Schweitzer Fachinformationen
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Für alle Jugendlichen - egal ob in der Stadt oder auf dem Land - ist ihr Aufwachsen von Globalisierung, Internationalisierung, Digitalisierung, Inter- und Transkulturalität, Mobilität, Heterogenität und Urbanisierung geprägt. Dennoch existieren gerade hinsichtlich der sozialräumlichen Lebenswelten nach wie vor große Unterschiede, die vielfach durch die jeweiligen demografischen Entwicklungen prädisponiert sind.
Gegenstand dieses Beitrags soll es sein, die Wechselbeziehungen zwischen demografischen Wandlungsprozessen und den durch die Jugendlichen wahrgenommenen regionalen Rahmenbedingungen ihres Aufwachsens zu untersuchen. Gleichsam ist hier insbesondere die Rolle lokaler und regionaler jugendpolitischer Demografiestrategien von Interesse. Dazu kann einerseits auf qualitative Befunde aus dem vom Deutschen Jugendinstitut durchgeführten Forschungsprojekt »Jugend im Blick - Regionale Bewältigung demografischer Entwicklung« (Beierle, Tillmann & Reißig, 2016) zurückgegriffen werden, bei dem Jugendliche sowie Fachkräfte in ländlich geprägten Untersuchungsregionen aus acht Bundesländern im Rahmen von Gruppendiskussionen und Einzelinterviews befragt wurden. Außerdem werden andererseits aktuelle Daten der öffentlichen Regionalstatistik - vor allem mit Blick auf die Lebenswirklichkeit und Binnenwanderung junger Menschen - ausgewertet. Der Beitrag schließt mit einem Fazit der gewonnenen Befunde für eine jugendgerechte kommunale Politik.
Gerade seit der Wiedervereinigung spielen sich in Deutschland tiefgreifende demografische Wandlungsprozesse ab, von denen nicht zuletzt Jugendliche betroffen sind: Die Bevölkerung wird älter und sie wird diverser - dies vollzieht sich jedoch regional sehr unterschiedlich. Vor allem ländliche und strukturschwache Regionen sind von Schrumpfungsprozessen betroffen. Dies trifft insbesondere auf viele ostdeutsche Flächenlandkreise sowie Regionen im Saarland und in Rheinland-Pfalz zu (BBSR, 2019). Generell muss hier von einem schleichenden Prozess der »Entleerung der dünn besiedelten ländlichen Räume« gesprochen werden (Münter & Osterhage, 2018, S. 18). Aber auch größere Städte wie Dessau-Roßlau und Cottbus im Osten Deutschlands oder Wolfsburg und Gelsenkirchen im Westen haben mit einer rückläufigen Bevölkerungsentwicklung zu kämpfen (BBSR, 2019). Demnach können demografische Verwerfungen hierzulande nicht als rein ländliches Problem einer fortschreitenden (Re-)Urbanisierung angesehen werden.
Ursachen der regional sehr unterschiedlichen Bevölkerungsentwicklungen sind einerseits generative Faktoren - wie etwa der einschneidende Geburtenrückgang im Ostteil Deutschlands nach der Wiedervereinigung (Dienel, 2005) - sowie andererseits die auftretende (Binnen-)Wanderung, wobei vor allem junge Menschen in die Städte drängen - so wie die überwiegen jungen neu Zugewanderten, während die älteren Menschen am ehesten in ländliche Räume migrieren (Bauer, Rulff & Tamminga, 2019). Diese altersselektive Attraktivität ländlicher bzw. städtischer Räume bildet sich auch im jeweils beobachtbaren Durchschnittsalter der Regionen ab, denen die Land- und Stadtkreise zugeordnet werden können. Hierbei wiesen im Jahr 2017 städtische Regionen mit einem Mittelwert von 43,8 Jahren das niedrigste Durchschnittsalter der Wohnbevölkerung auf, gefolgt vom den Regionen mit Verstädterungsansätzen mit 44,4 Jahren bis hin zu Landkreisen der ländlichen Regionen mit einem Mittelwert von 45,3 Jahren (BBSR, 2019). Neben den jeweiligen regionalen Geburtenraten wirkt sich der Wanderungssaldo der jungen Bevölkerung, d. h. das Verhältnis von Zuzügen und Abwanderungen, unmittelbar auf die demografische Entwicklung aus. Einen Überblick zu den regionalen Disparitäten demografischer Wandlungsprozesse - hier die Zu- und Fortzüge von jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren, die sogenannte Bildungswanderung - liefert Abbildung 1.1. Auch wenn für den Indikator der Zu- und Abwanderung der 18- bis 25-Jährigen die Bezeichnung »Bildungswanderung« benutzt wird - da sie berufsbiografisch häufig im Zusammenhang mit der Aufnahme eines Ausbildungsverhältnisses oder eines Studiums steht - kann eine bildungsbezogene Veranlassung zur Binnenmigration hier nicht per se unterstellt werden. Vielmehr ist für die jungen Menschen bspw. vielfach auch die Aufnahme einer Berufstätigkeit ausschlaggebend (vgl. Mettenberger, 2019) ( Abb. 1.1.).
