Schweitzer Fachinformationen
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Das Notfalltelefon vibrierte direkt neben Katjas Ohr und riss sie aus dem Schlaf. Einen Moment lang versuchte sie, es zu ignorieren, hoffte irgendwie, dass es zu einem Traum gehörte, an den sie sich nicht mehr erinnern konnte. Doch es hörte nicht auf. Schließlich streckte sie die Hand aus und brachte das Handy zum Schweigen.
»Hier spricht Dr. Maus, was kann ich für Sie tun?«
Schluchzen drang aus dem Gerät, Katja setzte sich auf.
»Beruhigen Sie sich bitte und sagen Sie mir, was passiert ist!«
Automatisch gab sie ihrer Stimme einen sicheren Klang, den Praxistonfall hatte sie auch im Halbschlaf drauf.
»Katja, kannst du bitte sofort kommen? Paul ist . Er hat .« Der Rest ging wieder in Weinen unter.
Paul?
»Angela, bist du das? Was ist los?«
»Paul . Er liegt in seinem Korb und zuckt so komisch, und aus seinem Po rinnt Wasser!«
»Wie bitte?« In Katjas Kopf rotierte es. Durchfall wie Wasser? »Kannst du mit ihm in die Praxis kommen? Da kann ich ihm besser helfen!«
Natürlich machte sie auch Hausbesuche, aber ihre Freundin Angela wohnte in der nächsten Querstraße. In der Zeit, in der sie hier alles an Medikamenten zusammensuchte, was sie möglicherweise brauchen würde, konnte Angela schon dreimal hier sein.
Katja schwang die Beine aus dem Bett und zog das T-Shirt aus, das sie anstelle eines Nachthemds trug. Ohne Licht zu machen, griff sie nach ihrer Kleidung, während in ihrem Kopf Erinnerungsfetzen an die lange zurückliegende Toxikologie-Vorlesung herumschwirrten. Durchfall im Strahl, wie aus einem Hydranten, die Stimme des Professors hatte sie noch im Ohr. Sie fuhr sich mit den Fingern ein paarmal durch die wirren dunkelblonden Locken und schlich leise zur Treppe.
Zu spät, Lena hatte sie bereits gehört. Ihre Tochter steckte den Kopf aus der Tür zu ihrem Zimmer. »Was ist los?«, wollte sie wissen. »Ein Notfall?«
»Paul hat starken Durchfall«, antwortete Katja.
»Paul von Angela? Der süße kleine Border Terrier?«
»Genau der.«
»Fährst du hin? Kann ich mitkommen?«
»Nein, Angela kommt mit ihm her. Geh wieder schlafen, du hast doch morgen Schule!«
»Aber ich .«
»Nein, Lena, heute nicht.«
Katja drückte ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn, den diese empört abwehrte - mit vierzehn Jahren ließ man sich nicht mehr von der Mutter küssen -, dann lief sie die Treppe hinunter ins Erdgeschoss und zog den Arztkittel über.
Hinge nicht draußen am Eingang ihr Praxisschild, niemand wäre auf die Idee gekommen, dass die kleine Doppelhaushälfte in der unteren Etage eine Tierarztpraxis beherbergte. Die Diele fungierte mit fünf Stühlen und dem Gäste-WC als Wartebereich, das ursprüngliche Wohnzimmer war zum Behandlungsraum umgebaut, und die ehemalige Küche diente als Labor, Medikamentenlager und Operationsraum in einem. Ein dickes Seil sperrte während der Sprechstunde den Aufgang zu ihrer Wohnung ab: Wohnzimmer, Küche und Bad im ersten Stock und zwei kleine Schlafzimmer ganz oben unter dem Dach. Viel Platz hatten sie nicht, aber es reichte aus für Lena und sie. Außerdem war die Miete günstig, und dass sie ihre Praxisräume im Haus hatte, sparte zusätzlich Zeit und Geld. Dafür nahm sie die manchmal fehlende Privatsphäre gern in Kauf.
