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Mehr als fünf Jahre lang war Maren der Meinung gewesen, ihr Mann könne nichts wegschmeißen. Egal ob es um alte Dokumente, aus der Mode gekommene Kleidungsstücke oder ausrangierte Möbel ging, jeder Gegenstand blieb beständiger und hartnäckiger in Lennards und damit auch in Marens Besitz, als ihr persönlich lieb gewesen war. Allein bis sie ihn dazu überredet hatte, das Sofa auszutauschen, das sie sich noch in der Studentenzeit zugelegt hatten. Monatelang hatte sie auf Lennard eingeredet und ihn nur mühsam vom Kauf eines neuen überzeugen können. Und selbst dann war das alte, abgewetzte Teil nicht einfach in die Müllpresse gewandert, sondern hatte für weitere Wochen ein trauriges Dasein im Gästezimmer gefristet, bis Maren es kurzerhand mit dem Nachbarn auf die Straße gebracht hatte, weil der Sperrmüll kam.
Nun aber stellte sie fest, dass Lennard durchaus in der Lage war, sich zu trennen. Nur dass es sich dieses Mal nicht um ein altes Sofa, sondern um seine eigene Ehefrau handelte.
Sie stand auf den Stufen, die zu ihrem Haus hinaufführten, und blickte auf die Straße. Der Umzugswagen war bereits gut gefüllt, die Helfer schleppten die letzten Kisten aus dem Haus.
»Darf ich da mal durch?«
Maren machte einen Ausfallschritt zur Seite und ging dem Mann aus dem Weg, der gerade einen weiteren Karton an ihr vorbei die Treppe hinuntertrug.
Sie fühlte sich genauso ausrangiert wie die Couch, die sie vorletztes Jahr auf die Straße gestellt hatte. Den halben Abend hatte Lennard am Küchenfenster verbracht und beobachtet, ob sich noch irgendjemand für das alte Ding interessierte. Aber nicht mal die Studenten, die in den späten Stunden vorbeiflaniert waren, hatten dem Möbel ihre Aufmerksamkeit geschenkt.
»Das ist doch noch gut in Schuss«, hatte Lennard immer wieder gemurmelt. »Ich verstehe nicht, wieso du die Couch nicht mehr haben wolltest.«
Immerhin dieses Gefühl konnte Maren mittlerweile sehr gut nachvollziehen. Auch sie verstand nicht, warum Lennard sie nicht mehr haben wollte. Warum er ihr vor einem halben Jahr gesagt hatte, dass er für ihre Ehe keine Zukunft mehr sehe.
»Ich mag dich sehr gern, Maren. Aber ich glaube, ich liebe dich nicht mehr.« Das waren seine Worte gewesen, und die Erinnerung daran schnitt immer noch in Maren wie eine Rasierklinge.
»'tschuldigung«, nuschelte eine Stimme hinter ihr, und sie ging noch ein Stück zur Seite. Sie stand nur im Weg herum, auch deshalb, weil sie es einfach nicht über sich brachte, beim Auszug ihres Mannes - nein, zukünftigen Ex-Mannes - mitanzupacken.
»Warum fährst du nicht weg, wenn Papa auszieht?«, hatte Valentina gefragt, die ältere der beiden Zwillingstöchter, von Natur aus pragmatisch wie ihr Vater, aber sehr viel besser als er, wenn es ums Ausmisten ging.
Doch Maren hatte die Vorstellung gruselig gefunden, nach Monaten, die Lennard und sie nun schon wie in einer WG zusammengelebt hatten, in beängstigender Stille und Sprachlosigkeit, in das Haus zurückzukehren, das sie gemeinsam gekauft und eingerichtet hatten, und es halb leer vorzufinden. Deshalb war sie heute hier, auch wenn sie das Gefühl hatte, mit jedem Gegenstand und jedem Möbelstück, das nach draußen gebracht wurde, auch ein Stück von sich selbst zu verlieren.
Wenn sie wenigstens miteinander gestritten hätten. Sich angebrüllt, mit Tellern nach dem anderen geworfen hätten. Wenn es die Hölle auf Erden gewesen wäre, dann, dachte sie, hätte sie es vielleicht irgendwie in ihren Kopf hineinbekommen, dass Lennard nicht mehr ihr Mann sein wollte. Aber zwischen ihnen war es leise - nicht erst seit dem Tag, an dem Lennard sich mit grauem Gesicht zu ihr an den Tisch gesetzt, schwer geseufzt und dann angefangen hatte zu reden. Es war das längste Gespräch seit Jahren gewesen.
Und das traurigste. Maren erinnerte sich daran, wie sie aus allen Wolken gefallen war, als Lennard die Worte aussprach, die sie seitdem nicht mehr vergessen konnte.
»Wir hatten es gut, aber jetzt sollten wir weitergehen. Loslassen, Maren. Solange es nicht wehtut.«
Dass es nicht wehtat, stimmte nicht. Maren hatte immer noch das Gefühl, eine eiskalte Hand grabe sich in ihre Gedärme ein und packe erbarmungslos zu, wenn sie sich wieder vergegenwärtigte, dass Lennard die Scheidung wollte. Nur leider war sie seit dem Tag im vergangenen November, seit dem Moment, als Lennard sich zu ihr an den Tisch gesetzt hatte, nicht in der Lage gewesen, auch nur eine Träne zu vergießen. Stumm und fassungslos hatte sie dagesessen und ihm zugehört, und auch in den Tagen und Wochen danach, als die Gewissheit langsam in sie einsickerte, war sie zwar unendlich traurig gewesen, doch geweint hatte sie nicht. Möglicherweise weil sie tief in sich drinnen ahnte, dass sie Lennard verstehen konnte, zumindest ein bisschen.
