Schweitzer Fachinformationen
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Bremen, September 2014
Die Jalousie.
Sie brachte Josi Berger um den Verstand. Gerade noch hatte die Sonne das Büro so aufgeheizt, dass sie zu verstehen glaubte, warum die Spanier Siesta machten. Und kaum hatte sie die Lamellen zugezogen, schoben sich schon wieder Wolken vor das Blau. Typisch norddeutsches Mischwetter.
Jetzt war es dunkel und ungemütlich in ihrem Ein-Mann-Büro. Jo konnte nur raten, welchen Namen sie vor einer Minute auf ihre Arbeitsunterlage gekritzelt hatte.
»Herr Be., Bejagovisch, ich .«
»Beganovic!« Ihr Klient am Telefon betonte die zweite Silbe wie ein Sprachtherapeut, der einen Erstklässler in die hohe Kunst der Phonetik einführen will.
»Ich bin schlecht in Namen.«
»Aber in Paragraphen sind Sie gut?«
»Lassen Sie sich überraschen.«
Vor ihr auf dem Schreibtisch lag ein fetter Kommentar zum Insolvenzrecht. Sie musste ihr Smartphone auf die aufgeschlagene Seite legen, sonst klappte der dicke Wälzer immer wieder zu.
Eins, zwei, drei. Noch mehr als die Paragraphen quälten sie die Zahlen. Dummerweise lauerten sie ihr überall auf. Jo konnte ihnen nicht entfliehen, hatte sie jetzt auch noch zusätzlich zu den Paragraphen an der Backe.
Egal, jetzt galt es ihre mathematische Unzulänglichkeit geschickt zu überspielen. Jo konzentrierte sich.
»Sie haben noch keinen Insolvenzantrag gestellt?«
»Das sagte ich bereits!«
»Und Ihren Gesellschaftern haben Sie den Verlust ebenfalls nicht angezeigt?«
»Ich möchte mich nur ungerne wiederholen.«
»Wenn ich Ihr Altvermögen, Ihre Lebensversicherungen und Grundstücke sowie Ihr sonstiges Vermögen überschlage, müsste sich die Insolvenzmasse mindestens auf 500 000 Euro belaufen. Damit dürfte eine Insolvenz begründet sein.«
Vier, fünf, sechs. Schnell wieder von den Zahlen ablenken.
»Weihen Sie Ihre Gesellschafter ein! Ansonsten machen Sie sich eines abstrakten Gefährdungsdelikts nach Paragraph 823 Bürgerliches Gesetzbuch schuldig.«
»Sprechen Sie bitte Deutsch.«
»Na ja, ich könnte Folgendes für Sie tun, Herr Beganovisch: Ich stelle für Sie den Insolvenzantrag und kümmere mich um das Verfahren. Das ist in Ihrem Fall sicher der einzige Ausweg aus dem Schlamassel. Nicht, dass man Sie auch noch wegen Insolvenzverschleppung belangt.«
»Insolvenz- was?«
»Paragraph 15a der Insolvenzordnung. Wenn Sie zu lange zögern, machen Sie sich einer Straftat schuldig.«
»Ein Insolvenzverfahren ist das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann.«
»Es ist das Beste, was Sie jetzt gebrauchen können.«
»Ich muss das mit meinem Wirtschaftsprüfer absprechen.«
»Sie haben nur drei Wochen.«
»Ich melde mich.«
Kopfschüttelnd lehnte sich Jo in ihrem erst kürzlich erkämpften ergonomischen Schreibtischstuhl zurück und ließ die bewegliche Sitzfläche schaukeln. Im Strafrecht kannte sie sich aus. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, bei einer Kanzlei mit wirtschaftlichem Schwerpunkt anzufangen? Vergangenheit hin oder her. Ihre Entscheidung drohte zum Bumerang zu werden. Sie hatte Eilert vorgewarnt. Mit Insolvenzverfahren, Bilanzen und rechtlichen Problemen aus obskuren Geschäftsgebaren musste man ihr nicht kommen.
Es gab nur zwei Dinge, die ihr über ihre trostlose Situation hinweghalfen. Erstens: Die Kanzlei-Crew mit Wohlfühlfaktor. Und zweitens: Die Hoffnung, dass außer ihr niemand ihre Unsicherheit auf dem feindlichen Terrain bemerkte. Sie besaß dieses einzigartige Talent, sich auch ohne Ahnung schlauzustellen. Mit gefährlichem Halbwissen konnte sie umgehen. Auch wenn das letzte Telefonat nicht zu ihren Glanzleistungen gezählt hatte.
Jo arbeitete nun seit gut einem halben Jahr bei Eilert in der Kanzlei. Aber noch immer landeten nur die Loser-Fälle auf ihrem Schreibtisch.
Insolvenzrecht machte müde. Sie brauchte dringend ein bisschen Sauerstoff. Die Fenster waren schon weit aufgerissen und trotzdem fühlte sie sich wie in einer Waschküche. Warum konnte es an solchen Tagen kein Hitzefrei geben? Wie in alten Schulzeiten, als im Klassenzimmer das örtliche Thermometer über Freizeit oder Büffeln entschieden hatte.
Das waren noch Zeiten.
Ihr wurde ganz anders, als sie den Blick über ihren Schreibtisch schweifen ließ. Um sie herum türmten sich Aktenstapel und die lose Gesetzessammlung, deren schrilles Gelb sie provozierte. Sie hatte bereits mehrere Versuche gestartet, Käthe die Sammlung unterzujubeln. Aber die blieb stur wie ein alter Bock, weigerte sich, die Nachlieferungen einzusortieren.