Hier zeichnen sich die Grenzen der fünf ostdeutschen Länder mit ihren negativen Saldi der Bildungswanderung in den dunkel dargestellten Regionen deut-
Abb. 1.1: Saldo aus Zu- und Abwanderung der 18- bis unter 25 -jährigen in Landkreisen und kreisfreien Städten im Zeitraum von 2012-2017 (in %) (erstellt über: BBSR (2019): INKAR - Indikatoren und Karten zur Raum- und Stadtentwicklung. BBSR. Bonn)
lich ab. Somit haben innerhalb der betrachteten fünf Jahre gerade dort mehr junge Menschen ihren Landkreis verlassen als aus dieser Altersgruppe dorthin zugewandert sind. Gleichzeitig werden auch in Westdeutschland demografische Verwerfungen sichtbar - etwa in Franken und im Rheinland. Da sich die Geburtenrate als ein demografischer Faktor wesentlich aus dem Anteil der Wohnbevölkerung ergibt, der sich in einer generativen biografischen Lebensphase befindet, kann dieser gegenüber der Abwanderung junger Menschen als kausal nachrangig angesehen werden. Typisch für viele Landkreise, aber auch Städte ist hierbei eine selbstverstärkende Dynamik von Abwanderung, negativen öffentlichen Diskursen und einer nachteiligen Regionalentwicklung (vgl. Christmann, 2009). Somit gilt es hier vorrangig zu beleuchten, was die Attraktivität einer Region aus Sicht von Jugendlichen ausmacht und welche Erwartungen sie an sie richten.
Betrachtet man die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung hinsichtlich weiterer Merkmale, so zeigen sich unabhängig vom Alter bei den Migrationsanteilen deutliche regionale Unterschiede: So ist der Anteil der Minderjährigen mit Migrationshintergrund mit Werten zwischen 8,9 und 12,1 % in den ostdeutschen Flächenländern deutlich geringer als in den westdeutschen mit Anteilen zwischen 23,5 und 46,2 % und als in den Stadtstaaten, wo diese sogar zwischen 45,2 und 50,5 % liegen. In den ostdeutschen Flächenländern handelt es sich aber deutlich häufiger um Kinder und Jugendliche, die selbst zugewandert (41 % all jener mit Migrationserfahrung) sind, als in den westdeutschen Flächenländern und Stadtstaaten (18,4 % derer mit Migrationserfahrung). Zehn Jahre zuvor waren bereits vergleichbare migrationsbezogene Unterschiede zwischen den Regionen zu beobachten - allerdings auf einem geringeren Niveau. Wenngleich die eigene Migrationserfahrung insgesamt eher geringfügig zugenommen hat, gibt es jedoch in allen Regionen für einige Altersgruppen erhebliche Veränderungen (Autorengruppe Kinder- und Jugendhilfestatistik, 2019).
Das Jugendalter ist durch eine Reihe von Veränderungsprozessen gekennzeichnet, die junge Menschen durchlaufen und mitgestalten. Eine zentrale Anforderung dieses Lebensabschnitts besteht in der Herausbildung der eigenen Persönlichkeit und Identität. Für Jugendliche gilt es dabei, Fähigkeiten, Kompetenzen, Kulturtechniken und Wissen zu erwerben, die es ihnen ermöglichen, ein eigenständiges, selbstbestimmtes Leben zu führen und gesellschaftliche Teilhabe zu erlangen (Deutscher Bundestag, 2017, S. 89f.).
Allerdings verändern sich die Lebensrealitäten und somit die Bedingungen des Aufwachsens in modernen Gesellschaften sehr rasch. Durch Megatrends wie den demografischen Wandel, Digitalisierung und Globalisierung ergeben sich sowohl Chancen als auch Risiken für junge Menschen in ihrem Sozialisationsprozess. Die ökonomischen, emotionalen und sozialen Ressourcen, die der Bewältigung dieser Herausforderungen dienen, sind allerdings ungleich verteilt und werden in der Regel von der Elterngeneration an die Kinder weitergegeben. Dementsprechend haben es Jugendliche mit einem armen und bildungsfernen Hintergrund hierzulande im internationalen Vergleich deutlich schwerer als Gleichaltrige, die über eine gute Ressourcenausstattung verfügen (Schleicher, 2019).
Soziale Benachteiligung sollte diesbezüglich auch in Zusammenhang mit der regionalen Verortung gesetzt...
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