Schweitzer Fachinformationen
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SEPT MOIS PLUS TÔT - VOR SIEBEN MONATEN
1. Kapitel
Mignon
Der Eiffelturm versteckte sich hinter dichtem Nebel und unter tief hängenden Wolken. Nur vereinzelte Sonnenstrahlen kämpften sich durch kaltes Grau, erhellten die Ränder des Himmels, um ihn schon bald in sanftes Bernsteinlicht zu tauchen - genauso wie die Stadt darunter. Bald wäre mein Blick vom Schreibtisch aus wieder frei auf die kunstvoll in die Höhe ragende Eisenkonstruktion, deren Anblick auch nach fünf Jahren mein Herz noch zum Stolpern und meinen Mund zum Lächeln brachte.
Während ich weiter aus dem Fenster schaute und die Pfeiler zwischen dem sich lichtenden Nebel auszumachen versuchte, strich ich mit einer Hand gedankenverloren über die zahlreichen Klebezettel und Fotos an den Rändern meines Bildschirms. Es waren kleine Botschaften, die sich dort in den zwei Jahren, die ich bei dem Magazin Sauvage arbeitete, angesammelt hatten. Ich musste gar nicht mehr hinsehen, weil ich Émilie und Oceanes Nachrichten inzwischen auswendig kannte: Du schaffst das heute. Bisous, Bossgirl. Kill 'em with Kindness. Vergiss das Geschenk für Benoît nicht. Wir denken an dich! Laissez-faire. Brich ihre Herzen, aber vergiss nicht, sie danach wieder zusammenzusetzen!
Ich starrte weiter in die Ferne und seufzte. Trotz der zwei Tassen Kaffee steckte mir das vergangene Wochenende noch tief in den Knochen.
Die Bars und Klubs, die Diskussionen, das Gelächter.
Die Sonnenaufgänge, das Trinken, der Sex.
Und Noé, den ich manchmal anrief, wenn ich unter seinen Händen die Welt ein bisschen vergessen wollte. Es ging nicht wirklich darum, dass es seine Hände waren, eher darum, dass es welche waren und der Kerl, zu dem sie gehörten, mir gefiel. Meinem Körper zumindest, nicht meinem verdammten Herzen. Doch gestern war etwas anders gewesen. Gestern hatte Noé mich danach verschwitzt und besitzergreifend an sich gezogen und mich zärtlich auf den Mund geküsst. Er hatte mich auf eine Art und Weise angesehen, bei der sich unwillkürlich etwas in mir verkrampfte. Mon dieu, ich mochte ihn wirklich, aber nach dieser Nacht konnte ich ihn nicht wiedersehen, konnte ihm nicht das geben, was er sich von mir erhoffte. Manchmal glaubte ich, in mir schlug ein gläsernes Herz. Kühl und unnachgiebig, und nicht empfänglich für Noés sanfte Art und die Wärme in seinen braun gesprenkelten Augen. Es ließ mich kalt. Er ließ mich kalt, und letztendlich war es meine eigene verfluchte Kälte, die mir zu schaffen machte.
Schnell schob ich den Gedanken beiseite und schlüpfte zurück in die schwarzen High Heels, die ich unter meinem Schreibtisch abgestreift hatte. Etwas, das ich mir nur erlaubte, wenn niemand es sah. Vielleicht würde mir ein weiterer Kaffee helfen, mich auf die Arbeit zu konzentrieren, doch gerade als ich aufstehen wollte, wurde mir der Eingang einer neuen Mail angezeigt.
Gesendet: 14.06.21, 08:26 Uhr
Von: emilie.lefevre@sauvage.fr
An: oceane.bernard@sauvage.fr, mignon.bonnet@sauvage.fr
Betreff: HILFE!
Notfalltreffen im Kreativraum. Dépêchez-vous! Beeilt euch!
Schnell griff ich nach meiner Tasse und eilte den Flur entlang. Das gleichmäßige Klackern meiner Absätze verlor sich bald im aufgeregten Gewusel und Durcheinander der anderen. In einer Woche war Redaktionsschluss für die Juliausgabe, und in den letzten sieben Tagen passierte oft das Unerwartete, und wichtige Entscheidungen wurden noch in letzter Sekunde geändert. Die Stimmung in der Redaktion war wie immer Mitte des Monats angespannt. Heller werdendes Licht fiel durch die großen Fenster auf das geordnete Chaos aus hellen Schreibtischen, hohen Decken mit Stuckverzierungen und Wänden, die u¨bersät waren von den schönsten Zeitschriftencovern der vergangenen Jahre und den Ausgaben der Sauvage, die von Paris ausgehend am meisten für Aufruhr gesorgt hatten. Außerdem waren da die großformatigen Kunstdrucke, die das Lebensgefühl des Magazins einfingen: Jung, wild, frei. Und ein bisschen rebellisch.
Der Stoff meines tiefroten Wickelkleides schwang weich um meine Unterschenkel, als ich meine Schritte beschleunigte. Und bei jeder Bewegung kitzelten mich meine Haarspitzen an den Schultern, fielen mir meine Ponyfransen in die Augen. Vorbei an der breiten Flügeltür zur Fashionabteilung und an Anouks Büro mit den gläsernen Wänden bis zu Émilies Schreibtisch. Ich schnappte mir ihre leere Tasse und eilte weiter, als ich das Klackern von einem zweiten Paar High Heels neben mir wahrnahm. Dunkel schimmernde Beine, die Schritt hielten. Mit mir, mit meinem Herzschlag. Oceane hauchte mir im Gehen ein Bisou auf die Wange, dann hielt sie mir die Tür zum Aufenthaltsraum auf und folgte mir. Wir waren allein, jemand hatte seine Jacke auf einem der beiden dezent gemusterten Sofas unter dem Fenster vergessen. Die Obstschale auf dem ovalen Tisch in der Mitte des Raums funkelte im gleißenden Licht, und ich lächelte für einen Moment, denn die Sonne hatte sich erfolgreich durch Nebel und Wolken gekämpft.
