Schweitzer Fachinformationen
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»Damit eine Information für die Kinder wirklich bewertbar ist, muss es irgendeine Vorerfahrung geben.«
Herr Dr. Mienert, gibt es ein Alter, in dem Kinder zu jung für ihr Recht auf Information sind?
Ein zu jung gibt es nicht für Informationen! Aber wir sollten Kinder nicht aktiv mit Informationen konfrontieren, die für sie zu kompliziert sind. Wir müssen aber immer damit rechnen, dass sie irgendwelche Begriffe, Konzepte aufschnappen. Dann geht's um das REAGIEREN auf die Informationen, die da kommen! Aber selbst nicht aktiv auf die ganz kleinen Kinder zugehen.
Als meine Kinder ganz klein waren (sagen wir mal zwischen 0 und 2), waren sie oft dabei, wenn ich mich über ernste Themen unterhalten habe oder es sind nebenbei Nachrichten gelaufen. Weil ich mir sicher war, dass sie das in dem Alter ja ohnehin nicht verstehen können. Kann eine Mutter oder ein Vater das bedenkenlos machen?
Ja, bei den 0- bis 2-Jährigen können Sie das bedenkenlos tun! Es gibt da Untersuchungen aus der Entwicklungspsychologie: Kinder können sehr früh erkennen, ob es eine ans Kind gerichtete Sprache ist oder eine an einen Erwachsenen gerichtete Sprache. Die Kinder filtern dann: Sind die Informationen jetzt für mich? Oder sind die für einen Erwachsenen gemeint? Die Kinder blenden sich nur dann ein, wenn es Informationen sind, die für sie bestimmt sind. Wir ändern ja auch unbewusst unsere Stimme - je nachdem, mit wem wir reden. Die Kinder erkennen das an unserer Stimme, an unserer Stimmfärbung.
Damit eine Information für die Kinder wirklich bewertbar ist, muss es irgendeine Vorerfahrung geben. Und für Worte wie »Krieg« oder »Taliban« oder »Überfall« gibt es im kindlichen Gehirn keine Andockungsmöglichkeiten. Sie haben ja zum Glück hier bei uns noch keine Erfahrung damit. Und sie haben deswegen keine negative oder positive Bewertung. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Konzept der sozialen Verweisung.
Können Sie uns dieses Konzept mal erläutern?
Soziale Verweisung heißt: Die Kinder orientieren sich in unsicheren Situationen am Gefühlsausdruck ihrer Bezugsperson. Wenn ich als Kind nicht weiß, wie ich eine Situation einschätzen soll, eine Information oder etwas, was ich sehe oder höre, dann schaue ich in der Regel auf die Gefühlssituation der Bezugsperson und versuche daraus zu lesen: Wie geht es zum Beispiel meiner Mutter?
Das heißt: Wenn ich panisch reagiere, dann weiß das Kind: Jetzt ist's ernst!?
Es geht nicht nur um panisch. Es geht um feinste mimische Bewegungen. Die zu erkennen, darin sind Kinder wirklich Meister. Wir spiegeln unsere eigenen Ängste an die Kleinen, auch wenn wir das nicht wollen. Da gibt es auch keinen Tipp, wie man das abstellen kann. Es geht den Kindern nicht darum, was die Bezugsperson sagt, sondern was sich in Mimik und Gestik zeigt, in der Stimmfärbung. Das bekannteste Phänomen ist die Kita-Eingewöhnung.
Oh ja, das wurde mir damals auch mal vorgeworfen, dass ICH das eigentliche Problem bin, nicht das Kind!
Das kann man keinem vorwerfen! Die Kinder finden sich erst gut rein, sobald sich die Eltern entspannen. Und wenn Sie sich als Mutter noch nicht entspannen, dann wird das auch seine Gründe haben. Und so ist das eben auch bei der Informationsverarbeitung im Alltag. Informationen sind erst einmal neutral. Aber wenn Kinder einen bestimmten Begriff, eine bestimmte Formulierung häufiger mit einem gespannten Gefühl bei Mama oder Papa wahrnehmen, dann überträgt sich das im Sinne der Verweisung. Gefühle werden von den Eltern aufs Kind verwiesen.
Also erst, wenn die Eltern sich zum Beispiel öfter über Krieg unterhalten haben, fragen die Kinder nach . Richtig?
Genau, es geht nicht um den Begriff Krieg, es geht nicht um das Konzept Krieg. Dafür gibt's bei Kindern in diesem Alter noch kein Verständnis. Sondern es geht darum: Warum beschäftigt das Mama oder Papa so sehr? Kinder merken, da liegt was in der Luft. Nichts Konkretes, sondern etwas Abstraktes. Immer wenn dieser Begriff auftaucht, dann ist komische Stimmung.
Bei 0- bis 2-Jährigen würde ich mir keine Gedanken machen. Aber ab drei Jahren, wenn auch das sprachliche Verständnis bei den Kindern wächst, wenn sie auch mehr Leute zum Austausch bekommen, mehr Möglichkeiten haben, Begriffe aufzuschnappen, dann müssen Sie echt aufpassen.
Aufpassen, WIE ich über WAS rede, und auch aufpassen, wenn die Nachrichten laufen?
Ganz genau!
»Es gibt eine Frage hinter der Frage! Die sollte man versuchen herauszufinden.«
Gibt es denn eine Faustregel, die ich beachten sollte, wenn mich mein kleines Kind dann auf schlimme Dinge, auf die Katastrophen in der Welt anspricht?
