Schweitzer Fachinformationen
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Die Jungs kannten nur The Boxes; für sie gab es nichts anderes.
Auf der Straße rollte zwischen den intakten Fahrzeugen und den Wracks ein Auto durch, kroch über Papier und Glasscherben.
Die Jungs standen Wache. Sie beobachteten, wie das Morgenlicht in die schmalen Zwischenräume zwischen den schwarzen Häusern sickerte, die dicht an dicht standen, wie eine Reihe lockerer Zähne. Sie waren die halbe Nacht da gewesen: Laut Fin ließ man einen Jungen nicht die ganze Nacht Wache schieben. Die halbe war okay. Sie mitten in der Nacht auszuwechseln, hielt sie auf Zack, sagte Fin. Es hielt sie wach. Es machte sie zu Männern.
Die Haustür ging auf, und zwei User stolperten heraus, geschockt von der Sonne, die sie beäugten wie eine alte Bekannte, hallo, länger nicht gesehen. Manche Männer verließen das Haus so, denen ging's besser, nachdem sie drin gewesen waren. Andere waren gut drauf, wenn sie reingingen, konnten sich aber kaum auf den Beinen halten, wenn sie rauskamen. Die beiden User beachteten die wachestehenden Jungs nicht. Sie nahmen die fünf Stufen zum Gehsteig hinunter und stützten sich dabei am Steinmäuerchen ab. Unten {12}klatschte ein Mann den anderen laut ab, auf die Handfläche, ganz old school.
Wieder ging die Tür auf. Kopf wie ein Totenschädel, dreckiges Grinsen, stechender Blick, Haare aus der Stirn gestrichen. Sidney. Er und Johnny regelten den Betrieb und hielten den Laden am Laufen, ließen im Halbstundentakt junge Laufburschen den Stoff holen und das Geld wegbringen. Sidney sah nach rechts und links und witterte wie eine Ratte, schob dann etwas auf die Treppe. Dosen mit Cola und Energydrinks, gekühlt, in einem Karton. Einer der Jungs kam und reichte den Karton herum; jeder nahm sich eine oder zwei Dosen. Sie rissen die Laschen auf, standen im Schatten und tranken.
Der Morgen war noch kühl und ein wenig klamm. Das Licht kroch immer weiter zwischen die Häuser, tauchte die Straße in Rosa. Schritte näherten sich von rechts, ein Angestellter auf dem Weg zur Arbeit, Sakko und gelber Schlips, goldene Ohrstecker. Die Jungs musterten ihn von oben; er sah nicht hoch. Diese Männer, die schwarzen Männer, die Schlipse mit Krawattennadeln trugen, die zwar Gehälter bezogen, aber es irgendwie nie aus The Boxes hinausgeschafft hatten: Mit denen redete man nicht. Die ließ man nicht ins Haus. Denn wenn man sie reinließ und sie aus irgendeinem Grund nicht wieder rausfanden, dann wurden sie garantiert vermisst, und jemand kam sie suchen. Also ließ man sie am besten gar nicht erst rein. Auch das hatte Fin ihnen beigebracht.
Fernseher gingen an, und am Himmel funkelten Flugzeuge wie Klingen. Irgendwo hinter ihnen zischte ein {13}Rasensprenger - Fisch, Fisch, Fisch -, nicht laut, aber unüberhörbar. Um sieben kamen mehrere User gleichzeitig und gegen acht noch einer, ein Bild des Jammers; er wirkte bedrückt wie jemand, der sich seinen ganzen Wochenvorrat in einer einzigen Nacht reingezogen hatte. Um zehn gingen die Jungs, die nachts um zwei gekommen waren. Ein Junge, East, der draußen das Sagen hatte, verteilte etwas Geld an die, die weggingen. Es war Montag, Zahltag vor dem Haus.
Die neuen Jungs um zehn waren Dap, Antonio, Marsonius oder Sony und Needle. Needle übernahm den nördlichen Bereich und behielt die Straße im Auge, Dap kümmerte sich um den Süden. Antonio und Sony blieben beim Haus mit East, dessen Zwölfstundenschicht am Mittag endete. Antonio und Sony waren tagsüber gut zu gebrauchen. Nachts brauchte man Jungs, die wussten, wie man leise war und wach blieb. Die Tagesjungs mussten nur leise aussehen.
East wirkte ruhig und war es auch. Er sah nicht taff aus. Er blieb unauf?fällig, war schweigsam, der Dünnste von allen. Er machte nicht viel her. Doch er hielt die Augen offen und hörte zu. Und was er hörte, merkte er sich.
Die Jungs hatten ihren eigenen Slang - sie gaben einander Spitznamen, putschten sich gegenseitig auf. East hielt sich da raus. Sie hielten East für steif und griesgrämig. Anders als die Jungs, die bei ihren Müttern oder mit anderen Jungs zusammenwohnten, schlief East allein, an einem den anderen unbekannten Ort. Er war vor ihnen im alten Haus gewesen und hatte Dinge gesehen, die sie nie gesehen hatten. Er hatte gesehen, wie ein Reverend auf offener Straße erschossen wurde, wie eine Frau vom Dach sprang. Er hatte gesehen, wie ein Hubschrauber in einen Baum krachte und wie ein {14}durchgeknallter Mann ein gekapptes Starkstromkabel aufhob und erstrahlte wie ein menschlicher Weihnachtsbaum. Er hatte gesehen, wie die Polizei eine Razzia durchführte und das Haus trotzdem weitermachte.
Mit ihm war nicht zu spaßen, und die anderen respektierten ihn, denn obwohl er jung war, hatte er nichts von dem an sich, was sie am meisten an sich hassten: ihre Kindlichkeit. Er war nie Kind gewesen. Nicht dass sie wüssten.