»Ich bin doch nicht deine Azubine«, hatte sie mit mürrischem Blick kundgetan und ihre fransige, graue Mähne geschüttelt. »Wenn ich den ganzen Wust«, sie zeigte auf die fünf Blätter, die ihren Schreibtisch zierten, »alleine abarbeiten soll, brauche ich bald 'ne Stresszulage und ein Herztonikum.«
Und schon war sie wieder in vorgetäuschter Geschäftigkeit hinter ihrem Monitor verschwunden und hatte energisch in die Tasten gehauen. Da gab es nichts mehr zu diskutieren. Das Gespräch war beendet.
Solch eine Rechtsanwaltsfachangestellte war Jo zuvor auch noch nicht untergekommen. Als Urgestein in der Kanzlei konnte Käthe sich alles erlauben.
Jetzt lag das neongelbe Ungetüm wieder auf Jos Schreibtisch und das Telefon schien aus unerfindlichen Gründen nicht mit ihr reden zu wollen.
Was soll's.
Gerade als sie den Ordner zu sich heranzog, um sich widerwillig an das Einsortieren zu machen, flog die Bürotür auf.
»Es gibt ein Problem!«
»Richtig, du musst endlich lernen anzuklopfen.« Sie hörte selbst, wie ironisch sie klang. Die Probleme ihres Chefs kannte sie schon zur Genüge.
»Der Drucker . ich meine, der .«
»Ist der Toner leer?«
»Woher weißt du das?«
»Ich kann deine Gedanken lesen.«
Jo raffte sich aus ihrem Komfortstuhl auf, in dem sie kurz zuvor den perfekten Winkel fürs gemütliche Halbliegen gefunden hatte, und steuerte den Empfang an. Nicht ohne Eilert noch einmal neckisch den Ellenbogen in die Seite zu stoßen.
»Wieso habe ich ständig das Gefühl, du hast mich nicht als Rechtsanwältin, sondern als IT-Spezialistin eingestellt?«
Käthes Schreibtisch war wieder einmal verwaist. Sie konnte sich gut vorstellen, wie die Sekretärin gerade ein Kaffeekränzchen in einem der anderen Büros abhielt.
»Sollte ich etwa Käthe fragen?«
»Wie wär's mit dem Handbuch? Man lernt nie aus.«
»Ich musste schon genug lernen in meinem Leben. Das ist das Recht der frühen Geburt.«
Jo konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Wenn Eilerts immenser Erfahrungsschatz im Bereich des Wirtschafts- und Presserechts auch Gold wert war, so setzten ihn doch die kleinsten Probleme mit der heutigen Technik außer Gefecht.
»Man ist so alt, wie man sich fühlt. Mein Großonkel ist einundneunzig und hat sich gerade einen neuen Laptop gekauft.«
»Soll das jetzt heißen, dass du mich mit einem Opa vergleichst?« Eilert setzte eine beleidigte Miene auf. »Wenn der noch so fit ist, hätte ich den vielleicht besser gebrauchen können als dich.« Er tippte mit dem rechten Zeigefinger auf seine Armbanduhr. »Schäfer wartet nicht gerne.«
Jo fand den refill pack für den Toner in Käthes Aktenschrank.
»Ach, die Sache, die kein Ende findet. Der wievielte Gerichtstermin ist das?«, fragte sie und sah zu Eilert auf, der entspannt am Schreibtisch lehnte. Das gebügelte, himmelblaue Hemd spannte leicht über seinem Bauchansatz.
»Ich habe aufgehört, zu zählen.«
Eilerts Augen versteckten sich hinter einer Brille mit schmalem Goldrand. Hatte er die eigentlich schon immer getragen? Jo konnte nie sagen, ob jemand Brillenträger war oder nicht. Sie vergaß das Detail noch in dem Moment, in dem sie es entdeckt hatte.
»Ich hasse es, wenn der alte Schäfer sich nicht zu einer Entscheidung durchringen kann.«
Graue Strähnen zogen sich durch das leicht gewellte, immer noch volle Haar. Eilert war das perfekte Beispiel eines in die Jahre gekommenen Karrieremannes. Wäre da nicht ein kleines Detail, das dieses Erscheinungsbild störte.
Eine Sekunde lang überlegte Jo, Eilert auf die misslungene Farbkombination, die seine orangerote Krawatte zu dem blauen Hemd darstellte, hinzuweisen. Doch dann dachte sie daran, dass der hässliche Fetzen vielleicht ein Geschenk seiner Frau war. Die knalligen Farben passten zu Maren. Und Jo beließ es bei einem abschätzigen Blick.
»Schäfer muss nur den Mund aufmachen und ich könnte im Stehen einpennen«, ereiferte Eilert sich.
Jo klemmte den refill pack in das dafür vorgesehene Fach des Druckers und schloss die oberste Klappe.
»Perfekt!« Sie gab dem Gerät einen Klapps. »Noch ein Knopfdruck und es funktioniert wieder.«
Sie zeigte auf das Start-Symbol.
»Glaub mir, du willst nicht, dass ich das erledige. Es genügt schon, das Ding nur lange genug anzustarren, und der Mechanismus versagt. Ich habe hypnotische Fähigkeiten.« Eilert lächelte verschmitzt, bevor er zurück in sein Büro schlenderte. »Die Nadelstreifen-Yuppies mit ihren modernen iPads werden mir gleich noch genug Ärger machen.«
Die ersten Gedanken
Ich suche in Bibliotheken nach Gedanken.
Abgegriffene Klassiker in gotischer Schrift, Aufsätze von naiven Studenten, die meinen, sie hätten die Welt...
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