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Kapitel 2
Ich betrachte meine Mutter von der Seite. Ihr frisch nachgefärbtes, halblanges Haar leuchtet wieder in sattem Herbstblätterrot. Sie trägt den passenden Nagellack, den ich ihr zum letzten Geburtstag geschenkt habe. Tiefroten Lippenstift sowieso. Und dazu ihre vielen, vielen Falten, die von einst kurzen Nächten mit unzähligen Zigaretten erzählen, einem unbeschwerten Leben in der Sonne, vielen Lachanfällen, aber auch herzensschweren Abschieden.
Wir sitzen in ihrem Auto, auf dem Weg zu einem Weihnachtsmarkt, wo sie am Bühnenprogramm teilnimmt und die Weihnachtsgeschichte vortragen wird. In der amüsanten Variante auf Berlinerisch. Sie hat einen dunkelgrünen Schal über ihrem schwarzen, knielangen Mantel. Darunter dünne Nylons und schwarze gefütterte Wildlederstiefel bis unters Knie. Eigentlich etwas zu aufgebrezelt für den Besuch eines Weihnachtsmarktes, aber Auftritt ist Auftritt. Da macht sie als leidenschaftliche Schauspielerin, wenn auch in Rente, keinen Unterschied.
Diese gepflegte Erscheinung ruft auf einmal, während sie abbremst: »Mensch, so ein Affe! Na los, fahr doch, du kommst doch vorbei!«
Meine Mutter wedelt energisch mit der linken Hand, um dem Audifahrer-»Affen« anzuzeigen, dass er endlich vor ihr einscheren soll, wenn er in diesem Leben noch die Fahrbahn wechseln möchte, die gerade einspurig geworden ist. Der kleine Vogelkäfig aus Metall, der am Rückspiegel hängt, baumelt nervös.
Ich werfe einen Blick zu meiner kleinen Tochter auf dem Rücksitz. Sie ist zum Glück eingeschlafen und hat ihre fluchende Oma nicht gehört. Sie wird also hoffentlich nicht demnächst in der Kita ihre Freunde auf dem Bobbycar als Affen beschimpfen. Eigentlich bringt meine Mutter so schnell nichts aus der Ruhe, aber im Straßenverkehr wettert sie manchmal los wie ein nass gewordener Rohrspatz.
Meine Mutter gehört zu den 45 Prozent der weiblichen 65-plus-Generation, die in Deutschland allein leben. Das ist viel. Bei Männern sind es nur 19 Prozent. Also ist klar, dass nicht jedes Stückchen Erdbeerkuchen eine tolle Portion Schlagsahne abbekommt, aber zumindest bei meiner Mutter möchte ich es versuchen: Ich möchte ihr einen Mann ins Leben zaubern. Auch, wenn sie oft so tut, als würde sie sich nicht viel aus Schlagsahne machen. Und erst recht darf es keine 0815-Sahne aus der Sprühdose sein!
Ich atme durch, zücke unauffällig mein Aufnahmegerät, das ich auch für meine Radio-Interviews oft dabeihabe, und überfalle meine Mutter mit meiner Idee:
»Mama, weißt du noch, dass wir vor sehr, sehr langer Zeit mal darüber gesprochen hatten, dass ich das Projekt »Ein Mann für Mama« mit dir umsetzen will? Eine Männersuche auf verschiedenen Kanälen?!« Erwartungsfroh schaue ich sie an.
Doch sie blickt irritiert zu mir herüber: »Äh, ja. Ganz dunkel erinnere ich mich. Aber ich glaube, ich fand die Idee nicht so gut.«
Zum Glück kenne ich meine Mutter ja schon etwas länger und habe nicht vor, diesen Einwand gelten zu lassen. Ich erzähle ihr von der tollen Möglichkeit des Podcasts. Beim Wort »Podcast« stocke ich: »Mama, weißt du überhaupt, was ein Podcast ist?«
»Natürlich, ich bin doch nicht von gestern!«, antwortet meine 72-jährige Mutter empört. Ich muss ihr also nicht erklären, dass Podcasts wie eine riesige Online-Bibliothek für Audios funktionieren, in der man sich jederzeit unzählige Formate anhören kann, von Interviews über Ernährungs- und Lebenstipps bis hin zu Reportagen und wahren Geschichten in Serie erzählt. So, wie ich mir »Ein Mann für Mama« auch vorstelle.
Ich hatte es für den Moment vergessen. Aber meine Mutter ist absolut auf der Höhe unserer Zeit und alles andere als eine typische Rentnerin. Die Farbe Beige kommt bei ihr nur als Make-up-Grundierung vor, sie geht wöchentlich ins Frauen-Fitnessstudio, sendet mir regelmäßig per Mail Zeitungsartikel, die sie im Netz gelesen hat, und eBay ist quasi ihr zweiter Vorname. Bis auf Instagram nutzt sie mit ihrem Smartphone vieles, was ich auch benutze, außerdem hat sie für jede Lebenslage das passende Emoji bei WhatsApp parat. Neulich hat sie sich für ihre vielen unterschiedlichen Lampen im Wohnzimmer eine Fernbedienung gekauft und so programmiert, dass sie mit einem Klick die passende Lichtstimmung für jede Lebenslage einstellen kann. Natürlich weiß sie, was ein Podcast ist! Aber warum erinnere ich mich nicht an einen Mann für jede Lebenslage?
Die technische Seite der Veröffentlichung unserer Geschichte beschäftigt meine Mutter auch nur kurz. Was an ihr nagt, ist, was ich da eigentlich von ihr verlange. Aber schnell sprudelt es auch schon aus ihr heraus.
