Schweitzer Fachinformationen
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Warum Bahnstrecken nicht fertig werden und sich Mehrarbeit nicht lohnt
Stellen Sie sich vor, Ihre alten Wohnzimmermöbel sind nicht mehr der letzte Schrei, das Furnier ist an den Ecken abgeplatzt, die Couch ist durchgesessen und ein bisschen fleckig. Eigentlich würden Sie Ihr Wohnzimmer gerne neu einrichten, aber die Kosten passen nicht so richtig ins Budget. Das erzählen Sie Ihrem reichen Onkel, und er erhört Sie. Er verspricht Ihnen 6500 Euro für neue Wohnzimmermöbel, wenn Sie selbst noch mal so viel Geld zuschießen. Das wollen Sie aber nicht. Der Onkel lässt sich sogar herunterhandeln: Sie müssen selbst nur ein bisschen Geld dazulegen. Also bedanken Sie sich freundlich und gehen Ihrer Wege.
Nach einem Jahr fragt der Onkel nach, was aus dem Projekt geworden ist - und Sie antworten: Sie hätten schon einen neuen Couchtisch gefunden, der Ihnen gefällt. Ob der Onkel schon mal 240 Euro vom Konto abheben könnte?
So ungefähr lief es im Jahr 2019, als die Bundesregierung etwas für die Digitalisierung der Schulen tun wollte. Da gab sie den reichen Onkel. Eigentlich ist die Finanzierung von Schulen nicht Sache des Bundes: Lehrer werden von den Ländern bezahlt, die Ausstattung der Schulen wird von Städten und Gemeinden finanziert. Doch weil das jahrelang nicht richtig voranging, stellte die Bundesregierung fünf Milliarden Euro bereit, um die digitale Bildung der Schüler voranzutreiben. Das war schon vor Corona. In der Pandemie wurde die Summe auf 6,5 Milliarden Euro erhöht.
Damit die Bundesregierung den Ländern überhaupt Geld überweisen durfte, das für die Kommunen gedacht war, musste damals extra das Grundgesetz geändert werden. Nach einem Jahr war gerade Corona ausgebrochen, die Schulen waren geschlossen worden, eine ordentliche digitale Ausstattung wäre dringend nötig gewesen - doch von den 5 Milliarden Euro waren nur 240 Millionen verplant. Selbst nach fünf Jahren, als die Aktion allmählich auslief, war bei der Bundesregierung noch mehr als eine Milliarde Euro übrig. Niemand wollte sie haben. Nun ist es noch lange nicht so, dass Deutschlands Schulen für eine moderne Bildung gut ausgestattet wären. Aber nach diesem Beispiel sage noch einer, dafür gäbe es nicht genug Geld.
Wie jede Misere, so hatte auch diese viele Gründe. Einige davon haben aber eine gemeinsame Ursache: die ganz besonderen Schwierigkeiten der Zusammenarbeit von drei staatlichen Ebenen. Das fängt mit einer simplen Wahrheit an: Wenn der Bund Geld gibt, dann gibt er es nicht einfach so. Es gibt dafür eine 19-seitige Verwaltungsvereinbarung. Und natürlich verlangt der Bund für das Geld einen Antrag. Das Geld ist selbstverständlich zweckgebunden und darf von den Schulen nicht für etwas anderes verwendet werden. Computer und WLAN-Hotspots durften die Schulen kaufen, aber sie durften von dem Geld niemanden bezahlen, der ihnen die Geräte einrichtet und wartet. Geräte, die bei der Verwaltung helfen, durften gekauft werden, aber eine Bezahlung von Menschen dafür war ausgeschlossen. Schulpersonal zu bezahlen, das ist ja Sache der Länder.
Die Sache mit den Administratoren korrigierte der Bund nach einiger Zeit. Was sich nicht änderte, war das komplizierte Antragsverfahren. Der Bund forderte von den Schulen ein pädagogisches Konzept zum Einsatz der digitalen Technik. Das klingt erst mal sinnvoll, dafür hätten die Schulen aber Fortbildungen gebraucht - und dafür fehlte ihnen die Zeit. Für den Zeitmangel wiederum machte die Lehrergewerkschaft die Länder verantwortlich.
Und, fast am schlimmsten: Für die Anträge mussten Länder und Kommunen jeweils zusammenarbeiten, und das dauerte selbst mit Verwaltungsprofis zu lange. Schneller wäre es gegangen, wenn wenigstens nur eine Ebene der Verwaltung einen Antrag an eine andere stellen müsste. Aber das ist im System der Bundesrepublik Deutschland offenbar nicht möglich.
«Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat», so legt es das Grundgesetz in Artikel 20 fest. Dieser Artikel darf nicht geändert werden, und das wichtige Wort in Sachen Bürokratie heißt «Bundesstaat»: Deutschland ist föderal organisiert.
Das hat historische Gründe. Schon im Mittelalter waren die deutschen Regionalfürsten relativ stark und der Kaiser relativ schwach. Der Föderalismus hat aber auch andere historische Gründe: Nach der Katastrophe des Nationalsozialismus wurde das Grundgesetz so angelegt, dass es zentralen Verfassungsorganen das Durchregieren erschwerte.
Nun muss Föderalismus nicht immer die Politik blockieren. Auch die Schweiz ist föderal organisiert, Österreich ebenso, die USA und Kanada ebenfalls, die Vereinigten Arabischen Emirate und rund ein Dutzend weiterer Staaten. In dieser Liste findet jeder mindestens ein persönliches Lieblingsland, in dem der Föderalismus besser funktioniert als in Deutschland. Alles kommt auf die Details an: Wie sind die Aufgaben verteilt? Wie wird das System in der Praxis gelebt? Haben die unterschiedlichen Ebenen klare eigene Zuständigkeiten, für die nur sie verantwortlich sind? Und was machen die Teilstaaten: Konkurrieren sie miteinander um die besten Gesetze, oder koordinieren sie sich in immer neuen Arbeitskreisen so lange, bis gar nichts mehr passiert?
Die Digitalisierung der Schulen ist längst nicht der einzige Fall, in dem Geld des Bundes von Ländern und Kommunen gar nicht abgerufen wird. Wer Beispiele sucht, muss nur ein bisschen googeln, die Auswahl ist groß. 2024 wurden von den Ländern 100 Millionen Euro für die Agrarstruktur liegen gelassen. Beim Hochwasserschutz ließen sie nur 40 Millionen Euro ungenutzt - das allerdings war schon fast die Hälfte des gesamten Programmvolumens. Straßenbau, Breitbandausbau, kommunale Investitionen: Die Aufzählung könnte noch eine ganze Weile so weitergehen. Als der Bund in der Pandemie Geld für Luftfilter in Schulen bereitstellte, riefen die Länder nur ein Viertel des Geldes ab.
Regelmäßig fordern die Bürger von ihren Landesregierungen Rechenschaft darüber, warum so viel Geld verschenkt wurde. Die Landesregierungen sagen dann, ihnen habe Geld zur Kofinanzierung gefehlt oder ihnen fehlten Leute in der Verwaltung, die die Anträge ausfüllen könnten. In einzelnen Fällen mögen das gute Gründe sein. Wenn so ein Phänomen aber zur Regel wird, muss man die Gründe etwas weiter fassen: Wie sinnvoll ist es, dass Verwaltungen überhaupt so viele Anträge untereinander schreiben? Warum vertrauen öffentliche Stellen einander nicht stärker?
Der Esslinger Bürgermeister wollte gerne im September ein Weinfest veranstalten. Dafür wollte er Holzhütten an die Restaurants vermieten. Das lief aber nicht so, wie er es sich vorstellte - denn die Landesbauordnung schrieb ihm vor: Die Holzhütten fürs Sommerfest müssen so gebaut sein, dass sie genug Schneelast vertragen. Der Bürgermeister durfte davon nicht abweichen.
Bleiben wir noch einen Moment bei den Schulen. Die sind eigentlich Ländersache, und das könnte sogar ganz hervorragend funktionieren, zumindest in der Theorie: Ein Land probiert etwas aus, und wenn es funktioniert, machen es die anderen genauso. Transparente Bildungsvergleiche zeigen, was die Schulen in jedem Bundesland leisten. Auf diese Weise können Bürger ihre Landesregierung besser beurteilen. Sie können Rechenschaft einfordern. Dann könnten sie im Land die Partei wählen, die die beste Schulpolitik macht - ohne zum Beispiel über die Einkommensteuer nachzudenken, denn darüber entscheidet ja vor allem der Bund.
Tatsächlich kommt von dieser guten Theorie wenig in der Praxis an. Die Länder machen schlicht das Gegenteil: Die Bildungsminister berufen sich darauf, dass Schulen in Deutschland einheitlich sein müssten. Sie haben sich eine Kultusministerkonferenz ...
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