Katja schaltete das Licht ein, rückte im Vorbeigehen die Stühle im Wartezimmer gerade und öffnete die Tür zum Behandlungsraum. Draußen bremste ein Auto, eine Tür schlug, und Katja sah durch die Scheibe aus Milchglas die Silhouette zweier Menschen. Sie wartete das Läuten nicht ab, sondern ging zur Haustür und schloss auf.
Angela Brömer und ihr Mann standen auf der Schwelle. Er trug einen Mantel über dem Schlafanzug und den Hund auf den Armen, während sich Angela immerhin eine Jogginghose angezogen hatte.
»Kommt rein«, sagte Katja und nickte Clemens Brömer zu. Angela fiel ihr um den Hals und begann wieder zu schluchzen.
»Ich glaube, er stirbt«, brachte sie heraus. Katja reichte ihr wortlos ein Kleenex, dann wandte sie sich Clemens zu.
»Leg ihn bitte auf den Untersuchungstisch.«
Paul war schlaff wie ein Stofftier, nur die Schwanzspitze bewegte sich ein wenig, als Katja über sein struppiges Fell strich. Er war kalt, viel zu kalt, und von Zeit zu Zeit lief ein Zittern über ihn hinweg. Katja zog seine Augenlider herunter; die Bindehaut war gerötet, auch die Schleimhaut im Maul leuchtete ziegelrot. Bei der nächsten Welle verkrampfte sich der kleine Körper, und ein Schwall klarer Flüssigkeit ergoss sich hinter ihm auf den Tisch.
Katja legte einen Stapel Zellstoff unter Pauls Hinterteil. »Ich gebe ihm als Erstes eine Infusion, um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen«, entschied sie. »Dann sehen wir weiter.«
»Was hat er? Wird er wieder gesund?« Angela sah sie flehentlich an.
»Ich denke, er hat eine Vergiftung«, sagte Katja. »Die Symptome sind ziemlich typisch. Hat er auch erbrochen?«
»Ja, vorhin, aber da kam nichts, er hat nur gewürgt«, flüsterte Angela. »Ach Paul .«
Clemens ließ sich auf einen Stuhl fallen und barg das Gesicht in den Händen.
Katja setzte einen Venenkatheter und entnahm ein wenig Blut für die Untersuchung, bevor sie eine Flasche Ringerlösung anschloss. Sie spritzte ein krampflösendes Mittel direkt in die Kanüle der Infusion und zog ein Herzmedikament auf.
»Ich behandle ihn erst einmal symptomatisch. Das heißt, ich stabilisiere seinen Kreislauf, und er bekommt etwas gegen die Krämpfe und das Erbrechen.« Ihre Stimme klang sicher, und ihre Gelassenheit übertrug sich auf Angela und Clemens.
Wenig später lag der kleine Hund ruhig auf dem Untersuchungstisch. Sein Atem ging regelmäßig, das Zittern hatte fast aufgehört. Katja säuberte den Tisch, anschließend setzte sie einen Blasenkatheter und zapfte Paul ein wenig Harn ab. In ihrem »Labor« entzündete sie einen alten Bunsenbrenner, tauchte eine Metallöse in den Harn und hielt sie in die Flamme. Ihr Verdacht bestätigte sich, die Flamme färbte sich sofort smaragdgrün.
»Es ist tatsächlich Thallium«, rief sie und drehte den Brenner wieder ab. Sie ging zurück in den Behandlungsraum. »Paul hat vermutlich Rattengift aufgenommen. Früher war das ein sehr gängiges Mittel.«
»Wie soll er denn an Rattengift kommen?« Clemens sah Angela vorwurfsvoll an. »Hat er vielleicht im Wald etwas gefressen? Du weißt doch, dass es immer wieder Idioten gibt, die Hunde vergiften!«
»Bemerkt habe ich nichts«, erwiderte Angela und riss die Augen auf. »Er stöbert doch so gern im Unterholz, und da sehe ich nicht immer, was er tut.« Sie brach wieder in Tränen aus.
