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Durchziehen: Wenn man allein auf dem Boot ist, bleibt einem gar nichts anderes übrig
© Felix Diemer
Es ist ein Irrsinn, allein um die Welt segeln zu wollen. Es ist irrsinnig gefährlich. Irrsinnig anstrengend. Und irrsinnig schön. Alles drei hängt wohl irgendwie miteinander zusammen.
Wenn der Wind dich jederzeit umschmeißen kann, die Wellen dein Boot zerbrechen können, wenn du kaum schläfst und nur auf dich gestellt bist, dann werden deine Tage länger, dann erlebst du jede Stunde intensiver, dann wird der Himmel blauer, wenn die Sonne scheint, und düsterer, wenn der Sturm aufzieht.
Selten erlebst du solche Höhen und Tiefen wie in den Tagen und Nächten, in denen du allein mit deinem Boot über den Ozean drischst oder in denen du dich auf ihm mit Leichtwind abmühst. Du segelst durch eine Welt der Wunder. Und manchmal passierst du dabei ganz ohne Vorwarnung das Tor zur Hölle. Dann spielt die Natur verrückt oder deine Seele. Manchmal auch beides zusammen.
In den vergangenen zwei Jahren, seit ich nach den Olympischen Spielen in Tokio ins Hochseesegeln, oder Offshore-Segeln, wie man es auch nennt, eingestiegen bin, habe ich viele dieser Höhen und Tiefen erlebt. Hochseesegeln und olympisches Segeln haben nur eine sehr kleine Schnittmenge. Auch wenn ich mein ganzes Leben lang auf dem Wasser verbracht habe und in meiner bisherigen Sportlerinnenkarriere viele Medaillen und Pokale gewinnen konnte, musste ich fast alles neu lernen. Oft auf die harte Tour. Ich habe vom Meer aus Videonachrichten an meine Freunde und Familie geschickt, wenn ich dachte, mein Herz zerbricht fast an der Schönheit um mich herum. Aber auch, wenn ich am Ende war. Dann sitzt du da, mit dir allein und deinem Boot, und wünschst, jemand würde dir eine Hand reichen, dich in den Arm nehmen, ein nettes Wort an dich richten. Aber da ist keiner. Außer dir. Also ziehst du dich selbst aus den seelischen Untiefen und machst weiter. Weil du weißt, wofür du das tust. Für dich. Und für deinen Traum.
Ich will als erste deutsche Frau bei der Vendée Globe mitsegeln. Das ist noch eine Nummer größer als alles, was ich bisher gemacht habe: noch nasser, noch krasser, noch weiter, noch wilder. Es ist die ultimative Grenzerfahrung für Seglerinnen und Segler: ein Rennen rund um die Welt, 50000 Kilometer über die Ozeane, durch die verschiedenen Winde und Klimazonen, allein und ohne Hilfe, nonstop.
Mehr als 11000 Menschen standen bisher auf dem Gipfel des Mount Everest, 640 flogen ins Weltall, aber nur um die 200 Personen sind bisher bei der Vendée Globe gestartet. Ich möchte eine weitere werden.
Rund 80 Tage braucht man für dieses abenteuerliche Rennen, wenn es gut läuft und man überhaupt den Zielhafen in Les Sables d'Olonne erreicht. Denn bisher haben das nur etwas mehr als die Hälfte der Boote geschafft. Auf dem Meer gelten eigene Gesetze. Der Ozean ist wild und unberechenbar - es läuft nie alles glatt. Jeder Segler weiß das. Probleme und Strapazen gehören zum Segeln dazu. Genauso wie Wind, Sonne und Wasser. Und das ist irgendwie auch gut so.
Wie die Olympischen Spiele findet auch das Rennen um den Globus alle vier Jahre statt. Beim letzten Mal haben 33 Skipper ihr Glück versucht. 27 Männer, sechs Frauen. Nur die ersten Seemeilen sind die konkurrierenden Boote noch in Sichtweite, dann zieht sich das Feld auseinander - von da an bist du für Monate auf dich gestellt und musst mit dem auskommen, was du hast: deinem Erste-Hilfe-Set, deinem Proviant, dem Trinkwasser aus der Entsalzungsanlage, deinem Werkzeugkasten, den Ersatzteilen und dem Satellitentelefon, mit dem du ab und an mit deinen Liebsten reden kannst. Oder im Notfall auch mal mit dem Ärzte-Team.
Morgens und abends wirst du via Satellit mit zwei Wettermodellen versorgt. Was du daraus machst, ist deine Sache. Rat von außen darfst du nicht annehmen. Aber sie helfen, um dich für das zu wappnen, was kommen wird.
Im Kopf kreuze ich bereits über den Atlantik, passiere den Äquator, fantasiere mich durchs Südpolarmeer, lasse das Kap der Guten Hoffnung backbord an mir vorüberziehen und die Antarktis steuerbord. Ich male mir aus, wie ich den Pazifik überquere, an Australien vorbeisegele, den Indischen Ozean hinter mir lasse, um dann über den Atlantik nach Frankreich zurückzukehren.
