1. KAPITEL
Xandro lenkte seinen Bentley GT auf die mittlere Spur des Verkehrsstroms, der sich im Schneckentempo durch die Innenstadt von Sydney bewegte. Verkehrsampeln wetteiferten mit Leuchtreklamen, während im Westen die Sonne unterging. Sie tauchte den Himmel in ein leuchtendes Rot, das von der hereinbrechenden Dämmerung Zug um Zug ausgelöscht wurde.
Es war wieder einmal ein hektischer Tag gewesen, mit mehreren wichtigen Meetings, einer Videokonferenz und zahllosen Anfragen gleichzeitig. Jetzt könnte er eine Entspannungsmassage vertragen, aber dazu fehlte ihm leider die Zeit. In einer knappen Stunde wurde er bei einem prestigeträchtigen Wohltätigkeitsdiner erwartet.
Allein.
Obwohl es derzeit in seinem Leben gleich mehrere Frauen gab, die mit Freuden bereit gewesen wären, alles stehen und liegen zu lassen, um ihn zu begleiten und hinterher noch das Bett mit ihm zu teilen. Aber die Leitung eines weltweiten Finanzimperiums erforderte Disziplin, deshalb blieb ihm kaum Zeit für derartige Vergnügungen.
Eine lobenswerte Eigenschaft, die er von seinem Vater geerbt hatte?
Falls ja, war es wohl eine von ziemlich wenigen. An Xandros Mundwinkeln zerrte ein Lächeln. Yannis Caramanis war ein echter Schurke gewesen, gerissen und rücksichtslos und reich wie Krösus. Er hatte nicht weniger als vier Ehefrauen verschlissen, aber nur eine - die erste - hatte ihm ein Kind geboren. Alexandro Cristoforo Caramanis.
Einen Sohn mit dem Schicksal, Einzelkind zu bleiben, weil Yannis geschwisterliche Rivalitäten, Eifersüchteleien und Erbstreitigkeiten befürchtete. Widrige Umstände, an denen das Imperium, das er mit so viel Mühe aufgebaut hatte, womöglich zerbrechen könnte.
Die anderen Ehefrauen waren nur hinter dem Geld und dem gesellschaftlichen Prestige seines Vaters her gewesen. Sobald sich Abnutzungserscheinungen zeigten, hatte sein Vater ein hübsches junges Ding gegen das nächste ausgetauscht. Schöne Begleiterinnen, mehr waren sie nie für ihn gewesen. Sehr schöne sogar, obwohl es keiner je gelungen war, bei einer Scheidung mehr für sich herauszuholen als das, was ihr gesetzlich zustand. Dafür hatte Yannis mit wasserdichten Eheverträgen gesorgt.
Xandro bewegte die Schultern, während er langsam auf die Verkehrsampel zurollte und sich in die Spur nach Vaucluse einfädelte.
Sein Blackberry summte leise, aber durchdringend. Fluchend holte er es heraus und warf einen flüchtigen Blick auf das Display, dann schaltete er das Gerät auf stumm und steckte es wieder ein. Erfolg brachte Verantwortung mit sich - manchmal zu viel, wie er fand. Besonders wenn man dank modernster Kommunikationstechnologien praktisch rund um die Uhr erreichbar war.
Im Prinzip hatte er gegen die extrem hohen Anforderungen, die sein berufliches Engagement mit sich brachten, nichts einzuwenden, im Gegenteil, meistens machte ihm seine Arbeit Spaß. Obwohl es im Leben noch andere Herausforderungen gab, denen er sich stellen musste.
Ganz besonders einer.
Der Ehe.
Er musste eine Familie gründen. Und zwar bald.
Dafür suchte er eine passende Frau, die sein Bett teilte, sein großes Haus in ein gemütliches Heim verwandelte, eine charmante Gastgeberin und gute Mutter seiner Kinder war.
Sie sollte klug genug sein, nicht von der großen Liebe zu träumen, sondern wissen, dass die Ehe ein Geschäft war, das auf Gegenseitigkeit beruhte, ohne dramatische Gefühle.
Zuneigung, sexuelle Befriedigung . das gehörte natürlich dazu . aber Liebe? Was um Himmels willen war das?
Als kleiner Junge hatte er seine Mutter geliebt, dann aber wurde sie ihm weggenommen. Die wechselnden Stiefmütter danach interessierten sich nur für das Geld seines Vaters und für das Luxusleben, das dieser ihnen bieten konnte. Ein Kind war für sie eine Plage, derer man sich am besten entledigte, indem man es in teure Internate und exklusive Auslandsferienlager steckte.
Um die Aufmerksamkeit seines Vaters zu erringen, hatte er schon früh erfolgreich sein müssen. Deshalb war er bereits in der Schule immer einer der Besten gewesen. Als sein Vater ihm schließlich in seinem Finanzimperium die erste größere Aufgabe übertragen hatte, hatte Xandro hart gekämpft, um sich des Vertrauens als würdig zu erweisen. So hart, dass für Jugendtorheiten keine Zeit geblieben war.
Bis zum heutigen Tag hatte er zu Frauen ein illusionsloses Verhältnis, mit dem er bisher gut gefahren war. Am wichtigsten war es, die Dinge in einem nüchternen Licht zu sehen. Auch wenn das vielleicht berechnend klang, schützte es einen vor unangenehmen Überraschungen.
Xandro verzog den Mund zu einem trockenen Grinsen, während er in eine von hohen alten Bäumen gesäumte Straße einbog.