»Aber Magda, es gibt ja keine Männer mehr! Ich gucke ja immer, aber es gibt nur ganz wenige Männer, die mich wirklich interessieren. Die meisten in meinem Alter sind außerdem weggestorben, oder sie sind wortwörtlich einfach alt. Also geistig so alt. Und das ist etwas, was ich ja überhaupt nicht ertrage.«
Meine Mutter blickt mich kurz an und lenkt ihre Aufmerksamkeit dann wieder auf die Straße. Als würde sie laut nachdenken, sagt sie: »Das muss einfach einer sein, der noch geistig interessiert ist, der Ansprüche hat, der sich pflegt - und zwar in jeder Hinsicht! Geistig wie seelisch und körperlich. Das ist schon eine Hürde!«
Ich verziehe ungläubig das Gesicht: »Echt? Das sollte man ja eigentlich nicht meinen .«
»Ja doch, ich merke das immer bei meinen Lesungen.«
Ich sehe meine Mutter vor mir, wie sie bei ihren Lesungen (über Künstlerpaare des 20. Jahrhunderts) an ihrem Tisch sitzt und auf die mit lauter Frauen besetzten Stuhlreihen blickt. Selten haben einige von ihnen, wenn vorhanden, ihre Männer mitgeschleppt.
»Von den wenigen Männern, die überhaupt kommen, möchte ich keinen haben«, sagt Mama ehrlich. »Und dann kommt noch hinzu, dass ältere Männer vor Frauen wie mir Angst haben. Vermutlich, weil ich so emanzipiert bin, also im positiven Sinne emanzipiert. Und dann bin ich natürlich auch noch etwas eigenwillig«, fügt Mama augenzwinkernd hinzu und schiebt für diese Charaktereigenschaft auch gleich eine Erklärung hinterher. »Wahrscheinlich durch meinen Beruf und weil ich immer selbstständig war. Und außerdem kann ich mich eben auch gut mit mir alleine beschäftigen.«
Sie überlegt, während sie links abbiegt und wir Randberlin ansteuern. Ich sehe eine leere Pferdekoppel vorbeiziehen. Diese Leere erinnert mich daran, dass ich eigentlich gar nicht so genau weiß, wer als ein Partner für meine Mutter geeignet wäre. Es gibt natürlich Volker, einen sehr engen Freund. Mit ihm telefoniert Mama täglich, er ist so etwas wie ihr Seelenpartner, aber er wohnt inzwischen fast 400 Kilometer weit weg, und die beiden sehen sich nur selten.
Wie würde ich mir denn einen Mann für sie vorstellen? Ob er groß oder klein wäre, ist mir natürlich egal, aber ich weiß, dass sie größere Männer attraktiver findet. Eigentlich ist die Ausstrahlung das Wichtigste. Er sollte außerdem witzig und gebildet sein, gern auch ein bisschen verrückt. Die Betonung liegt auf »ein bisschen«! Und im besten Fall legt er auch einen guten Stil an den Tag, sowohl kleidungstechnisch als auch im Verhalten. Denn wie wohl viele Frauen in Mamas Generation weiß sie einen echten Gentleman zu schätzen.
Meine Mutter reißt mich mit ihren Überlegungen aus den Gedanken.
»Obwohl es natürlich manchmal Situationen gibt, wo ein Mann fehlt, na klar. Essen gehen zum Beispiel. Das mache ich ja nicht gern alleine, und immer nur mit meinen Freundinnen essen zu gehen, das ist doch langweilig. Da vermisse ich das gewisse Etwas. Ich flirte doch so gern. Na ja, und beim Tanzen natürlich fehlt auch ein Partner. Wo ich doch so gerne taaanze!«
So, wie sie das Wort ausspricht, schwingt die Erinnerung an ihre Jugend und ihre wilden Zwanziger mit. Sie liebte es, Rock'n'Roll zu tanzen, und ist auch heute noch einigen Standardtänzen nicht abgeneigt. Es fehlen allein die Gelegenheiten!
Eine rote Ampelphase später fügt sie hinzu: »Also eigentlich bin ich offen für eine Suche.«
Na bitte. Ich atme hörbar aus und freue mich riesig, dass es nun wirklich etwas werden könnte mit unserem Podcast - und mit den Männern. Sofort schwirren zig Fragen unsortiert in meinem Kopf herum, und ich hake nach, warum die Männersuche offenbar nie Priorität bei ihr hatte.
Mama sagt, ohne zu überlegen: »Ich habe mich damit nie auseinandergesetzt, weil ich so ein erfülltes Leben hatte. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich etwas versäumt habe. Und ich hatte ja auch immer tolle Männer an meiner Seite. Das hat mich natürlich ein bisschen versaut für alle kommenden.«
Wir müssen lachen, und ich nutze den heiteren Moment für eine Frage, die ich wohl nie gestellt hätte, wenn ich nicht gerade ein Mikrofon in der Hand hielte und eine Mission hätte: »Und würde Sex auch noch 'ne Rolle spielen?«
»Na sicher.«
»Deshalb käme also schon mal kein Gleichaltriger infrage!«, sage ich leichthin.
»Ach, es gibt da ja viele Spielarten«, fügt meine Mutter verschmitzt hinzu.
Oha. Die Sexfrage. Dinge, die man eigentlich von den Eltern nicht wissen möchte. Aber mir ist klar, dass wir, wenn wir erfolgreich zusammen das Projekt »Männersuche« angehen wollen, wohl beide unsere Komfortzone verlassen müssen. Irgendwie freue ich mich darauf.
Als kurze Zeit später klar ist, dass wir mit »Ein Mann für Mama« die Jury des Podcast-Wettbewerbs überzeugen konnten und nun eine zehnteilige Serie...
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