»Wenn tatsächlich jemand Giftköder ausgelegt hat, wird Paul nicht der einzige Fall bleiben«, sagte Katja ernst. »Ihr solltet unbedingt zur Polizei gehen und Anzeige erstatten.«
Sie überprüfte Pauls Puls und nickte zufrieden. Dann holte sie eine Packung Aktivkohle aus dem Medikamentenschrank und begann, die Tabletten in einem Mörser zu zerstoßen. Das schwarze Pulver mischte sie mit Wasser zu einem dickflüssigen Brei, den sie in eine große Einmalspritze füllte.
»Er bekommt jetzt Aktivkohle«, erklärte Katja ihr Tun. »Das ist die wirksamste Soforthilfe bei einer Schwermetallvergiftung. Anschließend fahrt ihr am besten nach Duisburg zu Harro.«
Angela blickte sie überrascht an. »Zu deinem Ex-Mann? Wieso kannst du das nicht selber?«
»In der Klinik kann Paul besser geholfen werden. Er muss weiter Infusionen bekommen und die ganze Nacht unter Beobachtung bleiben. Und mit etwas Glück hat Harro das Antidot vorrätig, das Paul braucht. Ich rufe ihn gleich an, okay?«
Harro von der Bruiken war selbst am Telefon, als sie wegen Pauls Überweisung die Klinik am Zoo in Duisburg anrief. Kurz angebunden kündigte sie das Eintreffen der Patientenbesitzer Brömer an, Patient Paul, Border Terrier, vier Jahre alt, Thalliumvergiftung.
»Thallium?«, fragte Harro ungläubig. »Bist du sicher?« Sein Tonfall brachte sie unmittelbar auf die Palme.
»Natürlich bin ich sicher«, schnappte sie zurück. »Du bekommst eine E-Mail mit der Krankengeschichte.« Sie knallte den Hörer auf den Tisch, dass der Terrier zusammenfuhr, und rieb sich die Schläfen. Wie gut, dass die Brömers die Praxis schon verlassen hatten. Sie waren nach Hause gefahren, um sich etwas anzuziehen, aber sie würden gleich wiederkommen und mit Paul nach Duisburg fahren.
Es war vier Uhr morgens, als Katja müde und erschöpft die Treppe zu ihrer Wohnung hochstieg. Auf der letzten Treppenstufe trat sie in etwas Weiches, Pelziges, das mit einem entrüsteten Maunzen unter ihrem Fuß wegtauchte.
»Kiri, musst du mich so erschrecken!«
Die schwarze Katze miaute erneut und strich um Katjas Beine. Katja bückte sich, um sie zu streicheln, und Kiri schnurrte wie ein Kompressor los. Offenbar war sie gerade von einem nächtlichen Ausflug nach Hause gekommen, ihr Fell fühlte sich feucht und kühl an.
Katja folgte Kiri in die Küche und füllte ihren Futternapf auf. Die Katze machte einen Buckel und gähnte, dann drehte sie sich demonstrativ um und stolzierte ins Wohnzimmer.
»Nein, Kiri, ich gehe wieder ins Bett«, sagte Katja.
Die Katze kam mit und rollte sich am Fußende der Decke zusammen. Ihr Schnurren wiegte Katja in einen unruhigen Schlaf, aus dem sie der Wecker zweieinhalb Stunden später unbarmherzig weckte.
Eigentlich hatte Katja vorgehabt, direkt am Morgen in der Tierklinik in Duisburg anzurufen und sich nach dem Befinden von Paul zu erkundigen. Eigentlich. Aber dann stand noch vor Beginn der Vormittagssprechstunde ein aufgelöster...
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