Irgendwann nach zehn brauste ein Feuerwehrauto vorbei: Sirenen, Motorenlärm und quietschende Reifen auf dem Asphalt. Die Feuerwehrleute musterten die Jungs.
Sie hatten sich verfahren. Die Straßen im Viertel waren ein Labyrinth, lauter Winkel und Ecken. Man suchte vielleicht nach einem Haus im nächsten Block, doch der schloss nicht direkt an diesen Block hier an. Die Straßenschilder waren in alle möglichen Richtungen verbogen oder fehlten ganz.
Das Löschfahrzeug kam nach einer Minute wieder, fuhr in die Gegenrichtung. Die Jungs winkten. Sie waren zwar alle keine Kinder mehr, sondern Heranwachsende, aber Feuerwehrautos mochte doch jeder.
»Da drüben«, sagte Sony.
»Hä?«, machte Antonio.
»Brennt irgendwem sein Haus«, sagte Sony.
Der zarte, graue Rauch hob sich von dem strahlenden Himmel ab. »Bestimmt ein Küchenbrand«, sagte East. Nichts Schlimmes, niemand verbrannte. Wenn jemand verbrannte, hörte man das Sirenengeheul noch in fast zwei Kilometern Entfernung, sogar hier im Viertel. Doch immer {15}mehr Löschwagen brausten herbei. Die Jungs hörten sie auf den anderen Straßen.
Oben wedelte ein Hubschrauber mit dem Schwanz.
Gegen elf wurde es heiß, und zwei Männer stürzten aus dem Haus. Einem ging es gut, und er zog ab, doch der andere legte sich ins Gras.
»Aufstehen«, verlangte Sony. »Hauen Sie ab hier.«
»Halt bloß die Fresse, Kleiner«, sagte der Mann, er war vielleicht um die vierzig. Er hatte eine geschwollene Nase, und unter dem halboffenen Hemd fiel East ein Verband auf, wo der Mann sich verletzt hatte.
»Gehen Sie weiter«, sagte East. »Wenn Sie sich hinlegen müssen, gehen Sie in den Garten hinterm Haus. Oder Sie gehen nach Hause. Hier legen Sie sich jedenfalls nicht hin.«
»Das ist mein Haus, Junge«, sagte der Mann, der sich unbedingt hinlegen wollte.
East nickte, grimmig und geduldig. »Das ist mein Rasen«, sagte er. »Regeln sind Regeln. Gehen Sie wieder rein, wenn Sie nicht laufen können. Hier bleiben Sie nicht.«
Der Mann steckte eine Hand in die Hosentasche, doch East sah, dass er nichts drin hatte, nicht einmal Schlüssel.
»Mann, alles in Ordnung«, sagte East. »Keiner will Ihnen was. Wir können nur die Leute nicht im Vorgarten rumliegen lassen.« Er stieß den Mann leicht gegen ein Bein. »Verstanden?«
»Mir gehört dieses Haus«, sagte der Mann.
East wusste nicht, ob das stimmte. »Gehen Sie weiter«, sagte er. »Schlafen Sie hinten, wenn Sie wollen.«
{16}Der Mann stand auf und ging in den Garten hinters Haus. Als Sony nach ein paar Minuten nachsehen ging, schlief er, am ganzen Körper zitternd, kämpf?te gegen irgendwas in seinem Inneren.
Der Qualm des Feuers schien sich zu lichten, ehe er wieder dichter wurde. Löschwagenmotoren und Pumpen dröhnten, und die Straße runter ließen ein paar Nachbarskinder einen Ball von der Hauswand abprallen. East kannte zwei von ihnen - aus einem gepflegten Haus mit grünen Markisen, vor dem manchmal ein weißer Ford stand. Diese Kids wahrten Distanz. Jemand hatte es ihnen gesagt, vielleicht wussten sie auch einfach Bescheid. Seit zwei Tagen spielte noch ein drittes Kind, noch ein Mädchen mit, ein größeres. Wenn sie gewollt hätte, hätte sie sich jeden Abpraller schnappen können, doch sie spielte fair.
East gab sich einen Ruck, wandte den Blick von den Kids ab und betrachtete stattdessen den Heli, der oben baumelte und den Himmel durchpflügte.
Als er wieder hinsah, war das Spiel beendet, und das Mädchen schaute rüber. Sah ihm in die Augen, und dann hielt sie direkt auf ihn zu. Er warf ihr einen bösen Blick zu, doch sie kam immer näher, langsam, die beiden Nachbarskinder im Schlepptau.
Sie war vielleicht zehn.
East stieß sich ab. Schlenderte lässig den Vorgarten runter. Sony machte schon Stress: »Geh wieder zurück, Mädchen.« East hielt die flache Hand waagerecht vor die unterste Rippe: Bleib cool.
Das Mädchen war rundlich, mondgesichtig, {17}dunkelhäutig, trug ein sauberes weißes Hemd. »Das ist ein Crackhaus, stimmt's?«, fragte sie ihn vergnügt.
Genau wie Fin sagte: Alle glaubten immer noch, es ginge nur um Crack. »Nee.« East warf Sony einen Blick zu. »Wo kommste her?«
»Ich bin aus Jackson, Mississippi. Ich geh auf die New Hope Christian School in Jackson.« Sie wies mit dem Kopf nach hinten auf die Nachbarskinder. »Das da sind meine Cousinen. Meine Tante heiratet morgen in Santa Monica.«
»Kleine, ist uns doch scheißegal«, sagte Antonio oben im Vorgarten.
»Hört euch diese kleinen Gangstas an«, tönte das Mädchen. »Geht ihr...
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