Schweitzer Fachinformationen
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Unsere Zeiterfahrung ist zutiefst von biologischen und kosmischen Rhythmen bestimmt. Zeit – das ist der Raum zwischen zwei Schlägen unseres Herzens, zwischen zwei Atemzügen, der Rhythmus von Wachen und Schlafen, von Hunger und Sättigung. Zeit – das ist auch der Rhythmus von Hell und Dunkel, von Tag und Nacht, das Spiel der Gezeiten, der Wechsel der Jahreszeiten und Jahre. Dass wir in der Zeit leben, ja dass alles Leben eine Erscheinungsweise von Zeit ist, lesen wir ab am Lauf der Gestirne, des Mondes, der Sonne, unserer Erde, die sich um sich selbst dreht und sich zugleich um die Sonne bewegt. Wir lesen es auch ab an der biologischen Uhr, die wir in uns tragen und die deutlich auf jene kosmischen Rhythmen abgestimmt ist.
Ihre Lebens-Zeit, ihren Lebenslauf können Menschen grundsätzlich auf unterschiedliche Weise erleben und deuten. Eine Möglichkeit besteht darin, den Weg von der Geburt zum Tod als Kreis zu beschreiben und zu begehen, der zu seinem Ursprung zurückführt. Im Glauben an die Wieder-Geburt der menschlichen Seele gewinnt diese Sinndeutung ihre religiöse Gestalt: Der Tod, das Ende aller Lebens-Zeit, stellt sich zugleich als ein neuer Anfang dar, fällt mit der Geburt einer neuen Existenz in Leiblichkeit zusammen. Der jeweilige Lebenslauf wird dann als Wiederholung stets gleicher, vorgegebener Schritte begriffen: Nicht das geschichtlich Einmalige, Unverwechselbare wird hervorgehoben, sondern der überindividuelle, zeitlose Rhythmus, der in zahllosen anderen Lebensläufen seine Entsprechung findet.
Anders ist es, wenn der Weg von der Geburt zum Tod als ein zielgerichteter, unumkehrbarer Vorgang verstanden wird, der sich im Tod abschließend vollendet – gleich, ob sich solche Vollendung in einem neuen, ganz anderen Sein verwirklicht oder ausschließlich auf die irdische Existenz bezogen wird. Hier wird der individuelle Lebenslauf als einmalige, unverwechselbare und unwiederholbare Lebensgeschichte verstanden, die so oder so einem Ziel zustrebt. In dieser Geschichte fallen Entscheidungen, die – weil sie nicht in einem zweiten oder dritten Anlauf korrigiert werden können – endgültig über Sinn oder Unsinn des einmal gelebten Lebens bestimmen.
Beiden Erklärungen des individuellen Lebenslaufs entsprechen Interpretationen des Weltlaufs und der Weltgeschichte. Dabei dominierte in frühen Kulturen und ihren religiösen Deutungssystemen zunächst die zyklische, kreisförmige Zeiterfahrung. Die göttliche Gründungstat, die in der Vorzeit Welt und Leben aus sich entließ, musste immer wieder erneuert werden, um den Bestand von Welt und Leben auch weiterhin zu sichern. Dabei wurde Böses getilgt, Leben neu erschaffen, ein neues Zeitalter eröffnet. Solche fromme Erneuerung der göttlichen Gründungstat leistete der Kult. Er war nicht fromme Erinnerung an einst Geschehenes, sondern wirksame Vergegenwärtigung, Wieder-Holung der welt- und lebenschaffenden Gründungshandlung. Er war Abbildhandlung, in der das Urbild, die göttliche Gründungstat und Urhandlung, immer neu zur Gegenwart und zur Wirkung kam.
Es ist deutlich, dass man im Rahmen eines solchen (wir sagen: mythischen) Weltverständnisses von der Zukunft eigentlich nichts Neues erwarten konnte. Weltlauf und Weltgeschichte erschöpften sich in der steten Wiederkehr der Anfänge: Rückkehr zu den Ursprüngen war das Leitbild aller individuellen und gesellschaftlichen Deutung von Welt und Leben. Geschichte – wenn man diesen Begriff hier überhaupt verwenden darf – bestand in der unendlichen Wiederholung gleicher Abläufe, deren Rhythmen und Strukturen bereits in der Gründungstat vorgeschrieben und festgeschrieben waren. Die zyklische, kreisförmige Zeiterfahrung orientierte sich vor allem an den naturhaften kosmischen und biologischen Rhythmen, am Lauf der Gestirne und der Jahreszeiten. Auch da, wo sie sich (wie in den altägyptischen und mesopotamischen Religionen) mit einem geschichtlichen Interesse verband, geschah das vornehmlich zu dem Zweck, durch kultisches Handeln feste Strukturen im Fluss der Zeit zu schaffen, die Halt und Sicherheit angesichts aller Veränderungen gewähren sollten.
