Kapitel 1
An allem waren nur die Schnapspralinen schuld ? zum Glück!
»Ich komme, Rüdimaus!« rief ich, als es klingelte. »Ich komm', Moment!«
Ziemlich beschwipst rollte ich vom Sofa und wunderte mich kein bißchen über mein Gegröle. Schließlich hatte ich eine Magnum-Packung Mon Cheri im Bauch ? und das ohne Mittagessen. Doch ich hätte liegenbleiben sollen. Denn als ich den ersten Schritt in Richtung Haustür machte, schlug der Schoko-Ekel zu, und zwar so heftig, daß ich nicht bloß aufstieß wie ein Hooligan, sondern mir mein Magen auch signalisierte, die ihm zugemuteten Gaben wieder ans Licht befördern zu wollen.
»Oh Gott, ist mir schlecht«, jammerte ich. »Verdammte Pralinen. Alles deine Schuld.«
Mit der gequältesten Miene, die je ein Mon-Cherie-vergiftetes-Weib hat aufsetzen können, schleppte ich mich weiter. Zum Glück schien mein Magen über seinen Zustand erst mal philosophieren zu wollen ? vielleicht entging ich ja doch dem Schicksal, Schwiegermutters neuen Wisch-Mob mit Schokosaurem einzuweihen.
»Aber ja doch!« würgte ich hervor, als das kindische Gegongel den Flur zum zweiten Mal in einen Wecker verwandelte. »Bin doch schnell wie die Maus von Mexico. Hörst du das nicht?«
Rüdimaus hörte nicht. Denn es gongelte gleich noch ein drittes Mal. Er verhielt sich natürlich genauso wie sonst. Konnte ja gar nicht anders. Schließlich war er Mann. Und die haben es immer eilig. Ob auf der Autobahn oder im Bett. Und Rüdimaus war ein ganz besonders schneller. Auf der Autobahn bedrohte er jeden mit 240, und im Bett schnarchte er schon, wenn ich noch dabei war, die Beine wieder geradezustrecken. Deshalb hatte er mir heute wohl zum Geburtstag den schwarzen Occhi-Verdi-Spitzenbody geschenkt: Damit er noch schneller kommen konnte, tun dann noch ein bißchen eher zu schnarchen.
Und jetzt mußte meine schnelle Rüdimaus vor der Tür warten. Wahrscheinlich sagte er mir gleich, er würde nur noch schnell den Rasen mähen und ganz schnell den Wagen in die Waschanlage fahren ? blieb mir also genug Zeit, mich schnell zurechtzumachen, um dann schnell beim Italiener ein fünfgängiges Menü zu verschmausen, anschließend ins Kino zu gehen und eine Stunde nach Mitternacht noch superschnell den Body einzuweihen.
»Rüdi«, hauchte ich leidend, während ich die Haustür ganz langsam aufmachte. »Hast du schon mal was von Hausschlüsseln gehört? So zum Aufschließen, weißt du?«
Ich muß unheimlich sexy ausgesehen haben, wie ich so dastand: Gewandet in einen verwaschenen, völlig bequemen Jogginganzug, geschminkt wie ein gerupftes Huhn, die Haltung wie eine Leberwurst in der prallen Sonne. Dazu ein blasser Miesmachermund, den ich Rüdi mit geschlossenen Augen zum Kuß anbot wie ein nach Luft schnappender Karpfen. Und dann natürlich mein Parfüm: der in allen Ecken der Welt bekannte Duft Eau du Liqueur.
Rüdi würde mich unmöglich küssen wollen. Auch wenn heute mein Geburtstag war. Und er tat es auch nicht. Also schloß ich meinen Mund, zupfte mich zurecht, weil mein riesiger Großmutter-Schlüpfer auf dem Sofa zum String-Tanga mutiert war, und schlug die Augen auf.
Rosen, dachte ich blöde, als ich den Blumenverhau erblickte. Rote Rosen, viele rote Rosen. Absurd viele Rosen. Rosen in Zellophan. Ich glaub', ich spinne.
