Schweitzer Fachinformationen
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James
Bist du bereit für heute Abend, JJ?«, fragt Mum, als ich von meiner morgendlichen Laufrunde zurückkomme.
Ich bin so erleichtert darüber, sie frisch geduscht und angezogen zu sehen statt im Morgenmantel auf dem Sofa zusammengerollt, dass ich sie spontan umarme und ihr einen Kuss auf den Kopf gebe. Ich bin ein ganzes Stück größer als sie.
»Wenn du dorthin willst, gehen wir dorthin«, sage ich, bevor ich sie loslasse.
Da es Mum nun wieder besser geht, fahre ich morgen nach London zurück. Heute Abend will sie mit mir zusammen auf das Spendenevent fürs Hospiz gehen. Seit drei Jahren, immer im September, findet es in der örtlichen Konzerthalle statt, dem Cheese and Grain, zu Ehren von Bonnie, einer Schulfreundin von mir. Ich habe wirklich nicht die geringste Lust auf ein Wiedersehen mit meiner alten Klasse, doch Mum zuliebe komme ich mit, weil gemeinsame Unternehmungen mit ihr fast nie möglich sind, und sie freut sich schon so.
Sie hat die ganze Nacht damit verbracht, mein Kostüm zu nähen, und es ist sogar gut geworden. Zu gut. Peinlich gut. Ich werde darin wie ein Vollidiot aussehen. Und mich fühlen, als wäre ich wieder in der Schule: Kaum betrete ich den Raum, brechen alle in Gelächter aus.
»Die Idee ist wirklich lustig, findest du nicht? Irgendwas, was mit B anfängt. Vielleicht klau ich sie nächstes Jahr für meine eigene Party.«
Wenn Mum eine schlimme bipolare Episode überstanden hat, setzt sie immer große Hoffnungen in ihren Geburtstag.
Da sitzt sie nun mit rosigen Wangen und funkelnden Augen, als wären die letzten sechs Wochen nie passiert. Sechs Wochen lang ist sie nicht aus dem Bett gekommen und hat ausschließlich Brathuhn gegessen. Hat jeden Vorschlag abgelehnt, mal aus dem Haus zu gehen, und so lange und bitterlich geweint, dass Dad und ich mehrmals den Arzt rufen mussten.
Als Elliot und ich noch klein waren, nannte Dad ihre Krankheit »Die kleine Raupe Nimmersatt«. Er erzählte uns, dass Mum sich in einen Kokon einspinnen würde, um nach einer Weile als wunderschöner lebenshungriger Schmetterling wiederaufzutauchen und dann all die Tage nachzuholen, die sie verpasst hatte.
»Eine Party ist es vielleicht nicht gerade, Mum. Aber mach ruhig. P wie Patricia klingt definitiv nach tollen Kostümen. Pampelmuse . Pimp .« Mir gehen die Ideen aus, doch das ist egal. Mum sitzt schon wieder in der Küche an der Nähmaschine und macht sich an Dads Outfit.
»Ich geh mich schnell umziehen«, sage ich und schnappe mir ein Glas Wasser. Dad sitzt am Tisch und spielt Diamond Crush. Das hat man davon, wenn man seinem Vater beibringt, wie man sein iPhone benutzt.
Nach dem Duschen ziehe ich eine Jeans und ein T-Shirt aus meinem vollgepackten Koffer, der seit sechs Wochen auf dem Boden liegt und auf den Tag wartet, an dem ich ihn wieder zuklappen und in mein anderes Leben in London zurückkehren kann.
Inzwischen habe ich mich an das Hin und Her zwischen meinen beiden Leben gewöhnt. An mein altes Kinderzimmer mit dem schmalen Bett in der Ecke und dem Schreibtisch am Fenster, den ich für Zoom-Meetings und Remote-Schulungen hergerichtet habe. An die Managementbücher, die ich zwischen die Bücher meiner Schulzeit gequetscht habe, Sieben Wege zur Effektivität und Wie man Freunde gewinnt neben Fänger im Roggen und Porträt des Künstlers als junger Mann. In meinem Zimmer in London, genauer gesagt in Penge, befindet sich viel weniger von mir, nur Klamotten und etwas Kleinkram in einer Schublade. Ich habe es von meinem Uni-Kumpel Nathan gemietet, aber zumindest das wird sich bald ändern. Seine Freundin Hannah will zu ihm ziehen, also muss ich mir eine neue Unterkunft suchen.
»Betrachte es als Chance«, hat mein bester Kumpel Joel gesagt, als ich ihm davon erzählte. »Endlich kannst du aus diesem Kaff raus und dich ins Leben stürzen. Genug Kohle hast du ja.«
Bei Joel dreht sich alles um Geld. So kam es dazu, dass ich bei Big Impressions Training gelandet bin. Da ich keine Ahnung hatte, was ich machen sollte, hielt ich mich einfach an Joels Motto: Wenn du nicht weißt, worin du gut bist, such dir 'nen Job, der dich stinkreich macht.
Das Gehalt eines Bankers lässt sich natürlich kaum toppen, aber meine neueste Beförderung hat mich dieser Liga immerhin ein Stückchen näher gebracht.
»Ich geh in die Stadt«, rufe ich auf dem Weg zur Haustür.
Dad taucht auf, er trägt Jeans, T-Shirt und Weste, sein langes graues Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden.
»Ich komme mit«, sagt er und schaut in die Küche. »Wenn es dir nichts ausmacht, Schatz?«
Er geht kurz hinein, um Mum einen Kuss zu geben.
Wir machen uns auf den kurzen Fußmarsch ins Stadtzentrum, die Kopfsteinpflastergasse hinunter, die zu den Geschäften führt.
