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Noch fünf Minuten, dann würde er aufstehen. Seine Augenlider brannten, sein Kopf war bleischwer. Kein Wunder, nach drei Stunden Schlaf. Bis vier Uhr nachts hatte er für die Uni gebüffelt. Das hätte er gleich am Samstag machen sollen, aber da war er bei Daniels Geburtstagsfeier versumpft. Oder sollte er die Vorlesung sausen lassen? Nein, die erste VWL-Vorlesung durfte er nicht verpassen. Grünwald legte angeblich großen Wert darauf, dass die Studenten im neuen Kurs vollzählig erschienen. Marc rollte sich von seiner Matratze und schlurfte ins Bad.
Zwei Minuten vor Vorlesungsbeginn ließ er sich auf seinen Sitz fallen. Was war noch mal Thema der heutigen Veranstaltung? 'Geld im Wandel'! Das klang so spannend wie ein Kaffeekränzchen mit dem schwerhörigen Onkel Horst.
"Montag, acht Uhr morgens und alle Plätze belegt. Das lässt auf ein profundes Interesse an der Geschichte des Geldes schließen." Grünwald grinste breit. "Oder ist die Partyszene in Frankfurt mittlerweile ausgestorben?"
Seinen Prof hatte er sich ganz anders vorgestellt. Mit den zu einem Pferdeschwanz zusammengefassten grauen Haaren und den dunkelbraunen Biker-Boots wirkte er eher wie ein Streetworker.
"Eine leichte Frage, die sicherlich auch die unter Ihnen beantworten können, bei denen es gestern spät oder feuchtfröhlich geworden ist." Er hielt einen Fünfzigeuroschein in die Höhe. "Wer denkt, dass dieser Geldschein wertvoll ist? Ich bitte um ein Handzeichen."
Sofort schossen unzählige Hände nach oben.
Scheiße Mann, dachte Marc, den hätte er gerne! Den würde er gleich in ein warmes Essen in der Mensa investieren. Heute war der Einunddreißigste. Das Geld hatte gerade noch für eine Tüte Semmeln gereicht, davon waren drei übrig. Damit musste er bis morgen über die Runden kommen. Es hatte sich noch immer keine neue Geldquelle aufgetan, seit die Karaoke-Bar letzten Monat dichtgemacht hatte.
"Nun die Gegenprobe. Wer ist vom Gegenteil überzeugt?" Niemand meldete sich.
"Sehr gut, dann können Sie mir sicher alle erklären, warum dieser Geldschein einen Wert hat. Wer möchte beginnen?"
Ein braungebrannter Student mit zurückgegelten Haaren antwortete anzüglich grinsend: "Wenn ich mit diesem Fuffi in die Kaiserstraße gehe, bekomme ich dafür schon einiges an Gegenleistung, das für mich einen Wert hat." Er erntete spärliche Lacher. Der war doch auch in seinem Stochastik-Kurs. Wie hieß der Typ nochmal? Schleimiger Idiot!
"Schön, dass Sie uns Einblicke in Ihr Liebesleben gewähren. Das führt uns gleich zur nächsten Frage. Was denken Sie, aus welchem Grund Ihre Geschäftspartnerin in der Kaiserstraße Ihrem Fuffi einen Wert beimisst?"
Die hellgrünen Blätter der Linde im Hof bewegten sich sanft im Wind. Er brauchte dringend einen Job. Morgen bekam er BAföG, dann konnte er die Miete bezahlen. Wenn er nur jeden zweiten Tag in die Mensa ging, reichte das Geld bis zum Achtzehnten. Daniel war seit ein paar Wochen als Werkstudent bei einer IT-Firma. Aber die hatten ihn nur wegen seiner Kryptografie-Skills genommen. Ihn konnten die sicher nicht gebrauchen.
"Für die Ureinwohner in Borneo ist das natürlich nur wertloses, bedrucktes Papier." Jetzt musste er aber aufpassen. Was faselte der Gelkopf da von Eingeborenen?
Professor Grünwald griff die Antwort auf. "In der Tat ist dies eine wichtige Erkenntnis, die Sie bei sämtlichen weiteren Überlegungen mitbedenken sollten. Das, was wir als Geld nutzen, hat nur deshalb einen Wert, weil wir alle dem Geld einen Wert zuschreiben und darauf vertrauen, dass dieser beständig ist. Vertrauen in die Werthaltigkeit des Geldes spielte von Anbeginn an eine wesentliche Rolle."
Reiß dich zusammen, sonst schaffst du die Prüfung am Ende nie, ermahnte sich Marc. Er schrieb die Daten von der Overhead-Folie ab, 'US-Dollar - der Weg zur Weltwährung', und einen Zeitstrahl. '1792 Coinage Act Gold, Silber und Kupfermünzen, 1861 Papiergeld (Greenback) zur Finanzierung der Sezessionskriege, 1875 Wiedereinführung des Edelmetallstandards, 1900 Currency Act Goldstandard .'