»Rüdi«, sagte ich schwach, aber mit einem Lächeln in der Stimme. »So eine Überraschung. Aber das wär' doch nun wirklich nicht .«
Weiter kam ich nicht, das Telefon klingelte. Dem Grunzer hinter der Rosenhecke schenkte ich keine Beachtung.
»Verdammt! Telefon!« rief ich und hastete zurück ins Wohnzimmer. Die Übelkeit war verschwunden.
»Ja? Rüdi? Du? Wieso Du? Ach so, ja. Danke für die Rosen. Ach, warte mal. Weißt du, draußen. Da steht noch der Fleurop-Mann, Moment mal. Was? Wieso? Deine Rosen doch, du Dösbattel.«
»May I come in«, tönte es auf einmal näselnd von der Haustür, worauf ich, natürlich wie jede andere Frau auch, etwas verwirrt und hysterisch kreischte:
»Yes. Of course.«
»Thank you. Wonderful.«
»Rüdi!« schrie ich jetzt. »Die von Fleurop haben sogar Engländer, echt! In piekfeinen Hosen. Flanell. Was?! Keine Rosen? Quatsch! Schitt jetzt! Ruf in ein paar Minuten zurück. Tschüüß.«
Ich brauchte noch mehr Anläufe als sonst, den Hörer paßgenau auf die nicht mehr vorhandene Gabel unseres blöden supermodernen Telefons zu pfeffern. Währenddessen wartete mein Fleurop-Brite wie ein Wachsoldat der königlichen Garde. Gutgebaute Einsneunzig, stramm ausgerichtet, trotzdem irgendwie lässig. Und dann die Schuhe! Machten einen richtig fertig mit ihrem Glanz.
»Wir Briten sind überpünktlich, excuse me«, konnte ich den warmen Bariton hinter den Rosen vernehmen. Der wunderbare Akzent ließ mich weich werden wie ein Stück Cheddar. Dazu dieser Gentlemen-Duft, gegen den die Rosen geradezu muffelten. Und dann die munteren braunen Augen, die mich spiegelten, als wäre ich Cindy Crawford im Laufstegoutfit. Unfaßbar! Mir kamen auf einmal massive Zweifel, ob dieser freundliche Herr wirklich von Fleurop war. Vielleicht war alles nur ein Trick und er in Wirklichkeit der Rosen-Mörder, der gerade sein erstes Opfer reingelegt hatte. Ich beschloß also, vorsichtig zu sein.
»Wir haben noch eine Stunde, nicht wahr?« begann mein Mörder.
»Eine Stunde?«
»Ja, wirklich«, sagte mein Mörder höflich und lächelte so unschuldig wie ein Sonnenaufgang mit lila Schokolade. »Aber bitte, verzeihen Sie die Frage: Wollen Sie so gehen? So komisch angezogen?«
Gehen hieß es bei ihm also schlicht. Gehen. Einfach nur gehen. Gehend aus dem Leben scheiden. Mir brach der Schweiß aus. Warum brüllte ich nicht einfach aus Leibeskräften los? Ich mußte verrückt sein. Da stand ein wildfremder Brite in meinem Wohnzimmer, tarnte sich hinter zweihundertfünfzig Rosen und kündigte an, ich solle gefälligst Reizwäsche anlegen, bevor er gedachte, Hackfleisch aus mir zu machen. Aber ich war gelähmt und fasziniert zugleich. Das klassische Opfer. Also selbst schuld.
»Doch bitte, Charlotte, erlösen Sie mich. Quälen Sie mich nicht. Schließlich ? Madame haben erzählt, daß Sie lieben rote Rosen und Mozart, nicht wahr?«
»Absolutely right«, stammelte ich und nahm die mir dargebotenen Rosen, die so schwer waren, daß ich in die Knie sackte. Mein Mörder kannte natürlich meinen Namen ? aber, verdammt, er sah absolut nicht wie ein Mörder aus. Viel eher wie die gut gereifte und genetisch unverkorkste Ausgabe von Mr. Bean in glänzend guter Garderobe. Und, Teufel noch mal, so irre gut duftend, daß meine Nase vor Begeisterung zu vibrieren begann.
