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WENN ICH GEFRAGT WERDE, wie meine Beziehung zu Nepal begann, antworte ich immer, dass ich mich auf meiner ersten Trekkingreise 1998 in das Land verliebt habe. Bewusst geworden ist mir das aber erst im Nachhinein. Lese ich in meinem Tagebuch nach, stehen da durchaus auch kritische Töne. Sie haben allerdings vor allem damit zu tun, dass ich damals, mit Anfang dreißig, körperliche Anstrengungen weit weniger schätzte als heute. Zudem war es meine erste Reise nach Asien, alles war neu für mich. »Kathmandu selbst ist eine erstaunliche Stadt. Es wimmelt dort nur so von Menschen, Autos und Fahrrädern. Die Autofahrer sind ständig am Hupen«, beschrieb ich meine ersten Eindrücke. Das Tagebuch liest sich aus heutiger Sicht recht amüsant, etwa wenn ich froh war, dass wir vom Flughafen abgeholt wurden, denn »in diesem Chaos hätte ich wahrscheinlich gleich Panik bekommen«.
Ich lief mit großen Augen durch das Touristenviertel Thamel mit seinen vielen Shops und fand es unglaublich, dass es in Kathmandu vom Pub bis zum Internet-Café alles gab. Schon am dritten Tag ging es mit dem Bus weiter zum Ausgangspunkt unseres Trekkings, nach Barabise, gute 200 Kilometer östlich von Kathmandu. Unterwegs war ich mit Mike, meinem damaligen Lebenspartner, mit dem ich in England lebte, und dreien seiner Freunde, von denen zwei wie er Mediziner waren. Sie hatten ihr Studium beendet und wollten, bevor der Ernst des Lebens losging, ein halbjähriges Sabbatical einlegen und bergsteigen gehen. Ihr Plan war, drei Monate nach Nepal zu reisen und anschließend, wenn der Monsun begann, für drei Monate nach Südamerika. Irgendwann hatte Mike mich gefragt, ob ich auch mitkommen wollte. Natürlich wollte ich das, ich will ja überall dabei sein! Wie es so meine Art ist, hatte ich mir im Vorfeld keine großen Gedanken gemacht, was da auf mich zukam und was es bedeuten würde, sechs Monate unterwegs zu sein - ich fuhr einfach mal los. Und so machte ich mir auch gar nicht bewusst, dass »normale« Trekkingreisen in Nepal nie so lang dauern: Mike hatte 73 Tage geplant.
Für diese Reise musste ich richtig investieren. An Ausrüstung hatte ich nichts, ich musste mir alles kaufen: Schalenbergschuhe, Steigeisen, Schlafsack, Daunenbekleidung. Mir wurde richtig schwindlig, wie viel Geld ich ausgeben musste. Die großzügigen 500 Mark, die meine Schwester und ich jeweils von meinem Vater zum Geburtstag bekamen, gingen schon nur für die Plastikbergschuhe drauf, die man damals trug. Ich stand bei Sport Conrad in meiner Heimatstadt Garmisch an der Kasse, und mein Herz blutete, als ich bezahlte. Was tat ich hier? Gab so viel Geld aus für eine Unternehmung, von der ich nicht wusste, ob sie mir Spaß machen würde - ich, die in jungen Jahren schon zum Spazierengehen zu faul gewesen war und das Wandern immer gehasst hatte? Ein paar dieser allerersten Ausrüstungsstücke fürs Höhenbergsteigen, eine knallrote Fleece-Latzhose und einen viel zu großen Daunenanorak, habe ich aus einer nostalgischen Anwandlung heraus bis heute behalten. Auch liegen die völlig durchlöcherten Wanderschuhe von dieser ersten Trekkingtour noch immer im Keller meines Elternhauses.
Als es dann losging und wir uns mit unseren Sherpas und mehr als dreißig Trägern ins Rolwaling-Tal aufmachten, wunderte ich mich, dass wir westliche Kunden so zuvorkommend bedient und uns am Morgen heißer Tee und warmes Waschwasser zum Zelt gebracht wurden. Ich brauchte eine Weile, um mich daran zu gewöhnen und dabei kein schlechtes Gewissen mehr zu bekommen. Im Lauf dieser Wochen lernte ich noch einiges andere: etwa die Hierarchie zwischen dem Sirdar - dem Chef der Träger -, den Sherpas und den Trägern selbst. Oder auch, wie lange man überleben kann, ohne zu duschen. Die Landschaft fand ich fantastisch, ich war begeistert von der nepalesischen Bevölkerung, aber mit dem Wandern an sich konnte ich mich nicht so recht anfreunden. Im Tagebuch diskutierte ich auf jeder zweiten Seite, ob es mir nun gefiel oder nicht. »Irgendwie macht mir das Bergaufgehen nicht so viel Spaß. Ich finde es ungeheuer anstrengend - besonders auf 3000 Metern«, schrieb ich am 2. April. Fünf Tage später heißt es hingegen: »Wir sind endlich im Rolwaling-Tal angekommen, und ich beginne das Bergauflaufen zu genießen.« Außerdem hielt ich fest: »Ich glaube, ich war noch nie so weit von einer Straße entfernt wie momentan!«
Mein Trekking-Permit für 1998 war auf ganze 73 Tage ausgestellt - ausreichend Zeit, um Nepal kennenzulernen und meine Liebe für das Land und seine Berge zu entdecken.