»Saß Ém noch an ihrem Schreibtisch?« Oceane hatte die Augenbrauen besorgt zusammengezogen. Ich schüttelte den Kopf und nahm ihr die Tasse aus der Hand, dann stellte ich alle drei nacheinander unter die Kaffeemaschine. Oceane holte eine Dose Schlagsahne aus dem Kühlschrank und sprühte in regelmäßigen Bewegungen eine große Ladung auf den Kaffee in Émilies Tasse. Beim Anblick der Grimasse, die sie dabei zog, musste ich unwillkürlich grinsen. Doch selbst mit gefurchter Stirn und zusammengepressten Lippen war Oceane hinreißend. Fast so sehr wie in den Momenten, in denen sie ihr lautes Lachen lachte und dabei die Lücke zwischen ihren Schneidezähnen entblößte.
»Ich finde es selbst echt eklig, aber was auch immer passiert ist, es wird helfen«, kommentierte ich ihre angewiderte Miene. Oceane nickte und strich sich seufzend über die kurz rasierten Haare. »Okay, dann los.«
So schnell wie möglich eilten wir weiter zum Kreativraum am Ende des breiten Flurs. Wir tauschten einen letzten Blick, dann stieß ich entschlossen die Tür auf, und es ging mitten hinein in diese Mischung aus hellen Wänden und einer wahren Flut an Licht, die den tiefroten Teppichboden zum Leuchten brachte. Dominiert wurde der Raum von einer kreisrunden Sofalandschaft in seiner Mitte. Überquellende Kleiderstangen standen gegen die Wände geschoben. Es waren alles Sachen, für die die Fashionabteilung gerade keine Verwendung hatte und die aussortiert worden waren. Manchmal erlaubte Anouk uns auch, uns etwas auszusuchen und mitzunehmen - so wie den figurbetonten Jumpsuit, den Oceane trug und der sich pastellrosa von ihrer dunklen Haut abhob. Zwischen den Kleidern war ein Bücherregal mit Rezensionsexemplaren, die die Redaktion im Laufe der Zeit bekommen hatte, zu sehen. Außerdem hingen an den Wänden das vorläufige Layout und der Satz der kommenden Ausgabe, inspirierende Poster, Zitate und dazwischen immer wieder gerahmte Fotos in allen Formaten und Größen. Es waren Bilder von der feuchtfröhlichen Weihnachtsfeier im letzten Jahr, eine Großaufnahme von Oceane, Émilie und mir, zusammen mit ein paar anderen Kolleginnen Anfang März auf der Pariser Fashion Week, sowie ein Schnappschuss aus der Nacht, in der beinah die ganze Redaktion wegen eines Fehlers in der Druckerei durchgemacht hatte und wir uns Pizza ins Büro liefern ließen.
Inzwischen war es fast schon ein ungeschriebenes Gesetz, dass Oceane, Émilie und ich uns hier trafen, wann immer wir einander brauchten oder es etwas zu besprechen gab - so war es schon an der Sorbonne gewesen, auch wenn unser Ort dort eine versteckte Nische in der Bibliothek gewesen war. Ich war mir ziemlich sicher, dass Anouk von diesen Treffen während der Arbeit wusste, doch sie schien es stillschweigend zu tolerieren, genauso wie alle anderen.
Émilie lag auf der Couch, Arme und Beine weit von sich gestreckt. Abgestreifte Schuhe, nackte Fußsohlen, die Zehen blau lackiert. Kurz hob sie den Kopf an, doch sofort darauf ließ sie ihn seufzend wieder nach hinten sinken. Sie pustete sich eine Haarsträhne aus der Stirn, blieb ansonsten aber vollkommen reglos liegen. Oceane und ich warfen uns einen besorgten Blick zu, setzten uns dann links und rechts von ihr auf die Polster.
Émilie lachte kurz auf. Es klang schrill und passte zu der intensiven Röte auf ihren Wangen. Blond und hell floss ihre Lockenmähne über die Couch, während sie aus riesigen schokoladenbraunen Augen zu uns aufsah. »Ich bleib hier einfach liegen. Für immer.«
»Gleich für immer?«, echote Oceane und hob eine Augenbraue an.
»Oui.«, Émilie nickte inbrünstig, »fu¨r immer und ewig sogar.«
Ich schmunzelte. »Das ist verdammt lang.«
»Schrecklich lang«, pflichtete Oceane mir bei und grinste. »Wir würden dich da draußen sehr vermissen.«
»Und Anouk auch. Schließlich bist du ihre Assistentin und unersetzbar.«
»Ihr kommt schon ohne mich zurecht.« Émilie zog eine Grimasse. Doch als sie auf die zweite Kaffeetasse in meinen Händen aufmerksam wurde, die mit dem Sahneberg darauf, setzte sie sich auf und lächelte eines ihrer niedlichen Engelslächeln. Ich reichte ihr den Kaffee.
»Es war so unfassbar peinlich.« Sie stöhnte auf und nahm einen Schluck, dann einen zweiten, leckte sich Sahne von der Oberlippe. »Wisst ihr noch, wie ich im Le Petit verkündet habe, dass Schluss mit dem Schüchternsein ist?!« Das Le Petit - Ort unserer Schwüre, Geheimnisse, guter und schlechter...
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