Von seinem auf einem Berg liegenden Haus hatte man eine herrliche Aussicht auf den Hafen. Xandro hatte die alte Villa vor fünf Jahren gekauft und von Grund auf sanieren lassen. Ein tüchtiges Ehepaar, das im Haus wohnte, kümmerte sich um Haushalt und Garten.
Xandro Caramanis.
Der Mann, der alles hatte.
Der würdige Nachfolger seines Vaters.
Geschickt, hart und rücksichtslos, von Frauen umschwärmt und ungebunden.
War das nicht das Bild, das die Boulevardpresse von ihm präsentierte?
Eine knappe halbe Stunde später verließ er frisch geduscht, rasiert und im Abendanzug seine Villa, um in die Stadt zu fahren. Der Verkehr hatte mittlerweile etwas nachgelassen, sodass er gut durchkam. Sein Ziel war ein Hotel in der Innenstadt, wo das Wohltätigkeitsdiner stattfand, über das sein Unternehmen die Schirmherrschaft übernommen hatte.
Nachdem er den Bentley auf dem bewachten Parkplatz abgestellt hatte, betrat er das Hotel, wo man ihn ehrerbietig begrüßte. Er ging am Lift vorbei zu der gewundenen Treppe, die in ein Zwischengeschoss führte. Bei dezenter Hintergrundmusik standen dort bereits die Gäste in kleinen Gruppen beisammen, plauderten angeregt und tranken Champagner.
Xandro schaute sich um, wobei er hin und wieder grüßend nickte. Nachdem sein Blick einmal durch die Runde gestreift war, fesselte eine junge Frau seine Aufmerksamkeit.
Ihr fein gezeichnetes Gesicht mit aparten Zügen und dem hübschen Mund gefielen ihm ebenso wie ihre stolze Kopfhaltung und ihre ausdrucksvollen Gesten. Das aschblonde Haar trug sie auf raffinierte Art hochgesteckt, sodass man Lust bekam, die Haarnadeln herausziehen, die es an Ort und Stelle hielten.
Weltläufige Eleganz vom Scheitel bis zu den zierlichen Fußspitzen.
Obwohl sie heute unter dem routinierten Lächeln etwas nervös wirkt, überlegte er und fragte sich müßig nach dem Grund.
Ilana . die Tochter der verwitweten Gesellschaftsexpertin Liliana Girard.
Sie war Ende zwanzig und pflegte einen kühl distanzierten Umgang zu Männern, was ihr den Spitznamen Eisjungfrau eingebracht hatte. Egal ob zu Recht oder nicht, Xandro wusste nur, dass sie vor zwei Jahren Grant Baxter am Vorabend ihrer geplanten Hochzeit den Laufpass gegeben hatte. Der Grund dafür war nicht bekannt.
Seitdem tauchte sie bei gesellschaftlichen Anlässen stets an der Seite ihrer Mutter auf. Er hörte immer wieder, dass dieser oder jener sein Glück bei ihr versucht hatte, aber sie ließ alle abblitzen - zumindest soweit Xandro informiert war.
Deshalb hatte er kürzlich beschlossen, dass die charmante, weltgewandte Ilana Girard mit ihrem makellosen Hintergrund und den tadellosen Umgangsformen die perfekte Ehefrau für ihn war.
Jetzt musste er ihr nur noch den Hof machen . bis er zur Sache kommen und um ihre Hand anhalten konnte. Xandro kniff leicht die Augen zusammen, als er sah, wie Liliana Girard etwas zu ihrer Tochter sagte und dann auf ihn zukam.
"Xandro. Wie schön, Sie zu sehen." Liliana schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.
"Liliana." Er ergriff ihre zur Begrüßung ausgestreckten Hände und streifte flüchtig mit den Lippen ihre Wange.
"Möchten Sie vielleicht Ilana und mir Gesellschaft leisten, oder sind Sie heute in Begleitung?"
Xandro schüttelte den Kopf. "Nein, ich bin allein. Sehr gern, danke."
Auf dem Rückweg zu Ilana ließ er Liliana den Vortritt. Er hatte sich im Lauf der Jahre zum Experten für Körpersprache entwickelt. Deshalb sah er jetzt genau, wann Ilana spürte, dass er im Anmarsch war. Sie erstarrte plötzlich und hob leicht den Kopf, wie ein Reh im Moment der nahenden Gefahr.
Sie fing sich jedoch sofort wieder und schaute ihm lächelnd entgegen.
"Xandro." Ilana verstand nicht, warum sie plötzlich so verwirrt war. Deshalb verschanzte sie sich hinter einer Maske kühler Höflichkeit und verfluchte ihr Herz, das aus unerfindlichen Gründen verrücktspielte.
Er hatte irgendetwas an sich . etwas Undefinierbares, bei dem sich ihr die Nackenhaare sträubten, aber sie konnte nicht sagen, was es war.
Xandro war so groß, dass sie trotz ihrer High Heels den Kopf in den Nacken legen musste, um ihm in die Augen sehen zu können. Und zweifellos attraktiv, wie sie widerstrebend zugeben musste. Wie gemeißelt wirkende Gesichtszüge, ein energisches Kinn und ein geheimnisvoller Ausdruck in den dunklen Augen. Irgendwie erinnerte er an ein Raubtier.
Sein teurer Designeranzug saß perfekt, glatt abfallend an den Schultern, die so breit waren, dass er es...