In den vergangenen 24 Monaten habe ich einen Vorgeschmack bekommen, was mich bei diesem Abenteuer erwarten wird. Ich habe beim Ocean Race meine Äquator-Taufe bekommen und gehofft, dass ich beim Rennen durch die Biskaya von den Orcas verschont bleibe. Ich habe die heftigste Nacht meines Lebens durchgestanden und danach Rotz und Wasser geheult. Ich bin auf Masten geklettert, habe Segel geflickt, mein Boot auf offener See repariert. Ich musste einen Orkan meistern und steckte manövrierunfähig im Nebel in einer Flaute fest. Ich bin tagelang durchgesegelt, mit höchstens 20 Minuten Schlaf am Stück, dann klingelte schon wieder mein Wecker, wenn nicht ein Alarm, eine Welle oder eine Böe vorher an mir gerüttelt hatten. In all der Zeit auf See habe ich dabei mein Herz genauso oft toben gehört wie den Wind und das Meer.
Ich bin bis an mein Limit gegangen. Und darüber hinaus. Und trotzdem weiß ich: Ich kann mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, was mich bei meiner Vendée Globe erwarten wird. Das kann niemand. Denn das Meer hat seine Launen. Die Natur ist immer für eine Überraschung gut. Und bei so einem Rennen geht es auf und ab, wie die Wellen, die einen tragen.
Als Offshore-Seglerin setzt du dich den schwierigsten Bedingungen aus. Du wählst ein Leben, das ungemütlich ist und voller Entbehrungen. Freiwillig. Dein Dasein reduziert sich auf ein paar Quadratmeter Boot, auf Trockenmahlzeiten, Wetterdaten und dein Radar. All den Überfluss des normalen Alltags lässt du an Land zurück. Manchmal fühlst du dich dann unbeschwert und leicht. Weil nichts dich ablenkt, weil du im Hier und Jetzt bist. Weil du dich auf das Wesentliche konzentrieren kannst: den Kurs, der vor dir liegt.
Und trotzdem ist es ein ständiger Balanceakt.
Wenn du bei den tagelangen Rennen vorne mitsegeln willst, musst du immer abwägen, wann du dich und dein Boot noch ein bisschen pushst. Du musst dich fragen, was können du und dein Boot aushalten, und wann nimmst du das Tempo raus und setzt lieber auf Sicherheit.
Den richtigen Weg für sich zu finden und dann den Kurs zu halten, das ist nicht einfach. Ich persönlich tüftele immer noch an dem Erfolgsrezept und bin dabei, die magischen Zutaten für mich zusammenzusammeln.
Dass man nie weiß, was das Meer für einen bereit hält, ist das, was ich am meisten am Segeln liebe
Und selbst wenn du denkst, du hast sie alle im Sack, kommt es doch oft ganz anders. Bei der letzten Ausgabe der Vendée Globe musste der Führende Jérémie Beyou schon nach vier Tagen wieder umdrehen. An seinem Boot riss ein Beschlag ab, und er demolierte sein Ruder, als er bei voller Fahrt gegen einen Wal knallte. An Tag acht stoppte ein Mastbruch den Franzosen Nicolas Troussel. An Tag 21 brach das Steuerbordruder des Titel-Favoriten Alex Thomson. Sein Aus.
Nur vier Tage später kollidierte sein Mitstreiter Sébastien Simon mit einem UFO - einem »unidentified floating object«, einem unbekannten Treibobjekt. Eines seiner Foils, also seiner Tragflächen, die das Boot bei genug Geschwindigkeit aus dem Wasser heben, um es über das Meer fliegen zu lassen, wurde stark beschädigt, und im Rumpf war ein Leck. Er musste abdrehen.
Auch Samantha Davies ereilte ein ähnliches Schicksal, nur knapp 24 Stunden später. Sie stieß unter Wasser gegen etwas Unbekanntes, vielleicht ein Wal, vielleicht ein Container. Was es war, sah sie nicht. Aber sie hatte das Gefühl, sie würde auf offener See einen Felsen rammen, sie flog durchs gesamte Boot, schlug auf, dachte, das war es jetzt. Der Kiel ihres Bootes war von Rissen durchzogen, Wasser drang ins Innere ein. Drei Tage versuchte sie, den Schaden zu reparieren. Es gelang ihr nicht.
Und auch Isabell Joschke musste nach fast 40000 Kilometern das Handtuch werfen. Da hatte sie das Schlimmste eigentlich schon hinter sich. Aber die Hydraulik ihres Bootes wollte nicht mehr. Auch ihre Ersatzkonstruktion machte schlapp. Dabei war das Ziel gefühlt schon so nah.
Acht Skipperinnen und Skipper konnten dieses Rennen nicht zu Ende bringen. So wenige wie noch nie. Aber jedem und jeder Einzelnen brach das Herz, als ihr Traum in sich zusammenfiel. Es sind Jahre, die du in die Vorbereitung eines solchen Abenteuers stecken musst. Jahre, die dir und deinem Leben eine Richtung geben. Jahre, die an dir und deinen Lieben zehren. Das Rennen ist nur der Schlusspunkt einer langen Reise, die du auf dich nimmst, weil sie für dich das Größte ist. So stark ist sie, die Kraft unserer Träume. Und so faszinierend ist die unendliche Weite des Ozeans.
Wenn alles wie geplant läuft, könnte es 2028 für mich so weit sein. Der Start ist immer im November, weil dann die meteorologischen Verhältnisse im Südpazifik am günstigsten sind. Klingt noch ewig weit weg. Aber der Zeitplan ist straff. Kaum eine sportliche Herausforderung verlangt einem Menschen so viel ab. Ich will vorbereitet sein. Und dafür muss ich noch viel lernen. Jedes Mal, wenn ich auf dem Wasser bin, erfahre ich etwas Neues - über diesen Sport, über das Meer...
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