten, war das für meine beste Freundin nicht genug gewesen. Sie hatte sich zudem über Hostels informiert und geschaut, welche Betriebe auch Work and Travel anboten. In stundenlanger Arbeit hatte sie Listen erstellt, die sie mir dann vorgelegt hatte. Es sprach wohl nicht für mich, dass ich mich an einen Großteil davon nicht mehr erinnern konnte.
»Eine Menge.« Begeistert grinste sie mich an. »Dafür, dass Eden nur etwas mehr als dreitausend Einwohner hat, gibt es fast schon ein Überangebot.«
»Es kommen ja vermutlich noch mal so viele Touristen dazu.«
»Im Sommer eher mehr. Allein wegen der ganzen Surfer.« Sophie warf mir einen vielsagenden Blick zu, denn genau mit diesem Detail hatte sie mich davon überzeugt, einen Abstecher nach Eden zu machen.
Sofort spürte ich eine Regung tief in meiner Magengegend. Es war Begeisterung. Die Begeisterung, mit der ich Ende September in Frankfurt ins Flugzeug gestiegen war und die ich im letzten Monat in Melbourne verloren hatte. Mein Dad war auch ein leidenschaftlicher Surfer gewesen, und er war der Grund, warum ich überhaupt hier war.
Plötzlich blieb Sophie stehen und packte meinen Unterarm. »Schau mal da.« Sie deutete auf die andere Straßenseite. »Ein Koala-Reservat. Und sie stellen Leute ein.«
Es dauerte etwas, bis ich das grüne Schild, das zum Teil von Büschen und Sträuchern überwuchert war, entdeckt hatte. Wilson Koala Preserve prangte in großen, einstmals weißen Lettern darauf, die mittlerweile mehr graubraun waren und deren Farbe bereits abbröckelte. Help needed hatte jemand mit einem schwarzen Edding in die rechte Ecke gekritzelt.
Enge machte sich in meiner Brust breit, und mein erster Impuls war abzulehnen. Koalas sahen zwar ganz süß aus, aber es waren Lebewesen mit scharfen Krallen, und ich hatte einen natürlichen Respekt vor Tieren jeglicher Art. Es war nicht so, dass ich Tiere nicht mochte. Einige waren schon niedlich, vor allem, wenn sie noch klein waren. Aber ich wollte nicht unbedingt mit ihnen zu tun haben. Ein einschneidendes Erlebnis in meiner Kindheit hatte mich gelehrt, Abstand zu halten.
Doch dann sah ich Sophie an. Sophie, die absolut vernarrt in Koalas war und mich mit einer so hoffnungsvollen Verzückung betrachtete, dass ich einknickte.
»Wir können es uns ja mal ansehen.« Generell konnte ich meiner besten Freundin selten etwas abschlagen. Sie war mit mir nach Australien aufgebrochen, was ein Herzenswunsch von mir gewesen war. Ich wollte, dass dieser Trip für sie genauso erfüllend wurde wie für mich. Dass wir beide daraus etwas mitnahmen, das den Rest unseres Lebens bereichern würde. Und wenn sie in dieser Zeit mit Koalas arbeiten wollte, wie könnte ich da Nein sagen? Vermutlich wäre es kein Problem, mich im Hintergrund zu halten und Büroarbeiten zu übernehmen - auch davon sollte es in dem Reservat ja welche geben.
»Wirklich?« Sophie quietschte und fiel mir um den Hals. Für einen Moment drückte sie so fest zu, dass mir die Luft wegblieb, dann ließ sie von mir ab. »Bist du sicher?«
Sophie wusste natürlich von meinen Bedenken, doch ich beruhigte sie mit einem Lächeln. »Es sind nur Koalas. Außerdem hatten wir doch vereinbart, dass wir diesmal etwas tun, das uns Australien näherbringt. Und was ist australischer als Koalas?«
Ein verschmitztes Funkeln trat in Sophies Augen. »Mir würden sonst nur noch Kängurus einfallen.«
Gespielt böse blitzte ich sie an. »Vergiss es, da lege ich ein Veto ein. Kängurus sind alles andere als klein, und irgendwo habe ich gelesen, dass sie einen treten können!«
Unter keinen Umständen würde ich mich auch nur in die Nähe dieser Tiere begeben.
Sophie lachte und hakte sich bei mir unter. »Keine Sorge, das würde ich dir nicht antun. Auch wenn es bestimmt aufregend wäre.«
Dass Sophie das Abenteuer liebte, wusste ich natürlich. Als ich sie vor vielen Jahren gefragt hatte, ob sie mit mir nach Australien kommen würde, war sie sofort Feuer und Flamme gewesen. Wir waren damals dreizehn oder vierzehn gewesen. Niemand hätte uns allein in ein Flugzeug steigen lassen, doch Sophie hatte damals schon angefangen, einen Roadtrip durch Australien zu planen, der Begegnungen mit jeglichen Tierarten einbezog, mit denen dieses Land aufwartete. Völlig egal, wie gefährlich oder giftig sie waren. Wenn mich nicht alles täuschte, hatte sogar Tauchen mit Haien auf ihrer Liste gestanden.
Wir traten an den Rand der Straße, sahen nach rechts und links und überquerten sie.
Der Wegweiser zum Koala-Reservat wies auf einen schmalen Fahrweg, der mitten in den Wald hineinführte. Überall wucherten Gestrüpp, Gras und Farne, so als wäre der Weg seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt worden. Doch auf den zweiten Blick entdeckte man abgeknickte Äste und Reifenspuren auf dem Boden, die darauf hinwiesen, dass er zumindest hin und wieder befahren wurde.
Sophie und ich stapften schweigend drauflos.
»Ich fühle mich ein bisschen wie Hänsel und Gretel, die das Haus der Hexe aufsuchen«, sagte Sophie in die Stille hinein, die nur vom Zwitschern der Vögel und hin und wieder einem Rascheln im Unterholz durchbrochen wurde.
»Ich hab eher Angst, gleich von einem wilden Tier angefallen zu werden«, murmelte ich und unterdrückte ein Schaudern. Bei jedem Knacken im Wald zuckte ich zusammen und wartete nur darauf, dass eine Schlange unseren Weg kreuzte. Seit wir die Straße verlassen hatten, kam es mir vor, als hätten wir eine neue Welt betreten. Eine, die völlig abseits der Zivilisation lag. Wilde Natur umgab uns, Laub raschelte unter unseren Schuhen, und es waren keine Geräusche von der Straße mehr zu hören. Das Blätterdach über uns ließ...
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