»Madame?« fragte ich schwach und schöpfte gewaltig Hoffnung, daß dieser Brite doch kein zweiter Jack the Ripper war.
»Wer sonst?« sagte Gentleman Bean so freundlich, daß ich ein für allemal entschied: kein Mörder.
»Madame weiß ja nicht nur, was ich liebe ? und, lassen Sie sich gefallen das Kompliment, so süß wie Sie hat mich noch niemand empfangen. Wirklich wonderful. I like this shocking. Madame weiß auch, was die Damen ihres Teams bevorzugen, Sie verstehen?«
»Yes, surely, Mister.«, log ich und lächelte mit märchenhafter Unschuld.
»Sagen Sie einfach Tom. Please.«
»Ja, Tom, aber ich glaube .«
Das Telefonklingeln verhinderte, daß ich Gentleman Bean aufklärte. Denn ich begriff, daß dieses Duftgedicht von Mann sich schlicht in der Adresse geirrt haben mußte. Seine Madame unterhielt ganz offensichtlich eine Art Begleitservice für den feinen Herrn. Anders konnte ich mir sein Verhalten nicht erklären. Madame! Das erinnerte mich faustdick an die Erinnerungen der legendären Madame Elle, einst Europas feinste Geheimadresse in puncto Dienstleistung für den wohlsituierten Herrn. So fein, daß die Herren zahlten, auch wenn die Damen nicht mit ihnen ins Bett stiegen. Gentleman Bean also gleich einfühlsam aufzuklären ? es würde Fingerspitzengefühl erfordern.
Rüdimaus tat nicht unbedingt zerknirscht am Telefon. Und natürlich hatte er die Sache mit den Rosen längst vergessen. Im Ton abgeklärten Bedauerns teilte er mir mit, daß er leider leider gezwungen sei, unsere abendlichen Geburtstagsunternehmungen zu verschieben.
»Stimmt doch gar nicht«, prustete ich los. »Willst mich nur wieder hochnehmen, du Schuft.«
Rüdi lachte höflich mit, wiederholte sich dann aber. Und legte nach: Das wichtige Geschäftsessen mit dem noch wichtigeren Kunden sei nun mal. Ich hörte nicht mehr hin. Fauchte nur mit tränenerstickter Stimme: »Dann eben nicht!« und schmiß Rüdimaus aus der Leitung.
»Ärger, Charlotte?« duftete die tiefe Stimme anteilnehmend zu mir herüber.
»So ähnlich«, preßte ich heraus und hob meine verschleierten Augen wie die leidende Madonna selbst zu diesem eigentlich ja gar nicht diskreten Gentleman empor. Mit verheerender Wirkung. Denn die Blicke dieses guten Mannes verwandelten sich in mitfühlende Streicheleinheiten, die meiner Seele so sehr schmeichelten, daß ich etwas tat, das mir vor zwei Minuten noch absolut undenkbar erschienen wäre. Ich fragte:
»Eine Stunde noch?«
»Fortyfive minutes, Charlotte.«
»Und ? «, zögerte ich, »Tom, es macht Ihnen nichts aus, mich wieder hier abzusetzen?«
»Oh Charlotte! Sie müssen sich wirklich geärgert haben, daß Sie so etwas fragen, nicht wahr? Im Moment bin ich für Sie da ? nicht umgekehrt.«
»Fortyfive minutes?« fragte ich.
»Fortyfour.«
»Please, do sit down, Tom.«
Ich ging erst langsam, dann rannte ich. Los! Unter die Dusche, du Schnapsglas, feuerte ich mich an und rubbelte mir die Wut von der Haut. Nee, Rüdi, nicht mit mir. Jetzt ist Schluß. Heute abend hau' ich...