Erschöpft, aber glücklich, dass mich meine teuer erstandenen Schalenbergschuhe wohlbehalten die Berge hinauf- und wieder heruntergebracht haben: vor dem Hotel Hama.
Auch von zu Hause war ich weit entfernt, und vor allem für eine lange Zeit. Es dauerte nur ein paar Tage, bis ich meine Familie und meine Freundinnen bereits schrecklich vermisste. Schon in der ersten Trekkingwoche konnte ich es kaum erwarten, endlich mit ihnen telefonieren zu können. Ich wusste allerdings nicht einmal, ob es im Sherpa-Hauptort Namche Bazaar überhaupt ein Telefon gab.
In der Sommersiedlung Na angekommen, auf 4183 Metern, schrieb ich: »So hoch war ich noch nie! Ist schon interessant, wie man die Höhe spürt. Alles geht etwas langsamer.« Hier begann der Aufstieg ins Basislager für unseren ersten Gipfel, den 5900 Meter hohen Ramdung. Bis dorthin war ein Höhenunterschied von 1000 Metern zu überwinden, wobei ich mich völlig verausgabte. Einen Tag nachdem wir das Basislager erreicht hatten, schrieb ich: »Gestern war der schrecklichste Tag meines Lebens! Ich glaube, ich war noch nie in meinem Leben so erschöpft. Ich schaffte zehn Schritte und musste dann fünf Minuten Pause machen, um meinen Atem zu fangen. Ich schimpfte und fluchte und wollte eigentlich nur daheim bei meinen Freunden sein. Ich glaube, ich bin einfach kein Bergkind.« Und mit Blick auf den Ramdung schrieb ich weiter: »Ich weiß nicht, wie ich jemals auf den Gipfel dieses Berges kommen soll, und ich weiß auch nicht, ob ich das unbedingt will.«
Diese Entscheidung wurde mir abgenommen, denn es schneite an den nächsten Tagen so intensiv, dass wir auf die Gipfelbesteigung verzichteten. Stattdessen setzten wir unseren Weg zum 5750 Meter hohen Pass Tashi Lapcha fort, um den Parchamo (6273 m) zu besteigen und anschließend nach Namche Bazaar zu wandern. Wieder war ich unschlüssig, ob mir der Gipfel die Anstrengung wert war: »Ich weiß noch nicht, ob ich so richtig Lust dazu habe, allerdings kann ich dann behaupten, auf einem Sechstausender gewesen zu sein.« Schon einen Tag später jubelte ich dann, einen Berg mit mehr als 6200 Metern bestiegen und dafür sogar einen richtigen Eisfall bezwungen zu haben. »Wir saßen um 8 Uhr morgens auf dem Gipfel und hatten ein atemberaubendes Panorama - Mount Everest, Lhotse und viele andere Achttausender. Ich hätte nie gedacht, dass mich so etwas jemals vom Hocker reißen könnte, aber es hat mich absolut umgehauen!«
Auf der anderen Seite des Passes stiegen wir in zwei Tagen nach Namche Bazaar ab, wo erst einmal die Erholung im Vordergrund stand. Dazu gehörte neben einer ausführlichen Dusche auch, so viel wie möglich zu essen, denn ich hatte durch die Anstrengungen der letzten Wochen ziemlich abgenommen. Ich muss so erschöpft gewesen sein, dass mir sogar das Bier schmeckte, denn trotz meines vielversprechenden Nachnamens halte ich von dem Gerstensaft gewöhnlich Abstand. Das Wichtigste war mir aber, endlich mit meiner Mutter und meiner engen Freundin Elke telefonieren zu können. Erleichtert hatte ich festgestellt, dass es in Namche ein Telefon gab - aber eben nur eines. So stand ich stundenlang an, um ein Gespräch führen zu können. Ich wollte meiner Mutter von meinen Erlebnissen berichten, aber es fiel mir schwer, ihr das alles auf Deutsch zu erzählen, weil ich vier Wochen lang nur englisch gesprochen hatte. All meine Erfahrungen und Gefühle waren in meinem Kopf auf Englisch gespeichert.
Jeder normale Mensch hätte hier seine Trekkingtour beendet und wäre nach Kathmandu zurückgekehrt. Aber nicht wir: Für uns war erst Halbzeit, denn wir hatten noch ein höheres Ziel, den 6476 Meter hohen Mera Peak. Mike hatte alles genau geplant, darin war er großartig, und er wollte dieses halbe Jahr bis zum Letzten auskosten, bevor er sich in seine Karriere als Anästhesist stürzte. Im Lauf der Jahre sollte er es bis zum Professor of Anaesthesia and Critical Care Medicine an der University of Southampton bringen. Aus Begeisterung für das Höhenbergsteigen spezialisierte er sich auch auf die Höhenmedizin; inzwischen gilt Mike Grocott als Koryphäe auf diesem Gebiet. Das führte dazu, dass er 2007 die Caudwell Xtreme Everest Expedition organisierte, um am höchsten Berg der Welt medizinische Forschung zu betreiben. Dafür schleppten die Sherpas sogar ein Fahrradergometer bis zum Südsattel, auf fast 8000 Meter! Mike erreichte einen Tag nach seinem 41. Geburtstag den Gipfel des Mount Everest, was mich sehr freute, denn das war seit seiner...
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