Mist, jetzt hatte er nicht mehr gesehen, wie das Tauschverhältnis von Gold zu Dollar war. Er schielte zu seinem Sitznachbarn, der offensichtlich schneller beim Schreiben war. Eine Unze, also 31,1 Gramm, entsprachen 20,67 Dollar.
Grünwald hatte inzwischen den Projektor abgeschaltet. "Noch vor weniger als einhundert Jahren wurden alle Preise in Gold denominiert. Das Papiergeld war nur dazu da, den Handel zu vereinfachen. Für jeden Geldschein, egal, ob Dollar, Pfund, Franc oder Mark, hatten die Zentralbanken eine entsprechende Menge an Gold eingelagert. Diese festgeschriebene Menge Gold konnte gegen Geldscheine zurückgetauscht werden. Das Ganze nannte man den Goldstandard."
Langweiliges Auswendiglernen irgendwelcher Zahlen. Seine Mitstudenten hatten ihn bereits vorgewarnt, dass VWL-Vorlesungen nur mit reichlich Kaffee zu ertragen wären.
"So, meine Herrschaften, jetzt wird es spannend. Die Weltwirtschaftskrise brachte die amerikanischen Banken in Schwierigkeiten. 1933 gingen in Michigan zwei systemrelevante Geldinstitute bankrott. Bankenretten war damals noch nicht so an der Tagesordnung wie heute." Der Professor erntete einige Lacher. "Anders als beim Platzen der Immobilienblase vor zwei Jahren ließ man dem freien Markt seinen Lauf. In Europa bekam man kalte Füße. Allen voran die Briten und die Holländer. Sie tauschten also ihre Dollarnoten zurück gegen Gold und die Goldvorräte der amerikanischen Zentralbank schrumpften. Daraufhin zog Präsident Roosevelt die Notbremse. Er verbot, Gold ins Ausland auszuführen, und ließ alle Banken vier Tage zusperren. Dann legte er fest, dass die Notenbank nicht nur gegen Gold, sondern auch für Bankguthaben neue Dollars drucken durfte. Mit dieser Maßnahme löste Roosevelt zwar die Vertrauenskrise der Banken, es gab aber schlagartig mehr Dollars als Gold. Als am 13. März 1933 die ersten Banken wieder aufsperren durften, was denken Sie, passierte dann?"
Niemand rührte sich. "Mitarbeit ist im Gegensatz zu manch anderem Kollegen in meiner Vorlesung durchaus erwünscht", durchbrach der Professor die Stille.
Ein Student in der ersten Reihe hob die Hand. "Ein Bankrun, die Leute haben ihr Geld abgehoben."
Grünwald grinste süffisant. "Naheliegend, aber nachdem zwei große Banken pleite gegangen waren, hatten viele Amerikaner die Sparkonten bereits geplündert und ihr Vermögen unter dem Kopfkissen deponiert. Der Präsident versprach also, die Banken verfügten über genügend Liquidität und es wäre viel sicherer, das Geld unter der Matratze hervorzuholen und wieder auf ein Konto einzuzahlen. Diese Empfehlung haben die Amerikaner dann auch befolgt."
Wenn es plötzlich mehr Geld als Gold gab, musste man mehr Ocken für die gleiche Menge Edelmetall abdrücken, überlegte Marc. Aber war das nicht zu einfach?
"Gold wurde teurer", meldete er sich zu Wort.
Grünwald sah zu ihm hoch. "Interessant! Wie heißen Sie?"
Es war absolut still, man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Zu allem Überfluss wandten auch noch einige Studenten aus den vorderen Reihen ihre Köpfe zu ihm um.
"Kröger . Marc Kröger."
"Herr Kröger. Wie begründen Sie Ihre Theorie?"
Oh Mann, hätte er nur den Mund gehalten. "Na ja", begann er zögerlich, "ich dachte mir, wenn es mehr Geldscheine gibt und gleichviel Gold, dann . muss man mehr Scheine für die gleiche Menge Gold hergeben."
Professor Grünwald lächelte. "Sie brauchen Ihre Theorie gar nicht so zaghaft vorstellen, genau das ist geschehen. Die Amerikaner erkannten das ebenfalls und innerhalb weniger Tage stieg der Goldpreis rasant an. Versetzen Sie sich einmal in die damalige Zeit. Papiergeld und Gold hatten sechzig Jahre lang einen festen Wechselkurs und auf einmal bekam man immer weniger Gold für die gleiche Menge Dollar. Die Amerikaner waren verunsichert und fingen an, das Gold dem Dollar vorzuziehen. In vielen Verträgen gab es seinerzeit eine Goldklausel, durch die der Zahlungsempfänger auf eine Zahlung in Gold bestehen konnte. Der Goldkurs stieg und stieg." Grünwald nickte ihm zu.
Vielleicht war Volkswirtschaft doch gar nicht so öde! Der Professor projizierte ein altes Schriftstück an die Wand, eine Verfügung des Präsidenten vom 5. April 1933. Krass, da wurde der private Goldbesitz verboten! Die amerikanischen Bürger mussten alles Gold innerhalb von drei...
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