Ein gutes Team waren sie, das hatten immer alle gesagt. Auch wenn sie eigentlich nicht viel miteinander verband. Hobbys teilten sie keine, und auch ihre Freundeskreise waren unterschiedlich. Lennard blieb gern für sich, ging auch allein zum Sport, er trainierte seit einiger Zeit für einen Halbmarathon, den er sich vorgenommen hatte zu laufen, bevor die Gelenke eines Tages nicht mehr mitmachten. Maren verstand bis heute nicht, wie man seine Erfüllung im Joggen finden konnte, hatte ihren Mann aber immer machen lassen und sich die Zeit anders vertrieben. Mit Alexa und Ingrid, ihren beiden besten Freundinnen, besuchte sie so ziemlich jede Kunstausstellung, die es im Umkreis von dreihundert Kilometern um Karlsruhe herum gab, auch zur Art Basel waren sie schon mal gefahren. Als Grafikerin interessierte sie sich für alles, was mit Kunst und Design zu tun hatte, wohingegen Lennard ihre Schmierereien auf dem Notizblock neben dem Telefon nicht von einem Matisse unterscheiden konnte.
Sie waren so unterschiedlich, immer schon. Doch genau diese Unterschiedlichkeit war doch ihre große Stärke. Gewesen, dachte Maren und riss sich nun doch vom Anblick des Umzugswagens los. Sie wandte sich ab und ging ins Haus, in dem der Auszug Spuren hinterlassen hatte. Bilder und Fotografien, die Lennard eingepackt hatte, an die nur noch der staubige Abdruck und die Nägel in der Wand erinnerten. Staubflusen und Wollmäuse, die unter den Möbelstücken lagen, welche sie ihrem Mann überließ.
Maren ging in die Küche, um sich einen Kaffee zuzubereiten, den vierten. Vermutlich würde sie heute Abend sowieso nicht einschlafen können, da machte das Koffein auch keinen Unterschied mehr. Früher hatte sie zum Dinner eigentlich immer einen Espresso bestellt, aber die Zeiten waren vorbei. Mit Ende vierzig war der Körper empfindlicher. Vor allem an Tagen wie diesem, wo ihre Hände ohnehin schon zitterten und sich das flaue Gefühl im Magen häuslich eingerichtet zu haben schien.
»Ach, gut! Machst du mir auch einen?«
Vicky, die Jüngere, rauschte in die Küche und öffnete einen der Oberschränke. Sie sah ihrer Schwester zum Verwechseln ähnlich und war doch so anders, wilder und manchmal ein wenig ungestüm, aber immer voller Energie und mit einem Lächeln auf den Lippen.
Maren machte sich geistesabwesend an der Kaffeemaschine zu schaffen und ließ zwei Tassen volllaufen. Vicky lehnte sich an die Küchenzeile und beobachtete sie.
Als Maren ihr den Kaffee in die Hand drückte, legte die Tochter den Kopf schief.
»Es ist nicht das Ende der Welt, Mama. Viele Paare trennen sich. Und heißt es nicht immer, dass in jedem Ende auch ein neuer Anfang liegt?«
Maren rang sich zu einem schiefen und falschen Lächeln durch. »Hm«, machte sie unbestimmt und trank einen Schluck von ihrem Kaffee. Zu heiß.
»Du bist noch jung! Siebenundvierzig, das ist doch kein Alter«, fuhr Vicky fort.
»Das sagt sich leicht mit einundzwanzig.«
Die Tochter nickte bestimmt. »Du kannst immer noch glücklich werden.«
Maren schnaubte. Was wussten Zwanzigjährige schon vom Glück? Wo sollte Maren hin? Was konnte sie tun? Sie wollte nicht, dass die Beziehung mit Lennard vorbei war, und fühlte sich, obwohl sie so viel Zeit gehabt hatte, sich an seine Entscheidung zu gewöhnen, wie gelähmt. Sie wünschte sich kein anderes Leben. Ihr gemeinsames war doch gut gewesen. Warum, verdammt noch mal, wollte Lennard, der sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht mal von seiner Frisur hatte trennen wollen, plötzlich alles neu haben?
Vielleicht, durchzuckte sie der Gedanke, hat er sich all den Veränderungswillen für diesen einen Moment aufgespart. Um mich endlich loszuwerden.
Diese Vorstellung traf sie wie ein Faustschlag.
»Mama?« Vicky hatte den Kaffee ausgetrunken und stellte die Tasse auf die Spüle. Immerhin eines würde sich niemals ändern: Geschirr räumte sich im Elternhaus auf wundersame Weise von allein in die Maschine. »Ich muss gleich los. Lerngruppe. Kommst du klar?«
Maren blinzelte. Sie wusste nicht, was sie antworten sollte. Kam sie klar? Sie wusste, dass Alexa und Ingrid in den Startlöchern standen. Ein Anruf genügte, und die beiden würden sofort vorbeikommen, mit Putzsachen oder drei Flaschen Wein und Taschentüchern, je nachdem, was Maren brauchte. Wenn man sie in diesem Moment aber gefragt hätte, was das war, was sie brauchte - sie hätte keine Antwort gewusst. Ihr Inneres fühlte sich genauso leer an wie das Ehebett seit Monaten, seit dem Tag, an dem Lennard ins Gästezimmer gezogen war.
Vicky wartete noch einen Augenblick ab, dann hauchte sie Maren einen Kuss auf die Wange und ging. Maren blieb in der Küche stehen, sie griff nach der Kaffeetasse, die Vicky auf der Spüle abgestellt hatte, und...
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