Zusammenfassung
Die deutsche Wirtschaft wird von Innovationen getragen. Eine Avantgarde von Unternehmen, oft tief eingebettet in globale Wertschöpfungsnetzwerke, sichert die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und den damit einhergehenden Wohlstand.
Doch diese Avantgarde ist klein - und sie wächst nicht. Vielmehr zeigen die Auswirkungen der Corona-Pandemie, dass die Innovationskraft in Deutschland aktuell zurückgeht und damit das ganze Land im globalen Wettrennen um die besten Ideen und Geschäftsmodelle den Anschluss verliert:
- Der Anteil der besonders innovativen Unternehmen ist von 25 % im Jahr 2019 auf 19 % im Jahr 2022 gefallen.
- Der Anteil der Unternehmen, die als relativ innovationsfern charakterisiert werden können, ist von 27 % im Jahr 2019 auf 38 % im Jahr 2022 gestiegen.
Sowohl der Innovationsinput als auch der Innovationsoutput ist in den vergangenen drei Jahren gefallen. Der Output im Sinne von Produkt-, Prozess-, Organisations- oder Marketinginnovationen ging insgesamt um 15 % zurück. 26 % der Unternehmen haben ihre Innovationsaktivitäten infolge der pandemischen Ausnahmesituation verschoben oder ganz abgesagt, immerhin 12 % haben ihre Aktivitäten ausgeweitet.
Allerdings erfordern die Digitalisierung, die Dekarbonisierung und der demografische Wandel konsequente und umfangreiche Investitionen in Innovationen, um neue Produkte und digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln, Produktionsprozesse umzustellen und die Produktivität weiter zu erhöhen. Viele Unternehmen sehen sich nun aufgrund der Verschiebung oder Streichung von Innovationsaktivitäten - stark hervorgerufen durch die Corona-Pandemie - großen Herausforderungen gegenüber, diese Transformationen proaktiv zu gestalten. Die dringlich anzugehende, tiefgreifende und umfassende Weiterentwicklung der bisherigen industriellen Logik, durch die Deutschland früher auf dem Weltmarkt große Erfolge feiern konnte, muss jetzt unter erschwerten Rahmenbedingungen erfolgen.
Aktuell geht die Schere zwischen innovationsstarken und innovationsfernen Unternehmen weiter auseinander: Während nur 10 % der Leader Innovationsprojekte verschoben oder abgesagt haben, taten dies 42 % der Adapter. Hierdurch entstehen erhebliche Risiken für den Innovationsstandort Deutschland. Vor allem zeichnen sich die innovationsaffinen Milieus durch eine relativ hohe Resilienz gegenüber der Pandemie aus, da ihr Anteil an wie geplant durchgeführten oder gar noch erweiterten Innovationsaktivitäten deutlich über dem der übrigen Milieus liegt.
Um diesen Risiken entgegenwirken zu können, spielen starke Wertschöpfungsnetzwerke, exzellente Forschung und leistungsfähige Infrastrukturen eine zentrale Rolle. Insbesondere die Kooperationen zwischen Unternehmen, Start-ups sowie Forschung und Wissenschaft helfen dabei, die immer weiter steigende Komplexität zu beherrschen. Die Befragungsergebnisse zeigen:
- Unternehmen, die den beiden Top-Milieus zugeordnet werden können, sind signifikant erfolgreicher hinsichtlich ihrer Umsatzrendite als andere Unternehmen. Die Nettoumsatzrendite liegt bei diesen Leadern rund 27 % über dem Durchschnitt aller Milieus. Dabei haben die Leader in den letzten Jahren weniger stark gelitten als der Durchschnitt. 2019 lag die Umsatzrendite 19 % über dem Milieudurchschnitt.
- Regressionsanalysen zeigen, dass vor allem Produkt- und Prozessinnovationen signifikante Effekte auf den Erfolg von Unternehmen haben. Im Mittel führt eine Innovation in diesen Bereichen zu einem Zuwachs von 15 bis 20 Beschäftigten.
- Die Leader sind deutlich intensiver vernetzt mit Lieferanten, Kunden, anderen Unternehmen und der Wissenschaft als andere Unternehmen. Sie innovieren also eingebettet im Verbund und suchen sich die jeweils geeigneten Partner für die unterschiedlichen Fragen. Besonders groß ist der Unterschied bei der Kollaboration mit der Wissenschaft. Während die Leader in ähnlichem Maße mit der Wissenschaft wie mit Lieferanten - also durchaus intensiv - zusammenarbeiten, bestehen so gut wie keine Verbindungen zwischen den Adaptern (also den innovationsschwachen Unternehmen) und der Wissenschaft. Den intensivsten Austausch zu Innovationsimpulsen haben alle Unternehmen mit ihren Kunden.