»Ich wollte noch ein letztes Mal beim Buchladen vorbei.«
»Die in London haben alle zugemacht, oder?«, grinst er mich an.
»Wenn du mich ab und zu besuchen kämst, wüsstest du's«, erwidere ich und schaue ihn an. Seine Welt ist hier. »Vermisst du's manchmal?«
Dad war ein waschechter Londoner, bis er Mum begegnete. 1974 tauchte sie bei einem seiner Konzerte in der ersten Reihe auf, und damit war die Sache gegessen. Er wusste es einfach. Von dem Moment an waren sie unzertrennlich. Als es ein paar Jahre später mit seiner Karriere bergauf ging, entschied er sich leider für Frome, wo erst Elliot und dann ich zur Welt kamen.
»Klar«, sagt er und winkt der Verkäuferin des Feinkostladens am oberen Ende der Catherine Hill durchs Schaufenster zu. »Aber wenn ich es vermisse, fällt mir sofort wieder ein, warum ich dort weg bin und was ich dadurch bekommen habe.«
Manchmal versuche ich, Dad dazu zu bringen, seine wahren Gefühle zuzugeben. Denn ich kaufe ihm seine Haltung nicht ab. Das Leben, für das er sich damals entschied, bedeutet, dass er bis in alle Ewigkeit als »One-Hit-Wonder« abgestempelt sein wird. Wann immer ein Zeitungsbericht über ihn erscheint, wird ihm dieses Etikett verpasst. Der Mann hinter dem Titelsong des Blockbusters Nobody Boy, Der Junge, der ein Niemand war, der seine Karriere als Sänger an den Nagel hängte. Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, aber ihm scheint es nichts auszumachen.
Er hat sich jedenfalls nie dafür geschämt, dass er früher Support Act auf der Stadiontour von Fleetwood Mac war und dann als Ausfahrer bei Domino's Pizza endete. Er hat sich selbst dann nicht geschämt, als ich meinen besten Grundschulfreund Geoff in den Sommerferien, bevor wir auf die Gesamtschule wechselten, einmal mit nach Hause brachte und Geoff beim Anblick meines Vaters, der in seiner blauen Polohemd-Uniform mit den roten Punkten und einer Baseballkappe mit Logo drauf die Treppe heruntergerannt kam, in Gelächter ausbrach.
»Ich bring uns nachher doppelte Peperoni-Pizza mit«, rief Dad und tätschelte mir den Kopf. Ich wich vor ihm zurück, während Geoff mir gackernd die Treppe hoch folgte.
An unserem ersten Tag auf der Gesamtschule hatte er schon allen davon erzählt. Rückblickend kommt es mir manchmal so vor, als hätte damals die schlimmste Zeit meines Lebens begonnen.
Dad und ich schaffen solche Spaziergänge in die Stadt nur selten. Bis vor ein paar Tagen musste Mum noch rund um die Uhr betreut werden. Wir haben uns abgewechselt. Ich bin insgeheim wütend auf Elliot, weil ihm das Helfen erspart bleibt, aus rein geografischen Gründen. Er lebt als Vollzeit-Dad in New York, und selbst wenn er es anbieten würde - was er noch nie getan hat - und den dreijährigen Jordan mitbrächte, wäre das zu viel für Mum. Sie würde nicht wollen, dass er sie so sieht.
Im Laufe der Jahre sind wir auch so ganz gut darin geworden, Dad und ich. Er hat kein schlechtes Gewissen mehr, mich zu fragen. Und ich biete meine Unterstützung inzwischen früher an: sobald Mum innerhalb von vierundzwanzig Stunden nicht auf eine Nachricht reagiert oder Dad »passt schon« antwortet, wenn ich ihn frage, wie es ihm geht. Wir sind ein eingespieltes Team, weil es nur so funktioniert.
»Hoffentlich ist es diesmal eine gute und lange Phase«, sage ich, als wir an dem großen Secondhandladen vorbeikommen, meinem Hauptzeitvertreib auf diesem Trip.
Dad zuckt die Schultern. »Man muss eben jeden guten Tag genießen«, sagt er. »Und für schöne Erinnerungen sorgen, von denen man zehren kann.«
Ich werfe ihm einen Blick zu, diesem Mann, der sein Leben so selbstlos aufgegeben hat, um sich um meine Mutter zu kümmern. Der sich nie mehr wünscht als das, was er hat. Ich setze an, etwas zu sagen. Wie bewundernswert sein Verhalten ist. Was für ein guter Mensch er ist. Ich sollte sagen: »Wie du dich um diese Familie kümmerst, ist wirklich heldenhaft. Du bist der Klebstoff, der uns alle zusammenhält. Ohne dich brächen wir auseinander.« Doch ich bringe es nicht über mich. Denn seine Entscheidungen, wie heldenhaft sie auch gewesen sein mögen, haben dazu beigetragen, dass meine Schulzeit die Hölle war. Es verging kein einziger Tag, an dem ich nicht angepöbelt, ausgelacht, angespuckt oder getreten wurde, von den Kaugummis, die sie mir ins Haar klebten, ganz zu schweigen. Ich wurde regelmäßig von einer Horde Jungs umkreist, die drauf und dran waren, mir etwas anzutun, außer es gelang mir irgendwie, sie davon abzuhalten.
Außerdem machten sie sich einen Spaß daraus, mir mehrmals am Tag Dads einzigen Riesenhit Do You Know Me, Weißt du, wer ich bin?, ins Gesicht zu brüllen.
Wir spazieren an dem italienischen Restaurant vorbei, das vor drei Jahren gebaut wurde. Ich erinnere mich daran, weil Mum damals eine ihrer schlimmsten Phasen hatte. Ich war so lange...
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