Das biblische Israel hatte zunächst durchaus an solcher zyklischen Welt- und Zeiterfahrung teil. Und doch entwickelten sich hier, soweit sich dies erkennen lässt, erstmalig und wohl auch einmalig innerhalb altorientalischer Kulturen Ansätze einer zielgerichteten, im eigentlichen Sinne geschichtlichen Zeiterfahrung und Zeitdeutung. Im frühen Israel war der Rhythmus der großen Feste zunächst am Ablauf des Naturjahres orientiert. Aber bald schon wurden diese Feste auf Ereignisse in der Geschichte des Volkes bezogen, denen es seine Existenz verdankte und die es als Heils- und Rettungstaten Gottes erlebte. Diese geschichtlichen Ereignisse verbanden sich – in einem nächsten Schritt – im Bewusstsein des Volkes zu einem heilsgeschichtlichen Zusammenhang, wurden insgesamt als Heilsgeschichte erfahren, gedeutet und gefeiert. Die Heilsgeschichte nahm ihren Anfang in der Erwählung des Volkes durch Gott – im Bund, den Gott mit dem Volk geschlossen hatte. Sie ging nun aber notwendig auch voran. Die Zukunft konnte nicht mehr als bloße Wieder-Holung der Anfänge verstanden werden, die nichts Neues zu bringen vermochte. Das Volk erlebte Gott als gegenwärtig geschichtlich Handelnden. Es rechnete mit neuen, unerwarteten und unerhörten Gottestaten in der Zukunft. Gott hatte noch etwas vor mit seinem Volk. Die Heilsgeschichte bekam ein Ziel.
Es ist deutlich, dass solche Geschichte sich nicht in der endlosen Wiederkehr der gleichen Abläufe erschöpfen konnte, sondern unverwechselbare, unumkehrbare, unwiederholbare Züge gewann. Es war eine Geschichte, in der Entscheidungen fielen – Entscheidungen über Heil und Unheil; eine Geschichte, in der die Weichen für die Zukunft gestellt wurden; eine Geschichte, die gleichsam «von oben» qualifiziert wurde durch das, was Gott in ihr tat. Die Feste, die das Volk Gottes feierte, gewannen darum ein doppeltes Gesicht: Das Volk gedachte der Großtaten Gottes in der Geschichte. Zugleich feierte es sie als Zeichen der Hoffnung auf die zukünftige Vollendung.
Dieses biblische Zeiterleben wird durch eine grammatikalische Eigentümlichkeit der hebräischen Sprache veranschaulicht und gestützt. Unsere Unterscheidung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist der Sprache des Alten Testaments im Grunde fremd. Entsprechende Verbformen bezeichnen keine streng voneinander geschiedenen Abschnitte auf der Zeitleiste, sondern geben so etwas wie «die Strömungsrichtung der Gezeiten» an: «Das Vergangene ist nicht entschwunden, die Zukunft nicht in weiter Ferne, sondern alles in der Gegenwart wirksam» (Berger 2013, S. 460). Das ist wichtig für das Verständnis dessen, was im biblischen Sinne Gedächtnis heißt. Wenn das Volk sich an die Großtaten Gottes erinnerte, wurden diese als ein gegenwärtig wirksames und rettendes, die Gegenwart bestimmendes Geschehen erfahren. In gleicher Weise reichte auch Zukünftiges in die Gegenwart hinein. Die Zukunft Gottes – noch ausstehend, noch nicht vollendet – wurde schon in ihrer die Gegenwart ergreifenden und verwandelnden Kraft erfahren, verkündet und gefeiert.
Für das Verständnis und die Erfahrung von Zeit im Neuen Testament ist die Unterscheidung zweier Begriffe wichtig: Chronos ist der Zeitraum, die Zeitdauer, die Zeitspanne. Kairos dagegen ist der Zeitpunkt, dem eine solche lineare Erstreckung nicht unbedingt zu eigen ist. Es ist Zeit, die durch ein bestimmtes Geschehen, ein Ereignis, eine Entscheidung qualifiziert wird und sich darin von aller anderen Zeit unterscheidet; rechte Zeit, die zu einer solchen Entscheidung, einem solchen Handeln aufruft; Zeit, die man verpassen kann und die dann unwiederbringlich verloren ist. Kairos ist darum die Christuszeit, in der sich Gott auf eine einmalige, unwiederholbare Weise an die Welt wendet und sie zum Heil ruft. Kairos ist auch die Endzeit, die das Gericht bringt und die Verheißungen Gottes erfüllt.
All dies wird im Neuen Testament in einer merkwürdigen Spannung erfahren. Mit dem Kommen Jesu Christi ist der kairos Gottes, die Endzeit, bereits angebrochen. In ihm ist die Königsherrschaft Gottes gegenwärtig. Aber noch steht die Vollendung dieser Herrschaft aus: Das Reich Gottes wird als etwas Gegenwärtiges und Zukünftiges zugleich verkündet. Schon und Noch nicht: In der spannungsvollen Einheit dieser Formel drückt sich seitdem christliche Zeiterfahrung aus. Das heißt, die Zukunft Gottes ist fern und nah zugleich. Seit Jesus ist diese Zukunft bereits unter uns gegenwärtig. Aber eben als Zukunft gegenwärtig: noch nicht eingeholt, noch nicht vollendet, sondern offen, unergründet und unergründbar.
In diesem Sinne wird mit dem christlichen Festjahr der Versuch unternommen, auf der Ebene und mit den Mitteln des...
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