Die vorliegende Studie der Innovativen Milieus auf Unternehmensebene zeigt insbesondere,
- dass es erstens deutliche milieuspezifische Unterschiede gibt hinsichtlich der jeweiligen Innovationshaltung und -zielsetzung, der Ausstattung an Innovationsinputfaktoren und den darauf basierenden Innovationsaktivitäten sowie bezüglich des realisierten Innovationserfolges,
- dass zweitens insgesamt und milieuübergreifend der Innovationsfokus im Vergleich zur ersten Erhebung im Jahr 2019 zurückgegangen ist und die Disruptionsambition sowie die Technologieaffinität abgenommen haben, und
- dass drittens eine gewisse Professionalisierungslücke bei der Umsetzung wichtiger Elemente eines ganzheitlichen Innovationsmanagements in den Unternehmen besteht.
Im Vergleich zur Erhebung des Jahres 2019 haben sich bezüglich der milieuspezifischen Charakteristika keine einschneidenden Brüche ergeben. Die Technologieführer greifen als hoch ambitionierte technologische Avantgarde auf tief verankerte Innovationsstrukturen zurück, gepaart mit systematischem Innovationsmanagement. Disruptive Innovatoren richten sich zunehmend auf agile Kooperationsaktivitäten mit ihren Kunden aus, was sich allerdings eher nachteilig auf die vormals charakteristische Innovationshöhe (Disruptivität) auswirkt. Kooperative Innovatoren ziehen ihre Innovationskraft aus dem engen (externen und internen) Austausch; dazu etablieren sie moderne Kooperationsstrukturen und partizipative Unternehmenskulturen. Konservative Innovatoren vertrauen hingegen eher auf ihre gewachsene Kompetenz und generieren Innovationen vorsichtig aus sich selbst heraus.
Passive Umsetzer sind durchaus innovationsoffen, realisieren ihre entsprechenden Aktivitäten aber vorwiegend eng eingebunden in übergreifende Wertschöpfungsstrukturen. Zufällige Innovatoren sind eher risikoscheu, lassen aber immerhin ausreichend Raum für den Glücksfall. Unternehmen ohne Innovationsfokus schließlich hegen in der Regel sehr geringe Ambitionen in dieser Richtung und verfügen auch nur sehr eingeschränkt über die notwendigen strukturellen, prozessualen oder methodischen Rahmenbedingungen.
Ein Beispiel für Leader im Sinne von Technologieführern sind die deutschen Automobilhersteller. Tief eingebettet in globale Wertschöpfungsnetzwerke, pflegen sie intensive Innovationskooperationen mit unterschiedlichsten Akteuren und konnten bisher ihren technologischen Vorsprung immer verteidigen. Noch heute geht knapp ein Drittel der globalen Automobilumsätze auf deutsche Hersteller zurück. Deutschlands Geschäftsmodell basiert daher als Mutterland des Automobils zu einem Gutteil auf der Automobilindustrie - aufgrund der Innovationsstärke der Hersteller und ihrer Innovationsimpulse bei den Zulieferern. Das zeigt auch regionale Wirkung: In Ingolstadt liegt die Produktivität beispielsweise bei rund 130.000 Euro pro Erwerbstätigen (Bundesdurchschnitt 75.000 Euro) und ist in den letzten zehn Jahren um über 50 % gewachsen (Bundesschnitt gut 20 %). Ohne Technologieführerschaft wäre eine solche Entwicklung nicht möglich.
Technologieführer sind aber auch die vielen Hundert Hidden Champions aus unterschiedlichsten Branchen hierzulande, die mit ihrer Innovationskraft eine zentrale Rolle beim Beschäftigungszuwachs in den vergangenen Jahren gespielt haben. Die Technologieführerschaft in der Automobilindustrie zeigt, welche positiven Spillover-Effekte daraus resultieren können. Die erheblichen Investitionen ausländischer Unternehmen wie Tesla, Rock Tech, CATL, SVOLT oder Intel wären in Deutschland sonst nur schwer vorstellbar.
Gleichzeitig ist ein Standortwettbewerb um solche Greenfield-Investitionen entbrannt. Die USA werden ihre Standortbedingungen mit dem Inflation Reduction Act weiter verbessern. Das hat ganz konkrete Auswirkungen auf das Innovationsökosystem in Deutschland. So plant der hochinnovative Batteriezellenhersteller Northvolt, die Investitionen in eine neue Fabrik in Heide zu verschieben und zunächst größere Investitionen in den USA zu tätigen. Ein Grund sind die erheblichen Fördermittel, von denen Northvolt profitiert. Die EU fördert bereits seit 2019 gezielt missionsorientierte Investitionen in der EU. Das zentrale Instrument hierfür sind die sogenannten Important Projects of Common European Interest (IPCEI), die allerdings mit einem geringeren Etat ausgestattet sind als die Vorhaben in den USA. Die aktuellen Entwicklungen mit Blick auf internationale Förderprogramme, aber auch auf die Infrastruktur (Stichwort grüne und wettbewerbsfähige Energieversorgung) sowie die anspruchsvolle Regulierung verdeutlichen, dass die EU und Deutschland ihre Aktivitäten dringend auf allen Ebenen beschleunigen müssen, um künftig den großen...