Dann kommt es bei den Erwachsenen auf interessiertes, zugewandtes Nachfragen an: »Erzähl mal, was beschäftigt dich da? Was hast du da gehört? Wo ist das Thema denn aufgetaucht?« Den Ball ans Kind zurückgeben.
Also einfach Gegenfragen stellen?
Ja, aber ich würde das Kind jetzt auch nicht ausfragen. Was für viele Kinder gilt: Es gibt eine Frage hinter der Frage! Die sollte man versuchen herauszufinden. Und da denkt man als Erwachsener oft: Das überrascht mich jetzt total! Neutral nachfragen, ohne zu führen, damit rauskommt, was die Frage hinter der Frage ist.
Gleichzeitig kann man so ja den Wissensstand checken - was das Kind überhaupt weiß, damit ich danach nicht aus Versehen zu viel ins Detail gehe.
Ja, genau, aber man wird bei den 3- bis 6-Jährigen meist ganz schnell feststellen, dass es um einen ganz konkreten, persönlichen Bezug geht. »Kann das meiner Mama auch passieren? Kann das mir passieren? Oder meinem Haustier?« Die Kinder versuchen das an ihrem sozialen Erfahrungsbereich anzudocken.
Können wir Kinder in dem Alter, auch wenn es hart klingt, als Egomanen bezeichnen? Meine Tochter hat sich ja auch selbst bedroht gefühlt, obwohl es ja eigentlich um andere Kinder in der Ukraine geht.
Egomane bedeutet: Ich, immer nur ich! Den Begriff würden wir in der Psychologie jetzt nicht verwenden. Wir würden egozentrisch sagen, auch in einem positiven Sinne. Es muss etwas mit mir zu tun haben! Die Fähigkeit der sozialen Perspektivübernahme, also seine eigene Perspektive verlassen und sich in die Gedankenwelt eines anderen Menschen reinversetzen zu können, das wird noch ein paar Jahre dauern. Bis zum Schuleintritt etwa sind Kinder dazu einigermaßen in der Lage.
Ich bin im Zentrum. Es geht irgendwie um mich: In Stresssituationen wird diese Denke selbst bei Erwachsenen immer wieder auftauchen. Die soziale Perspektivübernahme - das ist jetzt keine Fähigkeit, die wir ab dem Schulalter haben, immer und überall, und ab dann sind wir ganz weise.
Gerade in Stresssituationen ziehen wir uns alle oft auf die egozentrische Perspektive zurück: »Was hat das mit mir zu tun?« Der Unterschied aber ist: Kinder im Alter von null bis sechs KÖNNEN es nicht anders. Die Jugendlichen oder wir Erwachsene könnten es ja - wie so eine Treppe, die man hoch- und runtersteigen kann. Das können die Kleinen nicht.
Gibt es absolute No-Gos beim Gespräch mit den Kleinsten? Sätze, die niemals fallen sollten?
»Du musst keine Angst haben.« Das kann man 30-mal sagen, aber die Angst ist einfach da. Das Gefühl. Und der Stress beim Kind wird dann noch größer, wenn es denkt, dass es das Gefühl eigentlich nicht haben soll. »Du musst keine Angst haben!« Das ist einfach Quatsch! Genau wie: »Ein Indianer kennt keinen Schmerz.« Oder: »Wir schaffen alle Situationen.« Das sind so Wunschgedanken von uns, die in der Praxis aber nicht funktionieren.
Aber in meiner eigenen Kindheit gab's von meinem Vater das Ritual, dass meine Schwestern und ich in schwierigen Situationen alle zusammen sagen mussten: »Wir schaffen alles!« Daran denke ich mit einem schönen Gefühl zurück.
Na, dann drücke ich Ihnen die Daumen, dass das immer klappt!
Nee, hat's natürlich nicht. Das haben wir ja im Laufe unseres Lebens gemerkt. Wir haben nicht alles geschafft. Und dennoch hat mir das damals als Kind Mut gemacht.
Wir reden hier über Kontrolle: »Habe ich einen Einfluss auf die Ereignisse?« Dann würden wir von internaler Kontrolle sprechen: »Wir schaffen das!« Im Sinne von: Ich habe selbst einen Einfluss drauf. Wenn es dagegen ein Ereignis gibt, auf das ich keinen Einfluss habe, dann spricht man von externaler Kontrolle. Es liegt dann in den Händen anderer.
Wir Psychologen haben lange die Bedeutung der internalen Kontrolle betont: »Wir schaffen das! Ich muss das im Griff haben! Wir sind stark! Wir sind selbstbewusst!«
Da hat sich aber die Forschungslage geändert. Internale Kontrolle ist gut, aber tatsächlich nur, wenn es um kontrollierbare Ereignisse geht. Wenn ich das aber bei Ereignissen sage, auf die ich nun wirklich keinen Einfluss habe - Krieg, die meisten Katastrophen - dann ist das echt ungünstig.
Was ist beim Gespräch mit den Kleinsten noch tabu?
Ein Wort sollte unbedingt vermieden werden: WARUM?
Ich sollte also niemals fragen: »WARUM hast du Angst? Oder WARUM denkst du das denn?«
Kinder dürfen »WARUM?« fragen, Erwachsene nicht! WARUM und auch WIESO sollten tabu sein! Das wirkt schnell als anklagend. Das haben wir sehr früh von unseren Eltern gelernt und ich würde versuchen, das nicht in die nächste Generation weiterzutragen. »WARUM hast du das gemacht?« Da ist das sofort negativ belegt, was das Kind getan oder gedacht hat.
Wenn Sie Ihre große...
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